Vor 66 Jahren endete der 2. Weltkrieg – Was erinnert heute in Hannover noch daran? Eine Spurensuche

Friedhof der Commonwealth-Staaten in Ahlem, der Englischer Friedhof genannt wird.
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  • hochgeladen von Kurt Wolter

Es war vor 66 Jahren, der 8. Mai 1945, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Am 9. Mai unterzeichnete Wilhelm Keitel den Vertrag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte. Deutschland war am Ende, das übrige Europa konnte aufatmen. In einigen Ländern wurde der Tag zum nationalen Feiertag erklärt. Nach heutigen Schätzungen fanden etwa 55 – 60 Millionen Menschen den Tod, annähernd die Hälfte davon aus der Sowjetunion. Fast sechs Millionen Polen. Das sind Zahlen, die so ungeheuer groß sind, dass man sie sich nicht vorstellen kann, dass man sie nicht fassen kann. Um sie zu verdeutlichen: Es ist weit mehr als das Hundertfache der Einwohnerzahl Hannovers. Es ist weit mehr als das Eintausendfache der Menschen, die ins Stadion am Maschsee passen. Das sind nur Zahlen. Aber hinter jedem dieser 55 – 60 Millionen Menschenleben steht ein schlimmes Einzelschicksal, und das betrifft nicht nur den Einzelnen selber, sondern auch dessen ganze Familie. Und das geschah bei einem Krieg, der von deutschem Boden ausging, an dem Deutschland die alleinige Schuld trägt. Auch wenn es im Verlaufe des Krieges und auch danach von anderen Seiten zu Gräueltaten gekommen ist, zu Flucht und Vertreibung, zu Vergewaltigungen, zum Massensterben in den Kriegsgefangenenlagern, so ist das doch alles eine Folge des deutschen Großmachtstrebens, des deutschen Angriffskrieges, der deutschen Willkür, und deswegen liegt die alleinige Verantwortung dafür auch bei unserem Land.

Sechs Millionen Juden, Kinder, Frauen und Männer, von denen der Großteil nicht weniger deutsch war als christliche Deutsche auch und Hunderttausende Sinti und Roma wurden in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern auf schlimmste Weise ermordet. Familien in anderen Ländern wurden für Jahre auseinandergerissen, weil Deutschland Zwangsarbeiter, von denen viele nicht überlebten, für die Rüstungsproduktion benötigte. Städte und Dörfer wurden zerstört. Etwa 70.000 Ortschaften durch die deutsche Wehrmacht allein in der Sowjetunion. Und auch Deutschland war nach Kriegsende nicht wiederzuerkennen. Nachdem es den Alliierten durch Luftangriffe auf Industrieanlagen und damit auf die Rüstungsproduktion nicht gelang, Deutschland in die Knie zu zwingen, sahen sie als letzten Ausweg, den Krieg zu beenden, darin, auf deutschem Boden durch Luftangriffe so viel wie möglich an Städten und Menschenleben zu vernichten. Das führte schließlich zum Ende des Krieges. Es war ein Schreckenszenario ungeahnten Ausmaßes.

Wie so viele Großstädte, hatte es auch Hannover schwer getroffen. Die Innenstadt war nur noch ein einziges Trümmerfeld. Von den 150.000 Wohnungen der Stadt war etwa ein Drittel total zerstört. 60.000 andere hatten mittelschwere Schäden erlitten. Nur 30.000 waren leicht oder gar nicht beschädigt. Aber es gab in Hannover längst nicht so viel Tote, wie es das zerstörte Stadtbild vermuten lässt. Die rechtzeitige Anlegung von Schutzräumen, Bunkern und auch die vielen Grünflächen trugen dazu bei.

Heute ist von diesem schrecklichen Krieg auf den ersten Blick in unserer Stadt nicht mehr viel zu sehen. Doch wer auf Spurensuche geht und die Stätten, die noch darauf hinweisen, aufsucht, der kann noch immer Vieles entdecken. Und an manchen dieser Stätten werden sich ihm die Bilder tief einprägen.

Das eindrucksvollste Beispiel ist wohl der britische Soldatenfriedhof der Commonwealth-Staaten in Ahlem. Über 2.400 Soldaten haben dort ihre letzte Ruhestätte gefunden. Wenn man durch die langen Reihen der schneeweißen Grabsteine geht und bedenkt, dass es alles junge Männer waren und die meisten von ihnen nicht viel älter als 20 bis 30 Jahre geworden sind, dann läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken, und dann bekommt man eine Ahnung davon, was dieser Krieg angerichtet hat. Auch wenn man die grausamen Bilder davon im Fernsehen zig mal gesehen hat, so ist es doch noch etwas anderes, wenn man vor den Gräbern der Opfer selber steht. Es sind so viele. Dieser Anblick ist nicht leicht zu verdauen.

Mehrfach erinnert an den Krieg wird man auf dem Seelhorster Friedhof. Dort findet man zunächst das unscheinbare Ehrengrab von Wilhelm Fahlbusch, der Mitglied der Vereinigung „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ war. Er war eines der ersten Naziopfer. Er starb 1933 im Alter von 26 Jahren an den Misshandlungen von SA-Schlägern.
Nicht weit entfernt davon gibt es ein Mahnmal, dass an die Ermordung von 153 hauptsächlich sowjetischen Kriegsgefangenen erinnert. Am 6. April 1945, vier Tage vor dem Eintreffen der Amerikaner in Hannover, mussten die Zusammengetriebenen auf dem Friedhof zunächst ihr eigenes Grab schaufeln, bevor sie von der Gestapo erschossen und verscharrt wurden. Einem einzigen gelang die Flucht. Er konnte ein paar Tage später die Amerikaner zu diesem Massengrab führen. Bald darauf, am 2. Mai, wurden gefangene Nazis von den Besatzern dazu gezwungen, das Massengrab auszuheben. 525 Leichen wurden entdeckt, davon 386 in einem Trauerzug zum Maschsee überführt, wo sie am Arthur-Menge-Ufer beigesetzt wurden.
Ein Stück weiter findet man unter Bäumen die Gräber verschiedener Nationalitäten. Über 4.000 Kriegsopfer wurden dort bestattet. Viele von ihnen sind durch die Luftangriffe der Alliierten ums Leben gekommen. Eine weiße Säule mit den Jahreszahlen des Krieges erinnert daran.
Gleich nebenan gelangt man zur Ehrenanlage niederländischer Kriegsgräber. Wenn man in der Eingangspforte der Anlage steht, wird man an den Friedhof in Ahlem erinnert. Mehr als 400 weiße Grabsteine stehen dort aneinander aufgereiht. Ein Denkmal weist auf 1900 holländische Kriegsgefangene hin, die im KZ Bergen-Belsen ums Leben kamen.
Ebenfalls viele Kriegsgräber gibt es auf dem Stöckener Friedhof. Auch das ein ergreifender Anblick. An einem großen Holzkreuz reihen sich die vielen Grabsteinreihen neben- und hintereinander auf. Ein großes Steinkreuz würdigt zusätzlich das weitläufige Gräberfeld.
Wünschen würde ich mir bei den Anlagen der deutschen Kriegsgräber, so wie es auch die Engländer und die Holländer haben, Hinweistafeln, die Erläuterungen dazu abgeben.

In der Innenstadt erinnert noch vieles an den Krieg. Am Opernplatz steht das 1994 errichtete Holocaust-Mahnmal. Über 2.000 Namen hannoverscher Juden, die deportiert und ermordet wurden, sind dort in den Stein eingraviert. Die meisten von ihnen kamen nach Riga, viele auch nach Theresienstadt. Wenn man sich die endlosen Namensreihen, die Jahreszahlen und die Deportationsorte ansieht und einzelne davon liest, dann fühlt man sich, auch wenn man damals noch nicht geboren war und allein deswegen, weil man ein Deutscher ist, auf irgendeine Art mitschuldig. Man kann das alles nicht fassen, und man schämt sich zutiefst für sein Land.
Seit 700 Jahren leben Juden in Hannover. Als am 10. Mai 1945 die Amerikaner in der Stadt einmarschierten, waren von den einstigen 6.000 Juden nur noch 100 übrig geblieben. Heute sind es bei steigender Zahl wieder über 3.000 Juden.

Nicht weit entfernt, in der Calenberger Neustadt, erinnert an der Straße Rote Reihe ein Denkmal an den Standort der einstigen jüdischen Synagoge, die 1870 eingeweiht und 1933 bei den Progromen der Nazis zerstört wurde.

Dass der 2. Weltkrieg wirklich ein weltweiter Krieg war, erfährt man auf der Alten Bult. Dort gibt es den Hiroshima-Gedenkhain, der aus 110 Kirschbäumen besteht. Davor befindet sich ein Mahnmal. Ein rechteckiger Granitstein erinnert an den ersten Atombombenabwurf. Er gehörte zur Straßenbefestigung in Hiroshima und lag zwischen den Straßenbahnschienen, nur 200 Meter vom Explosionsort entfernt. Als die Bombe am 6. August 1945 morgens um 8.15 Uhr gezündet wurde, fanden 110.000 Menschen sofort den Tod. Wenn man an die Bilder der Atompilze denkt, die man aus dem Fernsehen und aus Geschichtsbüchern kennt und die bei den oberirdischen Tests in den 1950er Jahren in Nevada, in Kasachstan und auf dem Bikini-Atoll zu Versuchszwecken gezündet wurden. Und wenn man sich dann vorstellt, dass das selbe über den Städten von Hiroshima und Nagasaki geschah, dann kann man das einfach nicht begreifen, und dann fragt man sich, was der Mensch eigentlich für ein Wesen ist und ob er diese Erde überhaupt verdient hat. Und dann zweifelt man daran, zweifelt ebenso daran wie vor dem Holocaust-Mahnmal am Opernplatz.

Mehrere Konzentrationslager gab es in Hannover: In Langenhagen, am Mühlenberg, in Limmer, zwei in Stöcken, in Misburg und in Ahlem. Etwa 9.000 Zwangsarbeiter waren dort untergebracht. Sie mussten unter schlechtesten Lebensbedingungen, wie z. B. ungenügender Ernährung, Schikanen und Drangsalierung, äußerst hart arbeiten. 12 Stunden am Tag und länger. Mehr als 2.000 von ihnen fanden den Tod, wurden zum Teil ermordet. In Ahlem neben dem Soldatenfriedhof gibt es für das dortige KZ ein Mahnmal. Die Zwangsarbeiter verschiedener Nationalitäten - auch Juden, die doch Deutsche waren, eben wie Katholiken und Protestanten auch - mussten dort Luftschutzstollen in den Boden graben, da es vermehrt zu Fliegereinsätzen der Alliierten kam und die überirdischen Gebäude der Conti für die Produktion nicht mehr sicher waren. Hergestellt wurden bei der Conti Flugzeugreifen und Teile für Gasmasken.
In Linden erinnern die Fassaden alter Hanomaggebäude an den Krieg. Nachdem dort zunächst Lokomotiven und der Vorläufer des Volkswagens, das sogenannt Komissbrot, produziert wurden, waren es zur Nazizeit Teile für U-Boote, Panzer und Geschütze. Und bei dieser Rüstungsproduktion mussten Zwangsarbeiter Kriegsmaschinen bauen, die gegen ihr eigenes Land, gegen ihr eigenes Volk und gegen ihren eigenen Familien eingesetzt wurden. Heute wird an der U-Boot-Halle, unter Erhaltung der roten Backsteinfassade, ein Wohn-, Büro- und Gewerbepark eingerichtet.

Auch am Maschsee wird man an den Nationalsozialismus erinnert. Ob es der goldene Putto auf dem Musikpavillon ist, der Fackelträger auf der Säule, aus der das Hakenkreuz unter dem Adler entfernt wurde, der Fischreiter, das Menschenpaar an der Geibelstraße, für das kurioserweise Juden Modell standen, die Löwen an der Bastion oder der Schwimmer am Strandbad. Alle diese Werke stammen aus der Nazizeit. So auch der Maschsee selber, der aber schon 1925 geplant war und bei den Nazis zur Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der NSDAP wurde. Im Frühjahr 1935 war dessen Anlegung durch Menschenhand vollendet. Wie man mit den dortigen Bronzefiguren umgehen soll, wie man sie bewerten soll, darüber will die Stadt demnächst am Nordufer unter dem Motto „Für die einen Kunst, für die anderen Propaganda“ auf Hinweistafeln Erläuterungen abgeben.
Ein weiteres Mahnmal ist die Aegidienkirche aus dem 14. Jahrhundert. 1943 wurde sie bei einem Fliegerangriff zerstört und bis auf den Turmaufsatz nicht wieder aufgebaut. Unten im Turm hängt eine Friedensglocke, die unsere Partnerstadt Hiroshima unserer Stadt zum Geschenk gemacht hat. Jeweils am 6. August, dem Tag des ersten Atombombenabwurfes, wird sie als Erinnerung an Hiroshima angeschlagen.
Die Marktkirche hingegen, die völlig ausgebrannt war, wurde bis 1952 wieder aufgebaut. An der Bronzetür des Eingangsportals erinnert der Bildhauer Gerhard Marcks, der sich weigerte dort christliche Szenen zu verwenden, mit verschiedenen Motiven aus dem Leben, die er bis auf die Hinrichtungszene selber erlebt hat, an Kriegszeiten. Unter anderem hat er links oben einen Redner dargestellt, dessen beide Zuhörer den Hitlergruß zeigen. Abgebildet sind auch die Motive von Kriegsopfern und die eines Panzers.

Und noch etwas erinnert in Hannover an den Krieg, von dem die meisten jüngeren Menschen in unserer Stadt wohl kaum etwas ahnen. Wenn sie bei 96 in der Arena auf der Westtribüne sitzen und die Roten anfeuern, dann sitzen sie auf einem Hügel, der beim Bau des Niedersachsenstadion aus Trümmerschutt errichtet wurde. Auch wenn man auf dem Rundweg durch den Zoo bummelt und den Indischen Palast hinter sich gelassen hat, kommt man an Hügeln vorbei, die aus dem Schutt kaputter Häuser bestehen.
Woher der Trümmerschutt kommt, dass kann man heute noch sehr gut am Rande der Altstadt erkennen. Dort sind am Hohen Ufer, mit einer bebauten Leineinsel einst das Klein-Venedig der Stadt, noch die Grundmauern der dort vor dem Krieg stehenden Häuser vorhanden. Sie begrenzen das Leinebett am Ufer zur Calenberger Neustadt. Wenn man an der Schlossstraße auf der Brücke steht, so hat man einen guten Blick darauf. Man erkennt steinerne Querbalken, die aus der Wand ragen, ein kleines Kellerfenster und sogar eine zugemauerte Tür, die einmal zum Wasser hinunterführte.
Nicht weit davon entfernt am Waterlooplatz zeigt die Reformierte Kirche, was so manchen hannoverschen Kirchen fehlt, nämlich eine Kirchturmspitze. Immerhin wurde die Kirche, die stark zerstört war, wieder aufgebaut. Nicht wieder aufgebaut wurde die Nikolaikirche am Klagesmarkt. Sie wurde bei einem der schweren Bombenangriffe 1943 zerstört. Zugunsten einer großzügigen Straßenführung wurde sie, bis auf den Chorraum, der als Ruine erhalten ist, vollständig abgerissen.
Aus der Nachkriegszeit gibt es noch mehr Bausünden in unserer Stadt. Wenn man gegenüber vom Leineschloss an der Mauer zur Leine steht, dann blickt man flussaufwärts über dem Fluss vor den Wasserfällen auf die steinernen Köpfe der Wassergeister, die von einem einstigen Prachtgebäude zeugen. Über ihnen erhob sich einmal die Wasserkunst. Im Krieg wurde sie nur leicht beschädigt. Doch zugunsten einer großzügigen Straßenkreuzung und einem freien Blick auf den Landtag musste sie weichen. Heute undenkbar. 1963 wurde sie abgerissen. Ebenso das Frideriekenschlösschen auf der anderen Seite der Kreuzung, wo sich unter Bäumen eine Rasenfläche zum Waterloo-Biergarten hin ausbreitet. Das Schlösschen hatte der hannoversche König 1837 für seine Frau gekauft. 1966 wurde es aus unklaren Gründen abgerissen.
Aber manchmal gibt es auch das Gegenteil. So wurde das Leibnizhaus, in dem der große Philosoph 18 Jahre lang wohnte, wieder aufgebaut. Vor über 500 Jahren war es als Kaufmannshaus in der Schmiedestraße entstanden, dort wo sich zur Linken zum Steintor hin das große Parkhaus befindet. Seit 1983 können wir diese prächtige Fassade wieder bewundern, nun allerdings am Holzmarkt zwischen Leineschloss und Historischem Museum. Und zurzeit im Wiederaufbau befindet sich das Schloss in Herrenhausen. Wir Hannoveraner dürfen uns darüber freuen, macht es doch die sowieso schon sehenswerten Herrenhäuser Gärten noch attraktiver. Vielleicht wird ja auch irgendwann wieder die Wasserkunst über der Leine stehen. Zumindest wird darüber nachgedacht.
Es gibt noch viele andere Stellen, an denen man im Stadtbild an den Krieg erinnert wird, ohne dass man es bewusst wahrnimmt. Tagtäglich geht so mancher Hannoveraner daran vorbei, ohne ihm weitere Beachtung zu schenken. Das sind die vielen Luftschutzbunker aus meterdickem Beton, die überall zu finden sind. Ob es zum Beispiel der misburger Wasserturm ist, der Turm vom Deisterplatz in Linden, oder der größte aller Bunker, der am Herrenhäuser Markt, in dem über 3.000 Menschen Platz finden konnten. 35 intakte Bunker sind es immerhin noch, die in allen Stadtteilen zu finden sind, und manch kleiner in einem Vorgarten. Auch mehrere unterirdische gehören dazu. Zwei unter dem Bahnhof, einer unter dem Kröpcke und auch einer unter dem Klagesmarkt. Diesen Bunkern haben wir es zu verdanken, dass im Krieg, verglichen mit der Zerstörung der Stadt, relativ wenige Hannoveraner ums Leben kamen. Es waren etwa 7.000. Mehr Hannoveraner starben dagegen an der Front. Es waren 20.000. Weitere 6.000 galten als vermisst.

Natürlich sind es auch die Bomben selber, die immer und überall wieder im Stadtgebiet gefunden werden. Vermehrt, seitdem die Briten die Aufklärungsfotos aus dem Krieg zur Verfügung gestellt haben. Etwa 2.000 Blindgänger liegen noch im hannoverschen Untergrund. Um sie zu finden, müssen nach Angaben des Kampfmittelbeseitigungsdienstes noch fast 150.000 Fliegerfotos ausgewertet werden. Immer wieder führen die freigelegten Bomben zu Evakuierungen, und sie werden uns noch Jahrzehnte beschäftigen. Das Tragische dabei ist, dass diese Blindgänger auch nach so langer Zeit immer noch Menschenleben fordern können, wie bei einem Entschärfungsversuch 2010 in Göttingen, als die Bombe explodierte und zwei hannoversche Sprengmeister und ein weiterer Mitarbeiter ums Leben kamen. Im Juni 2003 musste im See der anderter Mergelgrube eine 26-Zentner-Bombe gesprengt werden, deren Zünder verrostet war und nicht entschärft werden konnte. Es war wohl die größte Bombe, die in Hannover je gefunden wurde. 100 Meter hoch soll die Wassersäule bei der Sprengung gewesen sein.
Und auch viele Bombentrichter erinnern noch an den Krieg. Allen Stadtteilen voran wohl in Misburg und Umgebung, wo die Industrieanlagen im Visier der Bomberpiloten standen.

Den Schlimmsten der 100 Fliegerangriffe, die Hannover über sich ergehen lassen musste, gab es am 9. Oktober 1943. Eine Stunde nach Mitternacht trafen 430 britische Bomber über dem Stadtgebiet ein. Mit einer neuen Zieltechnik fanden 340 Flieger davon ihr Ziel, den inneren Stadtbereich. Neben 3.000 Sprengbomben wurden fast 260.000 Brandbomben abgeworfen. Ein britischer Bomber-Commandand schätzte damals, dass zwei Quadratmeilen des Zentrums von Hannover zerstört seien. Ein unvorstellbarer Feuersturm ging in dieser Naccht durch die Stadt. Innerhalb weniger Stunden stieg die Temperatur von 10 Grad auf 34 Grad. Erst kürzlich berichtete mir eine weit über 90jährige Frau davon, die das Inferno als junges Mädchen in der Innenstadt miterlebt hatte.

Was Bomben anzurichten vermögen, das kann man am ehesten nachvollziehen, wenn man sich im großen Saal des Rathauses, wo auch das Wappen unserer Partnerstadt Hiroshima zu sehen ist, das Stadtmodell des zerstörten Hannovers anschaut und es mit dem Modell vor dem Krieg vergleicht. Es zeigt eindringlich, was Kriege anrichten können. Man ist zugleich beeindruckt und betroffen davon.
Und auch das heutige Stadtbild von Hannover, genauso wie das anderer deutscher Großstädte, erinnert an den Krieg, auch wenn wir es normalerweise nicht wahrnehmen und gar nicht darüber nachdenken. Man merkt es aber dann, wenn man in unseren Nachbarländern unterwegs ist. Dort haben die Stadtbilder einen völlig anderen Charakter. Dort stehen in den Innenstädten noch die alten Gebäude aus den verschiedensten Epochen. Meist sind die Straßenzüge eng und verwinkelt. Das ist bei uns in Deutschland anders. Unsere Stadtansichten sind modern, und die breiten Straßen sind großzügig angelegt. Ganze Straßenzüge mit alten Gebäuden sind bei uns die Ausnahme. Nur vereinzelt gibt es sie noch, wenn sie denn wieder aufgebaut wurden. Unsere Städte haben deswegen ein anderes Flair als Paris als London oder als Prag. Deswegen wirken diese fremden Stadtbilder auf uns ungewohnt, wie aus vergangenen Jahrhunderten, und in denen sind sie auch entstanden.

Nach Kriegsende wurde Deutschland von den Alliierten besetzt und in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Norddeutschland und Teile Westdeutschlands lagen in der britischen Besatzungszone. 70.000 Soldaten waren es allein in dieser Zone, die hier stationiert waren. In Hannover hatten die Briten an der Hans-Böckler-Allee Ecke Freundallee ihr Hauptquartier. Heute ist dort die Bundeswehr untergebracht. Nach Kriegsende waren es jedoch erst wenige britische Soldaten, die die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten sollten. In unserer Stadt befanden sich 42.000 zwangsverschleppte Ausländer, von denen sich viele, da die Deutschen entmachtet waren, rächen wollten. Tausende zogen marodierend durch die Trümmerfelder. Kein Hannoveraner war seines Lebens mehr sicher, viele wurden ermordet. Es dauerte eine ganze Zeit, bis die Besatzer die Lage in den Griff bekamen.
Erst nach dem Ende des Kalten Krieges, nach der Wende, zogen die Besatzer so nach und nach ab. Bis dahin war es für Norddeutsche normal, überall auf den Straßen auf britische Soldaten zu treffen. Besonders im Herbst bei den großen Manövern. Dann waren ellenlange Militärkonvois, auch der anderen Alliierten, auf Landstraßen und Autobahnen unterwegs. An der Freundallee neben der jüdischen Gemeinde, gab es für die Soldaten sogar ein englisches Kino. Erst vor wenigen Jahren haben die Briten ihre Besatzungszone vollständig verlassen.
Sicher gibt es noch das Eine oder Andere, was in Hannover an den Krieg erinnert. Wenn ich etwas vergessen habe oder mir nicht bekannt ist, bitte ich um Nachricht darum und werde es nachträglich in diesen Bericht aufnehmen.

Einen Krieg aber, den wollen wir auf europäischem Boden nie wieder erleben. Weltweit lässt sich dieser fromme Wunsch leider nicht verwirklichen. Selbst in Europa, was nach Beendigung des Kalten Krieges wohl kaum jemand für möglich gehalten hätte, kam es in den 1990er Jahren erneut dazu. Es waren die Jugoslawienkriege, die den Balkan erschütterten und bei denen die europäischen Staaten kein gutes Bild abgegeben haben.
Aber gerade wir Deutschen stehen in der Pflicht alles dafür zu tun und dabei zu helfen, wo immer es auch geht und wo andere in Not sind, dass es weltweit friedlicher wird, so schwer es oft auch sein mag. Sogar dann, wenn es Opfer kosten sollte. Wir tragen aufgrund unserer Geschichte diese Verantwortung. Wir dürfen nirgends wegschauen, und wir dürfen das damals Geschehene nie vergessen. Und unsere Kriegsmahnmale sollen uns immer daran erinnern.

Nur eines von so vielen Einzelschicksalen

Wohl jeder aus den älteren Generationen hat auch eine persönliche Erinnerung an den Krieg. Der- oder diejenige hat vielleicht ein KZ überlebt, darin jedoch die ganze Familie verloren. Ein Vater oder ein Sohn kam an der Front ums Leben. Eine Mutter hat einen Fliegerangriff nicht überlebt oder ist auf der Flucht gestorben. Kinder sind verloren gegangen oder verhungert. Väter oder Söhne sind in den Kriegsgefangenenlagern gestorben. Andere wurden als Zwangsarbeiter ermordet. Unzählige haben Wunden an Leib und Seele davongetragen.
Ich selber bin sieben Jahre nach Kriegsende geboren. Natürlich wurde zu meiner Kinder- und Jugendzeit in unserer Familie noch viel über den Krieg gesprochen. Auch der Tod meines Onkels, an dessen Gedenken ich seinen und meinen Namen erhalten habe, war oft ein Thema. Meine Großmutter, die schon im 1. Weltkrieg einen Bruder verloren hatte, hat auf den letzten Seiten ihres Familienstammbuches ihre Gedanken kurz nach Beendigung des Krieges aufgeschrieben. Als eines von so vielen Einzelschicksalen, egal auf welcher Seite, möchte ich zumindest einen Teil ihrer Gedanken wiedergeben. Anhand dieser Zeilen kann man sich sehr gut die Ängste und Nöte einer liebenden Mutter um ihre Kinder, ihre Söhne, vorstellen, von denen sie nicht wusste, ob sie noch am Leben sind, oder ob sie gefallen waren. Mit eindringlichen Worten im damaligen Stil spiegelt sie diese Zeit wieder.
Lange habe ich überlegt, ob ich etwas so Persönliches, was meine Großmutter, die 1968 gestorben ist, wirklich nur für sich aufgeschrieben hat, veröffentlichen darf. Aber dann habe ich mich doch dazu entschlossen. Ich glaube, dass diese Zeilen verstehen helfen, was für Ängste ein Krieg in den Menschen auslösen kann. Und daraus, denke ich, können wir, können auch jüngere Menschen vielleicht lernen. Lernen, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Und vielleicht kann ich ja damit auch andere ermutigen, ihre ganz persönliche Geschichte aufzuschreiben und sie ebenfalls zu veröffentlichen, denn diese Berichte und Erinnerungen müssen als Zeitzeugnisse unbedingt erhalten bleiben.

Nach Kriegsende schreibt meine Großmutter:

Hannover, den 29. Juni 1945
Mein lieber Kurti. Heute ist dein Geburtstag. 33 Jahre bist du nun geworden (nicht wissend, dass er schon tot war). Mein innig geliebtes Kind. Heute ist mir noch viel schwerer ums Herz als zu jeder anderen Zeit des ganzen Krieges hindurch es mir war. Wir wissen gar nichts von dir. Wo bist du, Kurti und wie mag es dir gehen? So viele kehrten schon zurück. Doch du und unser lieber Otti, seid immer noch nicht bei den Heimkehrenden. Nur ein Lebenszeichen von euch erhalten ist mein Warten von Tag zu Tag. Diese Ungewissheit über euer Ergehen, gar nichts von euch zu wissen, ist kaum noch erträglich. Gott im Himmel sei mit dir, mein geliebtes Kind und breite seine schützende Hand über dich und lasse dich zurückkehren ins Elternhaus. Dies ist der sehnlichste Wunsch. Deine dich inniglich liebende Mutter.

Hannover den 10. Juli 1945
Heute ist dein 28. Geburtstag, mein lieber Otti. Wie gedenken wir deiner, mein inniglich geliebtes Kind. Du weißt und hast es ja immer gefühlt, mit welcher Liebe ich immer auf euch wartete. Nun ist es jetzt das Allerschwerste, was euch und uns auferlegt ist zu tragen. Wo magst du sein, mein lieber Otti, und wie wirst du gerade heute an dein Elternhaus zurückdenken? Schon viele Jahre hindurch konntest du deinen Geburtstag nicht mehr zu Hause verleben und ich dir keinen Geburtstagstisch mehr schmücken. Aber nun ist es ja heute noch viel schlimmer, als es sonst für dich war. Kein Wort der Liebe von uns kann zu dir kommen. Nichts, gar nichts wissen wir von dir und deinem Ergehen und du nichts von uns. Deine drei letzten Briefe fanden wir hier vor, als wir nach zweimonatiger Abwesenheit zurückkamen (die Familie war wegen der Fliegerangriffe nach Gut Radau am Harzrand geflüchtet). Du kamst ganz wahrscheinlich von Heidenau nach Berlin hin. Ach, lieber Otti, ich kann es ja gar nicht glauben, dass du ja noch dazwischen geraten bist. Unser ganz geliebter Kurti musste dieses Viele unsäglich ertragen, und nun auch noch du. Ist es denn noch nicht genug, was ihr lieben Jungens und wir durchleben müssen? So viele kehren heim aus der Gefangenschaft, aber du und Kurti, seit noch immer nicht dabei. Möge es doch Gottes Wille sein, dass du und unser lieber Kurti endlich wieder bei uns sein dürft.
Christa (Schwester) weint auch so viel um euch. Sie träumt so viel von euch, alle beide und meistens immer etwas Gutes. Ich denke so viel an euch alle beide. Doch niemals bin ich im Traum mit euch zusammen. Schon dies würde mir ein kleiner Trost sein. Einmal, mein lieber Otti, träumte ich von dir, ehe wir verreisten. Doch dies war ein schlechter Traum, dass ich noch heute darum bekümmert bin. Ach, und was mich so betrübte und in schwere Gedanken brachte um dich, dass du durch einen Feldwebel gehört hattest, die ganze Gabelsberger Straße (nahe Moltkeplatz in der List) stände in Flammen. Wenn du mit dieser Sorge um uns in all das Schwere für dich hinein musstet, ach mein lieber Otti, es ist kaum auszudenken. Es war am selbigen Sonntag und Mittwoch darauf ganz furchtbar schwer alles für uns. Aber unser Haus blieb verschont, und mit uns war der liebe Gott und bewahrte uns vor dem Schlimmsten. Viel härter hat es uns doch jetzt getroffen, nichts wissen wir von dir und Kurti. Wenn wir nur ein ganz kleines Lebenszeichen von euch erhielten. Wie dankbar wäre ich Gott dafür. Immer und immer muss ich an euch denken. Auch aus Dänemark werden die Gefangenen jetzt nach Deutschland zurück geschickt und dabei wärest du mein liebes Kind auch. Wo wirst du sein und wie mag es dir gehen? Und wir werden heute mit unseren Gedanken bei dir sein. Doch ich glaube fest daran, so wie der liebe Gott uns die ganzen Kriegsjahre hindurch in seinen Schutz genommen hat, so wird er uns alle fünf auch weiterhin beschirmen und geben, dass du, mein lieber Otti und unser Kurti gesund heimkehren wirst und wir alle wieder vereint werden. Deine dich liebende Mutter.

27. November 1945
Nachmittags kehrte unser innig geliebter Otti aus russischer Gefangenschaft heim ins Elternhaus. Worte vermögen es nicht zu sagen, was da das menschliche Herz bewegt. Aus tiefstem Herzen danke ich Gott im Himmel, dass er unser Kind trotz all dem Schweren so gnädiglich bewahrte. Wie glücklich waren wir da alle vier, trotzdem Otti schwer krank zurückkehrte. Nun war er ja wieder bei uns und alles Herzeleid um ihn hatte ein Ende. Durch unseres Gottes Hilfe wird er wieder ganz gesund werden und alles wollen wir tun, damit er vergisst, was er Schweres ertragen musste. (Mein Vater war aus russischer Gefangenschaft frühzeitig entlassen worden, da er den kommenden Winter wegen Untergewichts nicht überlebt hätte. Bei der Ankunft in Hannover war er nur Haut und Knochen und wog nur noch 38 Kilogramm. Ein halbes Jahr lang musste er im Kinderkrankenhaus in der Ellernstraße – heutige HNO-Klinik - wieder aufgepäppelt werden.)
Die große Freude in uns allen brachte aber tiefe Wehmut dennoch über uns. Kurti, unser lieber Kurti, wir wissen immer noch nichts von ihm. Dies ist so bitter schwer. Dies ist unsere schwerste Sorge, so gar nichts von unserem Kind zu wissen. Ihn nicht mehr helfen zu können. Trotzdem man es weiß, dass es ihm so schlecht geht. Wo mag er sein? Der liebe Gott sei mit unserem geliebten Kind, und lass auch Kurti gesund an Leib und Seele heimkehren. Dies ist mein innigster Herzenswunsch. Mutti.

Hannover, (Kurz nach Weihnachten 1945)
Heiligabend war das Allerschwerste für uns, welches wir verlebten. Unser lieber Otti war ja schon heimgekehrt. Wofür ja Gott viel zu danken ist, und wir sind ja glücklich, dass er nun in unserer Mitte ist. Leider musste er ja noch im Krankenhaus liegen, und wir konnten nicht mit ihm Heiligabend verleben. Am Nachmittag hatten wir ihn besucht und es war mir ein großer Trost und die Gewissheit zu haben, nun ist Otti aus der schlimmen Gefangenschaft heraus und wieder bei uns.

Zu welchem Zeitpunkt meine Großeltern vom Tod ihres Sohnes erfuhren, weiß ich nicht. Meine Großmutter schrieb nur: Unser geliebter Kurti kam nicht wieder ins Elternhaus zurück. Am 13.3.1945 rief Gott ihn zu sich in sein Reich. Er gab sein junges Leben für uns alle dahin. Nie werden wir Dein vergessen. Lieber Kurti, du warst uns immer ein lieber Sohn und Bruder, und immer wirst du in unserer Mitte weiterleben. Gott gab dich uns. Gott nahm dich uns. Wir glauben dich droben im Himmel. Wir haben viel verloren an dich, mein lieber Junge. Manche Hoffnung sinkt ins Grab. Wir wollen über dein Leben und Heimgehen die Worte stellen: „Ich habe dich jäh und jäh geliebt. Darum habe ich dich zu mir gezogen, aus lauter Güte.“ Unser Trost soll es sein, du bist da, wo kein Leid mehr ist und wir dich wiederfinden und haben dürfen für immer. Dort werden wir uns alle wiedersehen. In tiefem Leid, deine dich liebende Mutter.

Mein Onkel, der schon in Russland ein Auge verloren hatte, kam kurz vor Kriegsende im Ruhrgebiet ums Leben, weil ein einzelner Flieger seine Bombenfracht noch loswerden musste. Auf dem Waldfriedhof in Dorsten zwischen anderen Kriegsopfergräbern steht sein Grabstein.

Dieses ist nur eines von unzähligen Schicksalen, die sich auch heute noch überall auf der Welt zutragen.

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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