Die Bienenfabel: Selbstsucht - ein ethisches Prinzip?

Ethische und moralische Prinzipien, die sich an den kategorischen Imperativ eines Immanuel Kant - „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ anlehnen, sind nach und nach aus der herrschenden ökonomischen Theorie und Praxis verschwunden. Horst Albach, einer der wichtigsten Vertreter der neoklassischen Betriebswirtschaftslehre (BWL), schreibt, Unternehmen sollen sich selbstsüchtig verhalten. Seine :Begründung lautet „Nun ist selbstsüchtiges Verhalten genau dann moralisches Verhalten, wenn die Marktteilnehmer wissen (…), dass die Maximierung des individuellen langfristigen Nutzens den höchsten erwarteten durchschnittlichen Nutzen in der Gesellschaft bewirkt.“

Diese Sichtweise ist nicht neu. Neu ist, dass dies öffentlich ausgesprochen und Selbstsucht – im Christentum in Form der Habgier eine der sieben Todsünden (!) - zur ethischen Maxime verklärt wird. Bereits im 18. Jahrhundert schrieb Bernard Mandeville  in seiner Schrift „Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile“, dass nicht die Tugend die eigentliche Quelle des Gemeinwohls sei, sondern das Laster.

Ich frage mich - auch angesichts der nahenden "besinnlichen Tage": Wollen wir als Staatsbürger wirklich tatenlos zusehen, wie dieses a-soziale Verhalten sich Zentimeter für Zentimeter durch unsere Gesellschaft frisst? Und wollen wir uns ohne Rücksicht auf Verluste in einen gnadenlosen Kampf Jeder-gegen-Jeden schicken lassen, in dem  - sehr - wenige gewinnen und die übergroße Mehrheit der Menschen verliert?

Bin gespannt auf Eure Antworten.

Die Schrift wird mit diesem Gedicht eröffnet:

Der unzufriedene Bienenstock

oder
Die ehrlich gewordenen Schurken

Ein Bienenstock, dem keiner sich
An Macht und Reichtum sonst verglich,
Des fleißge, wohlgenährte Scharen
Geehrt in Krieg und Frieden waren,
War als das rechte Heimatland
Von Kunst und Wissenschaft bekannt.
Wenn die Partein auch Streit geführt,
Ward doch das Ganze gut regiert;
Nie hat der Pöbel wild geknechtet
Das Volk, nie ein Tyrann entrechtet,
Durch Herrscher, deren Macht beschränkt,
Ward es mit milder Hand gelenkt.

Das Leben dieser Bienen glich
Genau dem unsern, denn was sich
Bei Menschen findet, das war auch
En miniature bei ihnen Brauch,
Obwohl dies freilich nicht zu merken
Bei ihren kunstvoll kleinen Werken.
Jedoch bei uns ist nichts bekannt
In Haus und Hof, in Stadt und Land,
In Handel, Kunst und Wissenschaft,
Wofür nicht dort Ersatz geschafft.
Gab's also Könige und hielten
Sich diese Wachen, die aber spielten
Nicht Würfel, so liegt trotzdem nah:
Irgendein Spiel war sicher da;
Denn nirgends gibt's ein Regiment
Soldaten, das kein solches kennt.
......

Den Ärzten, wurden sie nur reich,
War ihrer Kranken Zustand gleich.
Aufs Heilen gaben sie nicht viel,
Sie setzten sich vielmehr zum Ziel,
Durch eifriges Rezepte-Schreiben
Des Apothekers Freund zu bleiben,
Der Wehfrauen und der Priester Gunst
Zu sichern sich durch Schmeichelkunst,
Sich mit den Weibern zu vertragen,
Zu billigen, was die Tanten sagen,
Mit süßem "Nun, wie geht es?" allen
Von der Familie zu gefallen
Und schließlich noch der Wartefrauen
Dummdreiste Reden zu verdauen.

Von denen, die dazu ersehen,
Des Himmels Segen zu erflehen,
War selten einer ernst-gelehrt,
Viel öfter hitzig und verkehrt.
Doch glückt's den meisten zu verhüllen,
Wie Stolz und Habgier sie erfüllen,
Worin sie nicht geringern Ruf,
Als der Soldat in Spiel und Suff.
Ein paar, in sichtlich tiefer Not, .
Erbaten still ihr "täglich Brot"
– Sie meinten Schüsseln, wohlgefüllt –,
Doch blieb ihr Sehnen ungestillt.
Wie wacker darbten diese Frommen!
Das ist den andern sehr bekommen,
Den Herren, deren blühnde Wangen
Im Wohlsein und Behagen prangen.
......

Die Moral

So klagt denn nicht: für Tugend hat's
In großen Staaten nicht viel Platz.
Mit möglichstem Komfort zu leben,
Im Krieg zu glänzen und doch zu streben,
Von Lastern frei zu sein, wird nie
Was andres sein als Utopie.
Stolz, Luxus und Betrügerei
Muß sein, damit ein Volk gedeih'.
Quält uns der Hunger oft auch gräßlich,
Zum Leben ist er unerläßlich.
Stammt nicht des edlen Weines Saft
Von einem garstig dürren Schaft?

Der, wenn man ihn nicht sorgsam pflegt,
Bloß nutzlos wuchert und nichts trägt,
Doch dessen Frucht uns Lust bereitet,
Wenn man ihn bindet und beschneidet.
Genauso uns das Laster nutzt,
Wenn das Gesetz es kappt und stutzt,
Ja, ist so wenig aufzugeben
Für Völker, die nach Größe streben,
Wie Hunger ist, damit sie leben.
Mit Tugend bloß kommt man nicht weit;
Wer wünscht, daß eine goldene Zeit
Zurückkehrt, sollte nicht vergessen:
Man mußte damals Eicheln essen.

Das vollständige Gedicht hier lesen.

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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