Von Groß Lafferde unter Napoleon nach Russland

Gesetzbuch des Königreichs Westphalen aus dem Jahre 1808
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Nach der siegreichen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt (14.10.1806) schuf Napoleon Bonaparte infolge des Friedens von Tilsit (9.7.1807) das Königreich Westfalen mit dem Regierungssitz in Kassel. Er setzte seinen jüngsten Bruder Jerome (Hyronimus) als König ein (vom Volksmund „König Lustik“ genannt, weil dessen Lieblingsphrase lautete: „und morgen wieder lustik“).
Bereits nach der Völkerschlacht bei Leipzig (16. – 19.10.1813) ging das Königreich wieder zugrunde.
Es bestand aus 8 Departements. Eines davon war das Okerdepartement, welches sich aus den 4 Distrikten Goslar, Helmstedt, Hildesheim und Braunschweig zusammensetze. Der Distrikt Braunschweig bestand aus 18 Kantonen. Einer davon war der Kanton Lafferde. Er umfasste die Gemeinden Groß Ilsede, Oberg, Münstedt, Lengede, Klein Lafferde, Groß Lafferde und Gadenstedt. Groß Lafferde war Verwaltungssitz. Der Kantonmaire (Bürgermeister) hieß Johann Heinrich Andreas Burgdorff (38).

Das Königreich Westphalen sollte ein Musterstaat werden (15.11.1807 erste Verfassung, Abschaffung der Hegemonialgerichte, Ablösung von Leibeigenschaft und Frondiensten, Einführung des metrischen Systems, Gewerbefreiheit, Abschaffung des Zunftzwanges, Vereinheitlichung des Steuersystems, Grundsteuerpflicht des Adels, Einführung von Zivilstandsregistern und des napoleonischen Code Civil).
Trotzdem hielt sich die Begeisterung in Grenzen. So wurde die Wehrpflicht nach französischem Vorbild eingeführt. Als Mitglied des Rheinbundes verpflichtete sich das Königreich Westphalen 25.000 Soldaten zu stellen.

Viele Offiziere aus einflussreichen Adelshäusern machten freiwillig mit. Sie erhofften sich dadurch Machtzuwächse für ihre regierenden Häuser oder Chancen für die eigene Karriere.
Anders war das bei den gemeinen Soldaten. Sie mussten als Wehrpflichtige Dienst tun oder wurden unter das Militär gepresst. Das dürfte auch bei den gemeinen Soldaten Heinrich Conrad Behrens und Johann Hermann Heinrich Behrens aus Groß Lafferde der Fall gewesen sein. Dagegen könnte sich Johann Peter Julius Wilckens freiwillig verpflichtet haben, denn der wurde immerhin Wachtmeister. Als gezwungener Soldat hätte er diesen Dienstgrad kaum erreicht.

Adolf Nülle wusste von 32 Groß Lafferder Feldzugsteilnehmern zu berichten, die in den Fluten der Beresina und den Gefilden Russlands umgekommen sein sollen. Ein einziger, Curt Lüddecke, soll nach Groß Lafferde zurückgekehrt sein. Diese Angaben müssen so zur Kenntnis genommen werden, denn Adolf Nülle hat in dieser Angelegenheit leider keine Quellenangaben hinterlassen.

Die beiden Behrens gehörten dem 6. Westphälischen Linienregiment an und nahmen im Jahre 1812 am Russlandfeldzug teil. Näheres über dieses Regiment konnte ich leider noch nicht in Erfahrung bringen.

Heinrich Conrad Behrens, ein Sohn von Bartold Christian, wurde am 07.10.1776 geboren. Er überlebte den Feldzug, geriet aber während des Rückzuges (in oder um Moskau) in russische Gefangenschaft und trat nach Mitteilung des Moskauer Stadtkommandanten in russische Militärdienste über. Seine Heimat wird er kaum wiedergesehen haben.

Johann Hermann Heinrich Behrens, ein Sohn von Harm Behrens jun., wurde am 28.07.1785 geboren. Er hatte sich auf dem Rückzug im russischen Winter bis Wilna durchgeschlagen. Dabei erlitten die napoleonischen Truppen große Verluste. Nachzügler wurden von Kosaken angegriffen und getötet. Viele der erschöpften und ausgehungerten Soldaten erfroren im Freien. Vom 7. bis 9. Dezember 1812 herrschten minus 39 Grad Celsius. Als die französische Armee am 10. Dezember abrückte, überließ sie 20.000 Kranke, Verwundete und Marode den nachrückenden Kosaken.
Die zurückgebliebenen wurden von Teilen der Bevölkerung zum Schein beherbergt, dann beraubt, gequält und verstoßen. In den Spitälern gab es während der ersten 6 – 8 Tage fast keine Versorgung. Lebende lagen neben Toten. Tote wurden aus den Fenstern geworfen oder an den Beinen die Treppen hinunter geschleift.

Der württembergische Leutnant Karl Kurz schrieb über das Schicksal der in Wilna zurück gebliebenen Soldaten: „Säle und Zimmer … lagen voll Toter und Sterbender, die in der Hungerwut ihre toten Kameraden benagten. … Unbeschreiblich war das Elend der armen Gefangenen in den Tagen des 11.–15. Dezember, in welchen durch die Waffen des Feindes, durch Misshandlungen aller Art, durch Kälte und Hunger mehr als 1.000 Offiziere und 12.000 Gemeine aller Nationen zugrunde gingen.“
Das Massaker endete erst, als die reguläre russische Armee eintraf (die Kosaken zählten nicht zur regulären Armee).
Johann Hermann Heinrich Behrens verstarb in Wilna im Lazarett. Er wird einer der Zurückgelassenen gewesen sein. Über seine Todesumstände ist nichts überliefert. Anhand der geschilderten furchtbaren Zustände kann man erahnen, wie es ihm ergangen ist.

Johann Peter Julius Wilckens wurde am 2.1. 1788 in Groß Lafferde als Sohn von Peter Conrad Wilckens und dessen Ehefrau Anna Clara Bolten geboren und am 6.1.1788 getauft. Der Vater (*1751) war ein Sohn des Schneiders Hans Hinrich Wilckens (1706 – 1777).

Da Johann Peter Julius nicht dem bäuerlichen Umfeld entstammte, wird er sich mangels anderer Lebensperspektiven entschlossen haben, Soldat zu werden. Wann das geschah, ist nicht überliefert. Er diente im 1. Königlich Westphälischen Husarenregiment in Aschersleben unter dem Kommandeur Oberst von Zandt. Dieses gehörte, wie auch das 2. Husarenregiment unter Oberst von Hessberg, zur leichten Kavalleriebrigade, deren Oberkommandierender General von Hammerstein war.

Das Regiment kämpfte in den napoleonischen Spanienfeldzügen der Jahre 1808 und 1809. Falls Wilckens zu dieser Zeit bereits im Regiment war, kann es durchaus sein, dass er an diesen Feldzügen teilgenommen hat.

Mitte April 1812 rückte das Regiment als Teil der Grande Armee nach Russland aus. Schon beim Vormarsch in die russischen Weiten hatte die Armee mit Nachschubproblemen zu kämpfen. Wie die Heuschrecken ernährte sie sich von dem, was Land und Leute für den eigenen Bedarf produziert und bevorratet hatten.

Durch Krankheit und Desertionen hatten Napoleons Truppen schon vor den großen Schlachten erhebliche Verluste erlitten. Die erste große Schlacht des Feldzuges fand am 17. und 18.08. bei Smolensk am Dnjepr statt. Napoleon hoffte, die Russen vernichtend zu schlagen. Während der Gefechte geriet die Stadt in Brand. Teilweise wurden die Brände von Freund und Feind gelegt. Zwar konnte Napoleon Smolensk erobern, aber die völlig zerstörte Stadt war für ihn nutzlos, denn den Russen war es gelungen mit Wertgegenständen und fast allen Lebensmittelvorräten abzuziehen. Um ihnen diese abzujagen, ließ Napoleon die Russen verfolgen. So kam es am 19.08.1812 zu der furchtbaren Schlacht bei Walutina Gora (Valontina) /Lubino. Hier kämpften der Husarenwachtmeister Wilckens und sein Regiment gegen russische Husaren, Achtyrka (aus der Ukraine), Sum (mongolisch stämmige Russen) und Kalmücken (Westmongolen). Es gelang den Russen, sich in dem blutigen Gemetzel zu behaupten und mit den Vorräten (soweit diese in der Schlacht nicht vernichtet wurden) ins Landesinnere abzusetzen. Napoleon zog bei immer bedrohlicher werdender Versorgungslage in Richtung Moskau.

Auf der Straße zwischen Smolensk und Moskau, etwa auf halber Strecke, liegt das kleine Dorf Borodino. Hier stellte sich General Kutusow, Napoeleons russischer Kontrahent, am 07.09.1812 zur Schlacht. Es wurde das blutigste Gemetzel des ganzen Russlandfeldzuges. Die westphälischen Truppen, denen auch das 1. Husarenregiment angehörte in dem Wachtmeister Wilkens diente, verlor 3.000 Soldaten. Kavallerie und Husaren trugen wesentlich zum Ausgang der Schlacht bei. Ermessen kann man das an den 35.478 Pferden, die in dem Treffen getötet wurden.
Beide Kombattanten beanspruchten den Sieg für sich. Die Russen zogen sich geordnet zurück. Napoleon behauptete das Schlachtfeld. Entscheidender war, dass er seine dezimierten Truppen nicht ergänzen konnte und trotzdem den verhängnisvollen Vormarsch nach Moskau fortsetzte

. Was in Smolensk seinen Anfang genommen hatte, perfektionierten die Russen zum Desaster von Moskau. Dadurch zwangen sie Napoleon zum Rückzug. Ende Oktober zogen seine Truppen auf derselben Route, die sie beim Vormarsch wie die Heuschrecken verwüstet hatten, Richtung Smolensk. Es gab weder für Mensch noch Tier ausreichend Nahrung.
Bei Dorogobusch waren französische Truppen damit beschäftigt, eine Brücke über den Dnjepr zu bauen, als sie von den Russen angegriffen wurden. Die Franzosen zogen sich nach Dorogobusch zurück. Nach zweistündigem Kampf mussten sie die Stadt räumen und eine beträchtliche Zahl von Gefangenen, viel Gepäck und (wegen fehlender Bespannung) auch Kanonen zurücklassen.
Ein anderer Truppenteil, der sich am 07.11. auf den Marsch von Dorogobusch nach Witebsk begeben hatte, wurde von Kosaken angegriffen. Aus Mangel an Pferden mussten große Mengen an Gepäck und Pulverwagen zurückgelassen werden. Am 08.11. zogen sich die Franzosen unter ständigen Kosakenangriffen weiter zurück. Eine kurz zuvor errichtete Brücke wurde vom Strom weggerissen und zerstörte alle Hoffnung auf Rettung. Nur wenige Kutschen und Geschütze kamen ans sichere andere Ufer.
Rund hundert Geschütze, fast alle Munitionswagen, Packwagen und Droschken mussten zurückgelassen werden. Die Soldaten plünderten was ihnen gefiel.
Durch das eisige Wasser watend versuchten sie, den Kosaken zu entkommen. Viele ertranken in den Fluten oder erfroren. Tausend entkräftete Soldaten fielen den Kosaken in die Hände.

Bei diesen Rückzugsgefechten im Raum Dorogobusch wurde Johann Peter Julius Wilckens gefangen genommen. Er verstarb im Lazarett von Dorogobusch, ob verwundet, krank oder entkräftet, wissen wir nicht.
Der weitere Rückzug, insbesondere die verlustreichen Kämpfe an der Beresina vom 26. bis 28.11. und der Flussübergang blieb ihm erspart.

Von der ursprünglich 610.00 Mann starken französischen Armee, die zu Beginn des Russlandfeldzuges die Weichsel überquert hatte und nur zur knappen Hälfte aus Franzosen bestand, kehrten nur 23.000 Mann zur Weichsel zurück (Clausewitz). Das 27.000 Mann starke Westphälische Kontingent war auf 800 Mann zusammengeschrumpft und vom 1. Westphälischen Husarenregiment sahen nur 40 Soldaten die Heimat wieder.

Im Jahre 1817 wurde der hannoversche Leutnant Heinrich Meyer von der preußischen Regierung als Kommissar nach Russland geschickt, um in den dort vorhandenen Akten Einzelheiten über das Schicksal der zur Grande Armee oder zu den königlich westfälischen Truppenteilen einberufenen Soldaten herauszufinden. Es gelang ihm, die Schicksale von etwa 6000 Soldaten zu belegen, so auch von Heinrich Conrad Behrens, Johann Hermann Heinrich Behrens und Johann Peter Julius Wilckens.

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Heise aus Ilsede

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