Der Tag der schwarzen Sonne – Vor 20 Jahren fand im Süden Deutschlands ein astronomisches Jahrhundertereignis statt, eine totale Sonnenfinsternis (Fotos: Christel Wolter)

Eine totale Sonnenfinsternis ist ein astronomisches Ereignis, wie es schöner kaum sein kann. Natürlich ist der Himmel nicht so dunkel wie auf dem Foto, sondern nur stark dämmrig. | Foto: Christel Wolter
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  • Eine totale Sonnenfinsternis ist ein astronomisches Ereignis, wie es schöner kaum sein kann. Natürlich ist der Himmel nicht so dunkel wie auf dem Foto, sondern nur stark dämmrig.
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Eine totale Sonnenfinsternis ist bezogen auf irgendeinen Fleck unserer Erdoberfläche ein sehr seltenes Ereignis. Es kommt nur alle paar Hundert Jahre einmal vor. Deswegen lohnt es sich, auch für Menschen, die sich nicht unbedingt für Astronomisches interessieren und wenn es denn in der Nähe geschieht, alles stehen und liegen zu lassen und sich in die Region der Totalitätszone auf den Weg zu machen. Nicht wenige reisen deswegen sogar um den halben Erdball.

Viele Jahre hatten wir diesem außergewöhnlichen Himmelsspektakel entgegengefiebert. Doch nun stand es kurz bevor. Unsere Familie hatte deswegen in diesem Jahr ihren Urlaub in die Bayrischen Alpen verlegt, um am richtigen Ort zu sein und gegebenenfalls flexibel auf das Wetter reagieren zu können. Und das sah am Morgen des 11. August 1999 gar nicht gut aus. Das Internet gab es noch nicht, und so beobachteten wir seit Tagen gespannt den Wetterbericht in der Tagesschau und erkundigten uns diverse Male telefonisch beim Wetterdienst über die Geschehnisse am Himmel. Wolken über Wolken waren im größten Bereich der Totalitätszone angesagt, in nur der die totale Finsternis zu sehen war. Die besten Voraussetzungen wurden für das Saarland, den Chiemgau und das Salzburger Land prognostiziert. Doch alles war mehr oder weniger ein Lotteriespiel. Wer würde das unwahrscheinliche Glück haben, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein? Wie alle Millionen Finsternis-Touristen hofften wir, dazu zu gehören.

Also machten wir uns am frühen Morgen von Lenggries aus über die zu diesem Zeitpunkt noch einigermaßen leere Autobahn nach Salzburg, vor dem Ansturm anderer Finsternis-Touristen, auf den Weg nach Osten, ins Chiemgau. Am Waginger See erklommen wir einen kleinen, freien Berg und machten uns neben etlichen anderen für das große Ereignis startklar. Teleskop, Schutzbrillen, Videokamera und Fotoapparat mit Schutzfolie wurden einsatzbereit gemacht. Und das bei bester Laune, denn der Himmel war einigermaßen wolkenfrei – zunächst jedenfalls.

Nachdem allerdings gegen 11 Uhr das Himmelsschauspiel begann, bei dem sich zuerst am Sonnenrand ein kaum wahrnehmbarer Schatten bemerkbar machte, verfinsterte sich der Himmel so nach und nach und damit auch unsere Laune. Das vom Wetterbericht angekündigte Wolkenband zog schneller heran als erwartet. Immerhin war es durchlässig, so dass wir die zunehmende Verfinsterung schließlich mit der Sichel sogar ohne Schutzbrillen beobachten konnten. Aber immer mal wieder verbarg sich die Sonne vollkommen hinter den Wolken. Wir waren aufgeregt und angespannt. Es sollte eine Zitterpartie werden.
Doch dann kam wider Erwarten eine große Wolkenlücke. Die nun schmale Sichel war mit den Schutzbrillen gut zu erkennen. Wir hofften und bangten, dass sich das anschließende Wolkenfeld Zeit lassen würde. Das Zittern ging also weiter. Doch der Wind war stärker. Kurz vor der totalen Finsternis schloss sich der Himmel wieder. Und die Riesenwolke war zu ausgedehnt, als dass sie noch hätte vorbeiziehen können. Wir waren deprimiert. Um uns herum enttäuschte, lange Gesichter. Zumindest hatten wir alles probiert und den Voraussagen nach den für uns bestmöglichen erreichbaren Standort gewählt. Nun konnten wir nur noch der Dinge harren, die gleich kommen würden.

Wir wandten uns nach Westen. Von dort musste, knapp eineinhalb Stunden nach Beginn der Finsternis, jeden Moment der Schatten kommen, der mit einer Geschwindigkeit von 2600 Kilometern pro Stunde auf uns zurasen würde. Wir sahen noch einen großen Schwarm von Krähen, die aufgeregt durcheinander flogen. Sie schienen etwas Ungewöhnliches zu spüren. Und auch wenn der Himmel über uns geschlossen war, so war er doch Richtung der nahen Alpengipfel frei. Doch dort war der blaue Himmel verschwunden. Aschfahl lag die Welt dort vor uns. Eine seltsame Stimmung breitete sich aus.
Und dann, um 12.38 Uhr ging alles ganz schnell. Plötzlich wurde es dunkel. Längst nicht so dunkel wie in der Nacht, aber so dunkel wie in der Dämmerung und trotzdem damit überhaupt nicht vergleichbar. Es war eine ganz andere, ganz sonderbare, aber wunderschöne Stimmung.

Im ersten Moment standen wir da wie erstarrt. Doch dann reagierten wir. Fotoapparat und Kamera wollten bedient werden. Und dann, wir konnten es kaum fassen, geschah doch noch das Wunder. Für einen Augenblick – wir schätzten ihn nachher auf vielleicht 15 Sekunden – tat sich eine Wolkenlücke auf. Und das genau an der richtigen Stelle und zu einem Zeitpunkt, der nicht passender hätte sein können. Genau in dem Moment, als sich der Mond vollkommen vor die Sonne schob. Der Blick auf das Himmelsspektakel war frei. Es war unglaublich und so, dass sich dieser Anblick für immer in unser Gehirn eingebrannt hat.
Schwarze Schatten huschten über den Erdboden. Im Moment der völligen Bedeckung entstand an der schwarzen Scheibe des linken Mondrandes für den Bruchteil eines Augenblicks eine leuchtende Strahlung, ein letztes Aufglänzen. Dann verschwand es und um die schwarze Scheibe herum wurde die Korona sichtbar. Nicht gleichmäßig, sondern unregelmäßig flackernd. Rötliche Punkte, wie Perlen, waren am schwarzen Mondrand erkennbar. Das waren die Protuberanzen, riesige Gasfackeln, die von der Sonnenoberfläche ins All hinauskatapultiert werden.

Dieses alles geschah in wenigen Sekunden, wobei sämtlichen Beobachtern im Umkreis ein spontaner Ausruf des Staunens entfuhr. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Obwohl wir auf diesem Moment vorbereitet waren und schon etliche Bilder und Filmaufnahmen von solch einem Ereignis gesehen hatten, so war doch nun alles ganz anders. Dieser Augenblick war so atemberaubend und ergreifend, dass man ihn weder mit Worten noch in Bildern wirklich wiedergeben kann. Er ist viel mehr als nur schön, im wahrsten Sinne des Wortes überirdisch schön. Man kann die Großartigkeit dieses Geschehens nur verstehen, wenn man es tatsächlich mit eigenen Augen gesehen und erlebt hat.

Leider, leider zog sich die Wolkendecke sofort wieder zu, obwohl dieser unglaublich wunderbare Anblick noch zwei Minuten gedauert hätte. Doch hatten wir in diesem Moment keine Zeit dazu enttäuscht zu sein oder uns zu ärgern, denn dafür konnten wir uns nun auf die Umgebung konzentrieren, und auch die war eindrucksvoll. Nach Westen hin, aus der Richtung, aus der der Schatten des Mondes gekommen war, war es fast völlig dunkel. Nach Süden und Osten hin, in Richtung der Alpenszenerie , war der Himmel einmalig schön. Am tiefblauen Firmament hatten die zuvor weißleuchtenden Wolken einen hellen, bläulichen Farbton angenommen. Über der nun schwarzen Kette der Berggipfel war der Himmel in orangerotes Licht getaucht, ähnlich wie bei einem Sonnenuntergang. Und doch waren die Lichtstimmungen ganz anders, so wie wir sie noch nie erlebt hatten. Es waren leuchtende, unbeschreiblich schöne Farben.
Erst jetzt merkten wir auch, dass es kühler geworden war. Das Thermometer war um fünf bis sechs Grad gefallen. Es fing sogar leicht an zu regnen, hörte jedoch schnell wieder auf.

Die Zeit der Verdunkelung verging leider wie im Fluge. Ganz plötzlich, so schnell wie es dunkel geworden war, wurde es nun auch wieder hell. Nur ein winziger Teil der sichtbar werdenden Sonnenscheibe reichte aus, um den Zauber zu beenden. Wir standen staunend und ergriffen da. Es waren unglaubliche zwei Minuten und 18 Sekunden gewesen. Es war das Faszinierendste gewesen, was wir in der Natur jemals erlebt hatten.

Am Tag nach der Finsternis überschlugen sich die Medien in der Berichterstattung. Der Großteil der Totalitätszone war von Wolken verhüllt gewesen. Nur die wenigsten der viele Millionen angereister Finsternis-Touristen hatten das Glück, die entscheidende Konstellation der Bedeckung sehen zu können. In der Stuttgarter Innenstadt befanden sich 300.000 Beobachter unter einer dichten Bewölkung, so dass es dort nur dunkel wurde, aber von der dreistündigen Verfinsterung nichts zu sehen war. Andernorts regnete es sogar. Im Saarland, dem die Meteorologen am Tag zuvor beste Wetteraussichten vorausgesagt hatten, war, bis auf kleine Bereiche, kein Sonnenstrahl zu erkennen. Kurios war es in München, wo die Aussichten bei 50 Prozent liegen sollten und wo sich fast 400.000 Beobachter versammelt hatten. Bei der großen Finsternis-Party im Olympiastadion war der Himmel vollkommen bedeckt, während er auf dem Marienplatz im entscheidenden Moment für einen Augenblick aufriss, um sich dann sofort wieder zu schließen. Glück hatten die Menschen in Karlsruhe, war dort doch die beste Stelle in Deutschland. Ansonsten war es nur noch im Chiemgau recht gut. Wir hatten also schon alles richtig gemacht, hatten aber nach den ersten Sekunden der Totalität das Pech, dass sich eine große Wolke über das Ereignis schob, die ein paar Minuten später weitergewandert war.
Auf den Autobahnen bot sich im Moment der totalen Verfinsterung bei freier Sicht ein ungewohnter Anblick. Nur wenige Autos fuhren. Alle anderen hielten auf dem Standstreifen. Die Insassen stiegen aus und blickten zum Himmel empor. Später, nachdem die Finsternis beendet war, kam es überall zu Staus. Eine ungeheure Blechkarawane schob sich Richtung Norden, verstopfte sämtliche Hauptstraßen, Bundesstraßen und Autobahnen. Stundenlange Wartezeiten waren angesagt.

Das war es also nun gewesen, der Tag der schwarzen Sonne. Ein astronomisches Himmelsspektakel, wie man es sich großartiger kaum vorstellen kann. Nur relativ wenige Menschen haben in ihrem Leben das Glück, solch ein Ereignis mit eigenen Augen sehen zu können. Und wenn man die Gelegenheit dazu hat, dann sollte man sie nutzen. Es lohnt sich deswegen sogar, in andere Länder anzureisen.
Deutschland muss nun wieder eine Weile auf eine totale Sonnenfinsternis warten. Doch dann wird sie in einigen Jahren Abstand gleich im Doppelpack kommen. Wir werden allerdings nichts mehr davon haben, vielleicht aber unsere Urenkel. Im nächsten Jahrhundert soll sie im Norden unseres Landes beobachtet werden können, so z. B. im Raum Hamburg. Natürlich auch nur dann, wenn sich der Himmel von seiner besten Seite zeigt. Wir würden es unseren Nachfahren wünschen. Und wer selber in den Genuss einer totalen Finsternis kommen möchte, der hat in nordwestlichen Teilen Europas im Jahr 2026 Gelegenheit dazu. In Island und im Norden Spaniens wird sie zu sehen sein. Wir werden uns das Jahr im Kalender jedenfalls schon einmal rot anstreichen.

Siehe auch: - Nobelpreis für Entdeckung der Gravitationswellen vergeben - Der ehemalige Astronaut Thomas Reiter berichtet von himmlischen Sphären - 50 Jahre Mondlandung - Wie schnell bewegt sich der Mensch, wenn er zu Hause bequem im Fernsehsessel sitzt? - Ist die Menschheit noch zu retten?

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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