Ehestiftungen im südostniedersächsischen Raum

Ehestiftung
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Wenn junge Leute Ende des 18. Jahrhunderts oder um die Mitte des 19. Jahrhunderts heirateten, dann geschah das nicht immer nur aus Zuneigung. Besonders im bäuerlichen Bereich spielten dabei handfeste wirtschaftliche Interessen eine große Rolle. Die Eltern der Brautleute achteten darauf, dass durch die Heirat des Hoferben die bisherige soziale Stellung erhalten blieb, nach Möglichkeit aber verbessert und der Hof vergrößert wurde. Je mehr die Braut mitbrachte, desto besser, denn es mussten ja auch die weichenden Erben abgefunden und die Leibzucht (das Altenteil) gesichert werden.
Die Eltern der Braut dachten ähnlich. Sie wollten einerseits ihre Tochter gut versorgt wissen, andererseits aber zugunsten ihres Hoferben die Substanz des eigenen Hofes durch die Mitgift nicht schwächen.
Wenn ein Bauernsohn einheiratete, war die Vorgehensweise nicht viel anders.
Auf diese Weise fanden die Wohlhabenden zueinander und die Armen blieben meistens unter sich.

Der Eheschließung folgte die sofortige oder alsbaldige Hofübergabe. Deshalb wurde alles Wesentliche in einer Ehestiftung geregelt. Das war ein notarieller Vertrag, der vor dem Vollzug der Ehe abgeschlossen wurde.
An zwei Beispielen lässt sich eindrucksvoll darstellen, wie großzügig man bei wohlhabenden Höfen verfahren konnte und wie es bei armen Brinksitzern auf jede Kleinigkeit ankam.

Bei der Ehestiftung vom 10.7.1792 geht es um den in Groß Lafferde an der Breiten Straße bei der Kapelle belegenen Dreiviertelspännerhof (Kapellenhof).

Der Bräutigam bringt in die Ehe ein:
Den Hof samt Haus- und Feldinventar, 4 Pferde, 4 Kühe, 2 Rinder, 2 Wagen mit Zubehör, Pflüge und Eggen und 90 Morgen (22,5 ha) zehntfreies Meierland, wovon dem Kloster St. Michaelis in Hildesheim jährlich an Zinsen 40 Scheffel Roggen, 20 Scheffel Gerste, 60 Scheffel Hafer, 1 Schock Eier, eine Gans und 2 Hühner abzugeben sind. Außerdem sind zu entrichten für 2 Fuhren 4 Rtl. (Reichstaler) und an Dienstgeld 18 Rtl. 27 gr. (Groschen).
Zum Hof gehören noch 1 Vorling im Steinbrücker Felde und ½ Vorling zehntfreies Erbland im Buschfelde.
Der Bräutigam hat die auf dem Hofe haftenden Schulden von 1400 Rtl. abzutragen.

Der Vater des Bräutigams und seine Frau werden, so lange sie wollen, einen eigenen Haushalt führen.
Der Vater behält sich vor:
1. Zur Wohnung das kleine Haus oder im großen Hause eine Stube, und so viel Kammern als er für sich und seine Kinder nötig hat. Der Hofbesitzer hat die Wohnung in Stand zu halten.
2. 6 Morgen Meierland (2 Morgen im Wilden Felde, 3 Vorling im Buschfelde, 3 Vorling im Leihfelde, 1 Morgen im Steinbrückschen Felde).
3. das nötige Brennholz,
4. ein Bleek (1 Morgen) im Busche,
5. den dritten Teil vom Obste,
6. Raum in der kleinen Scheune zur Aufbewahrung von Korn und Futter,
7. kostenloses Pflügen der genannten 6 Morgen sowie kostenlose Mist-und Mühlenfuhren durch den Hofbesitzer,
8. bei Bedarf ein Reitpferd auszuleihen,
9. den nötigen Stall für 2 Kühe, Schweine und Gänse.
10. jährlich ein Schwein
11. eine Flachsrotte, und einen Platz für den Mist.

Die verheiratete Schwester des Bräutigams erhält noch rückständigen Brautschatz von 105 Rtl., außerdem einen Vorling Roggen oder 5 Rtl., einen Morgen Hafer oder 10 Rtl., eine Kuh oder 10 Rtl. und ein Schwein oder 3 Rtl.

Des Bräutigams noch unverheiratete 5 Geschwister, erhalten als Abfindung jeder 180 Rtl., davon werden 100 Rtl. bei Heirat oder Volljährigkeit fällig, der Rest in 2 Raten. Der jüngste Bruder, der ein Beinleiden hat, bekommt zusätzlich 20 Rtl. zur Berufsausbildung.

Nach dem Tode der Eltern erben die Kinder deren Nachlass zu gleichen Teilen (einschließlich des Hoferben). Das gilt auch für die 6 Morgen Land.

Sollten die Eltern sterben, solange die Kinder noch schulpflichtig sind, so hat der Hoferbe die letzteren in Kirche, Schule und auch in Krankheiten unentgeltlich zu unterhalten.
Wenn ein Kind unverheiratet oder während seiner Minderjährigkeit stirbt, so soll dessen Abfindung nach Abzug der Begräbniskosten zu gleichen Teilen unter den überlebenden verteilt werden.

Der zuerst verstorbene Elternteil wird von dem überlebenden beerdigt, der letztverstorbene auf Kosten des Hofes.
Beide Eltern behalten sich vor, erneut zu heiraten und dem neuen Ehegatten freie Wohnung zu verschreiben.

Die Braut bringt in die Ehe:
An Brautschatz 600 Rtl. und zur Nebensteuer insgesamt 70 Rtl., außerdem Kisten und Kasten, Bett und Bettzeug. Sodann 4 Morgen Erbland mit den darauf befindlichen Früchten, wovon im Steinbrücker Felde an der Wasserfurche 1 Morgen und auf dem Mühlenberge 1 Morgen sowie im Leihfelde 2 Morgen belegen sind.

Sollte einer der Brautleute „nach beschrittenem Ehebette“ sterben, so ist jeder des anderen alleiniger Erbe.

Viel bescheidener ging es 70 Jahre später in Schulenrode am Elm zu.
In einer Ehestiftungsurkunde vom 2.6.1863 steht geschrieben, dass einer zweimal verwitweten Brinksitzerin das Anwesen Schulenrode Nr. 19 gehörte. Die Mutter hatte es ihr vererbt. Es bestand aus 6 Ruten Hofraum , 20 Ruten Garten, 1 Morgen Acker am Brakelberge, 1 Morgen und 80 Ruten Wiese auf Cremlinger Feldmark. Nach der Separation waren es insgesamt 5 ½ Morgen Hof, Garten, Wiesen und Acker. Dieses schuldenfreie Anwesen übertrug sie ihrem Sohn 1. Ehe, der seiner zukünftigen Ehefrau Mitbenutzung nach Bauernrecht einräumte.

Die Witwe hatte aus zweiter Ehe eine inzwischen verheiratete Tochter und einen noch ledigen Sohn.
Die Tochter war durch eine Naturalaussteuer und 600 Rtl. bereits abgefunden. Der Sohn hatte noch nichts bekommen. Ihm sollen als Abfindung vom Hofe 300 Rtl. zu Michaelis ausgezahlt werden. Ansonsten soll der Bräutigam mit der Aussteuer seines Halbbruders nichts zu tun haben.

Die Witwe bedingt sich als Altenteil aus:
• einen freien warmen Sitz in der erleuchteten Wohnstube des Hauswirts,
• einen Platz auf dem Sofa und eine Stelle für einen großen Stuhl hinter dem Ofen,
• die hinterste Kammer über der Wohnstube,
• die Mitbenutzung des Kellers an der rechten Seite,
• den dritten Teil von allem Obst,
• eine Rute Grabeland nach Auswahl der Altmutter,
• freie Aufwartung in gesunden und kranken Tagen,
• Mitbenutzung der Küche und größeren Gerätschaften,
• freies Holz zum Kochen,
• freie Wäsche,
• jährlich 8 Himten Roggen, ½ Himten Weizen, 1 Vierfass Koch-Erbsen, 8 Himten Esskartoffeln, 1 Kiepe Mohrrüben, 15 Steckrüben, 20 Köpfe Weißkohl (vollgewachsen), 26 Pfund Butter (½ Pfund pro Woche)
• täglich ein halb Quartier frische Milch,
• jährlich ½ Schock Käse, zwischen Michaelis und Ostern zu liefern,
• Weihnachten 1 Quartier Milch extra,
• jährlich um Weihnachten die Hälfte (der Länge nach) eines einzuschlachtenden fetten Schweines nicht unter 200 Pfund schwer,
• die Hälfte von den Würsten, Schmalz und jedes Mal die Schlackwurst,
• Jährlich 4 Bothen geschwungenen Flachs, ½ Schock Eier,
• Jährlich auch 6 Rtl. Taschengeld in monatlichen Abschlägen,
• freie Beerdigung.

Nach dem Tode der Witwe soll der Sohn 2. Ehe aus ihrem Nachlass vorab 300 Rtl. erhalten. Vom Rest bekommen die Kinder 2. Ehe gleiche Anteile.
Sollten außer den 300 Rtl. noch Gelder vorhanden sein, dann werden diese auf alle 3 Kinder gleichmäßig verteilt. Falls weniger zur Verfügung steht, muss sich der Sohn 2. Ehe mit dem Vorhandenen begnügen.

Die Braut bringt eine Aussteuer, 150 Rtl. gespartes Geld und ihr übriges Vermögen zur freien Disposition und Nutzung nach Bauernrecht in die Ehe.

Vorbehaltlich der Rechte etwaiger Kinder beerbt der überlebende Ehepartner den früher verstorbenen. Die Mutter des Bräutigams verzichtet auf ihr Erbrecht.
Stirbt bei kinderloser Ehe der Bräutigam vor der Braut, so soll die Braut ein Jahr nach dessen Tode, 200 Rtl. an die Mutter herausgeben. Sollte die ebenfalls verstorben sein, bekommen ihre Kinder 2. Ehe das Geld.
Falls die Braut vor dem Bräutigam kinderlos verstirbt, so sollen an deren Erben binnen gleicher Frist 50 Rtl. gezahlt werden.

Ob wohlhabender Bauer oder kleiner Brinksitzer, die Ehestiftungsverträge waren einander sehr ähnlich. In beiden Fällen schufen sie drückende Lasten, die neben den üblichen Abgaben zu bewältigen waren. Bei dem am Existenzminimum lebenden Brinksitzer wog das besonders schwer. So mancher mag mit Blick auf die alten Leute gehofft haben, bald von dieser Last befreit zu sein. Aber wie das zweite Beispiel lehrt, waren auch die Altenteiler nicht auf Rosen gebettet.

Anmerkungen zu Maßen und Gewichten:
Wer 4 Hufen Land bewirtschaftete war Vollspänner (im Braunschweigischen Ackermann genannt). Eine Hufe zählte in unserer Gegend 30 Morgen zu rund 2.500 m². Wer 3 Hufen oder 90 Morgen Land bewirtschaftete, war ¾ -Spänner.
Der braunschweigische Morgen zu genau 2.501,582 m² zählte 120 Quadratruten zu je 20,84652 m².
1 Vorling = ½ Morgen
1 Scheffel Hildesheimer Maß = 51,8 Liter
1 Schock = 60 Stück
1 Pfund = ½ kg = 500 gr.
Braunschweiger Maß :
1 Himten = 31,14477 Liter
1 Vierfass = 7,78619 Liter
1 Quartier = 0,93684 Liter
Quelle: Wikipedia, Alte Maße und Gewichte

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Heise aus Ilsede

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