Neue Stolpersteine in Limmer und List

Gedenkfeier für Max und Regine Goldschmidt vor dem Haus Franz-Nause-Straße 4. Leiter "Städtische Erinnerungskultur Hannover" Dr. Karljosef Kreter erinnert an die Geehrten. In der Bildmitte sind Jürgen Wessel, dahinter Horst Bohne und daneben Daniel von dem Knesebeck zu erkennen.
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  • Gedenkfeier für Max und Regine Goldschmidt vor dem Haus Franz-Nause-Straße 4. Leiter "Städtische Erinnerungskultur Hannover" Dr. Karljosef Kreter erinnert an die Geehrten. In der Bildmitte sind Jürgen Wessel, dahinter Horst Bohne und daneben Daniel von dem Knesebeck zu erkennen.
  • hochgeladen von Bernd Sperlich

Am 7. Dezember 2017 verlegte in Hannover der Kölner Aktions-Künstler Gunter Demnig auf Initiative „ Städtische Erinnerungskultur Hannover“ und „Deutsch-Israelische Gesellschaft Hannover“ weitere 24 Stolpersteine, die an die Untaten der Nationalsozialisten erinnern sollen. Von den Verlegungen in den Stadtbezirken Vahrenwald-List und Linden-Limmer soll hier berichtet werden.

Stolperstein-Verlegung Hannover-LIst, Ferdinand-Wallbrecht-Straße 23

Die Sonne lugt hinter den Wolken hervor, als am 7. Dezember 2017 um 10 Uhr 30 vor dem Haus Ferdinand-Wallbrecht-Straße Nr. 23 drei Gedenksteine für Fritz Aron, Else und Kurt Wallach (Keith Wallace) in hannoversche Erde versenkt werden.

Das jüdische Ehepaar Fritz Aron und Else Wallach lebte ab 1932 mit Sohn Fritz in der Ferdinand-Wallbrecht-Straße 88 (heute 23).

Mit seinem Bruder Moses betrieb Fritz Wallach in der Herschelstraße 24 ein Textilgeschäft, das in der Pogromnacht vom 9. November 1938 zerstört und geplündert wurde.

1939 flüchtete der 20-jährige Sohn Kurt, der das Abitur in der Goetheschule nicht machen durfte, nach London. Dort baute er sich unter dem Namen Keith Wallace eine neue Existenz auf. Im Rentenalter zog es ihn in die U.S.A., nach Kalifornien. 
2012 besuchte er noch einmal seine alte Heimatstadt Hannover, 2013 starb Keith Wallace.

Seine Eltern verlegten nach der Flucht des Sohnes ihren Wohnsitz in die Theodorstraße 5A (1940). Am 4. September 1941 Einweisung in das „Judenhaus“ Körnerstraße 24. Ein Vierteljahr später, am 15. Dezember 1941, erfolgte vom Bahnhof Linden-Fischerhof die Deportation nach Riga, wo Else bereits 1942 das Leben verlor, Ehemann Kurt starb 1944 in einem Außenlager des KZ Dachau.

Stolperstein-Verlegung Hannover-List, Ferdinand-Wallbrecht-Straße 38

Vor dem Haus Ferdinand-Wallbrecht-Straße 38 (früher 20) erinnern nun zwei Stolpersteine an das jüdische Ehepaar Herbert und Anneliese Cohen.

Herbert Cohen gründete 1927 die Fa. Hermeco KG, Import-Export Modewaren (später Herstellung und Vertrieb von Damenhüten). Nach den Nürnberger Rassegesetzen (1935) blieben die Kunden aus, und die Firma wurde verkauft. Kurz danach, am 9. September 1937, flüchtet das Ehepaar Cohen - wie viele jüdische Mitbürger mit deutscher Staatsbürgerschaft - nach Amsterdam, damals noch ein (vermeintlich) sicherer Zufluchtsort. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht war es aber mit der Sicherheit vorbei. Im Februar 1944 wurden Herbert und Anneliese Cohen - über das niederländische Durchgangslager Westerbork – nach Ausschwitz deportiert. Sie sollten dort nicht mehr lange leben.

Auch die Eltern von Herbert Cohen kamen in Konzentrationslagern um. Max Cohen starb 1942 in Theresienstadt, seine Ehefrau Ida „verlebte“ ihre letzten Stunden in Auschwitz.

Spender(in) der Stolpersteine ist Frau Angelika Polaschewsky. Sie war bei der Verlegung anwesend.

Wie kam es zu der Idee, zwei Stolpersteine zu finanzieren?

Angelika Polaschewski berichtet:

"Zu Kinderzeiten lebte ich In den 1950-er Jahren mit meinen Eltern in der Wöhlerstraße 25, nicht weit vom heutigen Gedenkort entfernt. Wir hörten von anderen Kindern, dass das Haus gegenüber der Apotheke (Anm: Ferdinand-Wallbrecht-Straße/Ecke Waldstraße) „Judenburg“ genannt wurde. Warum es so hieß, konnte uns keiner sagen. Nach einem vorübergehenden Wohnsitz in Bothfeld, kehrte ich wieder in die List zurück. Bei einem Besuch im Copy Shop „Prisma“, Ferdinand-Wallbrecht-Straße 38, erinnerte ich mich wieder an die mir damals merkwürdig vorkommende Bezeichnung „Judenburg“. Fast gleichzeitig fiel mir ein Flyer von ,Städtische Erinnerungskultur Hannover‘ in die Hände. In diesem Augenblick manifestierte sich bei mir der Gedanke, Spenderin für Stolpersteine zu werden. Den fälligen Geldbetrag bekam ich von FreundenInnen zu meinem 70. Geburtstag geschenkt“.

Anwesend bei den Stolpersteinverlegungen in der List waren

Dr. Horst Meyer, Vorstandsvorsitzender Netzwerk Erinnerung + Zukunft in der Region Hannover e. V.
Angelika Polaschewsky, Stolperstein-Spenderin
Irma Walkling-Stehmann, Bezirksbürgermeisterin Stadtbezirk Vahrenwald-List, SPD
Gisela Witte Stadtbezirk Vahrenwald-List, Die Grünen
Fred Schlagowski, Stadtbezirksrat Vahrenwald-List, SPD, Vorstand SPD-Ortsverein List-Nord

und andere Persönlichkeiten.

Stolpersteinverlegung Hannover-Limmer, Franz-Nause-Sraße 4

Gegen 13 Uhr 30 versammelte sich in Limmer eine große Anzahl von Besuchern vor dem Haus Franz-Nause-Straße (früher: Gartenweg) 4. Hier lebte das jüdische Ehepaar Max  und Regine Goldschmidt mit den Töchtern Helene und Martha.

Der Kaufmann Max Goldschmidt hatte in der Wunstorfer Straße 21, nicht weit vom Wohnsitz entfernt, praktisch um die Ecke, ein Manufaktur-Warengeschäft. Das Geschäft wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 verwüstet und geplündert.
Der heute 83-jährige Dieter Krafft, bei der Gedenkfeier anwesend, wohnte damals im Gartenweg Nr. 2. Sein Gedächtnis-Protokoll, verfasst in der sogenannten Sackmann-Postille Herbst 1978, las Horst Dralle, Kirchenvorstand St. Nikolai, vor:

"Eines Tages, heute (Anm:1978) weiß ich, daß es der 10. November gewesen sein muß, ging ich mit meinem Vater aus dem Haus. Dabei mußten wir an Goldschmids Geschäft vorbei. Mein Vater hatte mich an die Hand genommen. Wir gingen gleich auf die andere Straßenseite. Warum? Vor Goldschmidts laden lagen die Splitter der zerschlagenen Schaufensterscheiben. Einige SA-Männer in ihren braunen Uniformen standen Posten davor“.

Im August 1939 emigrierten die Goldschmidt-Töchter Helene und Martha nach Großbritannien. Martha blieb nach der Heirat mit dem Farmer Robert Jones dort, Helene kam nach dem Krieg nach Hannover zurück, heiratete hier und wurde 1994 auf dem jüdischen Friedhof An der Strangriede beigesetzt.
Die Eltern Max und Regine Goldschmidt wurden Anfang September 1941 in das „Judenhaus“ Wunstorfer Straße 16a eingewiesen und am 15. Dezember 1941 mit einem Sammeltransport vom Bahnhof Linden-Fischerhof nach Riga deportiert. Zeitpunkt und Umstände des Todes sind unbekannt.

An der Gedenkfeier nahmen teil

Ute Römer und Andreas Baum, Bremen, beide Nachfahren von Regine Goldschmidt
Dieter Krafft, Zeitzeuge
Lehrer Marco Dräger und der Geschichts-Oberstufenkurs des Gymnasiums Goetheschule
Jürgen Wessel, CDU-Ortsverband Linden-Limmer, Netzwerker
Horst Bohne, Heimatforscher Linden
Rudolf Lotze, Stadtteilforscher Limmer
Ilse Garms, Geschichtskreis Limmer
Dr. Daniel Gardemien, Stadtbezirksrat Linden/Limmer, Die Grünen
Daniel von dem Knesebeck, Stellvertretender Vorsitzender im CDU-Ortsverband Linden-Limmer, Integrationsbeirat Linden/Limmer 
Inga Schmalz, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Stadtbezirk Linden-Limmer, Die Linke
Jasmin Grobleben, Stadtbezirk Linden-Limmer, Die Partei
Thomas Ganskow, Vorsitzender des Stadtverbandes der Piraten Hannover
Jürgen Mineur,  SPD, stellvertretender Vorsitzender des Ortsvereins Linden-Limmer
Horst Dralle, Arbeitskreis NS-Verbrechen, Kirchenvorstand St. Nikolai
Monika Ganseforth, SPD
Dr. Karljosef Kreter, Julia Berlit-Jackstien , Yvonne Sowa, Florian Grumblies, Städtische Erinnerungskultur Hannover

und andere Persönlichkeiten.

Das Kamerateam von H1 drehte ein Video.

Die Stolperstein-Verlegung konnte durch eine Spende des Kirchenvorstands der ev-luth. Gemeinde St. Nikolai Limmer realisiert werden.

Literatur: Bekanntmachungen "Städtische Erinnerungskultur Hannover".

Bürgerreporter:in:

Bernd Sperlich aus Hannover-Bothfeld

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