"Hört Ihr Leut und lasst Euch sagen..."

28. Januar 2012
19:30 Uhr
Nachtwächterführung, Marburg
"Hört Ihr Leut und lasst Euch sagen...". So schallte die Stimme des Mannes, der sich uns selbst als Nachtwächter 'Jakob' vorgestellt hatte, über den Kornmarkt und durch die Dunkelheit.
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  • "Hört Ihr Leut und lasst Euch sagen...". So schallte die Stimme des Mannes, der sich uns selbst als Nachtwächter 'Jakob' vorgestellt hatte, über den Kornmarkt und durch die Dunkelheit.
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"...die Uhr hat 8.00 geschlagen." So schallte die Stimme des Mannes, der sich uns selbst als Nachtwächter 'Jakob' vorgestellt hatte, über den Kornmarkt und durch die Dunkelheit. Der mit Hut, Mantel und Handschuhen bekleidete Mann hatte ein Signalhorn umhängen, trug in der rechten Hand eine Hellebarde, und die Laterne in seiner linken wies ihm und uns den Weg durch das nächtliche Marburg.

'Jakob' erklärte uns: "...Seit dem großen Stadtbrand vom 27.3.1319 versehen wir Nachtwächter in dieser Stadt unseren Dienst und seither ist nichts mehr passiert. Wir sind es auch, die des Nachts für Sitte und Ordnung in der Stadt sorgen und Ausschau halten nach den Taugenichtsen, Trunkenbolden, Taschendieben, Tagelöhnern..." So erfuhren wir auf recht anschauliche Art und Weise, was zu den Aufgaben eines Nachtwächters zählte.

Aus seiner Umhängetasche holte er Fläschchen hervor und verteilte sie an uns. 'Jakob' rief uns zu: "Trinkt aus und seid gewiss, dieses Getränk aus vielen Kräutern ist gar bei mancherlei Zipperlein hilfreich und wird 'Marburger Nachtwächter' genannt...".

Bereitwillig folgten wir dann auch seiner Aufforderung: "...Kommt und begleitet mich auf meinem Rundgang und ich führe Euch zu den eher verborgenen Plätzen der Geschichte dieser Stadt..." Er nahm seine Laterne und ging mit festen Schritten vom Kornmarkt die Reitgasse hinunter zur Universitätskirche.

"Wir schreiben das Jahr 1527..." hörten wir ihn sagen und so beschrieb 'Jakob' die Gründung der ersten protestantischen Universität durch Landgraf Philipp. "In jenem Jahr waren 11 Lehrer und 88 Studenten hier an der Universität, die Landgraf Philipp als das edelste Kleinod seines Landes bezeichnete...". Erstaunt waren wir darüber, dass auch in unserer Zeit noch 38 Studenten im Schloß wohnen und zu den im Jahr der Universitätsgründung verbrieften Rechten studieren. Überhaupt wusste er vieles über den Landgrafen zu berichten, aber die Pflicht führte ihn weiter durch die engen Gassen der Stadt.

'Jakob' erzählte von dem Leben der Menschen, von Sophie von Brabant und Nobelpreisträgern. So standen wir auch vor dem Haus, in dem einst der Professor Stilling mit seiner Frau und den 4 Kindern wohnte. Der Begriff "kameralistische Buchführung" ist im öffentlichen Dienst wohl bekannt. Weniger bekannt ist sicher, dass ein Marburger Universitätsprofessor für ökonomische Wissenschaften in den Jahren 1779, 1784 und 1790 Bücher zu diesem Thema geschrieben hat.

Weiter ging es durch das Gewirr von Nebengassen zu einem hinter einer Mauer liegenden Hof. Hier erzählte uns Jakob von einer besonderen Hausgemeinschaft. Es sind die sogenannten "Beginen" (weibliche Mitglieder), die sich seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts als Laien zu religiösen Gemeinschaften zusammen schlossen.

Wir staunten, was 'Jakob' alles zu erzählen wusste und hörten so auch von einer Art "Sozialbauten", die Landgraf Philipp für die Witwen der Professoren erbauen lies.

"Auch hier in Marburg greift die Unsitte immer mehr um sich, zweimal im Jahr baden zu wollen..." hörten wir unseren Nachtwächter sagen und schon schilderte er uns die hygienischen Zustände in den Häusern und auf den Gassen, beschrieb die Bedeutung des Wortes "Bürgersteig" und auch den Ausspruch "Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag".

Das "Fürstenhaus", das 1744 als Gasthof "Zum weißen Roß" erbaut wurde und in dem König Jerome lieber übernachtete als im Schloß, lag auch auf dem Kontrollweg unseres Nachtwächters. Von der Kugelkirche aus führte er uns auf den Kirchenvorplatz der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien und wir sahen hinab auf die vom Dunkel der Nacht bedeckte Stadt.

Mit den Worten: "...um das Jahr 1900 endet der Dienst der Nachtwächter und hier endet nun auch meine Führung. Auch wenn man meint, man kennt diese Stadt, so waren wir heute an Plätzen, die Sie bisher noch nicht kannten..." verabschiedete sich unser Nachtwächter 'Jakob' von uns.

Kennen wir Marburg wirklich ? Auf jeden Fall ist eine "Nachtwächterführung" eine gute Gelegenheit, diese Stadt richtig kennen zu lernen. Die Internetseite der Stadt Marburg bietet auch noch weitere Möglichkeiten, Führungen zu buchen und die Stadtführer, wie in unserem Fall Herr Reinhard Nickel, sind Kenner ihrer Stadt !

Bürgerreporter:in:

Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain

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