Über 50 Jahre Schulmathematik – 13 Jahre Schüler und 38 Jahre Mathelehrer

Was ich Schülern und Eltern, aber auch den Lehrplan-Machern mitgeben möchte.

Meine Haupterkenntnis gleich vorneweg. Da wird so mancher staunen, dass gerade ein Mathelehrer so etwas sagt. Bedenkt aber bitte, dass ich auch als Mathematiklehrer nicht nur der Mathematik verpflichtet bin. Meine Gesamtverpflichtungen als Lehrer stehen da über dem Fach. Meine Schüler sollen aus meinem Mathematikunterricht etwas mit ins Leben nehmen, von dem sie dort etwas haben.

Mathematik ist ungeheuer wichtig in Wissenschaft und Technik. In der Schule nimmt sie sich aber zu wichtig.

Wenn man die Klasse 7 hinter sich hat, weiß man mathematisch gesehen schon alles fürs Leben. Man kann die Anzahl der Tapetenrollen fürs Wohnzimmer ausrechnen, die Autofinanzierung nachvollziehen und die Mehrwertsteuer zur Ölrechnung ausrechnen. Warum soll da jeder lernen, wie man eine Exponentialgleichung löst oder wie man das Volumen eines Pyramidenstumpfes berechnet. In der gymnasialen Oberstufe gibt es da noch viel „schlimmere“ und für den Alltag total unbrauchbare Sachen. Das Meiste aus der Mathematik sollte man den weiteren Ausbildungen zuschlagen, genau da, wo es gebraucht wird. Es gibt natürlich auch so ein Thema wie „Gleichungen“. Deren Umstellen zur Berechnung einer bestimmten Größe kommt z. B. in den handwerklichen Berufen so oft vor, dass ich das auch in der allgemeinbildenden Schule üben sollte. Und ordentlich Physik betreiben, das geht ohne Gleichungen auch nicht.
Aber viele Themen würde ich zugunsten der Fremdsprachen abschaffen.

Hier ein Beispiel-Thema dafür, wie man meiner Meinung nach vorgehen sollte.

Ein bekanntes Thema der Klasse 7 bleibt bei allen Schulabsolventen lebenslang in Erinnerung. Die verschiedenen Generationen kennen es unter den Namen „Dreisatz“, „Schlussrechnung“ oder „proportionale und antiproportionale Zuordnungen“. Der letztgenannte Name macht schon deutlich, dass es da zwei Sorten von Aufgaben gibt. Zu allererst muss ich erkennen, zu welchem Typ die Aufgabe gehört. Denn als Textaufgabe formuliert, sehen die beiden Typen gleich aus.
Hier sind zwei typische Zuordnungsaufgaben:

1. Bauer Müller benötigt für seine 15 Kühe im Winter etwa 120 Heuballen. Wie viele Heuballen gleicher Größe benötigt Bauer Meier für seine 24 Kühe?

2. Ein Heuvorrat reicht etwa 120 Tage, wenn der Bauer 15 Kühe hat. Wie lange würde diese Heumenge einem Bauern mit 24 Kühen reichen?

Zu allererst muss man sich die Aufgabe richtig bildlich vorstellen, mit Kühen, Heu und Scheune. Man muss sich so richtig hineindenken. Ich habe bei den Schülern immer vom „inneren Aufgabenfilmchen“ gesprochen. Das hilft bei diesem Thema bei der allerwichtigsten Entscheidung: "Muss das Ergebnis größer oder kleiner werden?" !!!

Bei Aufgabe 1 sieht man sofort, dass die Zahl der Heuballen, die Bauer Meier braucht, größer sein muss. Er hat ja mehr Kühe als Bauer Müller. In Aufgabe 2 reicht die Heumenge natürlich bei mehr Kühen nicht so lange, die Anzahl der Tage wird kleiner.

Wenn ich mir die Aufgabe folgendermaßen aufschreibe, komme ich auf ein Lösungsschema, das ich immer anwenden kann.

Aufgabe 1

15 Kühe --- 120 Heuballen
24 Kühe --- ??? Heuballen

Aufgabe 2

15 Kühe --- 120 Tage
24 Kühe --- ??? Tage.

In die erste Zeile schreibt man immer das, was man weiß, in die zweite Zeile das, was gesucht wird.
Die Älteren, die mit dem „Dreisatz“, werden jetzt die dritte Zeile vermissen, die in der Mitte, wo man immer auf Eins zurückgerechnet hat – hier also auf 1 Kuh. Durch den Taschenrechner ist das aber nicht mehr nötig. Den Taschenrechner sollte so früh wie möglich zum Einsatz kommen – wir machen ja auch nicht mehr mit dem Feuerstein Energie fürs Mittagessen. Warum mit Rechnen abquälen?

Wenn man jetzt bei einigen Aufgaben die Lösungen erarbeitet hat, bemerkt man, dass die Schritte immer die gleichen sind.
Will man bei Aufgabe 1 wissen, wie viele Ballen eine Kuh frisst, muss ich 120 durch 15 teilen, es sind also 8 Ballen. Vierundzwanzig Kühe fressen 24 Mal so viel wie eine Kuh, also 8 mal 24 gleich 192.

Eingetippt in den Taschenrechner: 120 : 8 * 24 = 192

Man muss also immer „oben rechts“ durch „oben links“ teilen und mit „unten links“ malnehmen!

Bei Aufgabe 2 kann natürlich 1 Kuh ganz lange fressen: 120 * 15 = 1800 Tage. Bei 24 Kühen reicht das Futter dann nur noch den 24. Teil, also 1800 : 24 = 75 Tage.
Man merkt, nach einigen Aufgaben dieses Typs, dass es immer so geht: „Oben rechts“ mal „oben links“, geteilt durch „unten links“.

Eingetippt in den Taschenrechner: 120 * 15 :24 = 75

Durch den Taschenrechner wird der ehemalige „Dreisatz“ zum „Zweisatz“. Nur zum Erarbeiten des Schemas muss man einige Male auf Eins zurückrechnen.

Damit die „proportionalen und antiproportionalen Zuordnungen“ aber „wie geschmiert“ laufen und sich als „sehr gut“ in der Klassenarbeit niederschlagen, muss man noch einiges beachten.
Trotz des sicheren Gefühles nicht einfach so drauflos rechnen, sondern die Fallen in den Formulierungen aufspüren. Der „gemeine“ Mathelehrer schreibt vielleicht in Aufgabe 1, dass Bauer Meier 9 Kühe mehr hat als Bauer Müller.

Hier noch ein paar Tipps und Anregungen für Mathematikaufgaben allgemein:

Wie im Beispiel gezeigt, kann ich mir zu jedem Thema Lösungswege in Schemaform erstellen. Die Verwendung ist dann kein abwertender Schematismus, sondern das Ergebnis einer tollen Vorleistung.

Während meiner Schulzeit waren alle Klassenarbeiten unangekündigt. Da musste man immer auf dem Stand des Themas sein. Ich habe es so gemacht, dass ich zum Beispiel vor dem Treffen mit Freunden, dem Schwimmbadbesuch oder vor dem Abendessen einfach einmal schnell geprüft habe, „ob ich es noch kann“. Dazu habe ich eine Aufgabe, deren Lösung mir schon bekannt war, auf einem Zettel gerechnet und habe dann die Ergebnisse verglichen. Das kostet kaum Zeit und man hat als Schüler nicht das Gefühl, dazu verdonnert zu sein, stundenlang an Mathe zu sitzen. Deswegen schlage ich jedem Lehrer vor, dass er dafür sorgt, dass seine Schüler möglichst viele in der Klasse gerechnete und derart geprüfte Aufgaben besitzen. Dann haben die Eltern die Möglichkeit der Kontrolle. Bei älteren Schülern kann man auch nach und nach die Hausaufgaben zugunsten dieses Systems reduzieren und ganz abschaffen. Denn wer Hausaufgaben aufgibt, muss sie auch kontrollieren, eine Buchführung darüber machen und eine Nachkontrolle durchführen. Oft ergibt sich daraus, dass ein Elternbrief geschrieben werden muss. Diese weggefallene Zeit für die Hausaufgabenkontrolle kommt der Unterrichtszeit zugute.

Viele Schüler sind in Mathematik mit einem Aha-Erlebnis zufrieden. Ich meine damit, dass es ihnen genügt, wenn sie einmal eine Aufgabe nachvollzogen haben. Die Frage „Wie war das noch mal?“ beim nächsten Mal entfällt, wenn man sich mit Fleiß ein Schema eingeübt hat.
Wir Lehrer und die Eltern müssen den älteren Schülern klarmachen, dass ihre Altersgenossen, wenn sie Hauptschüler sind, längst in einem Beruf mit 8 Zeitstunden tätig ist und daher die Schule ab Klasse 10 keine die Freizeit störende Einrichtung ist, sondern professioneller behandelt werden muss.

Zum Schluss noch ein Hinweis auf die Internetseite www.mathepower.com, wo man für alle Klassenstufen Aufgaben eingeben kann und dann die Lösung mit Lösungsweg erhält. Eine feine Sache für denjenigen, der ehrlich damit umgeht, vorher rechnet und sich nicht selbst betrügt.

Bürgerreporter:in:

Hansheinrich Hamel aus Kirchhain

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