Die Kartaunen der Burg Steinbrück

Zwinger, jetzt Kehrwieder-Kirche
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Kartaunen sind Kanonen. Dass es diesen Geschütztyp auf der Burg Steinbrück gegeben haben könnte, lässt sich aus Lüntzel, Geschichte der Burg Steinbrück, Seite 32 – 33, entnehmen.

Zuvor jedoch einige Erläuterungen zu den Geschützen des 16. Und 17. Jahrhunderts, soweit das in diesem Zusammenhang von Interesse ist. (Wer mehr darüber erfahren möchte findet unter Wikipedia jede Menge Informationen):

Steinbüchsen, auch Hauptbüchsen genannt, waren in der Regel Riesengeschütze, die wegen ihres enormen Gewichtes ursprünglich auf massiven hölzernen Gestellen lagerten. Nur so konnte man mit ihnen Burg- oder Stadtmauern beschießen (Mauerbrecher).  Es wurden Steinkugeln (daher der Name Steinbüchse) von ungefähr 50 kg Gewicht verschossen. Schwere Eisenkugeln wogen 40 bis 50 kg.
Diese Geschützart konnte nur mit großem logistischen Aufwand bewegt und eingesetzt werden. Geschützkarren oder Lafetten gab es noch nicht.

Die Geschützherstellung war sehr schwierig, erforderte großes theoretisches Wissen und praktisches Können. Ursprünglich waren die Büchsenmeister zunftübergreifende Allrounder. Sie waren in einer Person Konstrukteur, Stellmacher/Zimmermann, Formenbauer, Grobschmied, Metallurg (Metallzusammensetzung), Gießer (Geschütz, Kanonenkugeln), Chemiker/Feuerwerker (Schwarzpulverherstellung), Geschützführer/Bediener, Mathematiker und Geometer (Entfernung messen, Geschütz ausrichten).

Im Laufe der Geschützentwicklung entstand ein ziemlicher Kaliberwirrwarr. Kaiser Maximilian (*22.3.1459 †12.1.1519) suchte nach Normierungsmöglichkeiten. Dabei galt die 50-kg-Steinbüchse als Referenzbasis.

Ein verbessertes Geschütz war die Scharfmetze. Der Name Metze ist von der italienischen Bezeichnung „mezza bombarda“, sinngemäß „halbe Hauptbüchse“ abgeleitet. Ihr Kugelgewicht betrug 25 – 35 kg, entsprach also in etwa der Hälfte des Kugelgewichtes der Hauptbüchse. Die Scharfmetze wog ca. 3 Tonnen und musste von 16 Pferden gezogen werden. Sie kostete im Jahre 1609 bei Dambachs Büchsenmeisterei 2.790 Gulden plus 148 Gulden für die Lafette.

Notbüchsen hatten lange Rohre und verschossen Eisenkugeln mittleren Kalibers. Die Eisenkugeln der Viertelbüchsen entsprachen einem Viertel des Gewichtes einer Hauptbüchsensteinkugel.

Ausgehend von diesen alten Not- und Viertelbüchsen wurde unter Kaiser Maximilian ein neuer Geschütztyp geschaffen: Die Kartaune.
Der Name ist vom italienischen „quartana bombarda“, Viertelbüchse, abgeleitet. Ihre Eisenkugel wog ¼ der 100pfündigen Hauptbüchsenkugel, also um die 12 kg.
Nach der Länge des Rohres unterschied man lange Kartaunen „Singerin“ (Kugelgewicht 12 – 20 kg) und kurze Kartaunen „Nachtigall“ (Kugelgewicht bis 25 kg). Sie wogen 1,2 bis 2 Tonnen und wurden von 12 Pferden gezogen.

Die englische Bezeichnung für Kartaune war "Cannon". Man teilte die Kartaunen in folgende Klassen ein:
Doppelkartaune: Kaliber 20-22 cm, Kugelgewicht 20-22 kg, Rohrgewicht 3-4 t, Rohrlänge 17 Kaliber, Preis 2325 Gulden, Lafette 132 Gulden,
Kartaune : Kaliber 16–18 cm, Kugelgewicht 18 kg, Rohrgewicht 1,8 t, Rohrlänge 17 Kaliber.
Dreiviertelkartaune: Kaliber 16–17 cm, Kugelgewicht 15–25 kg, Rohrgewicht 2,5-3 t, Rohrlänge 17 Kaliber.
Halbkartaune : Kaliber 12-14 cm, Kugelgewicht 7-14 kg, Rohrgewicht 1,5-2 t, Rohrlänge 17 Kaliber, Preis 916 Gulden.
Viertelkartaune: Kaliber 11,4 cm, Kugelgewicht 6 kg, Rohrgewicht ? t, Rohrlänge 24 Kaliber.
Falkaune (mittlere Feldschlange): Kaliber 9,1 cm, Kugelgewicht 3 kg, Rohrgewicht ? t, Rohrlänge 27 Kaliber, Preis 620 Gulden, Lafette 118 Gulden.
(In der Literatur weichen die Maß- und Gewichtsangaben teilweise voneinander ab. Preisangaben Stand 1609)

Das Kaliber entspricht dem Durchmesser der Kugel. Eine Halbkartaune Kaliber 12 – 14 cm hat bei einer Rohrlänge von 17 Kalibern eine metrische Rohrlänge von 2,04 m bis 2,38 m.

Im Laufe des 16. Jahrhunderts änderten sich die Kanonenbezeichnungen. So wurden entsprechend dem Kugelgewicht die Kartaunen zu 48-Pfündern, die Halbkartaunen zu 24-Pfündern, die Viertelkartaunen zu 12 Pfündern und die Falkaunen oder Feldschlangen zu 6 Pfündern.

Die genannten Geschütztypen waren vorwiegend Belagerungsgeschütze. Sie fanden auch als ortsfeste Festungsgeschütze Verwendung. Wegen ihrer Schwerfälligkeit und geringen Kadenz (Schussfolge) waren sie für den mobilen Einsatz wenig geeignet.
Die Kadenz betrug nach G. Schreiber 50 Schuss und nach W. Claesz 80 bis 100 Schuss pro Tag, wobei anzunehmen ist, dass nicht der 24-Stunden-Tag gemeint war. Claesz gab die Kadenz pro Stunde mit 10 Schuss an.
Wie dem auch sei, die Schussfolge war sehr gering, denn das laden war umständlich und zeitaufwendig und nach jedem Schuss musste das Geschütz neu ausgerichtet werden. Nach einer Serie von Schüssen entstanden Zwangspausen, weil die heißen Geschütze abgekühlt werden mussten.

Zur Bekämpfung beweglicher Ziele (Truppen, Tross) gab es die Feldgeschütze. Sie waren für den mobilen Einsatz besser geeignet.

Und nun zur Burg Steinbrück:

Nachdem sich die Burg Steinbrück seit dem Jahre 1523 in Herzoglich-Braunschweigischem Besitz befand, musste sie im Jahre 1643 aufgrund des Sonderfriedens an das Stift Hildesheim zurückgegeben werden.
Mit dem Ende des 30-jährigen Krieges hatte sie ihre Bedeutung als Festung verloren. Es wurde damit begonnen, Festungsmauern niederzureißen, Wälle abzutragen und Gräben zuzuschütten. Von dem ursprünglich 30 m hohen Zwinger (Kehrwieder) blieb nur ein Stumpf über, der heute als Kirche dient.

Hermann Adolf Lüntzel berichtete sinngemäß folgendes:
Der Zwinger (Kehrwieder) wurde im Jahre 1660 abgenommen. Im Jahre 1667 war die Festung eingerissen, ein Wall in den Burggraben geworfen und dort ein Garten angelegt.
Kurfürst Maximilian Heinrich hatte von dem Gerücht gehört, dass im aufgefüllten Burggraben einige Halbkartaunen liegen könnten. Er fand es schade, wenn sie dort liegenbleiben und verderben sollten. Deshalb wandte er sich am 24.3.1667 an das Domkapitel und bat um die Erlaubnis, die Kanonen durch seinen Obristen von Hell bergen zu dürfen. Das Domkapitel lehnte ab, weil die angepflanzten Obstbäume leiden würden und die Brauerei eingestellt werden müsste.
Ein wesentlicher Grund war aber wohl der Zweifel am Wahrheitsgehalt des Gerüchtes. Bereits der geheime Rat von Landsberg wollte durch einen englischen Ingenieur einen Bergungsversuch unternehmen lassen, machte aber wegen der zu bezweifelnden Angaben einen Rückzieher.

Möglicherweise hat es sich wirklich nur um ein Gerücht gehandelt. Denn es ist unwahrscheinlich, dass die Braunschweiger bei Übergabe der Festung ihre wertvollen Geschütze zurückgelassen haben. Selbst unbrauchbare Geschütze hätte man wegen des hohen Materialwertes nicht im Burggraben verbuddelt. Ein lizenzierter Sondengänger könnte Gewissheit verschaffen.

Das einzig Sichere ist, dass es auf der Burg eine unbekannte Anzahl von Kanonen gab.
Es könnten Halbkartaunen gewesen sein. Darauf deutet die Tatsache hin, dass an der südlichen Außenwand des Zwingers 3 Kanonenkugeln eingelassen sind, die einen Durchmesser von rund 14 cm haben. Außerdem ist ein Kugelloch von 14 cm Durchmesser vorhanden. Diese Maße entsprechen exakt dem Kaliber der Halbkartaune. Die vierte Kugel, deren Durchmesser 18 bis 20 cm beträgt, ist einer Kartaune bzw. Doppelkartaune zuzuordnen.
Die Kugeln müssen nicht zwingend zu Geschützen der Burg gehört haben. Aber sie können die Vermutung stützen, dass es dort Halbkartaunen gab. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es sich lediglich um Überbleibsel von Belagerungen handelt.

Ob auf der Burg Feldgeschütze standen (z.B. Falkaunen, Feldschlangen) ist nicht bekannt.

Gute Kanonengießer (Büchsenmeister) waren Mangelware und sehr begehrt. Sie hielten sich vorwiegend an zahlungskräftigen Fürstenhöfen auf.
Wenn man bedenkt, dass eine Halbkartaune mit Lafette im Jahre 1609 bei Dambachs Büchsenmeisterei je nach Ausführung mit mindestens 1.100 Gulden anzusetzen ist, kann man sich vorstellen, dass die Burg Steinbrück nur sehr spärlich mit Geschützen bestückt war.

In dem Heft „Diener zweier Herren“ (Verfasser H. Willich) steht (leider ohne Quellenangabe) auf Seite 39, dass auf dem Zwinger 6 große Kanonen in sternförmiger Anordnung standen. Ich halte das für unwahrscheinlich.
Gründe:
Es dürfte bei den damaligen Hilfsmitteln eine technische Herausforderung gewesen sein, sechs Halbkartaunen, jede 2 Tonnen schwer, 30 m hochzuhieven. Die Geschütze hätten das Turmdeck mit 12 Tonnen schwer belastet, insbesondere wenn mehrere Geschütze gleichzeitig feuerten. Ausschlusskriterien sind das jedoch nicht. Man denke nur an die Schiffsgeschütze.
Mit 6 Kanonen auf dem Turm entstünde im Verteidigungsfalle ein heilloses Chaos. Die Halbkartaunen, von denen jede ohne Lafette mehr als 2 Meter lang war, rollten nach jedem Schuss durch den Rückstoß in Richtung Turmmitte und konnten die Mannschaft gefährden. Dennoch war der Rücklauf von Nutzen, denn es handelte sich ja um Vorderlader und bei denen brauchte man zum Nachladen ausreichend Raum.
Da sich die Kanone nicht mit zwei Mann bedienen ließ, müsste es von Bedienungspersonal nur so gewimmelt haben. Vor lauter Schwarzpulverdampf hätten die Geschützbedienungen nichts sehen können. Schwere Unfälle wären nicht auszuschließen gewesen.
Mit den Kanonen auf dem Zwinger wären nur die Nord- und Westseite der Burg zu verteidigen gewesen, denn Ost- und Südseite des Burgbereiches waren durch Gebäude verdeckt.
Eine Kanone, die im Ernstfalle auf dem Turm nicht benötigt würde, an einer anderen Stelle aber fehlte, hätte nicht rechtzeitig umgesetzt werden können.
Logischerweise wären die wenigen vorhandenen Kanonen dort eingesetzt worden, wo sie den größten Nutzen hervorriefen.

Unter Berücksichtigung all dieser Argumente bleibt nur der Schluss, dass es auf dem Zwinger höchstens eine Kanone gegeben haben kann.

Quellen: Wikipedia; Hermann Adolf Lüntzel, Geschichte der Burg Steinbrück; Archiv für die Offiziere der Königlich Preußischen Artillerie Band 7; Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste S.167; Dorothea Goetz, Die Anfänge der Artillerie.

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Heise aus Ilsede

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