In Rössing war es dunkel

In den ersten Nachkriegsjahren nahmen es die Leute ohne besondere Aufregung hin, wenn der Strom zeitweise abgeschaltet wurde. Stromsperre hieß das und gehörte zum Alltag.
Wenn es damals für die Stromsperrzeiten Vorankündigungen oder Regelmäßigkeiten gegeben haben sollte, erfuhr ich davon nichts. Vielleicht hielt ich es für nicht so wichtig, dachte nicht weiter darüber nach, so dass es nicht im Gedächtnis haften blieb.
Die Abhängigkeit vom elektrischen Strom war ja unvergleichlich viel geringer als heute. Ich war damals wohl zehn Jahre alt, und glaube, heute können sich Gleichaltrige das gar nicht recht vorstellen. Für sie, und somit auch für meine Enkel, will ich versuchen ein Bild von jener stromlosen Zeit zu beschreiben.
In unserer Wohnung in Rössing Loderwinkel mag es insgesamt sechs oder gar sieben Glühlampen gegeben haben, zwei davon in der Wohnküche, die zugleich als Schneiderwerkstatt meines Vaters diente. Sonst gab es noch in jedem Raum, meist nur mitten unter der Zimmerdecke eine Lampe, So auch in der Abstellkammer und der großen Diele mit der Holztreppe. Das mußte für den Treppenaufgang und unsere Dreizimmer-Mietwohnung reichen.
Strahlende Helligkeit gab es folglich nirgends, weder an der Nähmaschine und noch am Schneidertisch meines Vaters, doch der stand immerhin nahe am Fenster. Am Küchentisch ließ sich die Lampe soweit herunterziehen, dass es für die Schularbeiten reichte.

Ach ja ganz wichtig waren zwei Steckdosen in der Küche, eine für das Bügeleisen am Schneidertisch eine weitere für das Radio, ein alter Volksempfänger stand auf einem winzigen Regalbrett, das an der Wand nahe dem Sofa befestigt war.
Bei so wenigen Lichtquellen fiel der Unterschied zwischen abendlichem Dämmerlicht und Dunkelheit bei Stromsperre nicht sonderlich auf. Es war manchmal sogar angenehm die Abenddämmerung als Ausklang des Tages auch innerhalb des Hauses zu spüren.

Was dagegen richtige Dunkelheit bedeutete und welche Ängste sie wecken konnte erlebte jeder, der spät abends oder gar nachts zur Toilette gehen musste. Treppe hinunter, zwanzig tastende Schritte an der Scheunenwand entlang, um die Ecke bis zum zweiten Pfosten des großen Scheunentors, ein paar Schritte noch bis zur Klotür, die ließ man besser offen, bis man sein Geschäft erledigt hatte, nicht wegen des Lichtmangels, sondern um dem Ekel und der Erstickungsgefahr entgegen zu wirken.

Außerhalb der Häuser herrschte in unserer heutigen Umgebung kaum zu findende Finsternis. Noch immer gab es Fenster mit Rollos aus schwarzen Papier. Jahrelang herrschte ein strenges Verdunkelsgebot. Kein Lichtstrahl durfte nach draußen dringen. Straßenlaternen gab es folglich nicht. In vielen Ortschaften blieb es nachts also absolut dunkel.
Von solch einer stockdunklen Nacht ist die Rede in einer Geschichte, die man sich in Rössing erzählte.
Nach einem Skatabend bei Willenbrink machten sich zwei Bauern und ein Knecht auf den Heimweg. Der Knecht hatte am Tisch die wohlhabenden Bauern mehrfach aufgefordert "noch ne Runde Lüttge Lage zu schmeißen." Sie hatten sich nicht lumpen lassen. Noch eine, dann sollte Schluss gemacht werden. Man ging gemeinsam zur Theke. "Das waren sechs Runden,"sagte der Wirt, nannte den Betrag und die Bauern fummelten in ihren Jacken nach dem Portemonnaie. Hatten es bereits in der Hand, da sagte der Knecht zum Wirt: "Na dann schenk' noch'n Korn ein, Albert." So geschah es.
Der Albert Willenbrink kassierte, gab den Bauern den Restbetrag zurück und schob einen Doppelkorn für den Knecht über die Theke. Der achtete nicht auf die verblüfften Gesichter seiner Skatbrüder, kippte den Korn hinter die Binde, sagte "Bezahlt ihr den mal." und stand schon in der Diele als die Bauern ihn zur Rede stellen wollten. Aber schnell trennten sich ihre Wege. Zwei wandten sich der Haustür zur Kirchstraße zu. Der Knecht wohnte am unteren Ende der Langen Straße und wankte zur Hintertür hinaus.
"Wenn der jetzt wie immer über den Steg am Pump will, kommen wir noch auf unsere Kosten. Wollen mal sehen, ob der heute heil über die Beeke kommt."
Die beiden Bauern feixten, nahmen einen kleinen Umweg in kauf um eher an der Beeke zu sein als der Knecht. Sie drückten sich in die Büsche, als sie ihn murmelnd kommen hörten. Er schimpfte über die Finsternis, dann flucht er sogar, auch über das aufkommende Gewitter. Er stand vor den Brettern, die über den Bach gelegt waren, stierte diesen schmalen Steg an, machte sich startbereit und betete: "Laiver Gott lat's noch ainmal blitzen. Eck will och nie wedder supen!"
Die Bauern knufften sich gegenseitig in die Seiten, erwarteten einen Plumps ins Wasser.
Es blitzte. Schon sahen sie ihren Gefährten am anderen Ufer sich dem Himmel zuwenden und hörten ihn sagen:"Anscheten, eck supe morgen doch weddder."

Keiner von ihnen ahnte am kommenden Skatabend, warum der Knecht mit einem Pflaster auf der Stirn und einem steifen, eingegipsten Arm erschien.
"Na, Du bist wohl gestern in die Beeke gefallen?"
"Nö, wie kommste denn darauf?"
Der Wirt wußte es besser
Im Dorf wurde gemunkelt, seine Frau habe ihn an der Wohnungstür mit einem Krückstock empfangen Als er besoffen ankam wurde er von seiner Frau empfangen. Sie habe ihm eins auf den Schädel geben wollen, Dass sie nicht richtig getroffen nämlich statt des Kopfes nur den Arm getroffen habe, täte ihr leid wusste die Nachbarin zu erzählen.

Bürgerreporter:in:

Rolf Schulte aus Hildesheim

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