Hannover: Bie Mutter Piesewitten gaff et Tweipennjebrot mit Leberwost un stinkrige Harzkeese

Mutter Pisewitt guckt aus dem Fenster, vor 1897
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Die historische Studentenkneipe „Mutter Pisewitt“ war die Kult-Gastwirtschaft in Hannover schlechthin.

Es begann alles im Jahr 1870. Der Schenkwirt Louis Dehnhardt eröffnete im ehemaligen Totengräberhaus des Neustädter Kirchhofs, Josephstraße 12 (um 1880 Hausnummer 12 in 30 umbenannt), die Gastwirtschaft „Dehnhardts Garten“. Er führte sie bis zu seinem Tod im Jahr 1883. Danach übernahm seine Frau Karoline geb. Schanze das Zepter und erreichte als „Mutter Pisewitt“ Kultstatus in Hannover. Herkunft und Bedeutung des Namens ist trotz vieler Deutungen bis heute nicht bekannt.

Versuch einer Deutung "Pisewitt":

Pise abgeleitet von pisacken gleich quälen
witt gleich weiß
Vielleicht bekam die Wirtin Karoline Dehnhardt diesen Spitznamen, weil sie wegen ihres Aussehens (weiße Rüschenhaube und weiße Schürze) und ihres resoluten Auftretens bei einigen Gästen nicht sehr beliebt war. So manchen Gast schmiss sie raus, wenn er zu viel getrunken hatte. Dann sagte die Wirtin nur:

„Dei Klocke is teine“.

 „Die Uhr ist zehn“ (frei übersetzt: Die Uhr hat zehn geschlagen). Dann wussten alle, was das bedeutete, bezahlen und nach Hause gehen.

Also wurden die Gäste von ihr gepisackt?

Nö, so was machte Mutter Pisewitt nicht.

Zwischen Weihnachten und Neujahr 1896 starb Karoline Dehnhardt im Alter von 72 Jahren.

Das Haus mit der Gastwirtschaft baute man nun um und verkaufte es an  Ernst Gärtner . Neuer Pächter, um 1918 auch Eigentümer, wurde der Schenkwirt Heinrich Kruse. Kurzzeitig nannte er die Gastwirtschaft "Pisewitts Ruh"

Nach dem 1. Weltkrieg erwarb die Vereinigung "Alte Herren des Corps Alemannia e. V." das Haus Josephstraße 30, auch das Gebäude Nr 29 gehörte ihnen.

Nach Heinrich Kruse übernahmen nacheinander Jonni Wilkens, Walter Harring und August Stitz die Gastwirtschaft, die sich jetzt "Mutter Pisewitt" nannte.

"Dehnhardts Garten" bzw. "Mutter Pisewitt" war Treffpunkt  aktiver Studenten und
„ Alter Herren“.

So manches Lied wurde hier angestimmt, vielleicht auch „Gaudeamus igitur“?

1961 läutete das Totenglöcklein für das Traditionslokal.

Das Gebäude wurde abgerissen,  ab 1962 in einem in der Nähe errichteten Neubau unter dem alten Namen einige Jahre weitergeführt. (Quelle: Stadtlexikon Hannover, Verlag Schlütersche) 

Der Heimatdichter Wilhelm Rodewald, berühmt wegen seiner Riemkes un Snurren op Calenberger Platt, soll hier zum Abschluss noch zu Wort kommen. Er kannte Karoline Dehnhardt alias Mutter Pisewitt sehr gut und schildert einige Episoden im 1922 erschienenen Büchlein „Zipollen“ un annere Snurren in Hoch- un Plattdütsch, Verleger: Gebrüder Jänecke.

Zwei Textbeiträge sollen hier im Original wieder gegeben werden.

Für Nichtkenner des Calenberger Platts versucht der Berichterstatter sie - so gut wie möglich - zu übersetzen. Sollten es Berichtigungen geben, bitte dafür die Kommentarspalte benutzen.

Mutter Piesewitten

Sei möget ja nu seggen, wat sei willt,
sau‘ ne Wirtshüser, wie sei freuher in Hannauwer
wören, dei gifft et hüte nich mehr. Mein Gott,
wenn eck sau denke, wat wie for gemütliche Stunnen
bie Mutter Piesewitten verlebet hebbet, - wo
gifft et hüte woll noch sau‘ ne Wirtin?
Wo sei den Namen eigentlich her e kregen
hat, dat weit keiner. Et droffte sei ok nich jeder
sau nennen, sei heit Frau Dehnhardt, un öhre
Wirtschaft „Dehnhardts Garten“. Aber jedet
Kind in Hannauwer wußte, dat dei Garenwirtschaft
an’n Niestädter Kerkhowwe in ’r Josefstrate
„Piesewitts Garen“ heit und dei Wirtin „Mutter Piesewitt“.
Dei Wirtschaft steiht da hüte noch,
un Mutter Piesewittens Bild könnt Ji ‘r ok noch
inne seihen.

Kinners, wat gaff et da for ‘ne lütje Lage!
Un denn dat schöne Tweipennjebrot mit Leberwost
oder Sülte! Oder dei stinkrige Harzkeese! Dat
Beste was aber dei Wirtin sülben, dei in öhren
akkraten Huskleede mit der witten Schörte und der
groten Rüschenmütze tau appetitlich utsach. Dat
was nein Wunner, dat dei veir Männer e kregen
harre. Un wenn sei härre wollen, denne härre
woll ok noch dei Föfte seck nich lange säuken
laten.

In das Hochdeutsche übersetzt

                 Mutter Pisewitt

Sie mögen ja nun sagen, was Sie wollen,
solche Wirtshäuser, wie sie früher in Hannover
waren, die gibt es heute nicht mehr. Mein Gott,
wenn ich so denke, was wir für gemütliche Stun-
den bei Mutter Pisewitt verlebt haben, --wo
gibt es heute wohl noch so eine Wirtin?
Wo sie den Namen eigentlich hergekriegt
hat, das weiß keiner. Es durfte sie auch nicht jeder
so nennen, sie heißt Frau Dehnhardt, und ihre
Wirtschaft „Dehnhardts Garten“. Aber jedes
Kind in Hannover wusste, das die Gartenwirtschaft
am Neustädter Kirchhof in der Josefstraße
„Pisewitts Garten“ heißt und die Wirtin „Mutter
Pisewitt“. Die Wirtschaft steht da heute noch,
und Mutter Pisewittens Bild könnt ihr auch noch
im Inneren sehen.
Kinder, was gab es da für eine Lüttje Lage!
Und dann das schöne Zweipfennigbrot mit Leberwurst
oder Sülze! Oder der stinkende Harzkäse! Das
Beste war aber die Wirtin selber, die in ihrem
akkuraten Hauskleid mit der weißen Schürze und der
großen Rüschenmütze so appetitlich aussah. Das
war kein Wunder, dass sie vier Männer gekriegt
hatte. Und wenn sie hätte wollen, dann hätte
wohl auch noch der Fünfte sich nicht lange
suchen lassen.

Zweiter Text

Nachmiddags un abends keimen dei Spießbörgers
ut ‘r Stadt, von denen dei ohle Uhrenpüster öhr
leiweste Gast was. Dei harre ümmer sienen
bestimmten Disch, dichte vor’n Tresen, un Mutter
Piesewitten wußte ganz genau siene Eigenheiten.
Dei kenne sei oberhaupt von jeden Gaste, dei öfter
mal kamm. Dei Uhrenpüster harre deswegen bie
Mutter Piesewitt en Stein in’n Brett, weil hei eben-
sau wie sei for dei Reinlichkeit was. Wenn hei
‘ne lüttje Lage kreig‘, denn droffte dat Wittjebeir
nich obern Rand komen, dat et jo nich „kleckere“.
Dat räkene Mutter Piewitt öhne hoch an. In
öhrer Gaststuben moßtet ümmer utseihn wie gelecket,
un Gnade Gott, wenn ‘mal sau’n Unglücksworm,
dei dat nich gewohnt was, en Zigarrenstummel
up en Fautbodden ‘e smetten harre. Erst
grummele et saun betten hinnern Tresen, und dann
reip sei: „Friedä, wat hat denn da wedder for’n
Swinegel e säten, dei sienen Stummel da hene-
smetten hett?

Nich bloß in Hannauwer was Mutter Piesewitt
bekannt as en bunten Hund, nee, dei
Studenten, dei von hier weggüngen, dreugen öhren
Namen in alle Länder, un ok up’en Lanne wußten
dei Buern alle, dat et bie Mutter Dehnhardt ‘ne
feine lüttje Lage gaff. Wenn aber mal wekke
keimen, dei sei blos ankieken wollen, wie saun
Wunnerdier, dat konne sei nich verdragen.

Übersetzung

Nachmittags und abends kamen die Spießbürger
aus der Stadt, von denen der alte Uhrmacher ihr
liebster Gast war. Der hatte immer seinen
bestimmten Tisch, dicht vor dem Tresen, und Mutter
Pisewitt wusste ganz genau seine Eigenheiten.
Die kannte sie überhaupt von jedem Gast, die öfters
mal kamen. Der Uhrmacher hatte deswegen bei
Mutter Pisewitt einen Stein im Brett, weil er ebenso
wie sie für die Reinlichkeit war. Wenn er
eine Lüttje Lage bekam, dann durfte das „Weißbier“*
nicht über den Rand kommen, das er ja nicht „kleckert“.***
Das rechnete Mutter Pisewitt ihm hoch an. In
ihrer Gaststube musste es immer aussehen wie
geleckt, und Gnade Gott, wenn mal so ein Unglücks-
wurm, der das nicht gewohnt war, einen Zigarren-
stummel auf den Fußboden geworfen hatte. Erst
grummelte sie ein bisschen hinterm Tresen, und dann
rief sie: „Frieda**, was hat denn da wieder für
ein Schmutzfink gesessen und seinen Stummel da hin geschmissen?

Nicht bloß in Hannover war Mutter Pisewitt
bekannt wie ein bunter Hund, nein, die
Studenten die von ihr weggingen, trugen ihren
Namen in alle Länder, und auf dem Land wussten
die Bauern alle, dass es bei Mutter Dehnhardt eine
feine Lüttje Lage gab. Wenn aber mal welche
kamen, die sie bloß angucken wollten, wie so ein
Wundertier, das konnte sie nicht vertragen.

* eigentlich Schnaps=Korn

** Frieda: So hießen alle weiblichen Angestellten bei Mutter Pisewitt

*** Lüttje Lage" trinken ohne zu kleckern

- Mit allen fünf Fingern erst das Bierglas in die rechte (oder linke) Hand nehmen und zum oberen Glasrand etwas Platz lassen,
- dann den Mittelfinger ausstrecken und das Schnapsglas zwischen Zeige- und Ringfinger fassen.
- Mit dem Mittelfinger das Schnapsglas gegen das Bierglas klemmen, wobei der kleine Finger den Fuß des Schnapsglases zusätzlich abstützt.
- Vorsichtig das Schnapsglas gegen das Bierglas kippen und darauf achten, dass der Rand des Bierglases etwa einen halben Zentimeter tiefer liegt (sonst läuft der Korn nicht ins Bierglas).
- Jetzt aufrecht hinstellen, Kopf in den Nacken (wer sich nach vorn beugt, kleckert garantiert) und – während der Schnaps über die Kante ins Bierglas läuft – zügig trinken.

                                   DAT WAS MUTTER PIESEWITTEN

Bürgerreporter:in:

Bernd Sperlich aus Hannover-Bothfeld

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