Gletscherschmelze am Großglockner - Und eine Besteigung über das Hofmannskees ( Fotos: Kurt und Markus Wolter)

Der Gletscher der Pasterze mit dem Großglockner, der vielleicht eindrucksvollste Anblick einer Landschaft, den Österreich zu bieten "hatte". (Foto von 2004. Alle Bilder aus diesem Jahr können nicht vergrößert werden.)
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Dass sich das Klima in letzter Zeit rasant verändert, wissen wir alle. Tagtäglich erfahren wir in den Medien darüber, ist doch der Klimawandel ein großes und für die Menschheit bedeutendes Ereignis. Doch Klimaveränderungen sind die Normalität in der Geschichte unseres blauen Planeten. Die meiste Zeit ist das Klima auf der Erde heiß oder trocken und eisfrei gewesen. Aber immerhin sieben große Eiszeitalter, hauptsächlich in der letzten Zeit der Erde, die im Durchschnitt etwa 50 Millionen Jahre angedauert haben, hat es bisher gegeben. In einem solchen Eiszeitalter ist die Menschheit entstanden.

Ein Eiszeitalter wird unterteilt in verschiedene Eisepochen, die wir wegen der Vergletscherungen großer Teile der Erdoberfläche Eiszeiten nennen. Die letzte, die noch andauert, hat vor 2,4 Millionen Jahren begonnen. In einer solchen gibt es Eiszeit-Zyklen, die wiederum in Warm- und Kaltzeiten unterteilt werden. Man sieht also, dass es große, kleinere und kleine Klimaschwankungen gibt, und es ist ein ständiges Auf und Ab der Temperaturen. Das ist also erstmal völlig normal.

Wärmere und kältere Perioden können innerhalb von Jahrhunderten und sogar Jahrzehnten auftreten. So gab es zum Beispiel vom Ende des Mittelalters bis zum 19. Jahrhundert die so genannte Kleine Eiszeit. Ein Grund für die Wikinger das einst zum Teil grüne Grönland zu verlassen. Und selber haben das auch die Älteren von uns im eigenen Leben erfahren, gab es doch in den Jahren von 1939 bis 1974 ungewöhnliche viele kalte und schneereiche Winter. Deswegen trifft es tatsächlich auch zu, dass wir in unserer Kindheit auch wirkliche Winter hatten, eben nicht nur gefühlt in der Erinnerung.
Doch seitdem gibt es beim Klima etwas Neues, steigen, abgesehen mal von Vulkanausbrüchen oder Meteoriteneischlägen lange vergangener Zeiten, die für plötzliche Kälteeinbrüche gesorgt haben, die Temperaturen in einem nie dagewesenen Tempo an. Nach neueren Erkenntnissen der Wissenschaft ist die jetzige Erwärmung auch natürlich, doch eben nur zum Teil und nicht in diesem rasanten Tempo. Mindestens zur Hälfte soll der Temperaturanstieg hausgemacht sein. Ob Industrie, Verkehr oder die Emission von Methan durch die Landwirtschaft. Diverse Faktoren tragen dazu bei, sind menschengemacht und verändern die hauchdünne, verletzliche Erdatmosphäre zu unserem Nachteil. Ob es tatsächlich gelingen wird, die Klimaerwärmung in diesem Jahrhundert unter zwei Grad zu halten, wie es Ende 2016 im Pariser Klimaabkommen von der UN beschlossen wurde, scheint eher unwahrscheinlich, soll es doch auf freiwilliger Basis der Länder geschehen. Und da stehen nun Mal Wirtschaftsinteressen und Profit im Vordergrund. Auch wenn die Politik durch die Wissenschaft um die Gefahren einer wärmeren Umwelt für die nächsten Generationen weiß, so zählt doch für sie in erster Linie die Gegenwart. Nachhaltigkeit ist dann zweitrangig. Und wer möchte schon auf Lebenskomfort verzichten, obwohl er weiß, dass die Menschheit zurzeit 1,4 Erden verbraucht (Deutschland 3 Erden) und es, wenn es so weitergehen wird, im Jahr 2050 2,3 Erden sein werden. Da sind doch dann die meisten von uns wider besseren Wissens egoistisch.

Wie sich die Klimaerwärmung schon jetzt auswirkt, kann man in unseren Regionen am ehesten in den Alpen erkennen. Dort schreitet die Gletscherschmelze, die weltweit gesehen als Indikator für Klimaveränderungen gilt, so schnell voran, dass sie schon innerhalb weniger Jahre sichtbar wird.
So mancher Alpenurlauber hat vielleicht bei der Befahrung der Großglockner-Hochalpenstraße an der 2400 Meter hoch gelegenen Franz-Josefs-Höhe Station gemacht und auf die Pasterze, den größten Gletscher der Ostalpen hinuntergeschaut. Es ist vielleicht der grandioseste Anblick einer Landschaft gewesen, den Österreich für einen Touristen zu bieten „hatte“. Als ich diese Szenerie im Jahr 2001 zum ersten Mal gesehen habe, schrieb ich begeistert in meinem Reisebericht:
Der Blick ist atemberaubend. Etwa 200 Meter unter uns beginnt die Gletscherzunge, die in das Tal des Pasterzenkees eingebettet ist. Der Gletscher ist etwa zwei Kilometer breit, die Seitenmoränen mit eingerechnet und zieht sich sechs Kilometer leicht hangaufwärts, ehe er auf zwei weiteren Kilometern wild zerrissen und voller Spalten zum Johannisberg hin steil ansteigt. Rechts des Gletschers streben die steilen Hänge der Heiligenbluter Freiwand empor. Zu seiner Linken erhebt sich majestätisch die Nordost-Flanke des Großglockners. Mit einer Höhe von 3798 Metern ist er der höchste Berg Österreichs. Der Großteil der imposanten Bergflanke ist mit Firn und Gletschern bedeckt. Dazwischen steil aufragende Felsgrate. Tief unten auf der Gletscherzunge sehen wir Menschen, die das Eis wie Ameisen bevölkern. Erst daran kann man erkennen, wie gigantisch diese Landschaft ist.

Viele Touristen, die auf der Franz-Josef-Höhe ankamen, begnügten sich nicht nur mit diesem grandiosen Anblick. Sie wollten das Eis des Gletschers auch betreten und ein paar Schritte darauf wagen. Dazu kann man die 200 Meter auf einem Pfad hinabsteigen oder mit der Gletscherbahn, die früher bis zum Eis hinunterführte, etwa die Hälfte der Strecke zurücklegen. Da es diese eindrucksvolle Eisszenerie des Gletschers wegen des Abschmelzens inzwischen nicht mehr gibt, schildere ich sie wieder mit den Worten meines damaligen Reiseberichtes:
Nachdem wir die 200 Meter abgestiegen sind, ist unser erstes Ziel das Ende der Gletscherzunge. Schon von oben haben wir die Eishöhle entdeckt, aus der ein brauner Gletscherfluss austritt. Aus der Nähe wirkt alles noch viel eindrucksvoller, gleicht die Höhle doch einem mächtigen Schlund, der in die Unterwelt des Eises führt. Zumindest ein kleines Stück können wir hinein, ehe uns senkrechte Eiswände am Weiterweg hindern. Was wäre das für ein Abenteuer, könnte man den reißenden, unterirdischen Fluss gegen die Strömung befahren. Doch schon dieser kurze Abschnitt ist wunderbar, kommen wir uns doch wie im Schloss der Eiskönigin vor. Mächtige, tonnenschwere und matte Eisblöcke liegen im ewigen Dämmerlicht wie von Riesenhand wild übereinander gewürfelt. Andere sind durchsichtig und deren Wände spiegelglatt. Wenn man sie übersteigen will, reicht schon ein leichtes Gefälle deren Oberfläche, um darauf haltlos abzugleiten. Die Wände mit ihren vom fließenden Wasser horizontal strukturierten Schichten, die wie Sedimente wirken, schimmern türkis. Schmelzwasser tropft überall herab. Nach einer Biegung verschwindet der rauschende Fluss in der Dunkelheit des Gletschergrundes. Es ist eine ganz eigenartige Welt. Unheimlich und faszinierend zugleich.
Vor der Höhle strömt ein zweiter Fluss den Hang herunter, um sich mit dem Gletscherfluss zu vereinigen. Es ist ein ständiges Donnern und Poltern zu hören. Die Wassermassen schieben mit ihrer Kraft Steine und sogar Felsbrocken vor sich her. Hineinfallen möchte man da nicht unbedingt. Unterhalb der Gletscherzunge hat sich eine weite, tischflache Ebene aus Schotter und Kieseln gebildet, in der der Fluss in unzähligen Armen mäandriert. Es wirkt wie ein Kunstwerk, wie ein Baum mit vielen Verästelungen. Aus der Höhe ist auch das ein eindrucksvoller Anblick.

Wir klettern auf das harte Eis der Gletscherzunge. Überall befinden sich kleine etwa zwei Meter tiefe Spalten, die mit türkisfarbenem Eiswasser gefüllt sind. Locker können wir sie überspringen. Die wirklich großen Spalten gibt es erst im oberen Gletscherbereich, so dass wir das Eis hier gefahrlos betreten können.
In der Mitte des Gletschers windet sich ein Bach durch dessen Oberfläche. Sein sprudelndes, kristallklares Wasser hat sich ins Eis hineingefressen. An vielen Stellen bildet er Strudeltöpfe, so genannte Gletschermühlen. Ein Stück weiter verschwindet er in grün schimmernder unergründlicher Tiefe, um sich vermutlich mit dem Hauptfluss zu vereinigen.
Auch am vermeintlich linken Rand des Gletschers strömt ein weiterer Bach herab, der sich allerdings tief ins Eis eingeschnitten hat und nicht so ohne weiteres überwunden werden kann. Überall bildet er Wasserrutschen und Strudeltöpfe. Auf seiner anderen Seite scheint der Gletscher zu enden. Doch das täuscht, denn unter Geröll und Felsen setzt sich das Eis bis zur sich hoch auftürmenden Seitenmoräne fort.
Leider kommt die Sonne nur ab und zu zum Vorschein. Doch dann funkelt und glitzert es überall. Wir befinden uns inmitten einer verzauberten Eislandschaft.

Das war also zu Anfang des Jahrtausends gewesen. Der Gletscher machte noch einen relativ guten Eindruck und war so, wie man sich eine Gletscherlandschaft vorstellt. Drei Jahre danach haben wir den Glockner zum ersten Mal bestiegen, und da waren, wie schon gesagt, kleinere Veränderungen zu bemerken. Doch wiederum neun Jahre später, 2013, bei unserer zweiten Besteigung, habe ich Folgendes geschrieben:
Oben auf der Franz-Josefs-Höhe angekommen, blicken wir auf die Pasterze hinunter, und wie erschrecken wir uns. Der größte Gletscher der Ostalpen bietet einen trostlosen Anblick. Von der einstigen Pracht ist nichts mehr übriggeblieben. In der Höhe, in der Länge und in der Breite ist er seit unserem letzten Besuch 2004 mächtig zusammengeschmolzen. Die Gletscherzunge hat sich weit zurückgezogen. Moränen, graue Schotterbänder und schmutzig braunes Eis, teilweise rußige Hinterlassenschaften der Umweltverschmutzung, breiten sich immer mehr aus. Immerhin haben sich der Großglockner selber und die übrige Berglandschaft noch nicht allzu viel verändert, obwohl auch da immer mehr kahle Stellen zum Vorschein kommen und damit anzeigen, dass das Eis auch auf den Hängen abnimmt.
Als wir am darauf folgenden Morgen zur Besteigung des Berges gegen vier Uhr gestartet sind, habe ich geschrieben:
Zunächst folgen wir dem Touristensteig zur Pasterze hinunter. Dort wo sich vor neun Jahren eine große Eishöhle in der Gletscherzunge befand, aus der ein reißender Fluss hervorströmte, gibt es jetzt weit und breit überhaupt kein Eis mehr. Es hat sich weit zurückgezogen. Doch nach einem guten Stück Wegstrecke haben wir es unter unseren Füßen. Es lässt sich besser darauf laufen als auf dem Gesteinsschotter. Aber es ist in einem traurigen Zustand. 2004 war noch alles voller kleiner Eisspalten, in denen türkisfarbenes Wasser schimmerte. Eisbäche mit kleinen Wasserfällen und Strudeltöpfen hatten sich in das Eis gefressen. Nichts mehr ist jetzt da. Nur noch eine leicht bucklige Oberfläche, und zu den Rändern hin jede Menge Schotter und Steingeklüft, einer Mondlandschaft nicht unähnlich. Wie wird es erst in einigen Jahren sein?
Inzwischen ist längst klar, dass dieser Gletscher keine Zukunft haben wird. Bis vor etwa 10 Jahren sah der acht Kilometer lange Eisstrom, obwohl er gegenüber früheren Zeiten schon um zwei Drittel abgeschmolzen war, noch sehr eindrucksvoll aus. Doch inzwischen bietet die Pasterze einen jämmerlichen Anblick. Waren es vor wenigen Jahren noch etwa eineinhalb Meter, die das Eis pro Jahr an Höhe verlor, so sind es inzwischen um die 10 Meter. Und bis zum Jahr 2050, was nun wirklich nicht mehr fern ist, wird der Gletscher vermutlich ganz abgeschmolzen sein. Dann wird der Großglockner mit seiner Umgebung von dieser Ansicht einer kargen, trostlosen Steinwüste gleichen.
Und so ist es eben nicht nur an diesem Ort, der bis vor wenigen Jahren einen atemberaubenden Anblick bot. Sondern es wird die gesamten Alpen betreffen, und natürlich auch die anderen Gebirge dieser Erde. Besonders die Gletscher des Himalaya. Während die Luft in Europa inzwischen sauberer geworden ist, werden diese von Ostchina und Indien aus bedeutend stärker verschmutzt. Das Eis kann die Sonnenstrahlung nicht mehr reflektieren, wodurch es mehr Wärme aufnimmt und noch wesentlich schneller abschmilzt.
Und gerade in den Alpen wird es dann zu großen Problemen kommen. Die saubere Energiegewinnung durch Wasserkraftwerke wird wegen Wassermangels stark eingeschränkt werden. Die Trinkwasserversorgung wird bedeutend schwieriger werden. Doch das ist nur ein kleines Übel. Deutlich schlimmer wird es mit dem auftauenden Permafrostboden, der für eine stärkere Erosion sorgen wird, da der Kitt des Eises fehlt, der die Berge zusammen hält. Das wird so manches besiedelte Gebiet gefährden. Ganze Bergflanken könnten abrutschen. So geschehen im Jahr 1963. Oberhalb des Stausees von Bajon in den italienischen Alpen rutschte eine ganze zwei Kilometer breite Berflanke in das künstliche Gewässer. Über die 265 Meter hohe Staumauer schoss eine noch einmal 100 Meter hohe Flutwelle darüber hinweg zu Tal und überflutete den Ort Langerone. 2100 Menschen starben. Ähnliches wird irgendwann und irgendwo wieder geschehen. Es könnten sogar ganze Staumauern brechen. Man mag gar nicht daran denken. Die Politik ist gefordert.
Und natürlich wird auch der Tourismus darunter leiden, Haupteinnahmequelle zahlreicher Alpenregionen, denn viele Gebiete werden ohne Firn und Eis an Attraktivität verlieren. So manche Hänge können wegen zu großer Steinschlaggefahr dann überhaupt nicht mehr bestiegen werden, und auch für den Ski-Zirkus werden die Gletscher fehlen. Da hilft auch das Abdecken mit riesigen Planen nicht. Sie werden das Abschmelzen nur etwas hinauszögern.
Seit Beginn der Industriellen Revolution sind in den Alpen 70 bis 80 Prozent des Gleschereises abgeschmolzen, und bis Ende des Jahrhunderts werden wohl nur noch kümmerliche Reste übrig sein. Dann wird diese wunderbare Berglandschaft einen traurigen Anblick bieten. Und so geht es eben auch allen anderen Bergregionen dieser Erde und natürlich den Polarregionen, denn das Eis ist weltweit auf dem Rückzug. Der Mensch könnte, wenn er es denn wirklich wollte, zumindest etwas dagegen steuern. Doch es sieht zurzeit nicht danach aus, dass das geschehen wird. Aber eines ist ziemlich gewiss: Wenn der Klimahaushalt der Erde durch den Menschen nicht vollends aus dem Ruder laufen sollte, dann wird in geologischen Zeiträumen auch irgendwann wieder die nächste Eiszeit kommen. Und wenn in dieser fernen, fernen Zukunft dann Nordeuropa erneut von einem Eispanzer überzogen sein wird und es immer noch Menschen geben sollte, dann könnte sich ein möglicher Flüchtlingsstrom aus Afrika umgekehrt haben und der schwarze Kontinent für die Nordeuropäer als Zufluchtsort dienen.

Nun aber wieder zurück zum Hier und Jetzt. Wie sich das Eis an der Pasterze von 2001 bis 2013 zurückgezogen hat, das möchte ich mit einigen Bildern dokumentieren, die ich gegenüberstelle, wobei der jetzige Zustand im Jahr 2017 noch erbärmlicher ist. Die Fotos sind nicht aus den exakt selben Perspektiven aufgenommen, aber doch aus ähnlichen.
Und wer an einer Großglocknerbesteigung interessiert ist, für denjenigen füge ich noch meinen Bericht aus dem Jahr 2004 an, denn natürlich war das damals in einer noch einigermaßen heilen Glockner-Welt ein großartiges Erlebnis.

Eine Besteigung des Großglockners über das Hofmannskees

Sowie wir die Besucherplattform der Franz-Josefshöhe verlassen wird es ruhiger. Der Touristenrummel bleibt hinter uns zurück. Wir begegnen zwar auch Anderen, die zur Pasterze hinabsteigen. Doch es sind nur wenige. 200 Meter führt uns der breite Weg hinunter.
Beim Abstieg bestaunen wir wieder das Gestein, das in fast allen Farben vorkommt. Auch riesige weiße Kristalle. Am stärksten vertreten ist grüner Fels, der so genannte Grünstein. Er ist typisch für den Großglockner, der hauptsächlich aus diesem metamorphen Gestein besteht. Es ist in der Anfangszeit der Erde entstanden und ist etwa 3,5 Milliarden Jahre alt. Da es besonders hart und widerstandsfähig ist, hat der Großglockner in den letzten Eiszeiten seine ungefähre Form beibehalten, während die umgebenen Berg, die aus weicheren Gesteinen bestehen, abgehobelt wurden und sanftere Charaktere aufweisen. So hebt sich der Glockner aus seiner Umgebung als wilder, zerklüfteter und höherer Berg hervor. Das macht ihn besonders attraktiv.

Wir erreichen die Pasterze. Das Eis ist schmutzig vom Schotter und den Fußspuren unzähliger Touristen. Über Hühnerleitern kann man die flach ansteigende Gletscherzunge ersteigen. Am Ende befindet sich ein eingezäunter Platz mit Schildern, die den Ungeübten vor Betreten des Eises warnen und auf die Gefahren hinweisen. Bis hierhin wagen sich die meisten Touristen vor, die aus der Hitze des Tages oft dünn bekleidet herunter gekommen sind. Doch auf dem Eis ist es kühl und so halten es die meisten nicht lange aus. Manche wagen sich allerdings auch einige hundert Meter über die Abzäunung hinaus.
Wir wollen jedoch viel weiter. Wir wollen den gesamten Gletscher diagonal zu dessen anderer Seite hin überqueren, was etwa einer Strecke von zwei Kilometern entspricht. Und das ist schönste Natur. Zwar nicht so wildzerklüftet und gigantisch wie letztes Jahr am Aletschgletscher, dem größten der Alpen. Solch wilde Gegend beginnt an der Pasterze erst im oberen Bereich. Doch hier sind es eher die Feinheiten, die begeistern: schneeweißes funkelndes Eis im Gegenlicht, das von Rissen und Rinnen und türkis schimmernden Bächen und Rinnsalen durchzogen wird. Spalten mit klarem aber grünem Wasser, die unergründlich tief wirken und aus denen wir das kalte Eiswasser trinken. Weiter zur Mitte Moränenschotter und am anderen Gletscherrand ein gurgelnder Bach mit kleinen Wasserfällen und Strudeltöpfen. Es ist eine fantastische Landschaft, die zu allen Seiten von einem großartigen Bergpanorama umgeben wird. Allein schon das Gehen mit den Bergstiefeln auf dem rauen Eis macht Spaß. Einen Großteil des gesamten Aufstiegs haben wir dabei immer vor Augen. Ab und zu bleiben wir beim Näherkommen stehen und taxieren die Flanke des Berges. Wir suchen mit den Augen den vor uns liegenden Weg ab und versuchen ihn einzuschätzen. 1600 Höhenmeter haben wir vor uns.
Wir verlassen das Eis, über die breite Seitenmoräne geht es weiter. Auch unter diesen riesigen Schotterfeldern, die durch Gesteinstrümmer jeder Größenordnung gebildet werden, befindet sich noch Eis. Es ist durch diese Abdeckung vor der intensiven Sonnenstrahlung geschützt und wird im Untergrund vielleicht noch lange unbeschadet überdauern.
Schließlich erkennen wir ein Stück voraus einen riesigen Felsblock, an dem eine Stange befestigt ist. Wir sind auf dem richtigen Weg. Einen erkennbaren gibt es hier nämlich nicht. Es ist wegloses Gelände, in dem nur manchmal eine schwach ausgetretene Spur auszumachen ist. Aber man kann sich seinen Weg auch überall selber suchen, zumindest bei Sicht, hat man doch das Einstiegsschneefeld immer vor Augen.

Nach dem ersten Anstieg durch das Felsgetrümmer der Seitenmoräne erreichen wir es. Zunächst ist es flach, zieht sich dann aber steiler werdend zwischen zwei Felswände hinauf. Wir folgen den Fußspuren. Während sich Markus auf dem Firn links hält, quere ich nach rechts über einen Bach auf eine Felsrippe hinüber. Auf diesem festen Untergrund gehe ich lieber, als auf dem steilen Firn. Doch merke ich bald, dass Markus den besseren Weg gewählt hat. Während er den Einstieg in den Fels findet, bin ich zu weit rechts gelandet. Nun muss ich den sehr steilen Firnhang mühsam queren. Dabei schlage ich mit dem Eispickel Stufe um Stufe in den Untergrund. So komme ich über die ausgesetzte Passage nur langsam voran. Doch schließlich stehe ich ebenfalls auf festem Untergrund. Nun geht´s einfacher weiter. Zwar durch steilen und wilden Fels, doch meistens ohne Kletterei.
Häufiger bleiben wir stehen, blicken zurück und staunen, wie schnell wir an Höhe gewinnen. Weit liegt die Franz-Josefshöhe jetzt hinter uns und schon längst sind die Menschen an der Gletscherzunge so klein geworden, dass sie auch als winzige Punkte nicht mehr erkennbar sind. Wir sind in dieser gigantischen Landschaft allein.
Nach 600 Metern Anstieg erreichen wir den Frühstücksplatz in 2800 Metern Höhe. An dieser Stelle hat man für den weiteren Aufstieg die Wahl. Entweder weiter den Fels hinauf, der sich meist in leichter Kletterei, manchmal im 2. oder auch 3. Schwierigkeitsgrad als große Rippe bis kurz unter die Adlersruhe hinaufzieht. Es ist der bekannte Meletzkigrat, der nur selten begangen wird. Obwohl er sehr reizvoll wäre, entschließen wir uns jedoch für den anderen, den Hofmannsweg, der über den Gletscher führt. Schließlich haben wir in diesem Urlaub schon viel Fels unter den Füßen gehabt, aber mit der Wildspitze erst eine richtige Gletschertour gemacht.
Nachdem wir uns gestärkt haben, machen wir uns gletscherfertig: Gamaschen über die Stiefel, dick mit Sonnenmilch eingeschmiert, Schutzbrille auf, Sitzgurt und Steigeisen angelegt, Karabiner und Eisschrauben eingehängt, ins 50-Meter-Seil eingebunden und den Eispickel in die Faust. Damit kann´s losgehen.
Zunächst leicht bergauf. Auch vor drei Jahren sind wir diesen Weg schon einmal ein Stück gegangen. Damals waren wir mitten in den Wolken und die Sicht betrug nur wenige Meter, so dass wir wieder umgekehrt sind. Das ist heute anders. Schöner kann es nicht sein. Es ist klar, der Himmel blau und nur mit einigen weißen Schönwetterwolken bedeckt. In alle Richtungen haben wir freie Sicht. Hinunter auf den tief gelegenen Gletscher genauso, wie auf die vor uns liegenden Firnflanken und Felsgrate. Später erfahren wir von einem Bergführer, dass das Wetter am Glockner selten so gut ist.
An einigen Stellen ist der Schnee ausgeapert. Es hat sich für kürzere Passagen Eis gebildet. Doch das ist mit den Steigeisen kein Problem. Tief krallen sich die Eisenspitzen hinein, so dass wir immer einen festen Stand haben. Im Spätsommer ist der ganze Gletscher jedoch oft so stark vereist, dass dieser Weg dann nicht mehr begangen werden kann.
Nach Überspringen einiger schmaler Gletscherspalten erreichen wir die Eiskapelle, eine über uns am Hang liegende Eisbarriere. An dieser Stelle in etwa 3000 Meter Höhe waren wir vor drei Jahren umgekehrt. Im Nebel hörten wir über uns Steinschlag und vor uns Wasser gurgeln. Das war uns zu unheimlich. Doch heute ist alles kein Problem.
Weiter geht es in Kehren hinauf. Nach Überwinden eines Hanges haben wir einen weiteren Bereich des Aufstiegs im Blickfeld und ein neuer Hang tut sich vor uns auf. So geht es immer weiter. Mal ist der Firn flacher, dann wieder steiler. Ab und zu bleiben wir stehen und schnaufen durch.
Als wir in noch höhere Regionen vordringen, taucht die Pyramide des Glockners über dem Schneefeld vor uns auf. Noch ist sie weit entfernt.
An einer Stelle hat sich vor uns auf dem Schnee ein großes Trümmerfeld ausgebreitet. Felsen und Steine verschiedenster Größenordnung bedecken den weißen Untergrund. Ob die Lawine vom Fels in einem Stück heruntergekommen ist oder so nach und nach? Wir beeilen uns jedenfalls mit dem Vorbeikommen. Auf Steinschlag legen wir keinen gesteigerten Wert. Nachdem wir im letzten Jahr am Mönch erlebt haben, wie mehrere große Felsen herabgepoltert sind, haben wir einen mächtigen Respekt davor.

In 3200 Metern Höhe erreichen wir die Felsen des Salmkamps, die sich wie eine Zunge in den Firn hinein schieben. Ein Wegarbeiter unten hat uns unten gesagt, dass wir über diese Felsen schneller und besser zur Adlersruhe, unserem ersten Etappenziel, gelangen können. Wir versuchen sie gleich zu deren Beginn in Angriff zu nehmen, damit sich der Weg über den Gletscher nicht so in die Länge zieht. Also queren wir hinauf. Steigeisen abgelegt und in den Fels hinein.
Doch den haben wir etwas unterschätzt. Nun aus der Nähe türmt er sich ziemlich hoch und wild vor uns auf. Mit leichter Kletterei ist da nichts zu machen. Wir versuchen es, aber es wird sogleich schwierig und auch zu gefährlich. Also mit Mühe wieder runter und in den Firn zurück. Der Versuch hat uns fast eine Stunde gekostet. Aber Schwamm drüber, versteigt man sich doch immer mal wieder. Das gehört bei einer Bergtour dazu.
Nach einer Weile Schneestapferei quert eine lange Gletscherspalte unsere Spur. Umgehen können wir sie nicht. Also müssen wir irgendwie hinüber. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Vor uns führt die Spur zwar über eine Schneebrücke. Doch in den warmen Nachmittagsstunden ist der Schnee aufgeweicht. Während mich Markus von unten mit dem Seil sichert, trete ich vorsichtig an die Schneebrücke heran. Mit dem Pickel sondiere ich das Gelände und steche hinein, um die Dicke und Festigkeit zu prüfen. Wie durch Butter sticht der Schaft hindurch. Das wird nicht halten. Also ein Stück weiter am Spaltenrand entlang. Dort befindet sich eine zweite Brücke. Sofort stelle ich fest, dass sie aus festem Eis besteht. Sie ist zwar etwas heikel, aber gesichert dürfte es kein Problem sein. Kurz darauf stehen wir auf der anderen Seite.
Noch ein gutes Stück geht es über Firnhänge. Schließlich zweigt nach links eine Spur zum hinteren Salmkamp ab. Wir nehmen sie und erreichen die Felsen. Dieses muss der Einstieg sein, den uns der Arbeiter empfohlen hat. Ob es nun ein Vorteil gegenüber dem weiteren Gletscheranstieg ist, wissen wir nicht. Aber wir wählen diese Route.
Über steilen Schotter und ab und zu mit leichter Kletterei geht es hinauf. Einmal müssen wir uns an einem Seil einige Meter ablassen. Doch wir kommen voran.
Am Abend erreichen wir die Erzherzog-Johann-Hütte, die höchste Hütte Österreichs, die auf dem Vorsprung der Adlersruhe in 3454 Metern Höhe liegt. Erschöpft stelle ich mich neben Markus ans Geländer der Aussichtsplattform und blicke in die Tiefe. Erstmal muss ich nach der Anstrengung verschnaufen, denn in dieser großen Höhe, die westalpinem Charakter entspricht, fällt einem doch alles etwas schwerer, auch wenn wir inzwischen recht gut akklimatisiert sind. Aber selbst im Ruhezustand habe ich das Gefühl, nicht so viel Luft wie normalerweise zu bekommen.
Als wir die Hüttenstube betreten, schlägt uns eine warme Luft entgegen. Die Bänke sind gut gefüllt. Es wird gerade Essen gereicht und es herrscht ein hoher Geräuschpegel. Überall wird an den Tischen gespeist und angeregt geplaudert.
186 Lager weist die Hütte auf. Über hundert Bergsteiger mögen wohl an diesem Tag heraufgekommen sein. Die meisten wohl von Kals aus über die Stüdlhütte. Andere über die Salmhütte von Heiligenblut. Den mit Abstand imposantesten Weg, den nur wenige gegangen sind, haben aber wir hinter uns. Von keiner anderen Seite ist der Berg so eindrucksvoll.
Später gehen wir noch einmal vor die Hütte. Doch es weht ein eisiger Wind, so dass wir es nur kurz aushalten. So ziehen wir uns bald in unseren Schlafraum zurück. Unsere Bettnachbarin erzählt uns, dass sie vor einigen Jahren schon einmal in diesem Raum übernachtet habe. Damals war die Hütte voll gewesen und der Wirt habe versehentlich ihr Bett zweimal ausgeteilt. Und der andere war kein geringerer als Hans Kammerlander gewesen, einer der berühmtesten Bergsteiger, der auch mit Reinhold Messner unterwegs war. So hat sie sich in Ermangelung eines anderen Bettes mit Hans Kammerlander eine Matratze geteilt.

Es ist vier Uhr und im Raum noch stockdunkel, als wir uns von den Matratzen erheben. Vor uns sind schon einige wenige aufgestanden, doch die meisten schlafen noch. Wir machen unser Bett, schnappen die Ausrüstung und gehen in die Hüttenstube hinunter. Dort machen wir uns gletscherfertig.
Draußen ist es zwar noch kalt, doch wir sind nach dem Zwiebelprinzip warm gekleidet, und beim Schneestapfen wird es uns sowieso gleich angenehm warm. Zunächst geht es sanft über das Glocknerleitl einen Schneehang, hinauf. Zwischendurch noch eine Felspassage, dann gefrorener Firn, der sich gut gehen lässt.
Längst wird es hell, und die Kopflampen haben wir wieder eingepackt. Es beginnt ein schönes Farbschauspiel. Während andere an uns vorbeisteigen, bleiben wir immer wieder stehen und ich hole den Fotoapparat aus dem Rucksack. Das muss unbedingt im Bild festgehalten werden.
Richtung Norden blicken wir auf das Große Wiesbachhorn, mit 3570 Metern einer der höchsten Gipfel der Hohen Tauern. Bekannt ist der Berg durch seine 2400 Meter hohe Ostflanke, die den größten Höhenunterschied in den gesamten Ostalpen aufweist. Der Berg ist in orangenes Morgenlicht getaucht. Seine Gipfelspitze ist allerdings nicht zu sehen. Sie stößt in eine schmale, über ihm lagernde waagerechte Wolkenschicht hinein, die wie von einem riesigen Pinsel hingetupft scheint.
Wenig später geht die Sonne am klaren Himmel auf. Und was sind das wieder für Farben und Stimmungen! Während die untere Hälfte des Sonnenballs noch dunkelrot ist, ist die obere Hälfte schon in dünnere Atmosphäreschichten eingetaucht und zeigt Orangetöne. Darüber befinden sich unterschiedlich rot eingefärbte horizontale Wolkenstreifen am Himmel.
Wenig später wird es noch eindrucksvoller. Die Sonnenscheibe verschwindet hinter einer dunklen Wolke, deren Ränder orange leuchten. Der Himmel darunter ist über schwarzen Berggipfeln in rötliches Licht getaucht, strahlt darüber aber leuchtend blau. Nur wer früh aufsteht kann so etwas Wunderbares erleben.
Inzwischen wird das Glocknerleitl, das sich von der Adlersruhe zur felsigen Gipfelpyramide hinaufzieht, ziemlich steil. In einigen Kehren führt die ausgetretene Spur höher. Schließlich schwingt sich der schmaler und noch steiler werdende Firnhang zwischen Felspartien zu beiden Seiten zum Südostgrat des Gipfelaufbaus hinauf. Von dort blicken wir auf einen Steilhang, der im Firn, Felsinseln einglagert, nach oben strebt. Es ist klettertechnisch anspruchsvolles Gelände. Etwas mulmig wird uns schon bei diesem Anblick. Schließlich müssen wir auch zurück. Doch sind im Abstand von etwa 20 Metern Eisenstangen im Fels eingelassen. An ihnen kann gesichert werden.
Inzwischen sind etliche Seilschaften an uns vorbeigezogen. Da fast alle mit Bergführern unterwegs sind, die das Gelände und die Sicherungsmöglichkeiten in- und auswendig kennen, schlagen sie ein anderes Tempo ein als wir. Wir sind doch etwas unsicher, gucken uns aber von den Bergführern ab, wie sie ihre Gruppen sichern. Wir machen es ihnen nach. Das Seil doppelt um eine Stange geschlungen, dann steigt Markus gesichert voraus. Hat er die nächste Stange erreicht, sich daran gesichert, komme ich nach. Das klappt prima und wir werden sicherer. Trotzdem ist uns etwas ungemütlich zumute und es dauert bei uns alles etwas länger. So müssen wir auch immer wieder Platz machen und an heiklen Stellen, denn andere gibt es nicht mehr, warten und Seilschaften vorbeilassen.
Schließlich erreichen wir die Höhe des Schlussgrates, der sich nur noch leicht ansteigend zum Kleinglockner hinaufzieht. Doch dieser Grat hat es in sich. Besonders zurückschauend bietet er einen atemberaubenden Anblick. Er ist so ausgesetzt und schmal, dass es einem grausen kann. Nach rechts geht es über eine Wechte 1200 Meter tief hinunter. Nach links fällt der extrem steile Firn 600 Meter in die Tiefe. Und wir wissen, dass es hier schon diverse Mitreißunfälle gegeben hat.
Die schmale Spur führt kurz unter der Wechte entlang. Manchmal sind wir dieser so nah, dass wir durch die Löcher sehen können, die die Eispickel durch sie hindurch gestoßen haben. Darunter ist nur noch bodenlose Luft. Trotz der Seilsicherung fühlen wir uns dabei alles andere als wohl, zumal wir an ausgesetzten Stellen immer wieder warten müssen, um Seilschaften, die inzwischen auch vom Gipfel zurückkommen, vorbeizulassen.
Endlich erreichen wir den Gipfel des Kleinglockner. 3783 Meter sind wir hoch. Wir stehen auf einer kleinen felsigen Plattform und sichern uns an einer Eisenstange. Direkt hinter uns fällt der Fels nach Norden steil ab. Er geht in die Pallavicini-Rinne über, die der junge Bergsteiger Pallavicini 1876 als erster Mensch durchstiegen hat. 400 Meter extrem steiler Firn. Dazu musste er damals 2500 Stufen schlagen. Zehn Jahre später ist er an der Glocknerwand auf einer abgebrochenen Wechte 400 Meter in die Tiefe gestürzt. Seine drei Kameraden waren sofort tot. Er hat schwerverletzt überlebt und konnte sich noch ein Stück über den Gletscher Richtung Tal schleppen. Doch dann erlag auch er seinen Verletzungen. So erging es vielen Bergsteigern an diesem Gipfel. Ihre Gräber haben wir auf dem Kirchhof in Heiligenblut gesehen.
Auf der kleinen Plattform herrscht ein ziemlicher Trubel. Neben uns drängt sich eine slowenische Seilschaft. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Die einen wollen noch ein paar Meter weiter zum Hauptgipfel, die anderen kommen von ihm herunter.
Vom Kleinglockner führt eine kurze Kletterpassage auf einen schmalen Firngrat, die Glocknerscharte, hinunter. Dieser ist nur so breit, dass man gerade zwei Füße nebeneinander stellen kann. Zu beiden Seiten geht es extrem steil und sehr tief hinunter. Nach einigen Metern erreicht man eine Felswand, die im 2. Grad erstiegen werden muss. Am Grat kann man sich allerdings an einem durchhängenden Seil sichern. Natürlich ist er nur in einer Richtung begehbar, so dass es beiderseits von ihm immer wieder zu Gedränge und gefährlichen Situationen kommt. Darauf sind wir nun überhaupt nicht scharf. Da wir uns sowieso nicht besonders sicher fühlen, beschließen wir, darauf zu verzichten. Wäre es klettertechnisch kein Problem für uns, so schreckt uns der Trubel und das Gedränge auf dem stark ausgesetzten Gelände ab.
Nach zwanzig Minuten Wartezeit ist der Rückweg für uns frei. Auf dem Gipfel waren wir zwar nun nicht. Trotzdem gilt für uns das, was wir bis zu dieser Stelle erreicht haben, als echte Besteigung. Es sind nur 15 Meter, die uns zum höchsten Punkt gefehlt haben. Was bedeutet dieser kleine Höhenunterschied schon bei einer Gesamthöhe von fast 3800 Metern. Vielleicht kommen wir ja irgendwann einmal wieder und werden dann die restlichen paar Meter machen. (Das sollte 2013 der Fall sein.) Nun wissen wir, wann es am Gipfel voll ist und zu welcher Tageszeit ein Aufstieg günstiger wäre. Hat man doch, wenn das Wetter mitspielt, den ganzen Tag dafür Zeit und kann dem Gedränge am Morgen aus dem Weg gehen.
Mit etwas weichen Knien machen wir uns an den Rückweg. Nun haben wir auf der schmalen, ausgesetzten Passage die Tiefe immer vor Augen. Doch alles klappt prima. Den 45-Grad-Hang seilen wir ab. Darunter geht es in das Firnfeld hinein. Auch wenn es extrem steil aussieht, so lässt sich der jetzt aufgeweichte Schnee doch gut gehen, indem wir die Hacken unserer Stiefel hineinrammen.
Trotzdem atmen wir erleichtert auf, als wir das flachere Glocknerleitl erreicht haben. Aus dem gefährlichsten Gelände sind wir heraus. Nun kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Auch die Gletscherspalten weiter unten sollten kein Problem mehr darstellen.
Ein Stück vor der Erzherzog-Johann-Hütte, der Himmel hat sich inzwischen zugezogen, fängt es an zu regnen. Wir bringen uns in der Hütte in Sicherheit, und das ist auch notwendig, denn kurz darauf bricht ein ordentliches Unwetter über die Bergwelt herein. Starke Windböen und strömender Regen.
Wir bestellen uns ein Radler und setzen uns damit ans Fenster, so dass wir die Gipfelpyramide im Blickfeld haben. Stand sie bis vor kurzem noch vor einem klaren, tiefblauen Himmel, so ist sie nun von grauen Wolkenwänden umgeben. Weit oben im steilen Firn sehen wir viele dunkle Punkte. Andere kämpfen sich über steilstes Gelände durch die Regenwand herunter. Meinte auf dem Rückweg noch ein Bergführer zu uns, dass der Gipfel nun frei sei und wir ihn nun in Ruhe besteigen könnten, da alle Seilschaften durch seien, so sind wir nun froh, doch nicht noch einmal umgekehrt zu sein. Bei diesen widrigen Verhältnissen möchten wir wirklich nicht in diesem schwierigen Gelände unterwegs sein.
Nach einer Weile beruhigt sich das Wetter wieder. Es war also nur ein vorbeiziehendes Gewitter. Wir machen uns an den weiteren Abstieg.
Extrem schnell geht es nun hinunter. Wofür für beim Aufstieg mehrere Stunden gebraucht haben, das schaffen wir jetzt in einem Drittel der Zeit. An einer Stelle kommt uns eine Seilschaft entgegen. Pudelnass sind die Männer geworden. Auf dem Gletscher gab es keinen Schutz. Sie waren dem Unwetter völlig ausgeliefert. Stark geht ihr Atem und sie müssen kämpfen, während wir locker an ihnen vorbei laufen.
Bald sind wir am Frühstücksplatz. Auch hier atmen wir noch einmal auf, haben wir doch nun wieder festen Boden unter den Füßen. Die Spalten und Eispassagen haben wir gut gemeistert. Eine Pause mit Trocknen der Klamotten, Essen und Ausruhen tut gut. Einige Andere kommen uns von unten entgegen und machen sich gletscherfertig. Wir tauschen einige Erfahrungen aus, dann verschwinden sie auf den Gletscher. Noch lange haben wir sie im Blickfeld. Sie kommen nur sehr langsam voran.
Der Rest des Weges ist ein Kinderspiel. Über viel Fels und das letzte Schneefeld erreichen wir die Seitenmoräne des Gletschers. Auf der Pasterze lassen wir uns noch einmal viel Zeit. Diese wunderbare Landschaft muss man in aller Ruhe genießen. Wir schauen mal hier und schauen mal da. Springen über Risse und kleine Spalten, gucken in wassergefüllte, grünschimmernde Tiefen hinab und folgen ein Stück dem gurgelnden Gletscherbach, der an manchen Stellen kleine Strudeltöpfe und Wasserfälle ausgebildet hat. Dann hat uns die Zivilisation wieder. Durch den Touristentrubel geht es zur Franz-Josefshöhe hinauf. Wir kommen uns dabei etwas seltsam vor zwischen den sommerlich gekleideten, zum Teil piekfeinen und modisch angezogenen Touristen, die nur mal Gletscherluft schnuppern wollen.
Die 200 Meter Aufstieg fallen uns dann doch etwas schwer. So wie immer nach großen Touren, wenn es zum Abschluss noch einmal ein größeres Stück bergauf geht.
Oben ist der Trubel noch größer. Massen von Touristen laufen kreuz und quer durcheinander und bestaunen die Aussicht. Fast alle Nationalitäten sind wohl vertreten. Die Franz-Josefshöhe übt eine enorme Anziehungskraft auf Touristen aus aller Herren Länder aus. Vermutlich ist es der eindrucksvollste mit dem Auto zu erreichende Aussichtspunkt in den gesamten Ostalpen. Und die niedlichen Murmeltiere und die am gegenüberliegenden Hang grasenden Steinbockmännchen mit ihren gewaltigen, geschwungenen Hörnern zeigen keine Scheu vor diesem Trubel.

Damit endet mein Bericht. Das ist nun inzwischen 12 Jahre her. Nach der Wildspitze war es unser zweiter wirklich hoher Berg. Davor waren wir hauptsächlich in den Dolomiten unterwegs, wo die Marmolada als höchster Gipfel 3342 Meter erreicht. Die Jahre darauf haben wir die Höhen und die Schwierigkeiten gesteigert. Wir haben uns dann an den Ortler, den Piz Palü und die Viertausender der Westalpen gewagt, haben also verschiedenste Gletschergebiete kennen gelernt. Und aufgefallen ist uns dabei überall, dass sich die Erderwärmung bemerkbar macht. Bei Grindelwald war ein häufiges Donnern und Grollen zu hören. Von den dortigen Hängegletschern brachen große Bereiche ab und rauschten als Lawinen die Hänge hinunter. Mit eigenen Augen konnten wir zusehen und es fotografieren. Die Steinschlaggefahr wird immer größer, da der auftauende Permafrostboden die Felsen nicht mehr halten kann. Am Normalweg des Montblanc haben wir mit ansehen müssen, wie ein Bergsteiger von einer Steinlawine getroffen hunderte Meter in die Tiefe stürzte. Kurz darauf holte der Rettungshubschrauber den Toten ab. Alltägliches für die Leute der Bergwacht. An der Dent du Geant, ebenfalls im Montblancgebiet, brach genau über uns ein größerer Bereich aus einer Felswand ab. Durch einen Spurt über den Firnhang zur Seite konnten wir aus der Gefahrenzone gelangen. Und überall haben wir darüber gestaunt, was für gewaltige Wassermassen die reißenden Gletscherflüsse zu Tal transportieren. In naher Zeit werden daraus Rinnsale werden, da es dann kein Schmelzwasser mehr geben wird.
Wenn man häufiger in den Alpen unterwegs ist, dann hat man den Klimawandel direkt vor Augen. Und manchmal kann man dabei dramatische Szenen erleben. Überall wo Gebirge sind, ist das eben auch bis zu einem gewissen Grad normal. Doch das, was jetzt in diesem rasenden Tempo in den Alpen und andernorts geschieht, hat mit Normalität nichts mehr zu tun. Aber noch haben wir die Hoffnung, dass wir die Geister, die wir durch die Industrialisierung gerufen haben, wieder loswerden. Durch sich weiter entwickelnde Techniken werden wir die dünne und verletzliche Erdatmosphäre in Zukunft vielleicht nicht mehr so stark mit schädlichen Abgasen traktieren. Und das würde nicht nur der Menschheit gut tun, sondern auch vielen anderen Lebewesen auf diesem wunderbaren Planeten.

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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