Eine internationale Kommödie (aus meinem Buch)

Blick ins Masca-Tal. Im Hintergrund die Insel La Gomera
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Mit Besuchern aus Deutschland schlendern wir dem Sonnenuntergang an der Uferpromenade von Playa de las Americas/Teneriffa entgegen. Vor den vielen Kneipen, Geschäften und Restaurants stehen „Schlepper“, die versuchen, die vorbei ziehenden Touristen in den jeweiligen Laden zu locken. Plötzlich höre ich, wie ein Schlepper seinem Kollegen, der uns gerade ansprechen will, auf Spanisch zuruft: „Das sind Deutsche, die geben sowieso nix aus!“
Daraufhin spreche ich den vorlauten Typen an und frage ihn nach seinen unterschiedlichen Erfahrungen mit Touristen verschiedener Nationalitäten, denn wer wie ich 20 Jahre lang als Wirt in meinem Restaurant im Bergdorf Masca auf Teneriffa, wo sich jährlich 500.000 Touristen tummeln, Erfahrungen mit Menschen aus aller Welt gemacht hat, entwickelt sukzessiv ein relativ zuverlässiges Augenmaß, das es ihm erlaubt, mit nur geringer Fehlerquote die verschiedenen Nationalitäten aus einer Entfernung von hundert Metern präzise zu benennen.

Vorauszuschicken ist an dieser Stelle die Feststellung, dass das Wort „Klischee“ häufig als Synonym zu „Vorurteil“ und „Stereotyp“ verwendet wird. Es beschreibt festgeprägte Eindrücke, die man zum Beispiel einer Nation zuschreibt. Klischees sagen nur bedingt etwas über die Realität aus und sind deshalb mit Vorsicht zu genießen. Ich betone: es gibt nicht „die Engländer“, „die Russen“ oder „die Deutschen“.
Durch leichte Überzeichnung möchte ich Euch deshalb heute einmal die verschiedenen „Touri-Nationen“ vorstellen, die ich in meinem letzten Beruf kennen lernte. Viel Spaß!

Der Canario (Einheimischer), tritt nur sonntags auf, aber dann stets im Familienverband, der mindestens drei Generationen einschließt. Vorne weg wild entschlossen der „Macho“, das Vorzeige-Familienoberhaupt, alsdann die „Hembra“, auch genannt Mutter, die das (un)-heimliche Sagen hat, gefolgt vom Rest der Mischpoche. Allen gemeinsam ist der ängstliche, zweifelnde, abwehrende Blick der rustikalen Landbevölkerung, die zum ersten Male ein „ausländisches“ Restaurant betritt. Nein, essen würde man hier nicht, selbst wenn es kostenlos wäre. Doch schließlich ist Sonntag und man riskiert ein Abenteuer jenseits des eigenen Tales. Der mutige Vater verlangt ein „Viertel“ kanarischen Wein – haben wir nicht, denn wir verkaufen nur guten Wein vom Festland (!) Kopfschütteln, aber der (Nach-)Durst ist größer: also her damit. Die ganze Familie schart sich stehend und staunend um den todesmutigen Familienvorstand, der den „Gotenwein“ (Godos sind die verhassten Festlandsspanier – von denen man abstammt) wirklich hinunter würgt. Schließlich nimmt Mutter allen Mut zusammen und fragt nach Coca-Cola und Chips für die übergewichtigen Kinder. Haben wir nicht – weil ungesund. Tiefste Stirnfurchen und erneutes Kopfschütteln leiten den Abgang des Familienverbandes ein: „Das war ein Sonntag! Die „Godos“ (alle, die nicht von der Insel sind) spinnen!“

Der Festlandspanier (Godo) tritt als Tourist meist nur im Sommer auf. Er macht nicht auf visueller, sondern auf auditiver Ebene auf sich aufmerksam. Ignorieren ist kaum möglich, denn er ist, wie sein kanarischer Ableger, kein Einzelkämpfer. „Godos“ treten meist im Kollektiv von mindestens zwanzig Personen auf. Ihr Stimmorgan ist so enorm, dass Canarios erschrocken in Schweigen verfallen, obwohl ihnen dies absolut wesensfremd ist. Der nach europäischer Norm erlaubte Grenzwert von 125 Dezibel wird locker mit ziemlicher Sicherheit überschritten. Es parlieren zudem stets mehrere, wenn nicht sogar alle in der Gruppe anwesenden Personen gleichzeitig und wild durcheinander, was bei einem Außenstehenden noch zusätzliche Verwirrung stiftet. Sie betreten nicht das Restaurant, sie okkupieren es. Tische werden gerückt, Stühle malträtiert, Speisekarten missachtet oder als Sitzkissen benutzt, denn es ist bestimmt die letzte Gelegenheit, seine Stimme erklingen zu lassen. Wer weiß denn schon, was Morgen ist?
Rotwein und Wasser für Alle und möglichst das Menu rauf und runter, jetzt oder nie – her mit der Marie! Man gibt sich großzügig, was das Trinkgeld betrifft, und hinterlässt unglaubliche Dinge auf Tischen, Stühlen und Fußboden. Das Happening ist zu Ende. Der Orkan zieht ab. Singvögel und Katzen kehren in den Restaurantgarten zurück.

Der Italiener: dito.

Der Franzose ruft einen Tag vorher an und reserviert den besten Tisch auf der Terrasse für vier Personen für Morgen um halb zwei Uhr. Um halb drei betreten am nächsten Tag zwei schick gekleidete Ehepaare das Restaurant und fragen höflich nach dem reservierten Tisch (der seit einer Stunde erfolgreich gegen andere Kunden verteidigt wird). Als Aperitif wird ein Liter hausgemachte Sangria bestellt. Vier komplette Menus werden geordert und genossen. Dazu Rotwein (nicht offen, sondern aus Original-Flaschen), Wasser (ohne Kohlensäure) und Hausgebackenes Brot. Danach „du Café“ (Espresso schwarz) und Magno (spanischer Brandy). Trinkgeld gibt es keins, denn in Frankreich wird der Service auf der Rechnung berücksichtigt. Nicht so im Ausland, aber das übersieht der Franzose gern. Der Tisch sieht nicht besser aus als bei den spanischen und italienischen Nachbarn.

Der Engländer betritt meist ohne Hemd das Restaurant, denn jeder soll schließlich sehen, wie gut ihn sein Sonnenbrand (British Red) kleidet. Doch er erweist sich schließlich als lockerer, umgänglicher Typ, der einen Hinweis verträgt, solange dieser in Englisch vorgetragen wird.
Während die englische Jugend mehr auf Bier steht, bevorzugen die älteren Herrschaften ein Glas Sangria als Aperitif und Weißwein zum Essen. Die fremden Speisen in der Karte lassen sie zögern. Doch sie erweisen sich meist als risikobereit, wenn man ihnen gut (auf Englisch) zuredet. Man gibt sich sehr höflich, gediegen und kultiviert. Das Trinkgeld ist wohl an britischen Tischen immer das höchste, und der Tisch wird absolut „jungfräulich“ hinterlassen, wobei kleine Einschränkungen für Iren zu machen sind.

Der Russe, dessen Kleidung meist zu eng für die gedrunge Figur ist, sieht aus wie eine rustikale Figur aus dem Marburger Hinterland (Stenz). Begleitet wird er von einer sexy Miezekatze im Tanga (wir sind in den Bergen) und einer Geldbörse, die vor Dollar-Scheinen nur so strotzt. Er sagt ein russisches Wort, das keiner versteht. Doch die Speisekarte in seiner Landessprache hilft ihm weiter. Und dann kommt schon der erwartete Hammer: „NIX MEAT???“ (Antwort auf Englisch): „Sorry, wir sind ein vegetarisches Restaurant, haben aber landestypische Spezialitäten.“ NIX MEAT???“ Noch einmal auf Englisch: „Probieren Sie doch mal kanarische Küche – jetzt - Spe-zi-a-li-tä-ten!“ „NIX MEAT??? Thank you – doswidanje!“ Er geht - oder er nimmt sehr zögerlich Platz, bestellt Sangria und endlich eine klitzekleine Portion auf Empfehlung des Chefs. Das russische Eis ist gebrochen und plötzlich geht’s die Speisekarte rauf und runter. Die Rechnung wird durch Missachtung gestraft. Der Typ macht das Portemonnaie auf und ich entnehme so viele Dollars, wie ich will. Am nächsten Tag stehen zehn Russen auf der Terrasse: „Du Chef? Du gut! Bringen!!“

Die Deutschen: Das schwäbische Ehepaar Anfang sechzig, er mit braunen Birkenstock-Sandalen auf weißen Socken und sie mit einem Sommerkleid, das in die Glasvitrine des Heimatmuseums von Oberammergau gehört, nimmt Platz und verweigert die Annahme der angebotenen Speisekarten. „Nein, nein, essen möchten wir nichts. Wir haben erst vor zwei Stunden im Hotel so gut gefrühstückt, das reicht den ganzen Tag über, und abends müssen wir dann schon wieder im Hotel essen. Kostet es denn etwas, wenn wir nur kurz die Toiletten benutzen?“ Nein, natürlich kostet das gar nichts, denn alle Wirte sind blöde Hunde, die ganz umsonst arbeiten und dazu auch noch auch die Putzfrau, das Wasser und Toilettenpapier aus eigener Tasche bezahlen, denke ich so still für mich und sage: „Vielleicht trinken Sie einen frischen Orangensaft vom ungespritzten Obst aus unserem Garten oder ein Glas der hausgemachten Sangria?“„Ach nein, dann trinken wir nur einen “deutschen Kaffee“, bestimmt die resolute Schwabendame. Der Protest des sie begleitenden und total verschüchterten Birkenstockdackels folgt postwendend, aber zaghaft mit eingezogenem Kopf und angelegten Ohren, denn er hätte gern „ein Viertele“ vom Roten. „Untersteh´ Dich, schon wieder am frühen Morgen zu saufen, nachdem Du Dir erst gestern Abend im besoffenen Kopf alle Reste aus den stehen gelassenen Gläsern der anderen Hotelgäste rein gezogen hast!“ flötet seine Liebste derart laut, dass es an den anderen Tischen nicht überhört werden kann, was wiederum ihren kleinen Liebling noch einen Kopf kleiner macht. „Also, zwei Kaffee bitteschön!“ Die anderen Gäste scharren unruhig mit den Füßen.
„Möchten Sie Cafe Solo, Barraquito, Carajillo, Saveroco, Americano oder Cafe con leche?“
„Na, einen deutschen Kaffee, bitte sehr!“
„Es tut mir Leid, abgesehen davon, dass in Deutschland kein Kaffee wächst, versuche ich hier nur landestypische Dinge zu servieren, die Sie im Hotel nicht geboten bekommen. Gern erkläre ich Ihnen die Unterschiede der kanarischen Cafes, damit Sie...“
„Ja, Eduscho, bringen Sie uns Eduscho, das ist doch der mit der spanischen Reklame von da“. „Ja, und ein Viertele von dem Roten“ haucht der arme Kerl mich flehentlich an. Verhaltenes Gekicher an den anderen deutschen Tischen.
Auf dem Weg zurück in die Küche bestelle ich ziemlich lautstark einen „Schwabenkaffee“. Normalerweise gibt es nämlich zwei Zuckertütchen zum Kaffee, von denen meist nur eins seitens der Kundschaft benutzt wird, während das zweite wieder zurück kommt. Da die Schwaben jedoch regelmäßig das zweite Tütchen für schlechte Zeiten oder den kommenden Krieg einstecken, gibt es beim „Schwabenkaffee“ nur ein Tütchen als Beilage. Ja, „Geiz ist geil – in Deutschland!“
Ich serviere den Kaffee und das „Viertele“ und frage die Dame ganz harmlos, ob sie nicht ein Stück vom hausgemachten Mandelkuchen probieren möchte, denn hier im schönen Teno-Gebirge sei das Mandelzentrum der Insel. Sofort belehrt mich die Kundin eines besseren: „Wie können denn hier Mandeln wachsen, wenn es doch gar keine Bienen gibt! Unser Reiseleiter hat uns erklärt, dass die Bienen ins Wasser fallen, wenn sie sich zwischen dem blauen Himmel und dem blauen Wasser befinden, weil sie dort nämlich total die Orientierung verlieren.“
Mein freundlicher Hinweis, dass das Meer mehr als fünf Kilometer Luftlinie entfernt sei, beeindruckt gar nicht, denn der Reiseleiter im Hotel, der muss es ja schließlich wissen „oder glauben Sie, dass der uns belügt!?“ Also kein Mandelkuchen wegen der abgestürzten Bienen des deutschen so genannten „Reiseleiters“, der natürlich Alles weiß.

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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