Die Polizei unfehlbar?

Die Ruhe vor dem Sturm...
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Zu meinem Beitrag »Mehr Demokratie e.V.: "Demokratie - Die Unvollendete"« entbrannte eine Diskussion darüber, ob die Staatsmacht und ihre ausführenden Beamten immer die "Guten" und die AntiFa, der schwarze Block und Demonstranten überhaupt immer die "Bösen" sind.

Dass auch Polizisten und andere Vertreter der Staatsmacht nicht frei von Fehlern sind, belegt der Artikel auf Wikipedia mit dem Titel "Protest gegen Stuttgart 21" eindrucksvoll.

Am 18. November 2015 urteilte das Verwaltungsgericht Stuttgart, dass der Polizeieinsatz zur Räumung des Schlossgartens rechtswidrig war. Bei dem Protest habe es sich um eine Versammlung im Sinne des Artikels 8 des Grundgesetzes gehandelt, die nicht ohne weiteres beendet werden könne. Zudem sei der Einsatz „überzogen“ gewesen. Leider dauern derartige Verfahren sehr lange. Und die Ergebnisse werden allzuschnell vergessen!

Hier das Kapitel 30. September 2010: Räumung des Schlossgartens – „Schwarzer Donnerstag“ aus dem Wikipedia-Eintrag:

Stuttgart 21: „Schwarzer Donnerstag“ 30. September 2010
Räumung des Schlossgartens

Ablauf der Räumung

Am Vormittag des 30. September 2010 besetzten viele S21-Gegner den Schloßgarten, da Informationen über einen unmittelbar bevorstehenden Polizeieinsatz durchsickerten. Nachdem sich die Hinweise verdichteten, wurde eine zeitgleich stattfindende Schülerdemonstration gegen S21 in der Innenstadt beendet.

Mehrere hundert Teilnehmer, die meisten Minderjährige, strömten in den Park, einige besetzten spontan Bäume und blockierten die Zufahrtswege. Um ca. 10.30 Uhr wurde der „Parkschützeralarm“ ausgelöst, so dass immer mehr Menschen in den Park kamen, die auf den Rasenflächen protestierten oder gewaltfreie Sitzblockaden auf Wegen bildeten.

Die baden-württembergischen Polizeieinheiten waren durch Einheiten aus Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie der Bundespolizei verstärkt worden. Beim Einsatz setzte die Polizei Schlagstöcke, Wasserwerfer und Pfefferspray ein. Nach unterschiedlichen Angaben von Bürgerinitiativen und Parkschützern wurden 360 bis 370 oder 1000 Personen verletzt, darunter auch Minderjährige.

Nach Angaben der Polizei versorgte das Deutsche Rote Kreuz an Behandlungsplätzen vor Ort 114 Personen ambulant und Rettungskräfte brachten 16 Personen in Krankenhäuser. Vier Demonstranten wurden schwer an den Augen verletzt. Der Ingenieur Dietrich Wagner, den ein Wasserwerferstrahl frontal in die Augen traf, erblindete davon fast vollständig. Die Zahl der verletzten Polizisten wird mit 34 angegeben.

In der Nacht wurden die ersten 25 Bäume gefällt, um den Aufbau des Grundwassermanagements vorzubereiten.

Am Folgetag, dem 1. Oktober 2010, fand eine Demonstration statt, nach Veranstalterangaben mit rund 100.000 Menschen, nach Polizeiangaben mit mindestens 50.000 Teilnehmern. Drei Tage später, am 4. Oktober, versammelten sich im Rahmen der 46. „Montagsdemo“, die erstmals im Schlossgarten stattfand, nach Polizeiangaben 25.000 Menschen, nach Veranstalterangaben 54.700 Menschen.

Verantwortlichkeiten und parlamentarische Untersuchungsausschüsse

Ministerpräsident Stefan Mappus soll einen Tag vor dem Polizeieinsatz über die Einsatzpläne informiert worden sein und diese gebilligt haben. Laut Aussagen des Landespolizeipräsidenten Wolf-Dietrich Hammann vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages habe auch die für den 7. Oktober geplante Regierungserklärung Mappus’ eine Rolle bei der Entscheidung gespielt, den Polizeieinsatz bereits auf den 30. September zu legen. Es habe jedoch keine Einflussnahme der Landesregierung gegeben, die Taktik sei allein durch die Polizei entwickelt worden.

Die Polizei rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass die Aggression von den Demonstranten ausgegangen sei. Allerdings wurde die Darstellung der Polizei, dass die Gewalt der Polizei lediglich eine Reaktion auf die Gewalt von Seiten der Demonstranten gewesen sei, durch die veröffentlichten polizeilichen Videomitschnitte widerlegt:

Zwar waren bei den auf der Webseite der Polizei bereitgestellten Videos die Uhrzeit geschwärzt, auf der Pressekonferenz der Polizei wurden die Videos allerdings mit Uhrzeit veröffentlicht. Die darin gezeigte Gewalt der Demonstranten (einmalige Benutzung von Pfefferspray sowie ein einzelner Wurf mit einem Gegenstand gegen einen Wasserwerfer) fand über eine Stunde später statt, als laut dpa Wasserwerfer in Marsch gesetzt und „massenhaft Pfefferspray“ versprüht wurde.

Auch die Behauptung des Innenministeriums, es sei mit Pflastersteinen geworfen worden, musste noch in der Nacht zurückgenommen werden. Sowohl Polizeiwissenschaftler als auch Polizeibeamte vor Ort beschreiben den Einsatz gegen weitgehend friedliche Demonstranten als unverhältnismäßig. Der durch den Wasserstrahl verletzte Demonstrant soll nach Aufnahmen eines Polizeivideos die Polizei mit einem Gegenstand beworfen und sich mehrfach demonstrativ vor die Wasserwerfer gestellt haben. Er sprach davon, dass hunderte Kastanien geworfen worden seien, zwei oder drei auch von ihm. Allerdings sollen diese aufgrund der dicken Uniformen der Polizisten „ohne jeglichen Effekt“ geblieben sein.

Ferner hatten sich die Teilnehmer einer Schülerdemonstration, die laut Darstellung der Polizei inzwischen vom Veranstalter aufgelöst worden war, den Blockadeaktionen angeschlossen.Die Schülerdemonstration war für 12 bis 17 Uhr angemeldet, davon ab 14 Uhr im Schlossgarten; laut Angaben des Stuttgarter Amtes für öffentliche Ordnung sei die Polizei bereits am 24. September darüber in Kenntnis gesetzt worden.

Die Polizei nahm 26 Personen im Alter zwischen 15 und 68 Jahren vorübergehend fest oder in Gewahrsam. Gegen einen Polizisten wird wegen Körperverletzung ermittelt.

Der BUND hatte vor der Räumung, am 30. September, noch versucht, die Baumfällungen zu verhindern und stellte dazu einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Stuttgart. Das Verwaltungsgericht entschied am 14. Oktober, die Bahn habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Hätte dem Gericht das Schreiben des Eisenbahn-Bundesamt vom 30. September vorgelegen, so wäre dem Eilantrag des BUND wahrscheinlich stattgegeben worden.

Das Gericht entschied nicht, ob die Baumfällarbeiten als rechtswidrig einzustufen seien. Ausschlaggebend sei ausschließlich gewesen, dass das Eisenbahn-Bundesamt davon ausgegangen sei, dass die Arbeiten erst nach Vorlage der Unterlagen beginnen dürften.

Der Polizeieinsatz wurde vom baden-württembergischen Landtag in zwei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen behandelt. Darin sollten die Verantwortlichkeiten und mögliche politische Einflussnahme geklärt werden. Am 7. April 2014 berichtet FAZ.NET aus einem ihr vorliegenden Bericht der grün-roten Landesregierung Baden-Württembergs für den zweiten Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Umstände des Einsatzes. Er war von Grünen und SPD beantragt worden, weil der Verdacht im Raum stand, dass dem ersten, Ende 2010 eingesetzten Landtags-Untersuchungsausschuss Akten vorenthalten worden waren.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen Stefan Mappus wegen uneidlicher Falschaussage im ersten Untersuchungsausschuss. Der zweite Untersuchungsausschuss stellte fest, dass dem ersten Untersuchungsausschuss offenbar nicht alle Akten vorgelegt worden waren.

Juristische Folgen

Der Polizeieinsatz am Donnerstag, den 30. September 2010, führte zu 380 Strafanzeigen gegen Polizisten, von denen 19 zu einem Ermittlungsverfahren führten. Zudem wurden gegen 85 Demonstranten Verfahren eingeleitet. Ein Polizist, der im Zusammenhang mit den Einsatz im März 2011 verurteilt wurde, musste 120 Tagessätze zu je 50 Euro zahlen. Er hatte einer am Boden sitzenden Frau ohne ausreichenden Grund Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und wurde daraufhin von seinen Kollegen von der Bereitschaftspolizei Göppingen angezeigt. Ein weiterer Polizist wurde im Oktober 2012 wegen Körperverletzung infolge unverhältnismäßigen Schlagstockeinsatzes zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Im August 2013 stellte das Amtsgericht Stuttgart Strafbefehle gegen drei Polizisten der Wasserwerfer-Besatzungen aus: Zwei Polizisten erhielten Freiheitsstrafen von sieben Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Ein Wasserwerferkommandant wurde zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Er legte Revision beim Oberlandesgericht ein, die jedoch als unbegründet abgewiesen wurde. Das Urteil ist somit rechtskräftig.

Ein Verfahren gegen einen vierten Polizisten der Wasserwerfer-Besatzungen wurde gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Eine im März 2013 erhobene Anklage gegen zwei Polizeiführer endete im November 2014 mit der Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße von je 3.000 Euro.

Insgesamt gab es 515 Strafverfahren gegen Polizeibeamte und Demonstranten. Davon wurden 487 eingestellt; 28 führten zu Gerichtsverhandlungen. Fünf dieser Gerichtsverfahren betrafen Polizeibeamte; 23 betrafen Demonstranten. Bei den Polizisten ging es fast ausschließlich um Körperverletzung im Amt. Demonstranten wurde Körperverletzung an Polizeibeamten, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Missbrauch von Notrufen, Sachbeschädigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, Bedrohung, Beleidigung oder Diebstahl vorgeworfen.

Gegen den verantwortlichen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf stellte das Amtsgericht Stuttgart Anfang März 2015 einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt über 15.600 Euro aus. Stumpf akzeptierte den Strafbefehl, um nicht länger im Rampenlicht zu stehen, und gilt damit als vorbestraft.

Nachdem der Stern im September 2015 polizeiinterne Videos mit Ton veröffentlicht hatte, in denen gezeigt wurde, wie ein Polizist einen Kollegen aufforderte, Pfefferspray auf dem eigenen Handschuh zu verteilen und Demonstranten in das Gesicht zu reiben, stellte der Staatsanwalt und Richter a.D. Dieter Reicherter eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

Die vorgeschlagene Angriffsmethode verstoße gegen die Dienstvorschriften der Polizei und die Gefahr von Erblindung und Tod des Opfers habe gedroht. Reicherter sieht im Verhalten der Polizei eine „Verbrechensverabredung“.

Am 18. November 2015 urteilte das Verwaltungsgericht Stuttgart, dass der Polizeieinsatz zur Räumung des Schlossgartens rechtswidrig war.
Bei dem Protest habe es sich um eine Versammlung im Sinne des Artikels 8 des Grundgesetzes gehandelt, die nicht ohne weiteres beendet werden könne. Zudem sei der Einsatz „überzogen“ gewesen.

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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