Wanderung über den „Marburger Rücken“ - Teil 1: Zum Michelchen und am Weinberg entlang

Aufgang zur St. Michaelskapelle
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Die Wanderung von der Elisabethkirche zum Behring-Mausoleum als Teil einer Wanderung über den „Marburger Rücken“ gliedert sich in vier Etappen. Teil 1 ist ein geruhsamer Anfang mit Besuch des Totenhofs der kleinen St. Michaelskapelle. Weiter geht es anschließend - eine Anzahl Treppen hochsteigend - zum Weinberg.

Von der Elisabethkirche gelangt man über einen kurzen Treppenweg direkt zum Friedhof der St. Michaelskapelle, von den Marburger kurz „Michelchen“ genannt. Es ist erstaunlich, welche Ruhe den Wanderer hier auf dem Friedhof erwartet, nur wenige Meter vom Lärm der verkehrsreichen Elisabethstraße entfernt. Innerhalb kurzer Zeit ist man der lauten Stadt entkommen und man glaubt, sich in einer anderen Welt zu befinden. Ein guter Start für eine an Sehenswürdigkeiten und Geschichte reichen Wanderung. Deshalb lohnt sich diese Wanderung zu jeder Jahreszeit.

Das kleine Michelchen wurde 1268 während der Bauphase der großen gotischen Elisabethkirche aus Bruchsteinen erbaut. Zwei Jahr später erhielt die Kapelle ihr Weihe durch den Deutschordens-Bischof Dietrich von Wirland. Der Besuch der Kapelle wurde im Mittelalter mehrmals durch Ablassbriefe gewürdigt. So wurde den Pilgern, die die Kapelle am Tag der Weihe und am Tag des Erzengels Michael (29. September) besuchten, ein Ablass von einem Jahr und 40 Tagen gewährt. Rund um die Kapelle dürfte bereits sehr früh ein Pilgerfriedhof entstanden sein. Beerdigungen für Bürger der Stadt Marburg fanden dort erst viele Jahrhunderte später statt.

Aus der Zeit der Reformation haben sich mehrere Legenden zu der Kapelle und ihrem Friedhof erhalten. Einmal wird behauptet, dass hier 1529 Martin Luther, anwesend in Marburg während der Marburger Religionsgespräche, gepredigt haben soll. Zudem soll Landgraf Philipp angeordnet haben, die Gebeine seiner Urahnin, der Heiligen Elisabeth, dort zu verstreuen. Der Landgraf wollte sich damit gegen den noch immer herrschenden Handel mit Reliquien zur Wehr setzen. Die einen sagen, man habe die Gebeine später wieder ausgegraben, den anderen behaupten, die Gebeine seien nie dort vergraben worden. Also läuft alles auf eine Legende hinaus. Diese Geschichten werden gerne weiter erzählt.

Nachdem die Kapelle in der Reformationszeit dem Verfall Preis gegeben wurde und sie den Ketzerbächern sogar als Stall für ihre Ziegen diente, übernahm die Stadt Marburg ab 1583 notwendige Renovierungsarbeiten. Als Kirchlein der Marburger Bürger diente sie jedoch noch lange nicht. Allerdings wurde der Friedhof bald von den Bürgern für Beerdigungen genutzt, Pilger kamen nicht mehr nach Marburg. Der Totenhof hatte als Pilgerfriedhof ausgedient.

Während der Ruhrepidemie 1588, als die Zahl der Toten in Marburg überaus anstieg, wurde von der Stadt wie folgt bestimmt: die Toten am Morgen sollten in der Barfüßerstraße, am Mittag in Weidenhausen und danach im Friedhof am Michelchen begraben werden. Die Nutzung des Totenhofs am Michelchen als Friedhof für die Marburger Bürger wurde Mitte des 19. Jahrhunderts beendet.

Obwohl der Friedhof offizielle am 30. Oktober 1867 geschlossen wurde, fand noch 1888 Professor Ernst Ranke im Grab seiner Frau seine letzte Ruhestätte. Eine Bestattung im Grab seiner bereits 1860 verstorbenen Frau war Ranke zugesichert worden. Viele alte Grabsteine sind verschwunden, aber der Grabstein von Ranke ist noch heute erhalten.

Professor Ernst Ranke, der in Marburg wegen einiger prägender Eigenarten stadtbekannt war und als Original galt, war der Bruder des berühmten deutschen Historikers Professor Leopold von Ranke (1795-1886).

Mehrere alte Grabsteine sind teilweise restauriert worden. Auf ihnen befinden sich Epitaphe mit Beschreibungen der Lebensgeschichte der Verstorbenen. Bemerkenswert ist der Grabstein des Steinmetzen Johann Jakob Dauber. In der Familie Dauber, auf der Ketzerbach ansässig, waren über Generationen Steinmetzen tätig, die in Marburg viele Kunstwerke hinterlassen haben.

Wer mehr erfahren will aus der Geschichte der Kapelle: die Broschüre "Das Michelchen, St. Michaelskapelle in Marburg" enthält die gesamte Geschichte und viele Geschichten um das Michelchen.

Nachdem man auf dem Friedhof auf einer der aufgestellten Bänke nicht nur die Ruhe, sondern auch den Blick auf die imposante Elisabethkirche genossen hat, biegt man am Ausgang des Totenhofs in den Friedrich-Siebert-Weg ein und steigt eine Anzahl weiterer Treppen hinauf.

Dieser Weg, der den Beginn des Wanderwegs auf dem „Marburger Rücken“ darstellt, wurde vor dem 1. Weltkrieg angelegt und 1911 nach Friedrich Siebert an seinem 80. Geburtstag benannt. Geehrt wurde damit der Vize-Bürgermeister Siebert, der über 20 Jahre lang die Bau-Kommission der Stadt geleitet hatte.

In dieser Zeit entstanden Hauptpost, mehrere Schulen, Brücken über die Lahn und die Parkanlage Götzenhain. Siebert war Pharmazeut und hatte den „Pharmazeuten-Verein“ gegründet. Auch war er Gründungs-Mitglied der Studentenverbindung Hasso-Borussia gewesen. Die meisten Studenten waren Pharmazeuten und studierten im Pharmazeutisch-Chemischen Institut, das am Beginn des Marbacher Wegs errichtet worden war. Sein Sohn gründete mit Behring die Behringwerke. Zu Behring wird noch mehr zu berichten sein, wenn wir am Ende der Wanderung angelangt sind.

Nach kurzem Aufstieg auf diesem Weg erreicht der Wanderer eines der beiden Verbindungshäuser, welche am Weinberg errichtet wurden. Das Verbindungshaus der Hessen-Preußen wurde 1884 am Hang der Augustenruhe oberhalb des Michelchens erbaut. 1945 wurde das Haus durch Bomben völlig zerstört und in den 1950er Jahren wieder aufgebaut.

Auf der Höhe des Hessen-Preußen-Hauses teilt sich der Weg. Aber der Wanderer sollte nicht nach rechts abbiegen und den schnellen Weg zur Augustenruhe wählen, sondern sich über die Treppen nach links orientieren und den Weinberg entlang gehen. Hier genießt man – wie auf einem Balkon stehend - die Aussicht auf Ketzerbach, das Lahntal, das Schloss und nicht zuletzt auf die Elisabethkirche, zu der man sich bereits auf Höhe der Glocken befindet.

Der Weinberg, an dem noch heute im Frühjahr die ersten Blumen der Stadt blühen und man die Sonnenstrahlen genießen kann, trug seinen Namen lange Zeit zu Recht. Die Landgrafen hatten hier Weinstöcke angebaut und auch Wein ernten lassen. Ende des Mittelalters wurde der Weinbau jedoch aufgegeben und die Bürger der Stadt, vor allem Bewohner der Ketzerbach, legten hier am Hang in Stufen ihre Gärten an.

Das zweite Verbindungshaus an diesem Weg erreichen wir nach wenigen hundert Metern. Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Straßburger Rhenanen am Weinberg ein stattliches Verbindungshaus errichtet. Es war neben den Hessen-Preußen das zweite Verbindungshaus am steilen Hang gegenüber dem Schlossberg. Vor einigen Jahren wurde das Haus mit seiner kunstvoll getäfelten Inneneinrichtung von den Rhenanen aufgegeben. Heute beherbergt das Haus eine soziale Einrichtung.

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Gimbel aus Marburg

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