Der geheimnisvolle Konsolstein von Groß Lafferde

Abb. 1 Auszug aus Chronik Groß Lafferde, Seite 73. Zeichnung und Text Harry Willich
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Im Wasserturm ist ein Konsolstein zu sehen, über den die Chronik auf Seite 73 (Abb. 1) folgendes berichtet:
Zitat:
Dieser Konsolstein „plastische Renaissance um 1600“ wurde im Jahre 1992 als Abdeckung eines Kanals in der Nähe des ehemaligen Standortes des Spelhus von Harry Willich gefunden.
Auf dem Sandstein sind um den Standort des Rathauses (A) die vier Ortsteile dargestellt. Mit den beiden Spitzen im Vorworth-Viertel sind die beiden Türme der Schildmauer angezeigt (B). Das Feld um (C) ist zerstört. Wahrscheinlich war hier das Wappen von Herzog Heinrich eingemeißelt. Er war bis zum Ende des 30jährigen Krieges Hausherr im Spelhus.

Zitat Ende

Weitere Angaben über das Spelhus findet der Leser auf den Seiten 42 und 50 ff der Chronik.
Woher aber z.B. das Wissen des Autors stammt, das Spelhus sei ein Gebäude aus großen Sandsteinquadern mit großen Fenstern, Versammlungs- und Schlafräumen gewesen, hat er nicht belegt.

Was ist nun in Bezug auf den Stein wahr und was nicht?

Dass es sich um einen Konsolstein handelt, ist wohl nicht zu bezweifeln. Da nur eine Seite bildhauerisch bearbeitet wurde, kann die Existenz eines ebenso gestalteten zweiten Konsolsteines in Erwägung gezogen werden. Wo der Stein ursprünglich angebracht war, verliert sich im Dunkel der Geschichte. Aufgrund seines großen Gewichtes kann er (und der 2. Stein) nur an einem sehr massiven Bauwerk, evtl. einem Portal als Träger eines Tympanon, verwendet worden sein. Ob das Spelhus um 1600 diesen Erfordernissen entsprach und ob es ein repräsentatives Portal besaß, weiß man nicht. Und ob es groß genug war, dass die Steine nach der Zerstörung des Hauses (1626) zum Neubau der Kapelle (1734) ausreichten und darüber hinaus auch noch in Profanbauten Verwendung fanden, ist fraglich. Merkwürdig ist auch, dass die wertvollen Baumaterialien 100 Jahre einfach so umhergelegen haben sollen.

Vielleicht war das Spelhus gar kein massiver Bau.
In Hildesheim gilt das 1587 am alten Markt errichtete Kaiserhaus als erstes steinernes Haus der Stadt (Die prächtige Renaissancefassade des im 2. Weltkrieg zerstörten Hauses ist seit 1997 wieder zu sehen). Wenn es aber in einer wohlhabenden Metropole wie Hildesheim vor 1587 keine massiven Häuser gab, ist kaum anzunehmen, dass sich ein kleines Bauerndorf wie Groß Lafferde derartigen Luxus leisten konnte.

Der Konsolstein kann auf irgendeine Art und Weise nach Groß Lafferde gelangt sein. Die Fundstätte nahe dem ehemaligen Spelhus schließt nicht aus, dass der Stein möglicherweise in viel späterer Zeit lediglich hierhergebracht und abgelegt wurde. Es ist denkbar, dass der Stein von der abgerissenen alten Bernwardskirche stammen könnte.

Dass das Spelhus zumindest in der Anfangszeit ein Fachwerkbau war, ist sehr wahrscheinlich.
Seine Existenz ist ab der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts belegt. Zu dieser Zeit (um 1300) war Groß Lafferde ein Dorf mit 40 Hofstellen (ca. 300 bis 400 Einwohner). Dieses kleine Gemeinwesen wird nach den Belastungen des gerade beendeten Kirchenneubaues kaum in der Lage gewesen sein, zusätzlich zu den üblichen Frondiensten und Arbeiten zur Sicherung des Lebensunterhaltes, den erforderlichen finanziellen, arbeitsmäßigen und logistischen Aufwand für ein weiteres massives Gebäude aufzubringen.
Wilhelm Baumgarten schrieb im Dezember 1971 im Heimatspiegel auf Seite 6 (er bezog sich dabei auf H.H. Ehrat, Braunschweiger Chronik von 1736): „… erfahren wir, dass die Bewohner von Groß Lafferde um 1430 ein neues Spielhaus errichteten und dazu Eichenstämme aus dem genannten Holze (Sierße) holten“. Eichenstämme aber dienten in Fachwerkhäusern als Ständer.
Warum sollte man auch massiv bauen? Dafür gibt es keine plausible Erklärung. Die Attraktivität des Tagungsortes Groß Lafferde war nicht im Tagungsgebäude begründet, sondern in der damals günstigen geographischen Lage.

Außerdem:
Aus welchem Grunde sollte man die Dorfviertel ausgerechnet auf einem Konsolstein darstellen? Dazu wäre, insbesondere aus informatorischen Erwägungen, eine Tafel viel besser geeignet.

Die Deutung, auf dem Konsolstein seien die Dorfviertel mit dem Rathaus in der Mitte dargestellt, ist wenig glaubhaft. Nicht das Geringste weist wirklich darauf hin.
Völlig absurd ist der Hinweis auf die beiden Türme der Schildmauer. Zur mutmaßlichen Entstehungszeit des Steines (ca. 1600) gab es nur die Kirche mit dem Kirchturm. Von einer „Schildmauer“ ist nichts überliefert (konnte es auch nicht, denn es hat sie nie gegeben).
Der einzige Zusammenhang zwischen Konsolstein und Dorfvierteln dürfte die zeitliche Nähe zwischen erster Erwähnung der Viertel (1611) und der angeblichen Entstehungszeit des Steines (ca. 1600) sein.
Näheres zu den Dorfvierteln siehe unter dem Link
https://www.myheimat.de/lahstedt/kultur/die-dorfvi...

In Braunschweig befindet sich am Portal des Hauses Altstadtmarkt 12 eine Darstellung, die der Bildhauerarbeit auf dem Konsolstein sehr ähnelt. (Die Abweichung auf dem Konsolstein dürfte durch dessen Form bedingt sein). Gleiches gilt für das Portal des Hauses Gördelinger Straße 43 (im 2. Weltkrieg zerstört). Das Renaissanceportal bildet jetzt den Zugang zur Bartholomäustwete.
Ebenso sind an der Giebelseite des Braunschweiger Gewandhauses zahlreiche Darstellungen vorhanden, die im Mittelpunkt (Tier)Köpfe aufweisen, ansonsten aber der geometrischen Form des Konsolsteinbildes entsprechen. Auch das Portal des Gewandhauses ist mit ähnlichen Darstellungen versehen.
Der Portalfries des Schöninger Heimatmuseums ist in gleicher Weise gestaltet.

Im Schlosshof zu Güstrow befinden sich 4 Steine, die dem hiesigen Konsolstein nicht nur von der Form sehr ähnlich sind, sondern darüber hinaus an der vorderen Schmalseite eine auffallend ähnliche Darstellung aufweisen.

Auch an der Parkbrücke am Schloss zu Merseburg ist das Notiv zu sehen.

Selbst die Gartenbeete des Heidelberger Schlosses wurden seinerzeit in dieser Weise angelegt.

Aus all dem ist ersichtlich, dass der Konsolstein nichts weiter als bildhauerische Gestaltungsformen der damaligen Zeit aufweist.

Das Feld „C“ (auf dem Konsolstein fast nicht erkennbar) kann definitiv nicht das Wappen eines bis gegen Ende des 30-jährigen Krieges (1648) regierenden Herzogs Heinrich enthalten haben, denn es gab ihn nicht. Der einzige Heinrich, der eventuell in Frage käme, wäre Herzog Heinrich-Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel. Aber der ist schon 1613 gestorben. Und Hausherr war der Herzog im Spelhus auch nicht. Er hatte dort nichts zu bestimmen, denn das Spelhus gehörte der Gemeinde. Außerdem ist das Feld „C“ viel zu klein, um das herzoglich braunschweigisch-wolfenbüttelsche Wappen einigermaßen wirklichkeitsnah darstellen zu können. Wenn es aber doch so gewesen sein sollte, stellt sich die Frage, warum man sich die Mühe machte, das Wappen zu entfernen. Das müsste schon vor 1626 während der Braunschweiger Herrschaft im großen Stift geschehen sein, was aber keinen Sinn ergibt. Sinnlos wäre es auch gewesen, das Wappen ab 1626 zu beseitigen, denn da lag das Gebäude in Schutt und Asche.
Des Rätsels Lösung ist ganz banal: Nach dem Auffinden hat der Stein auf dem Grundstück Meescheweg 3 gelegen. Andreas Winkler hat ihn mit einem Hochdruckreiniger gesäubert und dabei versehentlich mit spitzer Düse und scharfem Strahl eine flache Delle in die verhältnismäßig weiche Oberfläche des Steines gefräst. Ein Wappen war nicht vorhanden.  

Noch etwas: Wenn man sich bei der Gestaltung des Steines so viel Mühe gegeben hat, sogar die Türme der angeblichen Schildmauer angedeutet haben soll, dann wäre es doch wohl naheliegend gewesen, das eindrucksvolle Spelhus im Zentrum des Steines erkennbar darzustellen (ähnlich den Steinen am Giebel des Braunschweiger Gewandhauses).

Nein, der Bildhauer hatte nie die Absicht auf Groß Lafferdes Dorfviertel hinzuweisen.

Betrachten wir den Konsolstein doch ganz einfach als schönes, geheimnisvolles Relikt aus vergangener Zeit (Renaissance) und interpretieren nicht irgendwelche Phantastereien in ihn hinein.

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Heise aus Ilsede

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