Internationale Jüdisch-Deutsche Festwoche 2018

Abba Naor (2.von links) im Ghetto von Litauen | Foto: Foto: 81175, USHMM, courtesy of George Kadish/Zvi Kadushin
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  • Abba Naor (2.von links) im Ghetto von Litauen
  • Foto: Foto: 81175, USHMM, courtesy of George Kadish/Zvi Kadushin
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Erinnerungsarbeit: Was Landsberg und Litauen verbindet

Unter diesem Motto finden zur Zeit (21.März bis 13.Mai) in Landsberg/Lech mehrere Themenveranstaltungen statt. Begleitet durch ein Bernstein-Jubiläumskonzert am 10.Mai im Stadttheater Landsberg wurde dieses Symposium dem „Wolf Durmashkin Composition Award“ gewidmet. Dieser Kompositionswettbewerb basiert auch auf einem 1948 stattgefundenen Konzert mit Leonhard Bernstein (1919-1990). Filme, Podiumsdiskussionen, verschiedene Konzerte, Gästexkursionen rahmen diese Veranstaltung ein. Die am 13. Mai im Landratsamt stattfindende Abschlußveranstaltung gipfelt im Festakt „70 Jahre Gründung des Staates Israel“.

Den Auftakt dieses Zeitraumes bildete die Wander-Ausstellung initiert durch die Landsberger Kunstbaustelle (Wolfgang Hauck und Karla Schönebeck) in der Säulenhalle – „Erinnerungsarbeit – Was Landsberg und Litauen verbindet“.
Gewidmet wurde diese Ausstellung mit der Ehrung von Abba Naor, der den Holocaust überlebte, und auf dem „Todesmarsch“ der Lagerhäftlinge von Kaufering über Dachau nach Bad Tölz von den Allierten US-Streitkräften in den letzten Kriegstagen befreit wurde. Der heute 90jährige Zeitzeuge, in Litauen geboren, wurde 1941 wie viele seiner jüdischen Landsleute mit seiner Familie in ein Ghetto (Kaunas) umgesiedelt. Sein älterer Bruder Chaim wird dort von der SS erschossen, als der Brot organisieren wollte. Abba verkauft Bagels und ist Nachrichtenüberbringer für den Untergrund. 1944 wird die Familie über Memel in das KZ Stutthof bei Danzig deportiert. Dort wird er von seinem Vater getrennt und erlebt, wie seine Mutter und der jüngere Bruder nach Ausschwitz abtransportiert werden, die er nie wiedersah. Bei der Überstellung in das Lager Kaufering 1 meldet er sich freiwillig, da er dort seinen Vater vermutet. Abba Naor schleppte damals Zementsäcke, die zum Bau des unterirdischen Bunkers „Weingut II“ im Landsberger Frauenwald benötigt wurden. Dieser Bunker wurde bis Kriegsende nicht fertiggestellt, und später in der von der Nato genutzten Welfenkaserne entkernt und ausgebaut.

Der Großraum Kaufering hatte zu dieser Zeit 11 Außenlager des KZ-Dachau (bei München). Die Lager I bis XI erstreckten sich im Norden von Klosterlechfeld bis Seestall im Süden, und von Türkheim im Westen bis Utting am Ammersee im Osten. 99,9% dieser im Sommer 1944 in Transportwaggons in Kaufering ankommenden Zwangsarbeiter waren Juden, die aus allen Himmelsrichtungen Europas kamen. Ungarn und Polen stellten die stärksten Gruppen, gefolgt von Litauern. Während der letzten 12 Kriegsmonate kamen ca. 6.500 internierte Zwangsarbeiter der an die 23.000 in dieser Region eingesetzten jüdischen Zwangsarbeiter für die damalige deutsche Rüstungsarbeit zu Tode Die Opfer dieser letzten schrecklichen Kriegsperiode liegen heute in den zahlreichen KZ-Friedhöfen rund um Landsberg begraben.

So wie Abba Naor erlebten viele seiner Landsleute diese grausame Zeit der NS-Diktatur. Die jüdische Verfolgung war jedoch nicht nur auf diese Zeit beschränkt. Die Ausstellung versuchte auch den Tatbestand zu vermitteln, dass bereits im Mittelalter diese Volksgruppe in vielen mitteleuropäischen Städten verfolgt wurde, und viele deshalb auch nach Osteuropa umsiedelten. Auch hier in Landsberg war dies geschehen, wo bis zur Mitte des 14.Jhdt. eine jüdische Gemeinde lebte und vertrieben wurde. Die heutige Ludwigstraße zeugt davon mit ihrem alten Namen „Judengasse“ bis Ende des 18.Jhdt.

Die Ausstellung dokumentierte durch weitere Texte und Bildtafeln auch den Zeitraum nach dem 1. Weltkrieg, und den wieder aufkeimenden Antisemitismus, der dann in der NS-Diktatur in diesem Holocaust Exzess gipfelte. Den Bezug zu Litauen vermittelten Namen, wie z.B. Wilhelm Ritter von Leeb (Namensgeber 1965 einer nach ihm in Landsberg benannter Kaserne, 1992 als Kaserne aufgegeben) – der 1941 als Oberbefehlshaber der ehem. Heeresgruppe Nord in Litauen eingesetzt war. Sein Bezug zur NS-Diktatur und die Verbindung in Kaunas ermordeter Juden durch litauische Nationalisten wurde in den Nachkriegsprozessen niemals zu Gänze geklärt, bzw. belegt.
Bilddokumente des späteren Landrats Bernhard Müller-Hahl (ehem. Gebirgsjäger an der Ostfront), als auch des späteren israelischen Ministerpräsidenten, Menachem Begin (geb. in Brest-Litowsk), fanden sich ebenso wie Heinrich Himmler, (ehem. Reichsführer SS), der in St. Ottilien (ehem. DP-Lager) für 1 Nacht Unterschlupf fand, an den aufgestellten Schautafeln.

Alles in allem versuchte diese Ausstellung einen für diese Größe belegten Raum einen überschaubaren Überblick über dieses zeitgeschichtliche Thema zu verschaffen. Zu bemängeln war an dieser Ausstellung lediglich das spärlich ausgelegte Infomaterial, das den/die Besucher zu diesem Thema der Zeitgeschichte einen weiteren Anreiz zu Denkanstössen, und nachhaltigen Auseinandersetzung durch Literaturempfehlungen verschaffen hätte können. Dies sollte im Sinne einer „Wander-Ausstellung“ für weitere Gelegenheiten unbedingt verbessert werden.

Meine eigene Literaturempfehlung zu diesem Thema – die von Abba Naor niedergeschriebene Überlebensgeschichte in seinem Buch „Ich sang für die SS“ (Verlag C.H.Beck/H.Zeller).

Ich hatte vor ca. eineinhalb Jahren die Gelegenheit diesen außerordentlichen Mann persönlich kennenzulernen. Sein Überlebenswille, seine Lebensgeschichte, bis zu seiner späten Berufung des Mahners dieser schrecklichen Zeitepoche finden sich in diesem Buch wieder. Abba Naor ist Repräsentant Israels im Internationalen Dachau-Komitee. Mit seiner Frau Lea hat er 2 Kinder, 5 Enkel und 3 Urenkel. Er lebt heute zeitweise in München und Tel Aviv. In seinem heutigen Lebensabschnitt engagiert er sich, indem er der Jugend in Schulen und Universitäten, als einer der letzten lebenden Zeitzeugen versucht, dieses Wissen um die damalige Zeit und deren heutigen und zukünftigen Verantwortung zu vermitteln.

gez. Alfred Platschka 

Weiterführende Internet-Links: 

Europäische Holocaust Gedenkstätte (Landsberg/Erpfting).

Landsberg auf den Spuren seiner Geschichte

Landsberg Welfenkaserne (Geschichtliche Exkursion)

Text-/Bildquellen:

Pressematerial: Die Kunstbaustelle/Landsberg
Holocaust-Gedenkstätte Landsberg-Erpfting
USHMM, courtesy of George Kadish/Zvi Kadushin



Bürgerreporter:in:

Alfred Platschka aus Igling

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