Wer nicht angelt kann keinen Fisch fangen! (3. Teil)

Ingemars Kampf mit Gott und der Welt

Ingemar, schwedischer Junggeselle in den Siebzigern, lebt in der Nachbarschaft in einem nur mit schwerem Atemschutz zu betretenden Häuschen. Regelmäßig holt er seine Hechte aus einem großen, acht Kilometer entfernten See. Ob zehn Kilo oder hundert Gramm - Ingemar nimmt alles, was ihm an den Haken kommt. Er selbst isst keinen Fisch, dafür aber seine Katzen mit großer Begeisterung. Ingemar angelt ausschließlich mit einer Art Holzhaspel, wie man sie gemeinhin zum Aufwickeln der Wäscheleine benutzt. Seine Standardblinker könnte man - ohne Haken - gut und gerne als Schuhlöffel benutzen. Apropos Haken, man sieht Ingemars Modell gelegentlich in Aktionfilmen, eine andere Bezeichnung ist Wurfanker... Auch sein Käscher ist gigantisch. Ohne Netz könnte man ihn für den Feuersprung der Löwen im Zirkus einsetzen.
Nie vergessen werde ich den Tag, als Ingemar mächtig rudernd in einem Boot saß. Er wollte auf den See hinaus. Als ich etwa fünf Minuten später wieder zu ihm schaute war er immer noch unverdrossen zugange. Ihm war eines entgangen: Die Verbindung zwischen Boot und Ufer in Form einer dünnen aber sehr stabilen Kette!
Ingemar hat eine in Schweden übliche Besman-Fischwaage: Eine Eisenstange mit Skala, einem beweglichen Holzgriff und einer Art Fleischerhaken. Nach dem Anhängen des Fisches und Ausbalancieren mit dem Handgriff kann man auf der Skala das Gewicht ablesen - wenn man kann! Die Stange läuft durch eine etwa ein Zentimeter breite Führung am Griff. Ohne Anhängsel zeigt der linke Rand die Null-Kilo-Marke an, der rechte etwas mehr. Da es sich um eine Art logarithmische Skala handelt, macht dieser Unterschied im höheren Gewichtsbereich schon ein paar Kilo mehr aus (Die Skalenstriche rücken immer enger zusammen). Ein Phänomen, das Ingemar bis heute nicht versteht oder wahrhaben will - trotz mehrfacher Erklärversuche. Seine Sechs-Kilo-Hechte sind nach wie vor knapp neun Kilo schwer...
Auch mit dem Wurfangelset, das er zu seinem Siebzigsten bekam, hatte er so seine Probleme. Nachdem beim Ausprobieren am Ufer der Haken maximal zwei Meter weit im Wasser, dann in einem Busch und schließlich in seiner Hose landete, habe ich das Set nur noch ein einziges Mal gesehen. Ich hatte Ingemar eingeladenmit zu einem wunderschönen Angelplatz unter einer alten Brücke am Emån zu fahren. Ingemar nahm seine Geburtstagsangel mit. OK, dachte ich, vielleicht kapiert er es ja heute. Angekommen ließ ich ihn erst einmal gewähren. Wieder platschte der Blinker unmittelbar vor seinen Füßen ins Wasser. Aufgegeben habe ich das Unternehmen Wie-lehre-ich-Ingemar-angeln? als ich sah, daß an der Rolle seiner Angel keine Kurbel mehr war... Ingemar störte dies nicht weiter. Den Rest des Tages verbrachte er mit Pimpel-Versuchen von der Brücke aus (Pimpeln nennt man in Schweden das Eisangeln - stippen).

Stöpsel ziehen

An manchen Angelplätzen möchte ich gerne mal den Stöpsel ziehen! Auf dem Seeboden sollte es doch ein leichtes sein, sich den Grundstock für ein kleines Anglergeschäft oder einem Antiquitätenladen einzusammeln. Manchmal glaubt man wirklich, "daß dort unten einer wohnt"! Hier eine kleine Liste meiner diesbezüglichen Erfolge im Hjälten: Weihnachtsbäume (mit Lametta), Schuhe, Dachziegel, Flaschen (!), Dosen, Kaffeetassen, Strümpfe, Sandalen, Handschuhe, Autoreifen, Reusen - ich warte auf den Tag, an dem der alte Volvo anbeißt...
Apropos Angelladen: Über die schon erwähnten Brücke am Emån führt in cirka fünf Meter Höhe eine Telegrafenleitung. An dieser findet das Anglerherz mit Ausnahme von Rute und Rolle so ziemlich alles, was es an Blinker, Wobbler oder Spinner begehrt. Wie hieß es in der Fußballreportage so treffend: Er nutzte den Platz in seiner vollen Höhe...!
Natürlich holt man immer wieder mal einen alten Blinker, eine Leine oder ähnliches heraus. Optimal war aber die Ausbeute, als ich einmal einen Hecht am Haken hatte. An Land gezogen stellte ich fest, daß von dem Haken im Hechtmaul aus eine Leine ins wasser ging, an deren Ende sich schließlich noch ein gut erhaltener Blinker befand... (Dies geschah übrigens in Gegenwart von zwei glaubwürdigen und nicht bezahlten Zeugen...)
Eine ähnliche Spitzenleistung war die Dose, die ich im Aufreißring gehakt hatte. Ich biete folgende Wette an: Wir werfen eine Dose zwanzig Meter weit ins drei Meter tiefe Wasser. Dann hast du einen ganzen Sommer Zeit, sie zu angeln. Gelingt dir dies, ja, dann darfst du sie behalten...
Aber man fängt ja nicht immer was man will oder soll. Besonders denke ich hier an einen Tag am Emån, wo ich innerhalb von knapp zwei Stunden sieben (in Worten: sieben!) große Id mit Krabben erlegt hatte. Jetzt reichts, dachte ich, und holte aus meinem Auto die Drei-Meter-Teleskoprute mit Wobbler. Wozu gibt es denn so schöne Barsche und Hechte im Emån? Ausgeworfen, nochmal, ein drittes Mal: Biss! Ich war gespannt, was ich an der Angel hatte. Dem Widerstand nach konnte es ein kleiner, vielleicht zwei oder drei Kilo schwerer Hecht sein. Muß ich noch erwähnen, daß der Hecht sich im Käscher als Id Nummer acht entpuppte? Angeblich sind Id Friedfische...
Mein Freund und Nachbar Tore - leider ist er viel zu früh verstorben - fing einmal eine Flasche Gammel Dansk! Das ging folgendermaßen zu: Wir saßen jeder auf seinem Steg - etwa zwanzig Meter auseinander - und versuchten, ein paar Braxen zu holen, Tore hatte das Häuschen neben meinem erst im selben Sommer gekauft und war von Kopenhagen dorthin gezogen. Gefangen hatte er bis dato im Hjälten noch nichts. Jedenfalls, Tore mußte zur Toilette. Da er kleinere Geschäfte immer an Ort und Stelle erledigte wußte ich daß es länger dauern würde. Schnell lief ich uns Haus und holte eine leere Flasche Gammel Dansk (dänisches Nationalgetränk und "Medizin" - hochprozentig!), füllte sie mit Wasser, holte Tores Pose ein, Haken in die Flasche, zugestöpselt, rausgeworfen - fertig! Schon kam Tore. Von weitem rief ich ihm zu "Bei dir hat einer gebissen, gerade jetzt!" Tore setzte sich rasant in Bewegung, seine Augen leuchteten, aufgeregt schnappte er die Angel und begann zu kurbeln. Dann die Enttäuschung -eine Flasche am Haken! Gefoppt vom Nachbarn! Und das allerschlimmste: Eine leere Flasche - wenn man vom Wasser darin mal absieht. Für einen vollen Gammel Dansk hätte er schon einiges geopfert, aber so... Heute tuts mir fast ein bisschen leid...

Spezialisten

Mein Sohn. Erstmals seit langer Zeit ruderte er frühmorgens mit einem gleichaltrigen Freund zur Hechtjagd. Ich hatte ihm ein Angel mit angeknotetem Wobbler geliehen (Ich benutze keine Wirbel, Vorfächer und Patenthaken. Mehr dazu später.). Gegen Mittag kamen die beiden wieder zurück. Mein Sohn hatte einen Hecht im Gepäck und an meiner Angel blinkte ein Blinker! Wie kommt denn der Blinker von deinem Freund an meine Angel? Er wollte mal mit dem Wobbler angeln und ich mit dem Blinker. Da haben wir getauscht. Getauscht? Ja, wir haben die beiden abgeschnitten... Viele Wege führen nach Rom!

Der Freund eines Freundes. Er brachte es fertig - wie, wissen nicht mal die Götter - sich einen Haken so in die Backe (die im Gesicht) zu jagen, daß er ihn im Mund abknipsen mußte, um ihn wieder herausziehen zu können... (Verbürgte Geschichte!)
Die Frau eines Freundes. Sie angelte mit Pose auf Forellen. Als sie die Angel auf dem Steg ablegte nutzte ein Fisch die Gelegenheit und verschwand samt Angel auf Nimmerwiedersehen. (Die Bremse ist zum Bremsen da...)

Ich selbst. Meine Devise: Der Wobbler gehört an die Schnur - direkt und ohne Wirbel und ähnliche Kleinteile. Nun hatte ich im Hjälten schon mehrfach einen wirklich kapitalen Hecht gesehen. Skeptisch wegen meiner 0,35er Leine befestigte ich ein Stahlvorfach zwischen meinem Frenzy und ihr. (Frenzy ist der Wobbler mit Fanggarantie...) Und tatsächlich erwischte ich den Hecht. Dieser zog gewaltig und plötzlich riß die Leine - dachte ich. Nachgeschaut: Nein, es war nicht die Leine, die vordere Öse des Vorfaches hatte sich geöffnet! Der Hecht schwimmt noch immer im Hjälten. Was er mit meinem Wobbler angestellt hat, weiß ich nicht, wohl aber, daß dies das letzte Vorfach an meiner Angel war.

Ich selbst (2). Rund um meinen Steg befinden sich Bäume - das heißt, natürlich nicht vor ihm im Wasser. Schön sind sie anzusehn, aber manchmal auch hinderlich. Eines Tages hatte ich die Leine über einen der äußersten Äste eines Uferbaumes geworfen. Der ABU-Atom baumelte wenige Zentimeter über dem Wasser. Kein Problem mit dem Boot - wenn man nicht so faul ist wie ich! Den kriegst du so, glaubte ich. Langsam zog ich die Leine an bis der Blinker direkt an einem kleineren Ästchen hing. Jetzt ein heftiger Ruck, der Blinker löste sich und schoß mit eleganter Flugbahn mitten ins Geäst des Baumes, der direkt hinter dem Steg steht. Dort - in schätzungsweise sechs bis acht Meter Höhe - hängt er heute noch!

Bürgerreporter:in:

Lothar Hofmann aus Marburg

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