125 Jahre Kaiser-Wilhelm-Turm auf Spiegelslust – Erinnerungen Teil 3: Der Kaiser-Wilhelm-Turm wird durch Bürgerspenden erbaut

Skizze des neuen Aussichtsturms in der Ausgabe der Oberhessischen Zeitung vom 3. September 1890
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Der fast fertig gestellte „Siegesthurm“ war 1876 zusammengestürzt, Nur ein Schuttkegel war von ihm übrig geblieben. Für die Marburger Bürger muss dies ein schockartiges Ereignis gewesen sein. Die freudigen Erwartungen der Bürger waren in einer Sturmnacht in sich zusammengebrochen. Der Schwung für die Errichtung eines Aussichtsturmes auf Spiegelslust war vorerst dahin.

Im Turmbauverein wurde nach einer Durchsicht der Geldmittel festgestellt, dass nur noch ein Restkapital von 3.218 Goldmark übrig geblieben war. Das war viel zu wenig, um einen neuen Turm zu planen. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis sich wieder honorige Marburger Bürger zusammen fanden, um erneut einen Turmbauverein zu gründen. Vorsitzender wurde der gerade neu gewählte Oberbürgermeister Ludwig Schüler.

Doch es gelang nicht, das alte und das neue Comité zu vereinen. Professor Melde weigerte sich, dem neuen Verein beizutreten. Durch Verhandlungsgeschick des neuen Oberbürgermeisters wurde dem neuen Comité jedoch das restlich vorhandene Geld des alten Vereins übertragen. Damit war der Neuanfang gelungen. Und nun begann ein tatkräftiges Handeln des neuen Turmbau-Vereins.

Man vereinbarte, umgehend wieder Sammlungen durchzuführen. Die erste Unterzeichnerliste umfasste mehr als hundert Bürger. An erster Stelle unterschrieb Oberbürgermeister Schüler. Danach waren verzeichnet noch heute bekannte Namen wie Bierbrauereibesitzer Missomelius, Bäckermeister Schott, Sanitätsrath Heusinger und die Professoren Wegener und Ubbelohde. Fast alle von ihnen waren zu hohen Spenden bereit gewesen. Der Beitrag der Gründungsmitglieder wurde später auf die überaus hohe Summe von 500 Goldmark angesetzt.

Carl Schäfer, der Baumeister des zusammengestürzten Siegesturms, erklärte sich bereit, wieder die Planungen zu übernehmen. Doch das Comité lehnte ab. Schäfer, der später als einer der besten Architekten der Neugotik galt und hoch geehrt als Professor in Karlsruhe wirkte, war bei der Marburger Bürgerschaft in Ungnade gefallen. Auf ihm lastete, dass er zumindest mitverantwortlich war für den Zusammenbruch des Turms, die Katastrophe von Spiegelslust schlechthin.

Das königliche Strafgericht hatte ihn wegen – man würde heute sagen „Pfusch am Bau“ – verurteilt. Das Comité setzte eigens einen Paragrafen in die Satzung des Vereins, dass keine vorbestrafte Person aufgenommen werden könnte. Die Planungen und später die Bauausführung wurde mit einem Honorar von 1 % an den Kreisbauinspektor Wenzel und den Techniker Decke vergeben. Als Bausumme wurden 25.000 Mark angesetzt.

Der Turm sollte auf 371 Meter an gleicher Stelle wie der Vorgängerturm massiv aus festem Mauerwerk errichtet werden und eine Höhe von 36 Metern erreichen. Statt einer Turmhaube sollte zum Abschluss ein kleines Türmchen auf die Aussichtsplattform gesetzt werden.

Großen Wert legte man in dem mit 28 Paragrafen umfangreichen Arbeitspapier für den Turmbau auf die Standsicherheit. Vier hoch angesetzte Strebepfeiler sollten den Turm stützen und gegen einen erneuten Einsturz schützen, vergleichbar mit den Stützpfeilern an der – allerdings doppelt so hohen - Elisabethkirche. Neben dem Turm war ein Gastraum geplant und ganz oben im Turm unterhalb der Spitze ein Turmraum. Die Bauerlaubnis wurde am 17. Juni 1887 erteilt, der erste Spatenstich erfolgte am 8. Juli. Als ausführende Firma war das Marburger Bauunternehmen Weishaupt verpflichtet worden.

Spenden wurden durch Sammelbüchsen hereingeholt. Überaus erfolgreich war eine Sammelaktion des Comités durch eine Aufteilung in vorgefertigte Listen. Offensichtlich mit Hilfe des vor wenigen Jahren zum ersten Mal erschienenen „Marburger Adressbuches“ wurden vierzehn Listen erstellt, in denen alle Haushalte der vier Stadtquartiere verzeichnet waren. Sämtliche Haushalte der Stadt wurden von fleißigen Helfern aufgesucht.

Und bei Durchsicht der vierzehn Listen zeigt sich, dass alle Bürger der Stadt mit Spenden zum Turmbau beigetragen hatten. Manchmal sind nur fünfzig Goldpfennige eingetragen. Aber auch dieser heute wohl als gering angesehener Betrag entsprach immerhin fast dem Arbeitslohn von zwei Arbeitsstunden eines Handwerksgesellen. Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass zum Gelingen der von Allen sehnlichst erstrebten Errichtung eines Aussichtsturms auf Spiegelslust die gesamte Marburger Bürgerschaft ihren Beitrag geleistet hatte. Ende 1888 war die Spendensumme von 13.00 Mark erreicht worden. Eine Finanzlücke blieb jedoch noch bestehen.

Im März 1888 kam es zu einem Ereignis, welches die Bürger des gesamten Deutschen Reiches stark bewegte. Kaiser Wilhelm I., der allseits hohe Popularität genoss, starb am 9. März 1888 nach kurzer Krankheit im hohen Alter von 90 Jahren. Umgehend fand im gesamten Reich eine Aktion große Aufmerksamkeit, die überall den Slogan verbreitete: „Es möge keine Stadt, kein Dorf, kein Flecken ohne Standbild des Kaisers Wilhelm I. bleiben.“ Dem konnte sich auch die stark vaterlandsliebende Bürgerschaft in Marburg nicht entziehen.

Doch in der Stadt fehlte das Geld, zusätzlich zum Aussichtsturm auf Spiegelslust ein weiteres repräsentatives Denkmal für den verstorbenen Kaiser zu bauen. So kam man im April im Comité auf die Idee, den im Bau befindlichen Turm den Namen „Kaiser-Wilhelm-Turm“ zu geben. Mit einer Einweihungsfeier am Sedantag (2. September), dem Tag, an dem der geliebte Kaiser einen großen Sieg errungen hatte. Zugleich seien Erinnerungstafeln an die Gefallenen des Krieges 1870/71 am Turm anzubringen. Dadurch konnten alle Wünsche der Patrioten zur Zufriedenheit gelöst werden.

Das Comité hatte somit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zugleich mit dem Bau des lange gewünschten Aussichtsturms auf Spiegelslust konnte dem verehrten Reichsgründungskaiser ein Denkmal errichtet werden. Die Stadt konnte zusätzlich mit Spenden zum Bau des Turmes angegangen werden.

Der Bau des Turmes schritt gut voran. Im Winter 1889/90 war bereits eine Höhe von fast dreißig Metern erreicht worden. Schließlich wurde noch an der künstlerischen Gestaltung der Außenfront gearbeitet. So wurde vom Comité beschlossen:

In die Brüstung des Umganges sechs Meter über dem Erdboden wurde eine zwei Meter lange und 70 Zentimeter hohe Gedenktafel aus feinkörnigem Sandstein eingesetzt. Die Tafel war ein Geschenk des Architekten W. Dauber. In die Mitte der Tafel wurde das Reliefbild des Kaisers Wilhelm I. eingefügt, zu beiden Seiten mit Lorbeer- und Eichenblättern versehen.

Alle Arbeiten wurden aus feinem Sandstein gefertigt. Diese Arbeiten waren dem Bildhauer Schöneseiffer übertragen worden, ebenso die Anfertigung der drei Tafeln mit den Namensinschriften der im Kampf gegen Frankreich gefallenen Soldaten.

Alle Arbeiten am Turm fanden im Jahr 1890 ihren termingerechten Abschluss. Der Einweihungstermin wurde auf den 2. September 1890 festgesetzt. Es sollte ein großes Fest werden, das größte Fest, welches die Marburger Bürger im 19. Jahrhundert je gestaltet hatten.

Daten und Geschichten entnommen aus dem Buch von Karl-Heinz Gimbel: „Der Marburger Kaiser-Wilhelm-Turm“, Marburg 2012

Hinweis:

Sonntag, 30.08.15, von 11.00 bis 18.00 Uhr: Jubiläumstag am Turm, 125 Jahre KAISER-WILHELM-TURM und 10 Jahre TurmCafé.

I

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Gimbel aus Marburg

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