Kolumbien

Karte aus dem Buch: Kolumbien verstehen | Foto: Patrizia Grab; Buchdruck und Satz. Kolumbien verstehen, von Werner Hörtner
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Friedensbemühungen im Focus

Ein VEN-Stammtisch-Thema

In regelmäßigem Abstand findet sich eine kleine Gruppe Aktiver VEN-Mitglieder zusammen und bespricht aktuelle Themen.
Diesmal aus aktuellem Anlass, ist es der Friedensprozess in einem südamerikanischen Land, welches wir in Europa nur als Kokainanbaugebiet kennen.
Nach über 50 Jahren des Krieges und fast vier Jahren der Verhandlungen, haben die kolumbianische Regierung und die FARC‐EP einen endgültigen Waffenstillstand vereinbart. Jetzt muss am 2. Oktober noch die Bevölkerung über das Friedensabkommen abstimmen. Doch der Friedensvertrag ist nicht unumstritten. Welche Perspektiven und Positionen gibt es? Und: wird der Frieden halten?

Graciela Guaqueta-Korzonnek (Südamerika-Zentrum Hannover, Casa Latina) und Vorstandsmitglied beim Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e.V. (VEN), die selbst aus Kolumbien stammt, hat im Rahmen des Stammtisches über den Friedensprozess berichtet und eine Einschätzung der Entwicklungen vorgetragen. Überraschungsgast ist Florian Paulus, der in Kolumbien eine Zeitlang lebte.

Doch zuerst ein kleiner Überblick zur Geschichte:
In Kolumbien herrscht seit 1964 ein Guerillakrieg. Linksgerichtete Terrorgruppen kämpfen gegen die Regierung. Drogenkartelle erschweren / unterbrechen immer wieder den Friedensprozess und Menschen verschwinden auf nimmer Wiedersehen … einfach nur so.
Im September 2012 endlich Hoffnung auf Frieden.

Die Ursachen kurz zusammengefasst:
• Demokratische Fassade, dahinter haben Ausbeutung der Bevölkerung und Gewalt in Form von Guerillagruppen das Land im Würgegriff.
• Der Anbau von Kokain ist das Geschäft der kolumbianischen Rauschgiftmafia, die Angst und Schrecken verbreitet und so Menschen auf Abstand hält.
• Überfälle und Raubzüge sind (fast) an der Tagesordnung. Mord ebenso.
• Anhaltende wirtschaftliche und soziale Probleme verschlechtern die Lage. Elend und Armut wohin man schaut.
• Korrupte Politiker und Beamte – man kann niemandem trauen.
• Menschen werden Grundlos ermordet – viele Verschwinden und tauchen nie wieder auf. Selten werden die ermordeten Menschen gefunden. Die Mörder werden, wegen der Korruption, nicht verfolgt, gefasst und zur Verantwortung gezogen.
• Die Bevölkerung will ein Ende, aber die Korruption verhindert jegliche Aufklärung oder polizeiliche Eingriffe.
• Es gibt keine Menschenrechte – ein Land im rechtlosen Raum.
• Ausbeutung der Bodenschätze – Ausverkauf der Grundlagen an Fremdfirmen (US)

Die Konfliktparteien und ihre Ziele:
• FARC: marxistisch-leninistische "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens"; größte Guerillaorganisation, schätzungsweise 7.000 bis 15.000 Mitglieder. Gute Kontakte zur kolumbianischen Kommunistischen Partei; daher auch politisch ziemlich einflussreich.
• ELN: marxistische "Nationale Befreiungsarmee", zweitgrößte Guerillaorganisation, schätzungsweise 3.000 bis 5.000 Mitglieder. Gegründet Anfang der 60er Jahre von Priestern. Ziel: Ausbeutung, Gewalt und Elend zu beseitigen. Berüchtigt wurden ihre Anschläge auf Pipelines ausländischer Ölfördergesellschaften. Ihr Führer war lange Jahre Manuel Perez.
• KOKAINMAFIA möchte den internationalen Rauschgifthandel verbreiten.
• rechtsextreme sog. TODESSCHWADRONEN
• REGIERUNG versucht den Rauschgifthandel zu bekämpfen.

nicht mehr aktiv:
• EPL: maoistische "Volksbefreiungsarmee"
• M-19: linksnationalistische Bewegung "M-19"
• RPT: "Revolutionäre Arbeiterpartei"
• QUINTIN LAME: indianische Guerilla-Bewegung

Mehr als 200.000 Menschen kamen ums Leben (Haller Tagblatt, 6. September 2012). … wikipedia 2016

Dazu kommen die rücksichtlose Ressourcenausbeutung und massive Umweltzerstörung. Die Schieflage entsteht vor allem durch die große Armut in den ländlichen Gebieten gegenüber einer wirtschaftlich aufstrebenden Stadtentwicklung mit wachsendem Mittelstand, vor allem in der Nordwestlichen Region des Landes und Hauptstadt Bogota. Es fehlt an festen Grundstrukturen im gesamten Land. Ein Konzept für Agraranbau für eine gesunde Landwirtschaft mit Kartoffelanbau u.a. gibt es nicht. Grundbesitz wird oft gewechselt und Grundbucheinträge gibt es nicht und Eigentumsverhältnisse bleiben unklar. Aber ohne Strukturen wird es auch keine Weiterentwicklung geben. Flüchtlinge gehen in die Großstadt – man nennt sie Binnenflüchtlinge.
Ein Freihandelsabkommen zw. den USA und Mexiko haben die Wirtschaft Mexikos zerstört, ähnlich, wie ein EU-Abkommen mit Afrika, die Infrastrukturen durch Billigprodukte überschwemmen und damit den Markt der einheimischen Bevölkerung mit den eigenen Produkten zerstört. Ähnlich geht es Kolumbien, deren in erster Linie indigene Völker die Ärmsten des Landes darstellen und oft am Rande der Gesellschaft leben, aber auch den Hauptanteil der Landbevölkerung darstellen.
Die Drogenmafia hat sich in den südöstlichen Landesteilen niedergelassen. Sie entführen Menschen aus den Dörfern und halten sie gefangen - als Druckmittel, um den Koka-Anbau zu organisieren. Die Menschen werden vom Koka-Anbau abhängig gemacht. Wehren sie sich, werden sie einfach erschossen. Der Anbau lohnt sich und ist lukrativ … ein (1 g) Gramm Kokain kostet in Kolumbien ca. 8,-€,in der EU/D. ca. 120,-€.
Auf den einsamen Straßen, oft ist es eine einzige ohne Abzweige die durch den Dschungel führen, sind Verbrecher unterwegs, die Kontrollen durchführen – einer Polizeikontrolle ähnlich, aber mit ungewissem Ausgang.
Florian Paulus hat in Kolumbien gelebt und ist in eine solche Kontrolle geraten. Er berichtet, dass die Männer oft schon schießen bei dem geringsten Verdacht Kontakte zu einer gegnerischen Gruppe oder der Politik des Landes hat. Es ist eine Angst, die uns fremd ist. Die Angst jetzt sofort und nicht immer schnell, sein Leben zu verlieren wegen: Nichts.
Kolumbien ist der südamerikanische Staat mit den meisten Toten … Entvölkerung findet durch Erschießung statt. Manche Dörfer werden geradezu ausradiert. Was bleibt, sind zerstörte Häuser und Tote – Männer, Kinder, Frauen vergewaltigt und erschossen. Es wird kein Unterschied gemacht. Die wenigen Überlebenden, die entweder fliehen konnten oder gerade woanders unterwegs waren, können ihre Verwandten, Nachbarn und Freunde nur noch beerdigen.
Entwicklungsgelder sind für Kolumbien keine Lösung … sie versickern dank der Korruption in unsichtbaren Kanälen der Politik. Aber auch im Kleinen ist die Korruption fest installiert. Alles und jeder ist käuflich, so scheint es, und wenn nicht, wird er bedroht oder erschossen.

In diesem Jahr (2016) wurde dem kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos für seine Bemühungen im Friedensprozess der Friedensnobelpreis zuerkannt.
Doch es regt sich Widerstand. Die fliehende Landbevölkerung (ca. 20%) lässt verwaistes Land zurück. Landveräußerung an ausländische Investoren verschärfen den Zustand und fördern den angeblich legalisierten Landraub.
Der Friedensvertrag ist nur einhaltbar, wenn die Strukturen und Überwachungsmechanismen in dem großen Land gewährleistet sind. Erst wenn Korruption in Regierung, Staatsmacht Polizei und Mafia bekämpft und die Landbevölkerung nicht mehr drangsaliert werden, der Raubbau an Bodenschätzen aufhört, kann der Frieden dauerhaft halten.

Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e.V. (VEN) - Stammtisch mit Graciela Guaqueta-Korzonnek und Florian Paulus erzählten viel an diesem Abend, der über eine normale Information weit hinausging.
Florian Paulus schenkte mir bei einem späteren Gespräch ein Buch über Kolumbiens Geschichte. Ich kann hier nicht alles, was ich gehört und gelesen habe, niederschreiben und im Detail wiedergeben, aber eine Buchempfehlung für Interessierte: „Kolumbien verstehen“ von Werner Hörtner, ISBN 978-3-85869-326-6, 2. aktualisierte Auflage 2007 – es könnte eine neuere Neuausgabe geben – das habe ich nicht recherchiert.

Textbild von der giz – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH mit Genehmigung; Graciela Guaqueta-Korzonnek und auch über VEN
Bildvorlagen Kolumbien aus dem Internet von u.a. Peter Fitzgerald und inkl. Text-Teilentnahme aus einer öffentlich bereit gestellten Schülerarbeit und wikipedia

… von der Nicht-Südamerika-Kennerin Francis Bee

Bürgerreporter:in:

Francis Bee aus Hannover-Südstadt

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