Auf den Spuren des Ötzi durch das herbstliche Schnalstal zum Similaun

Von Vernagt am gleichnamigen Stausee, führt eine schöne Wanderung auf Ötzis Spuren zur Similaunhütte hinauf. 1300 Höhenmeter müssen dabei erklommen werden. Bis zur Fundstelle der Eismumie sind es noch einmal 200 Meter.
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  • Von Vernagt am gleichnamigen Stausee, führt eine schöne Wanderung auf Ötzis Spuren zur Similaunhütte hinauf. 1300 Höhenmeter müssen dabei erklommen werden. Bis zur Fundstelle der Eismumie sind es noch einmal 200 Meter.
  • hochgeladen von Kurt Wolter

So mancher Reisende, der mit dem eigenen Wagen oder dem Zug einmal nach Südtirol oder weiter nach Italien hinein unterwegs war, hat hinter dem Brenner das Eisacktal erreicht. Zwischen Brixen und Bozen gibt es dort eindrucksvolle Berglandschaften. An den westlichen Talhängen zum Beispiel den sonnenverwöhnten Ritten mit den bekannten Erdpyramiden. Zur östlichen Talseite das Massiv des markanten Schlern und die vielen Wände, Zinnen und Türme des nicht selten zum Sonnenuntergang eindrucksvoll glühenden Rosengartens. Und dort zweigen auch die engen Täler ab, die in die zentralen Dolomiten führen. So z. B. das Grödnertal zu Langkofel und Sella. Sie bilden mit den anderen Felsgruppen der Dolomiten die wildesten Felsszenerien der Erde.

Aus diesen wunderbaren Landschaften nun stammen nicht nur die berühmten Bergsteiger Luis Trenker und Reinhold Messner, sondern auch ein anderer, ganz besonderer Bergbesteiger, über den die meisten Menschen wohl schon einmal aus den verschiedensten Medien Informationen erhalten haben und der weltweit für Schlagzeilen sorgte. Dieser Mensch hat vor etwa 5300 Jahren in der Kupfersteinzeit gelebt. Natürlich ist das der Similaun-Mann, besser bekannt als Ötzi, dessen Leiche im Jahr 1991 von einem wandernden Ehepaar am Tisenjoch oberhalb des Schnalstals in den Ötztaler Alpen, nahe des Similaun, entdeckt wurde. Das durch den Klimawandel auftauende Eis hatte ihn freigelegt. Anhand der Mahlzähne der Eismumie haben Wissenschaftler festgestellt, dass der Ötzi sehr wahrscheinlich in dem beschriebenen Eisacktal aufgewachsen ist.

Doch wie wir wissen, ist er, im Gegensatz zu den meisten Menschen dieser frühen Zeit, die ihre Heimat um Haus und Hof kaum jemals verlassen haben, auf Wanderschaft gegangen - warum auch immer. Vielleicht war er ein Schamane, vielleicht ein Dorfvorsteher. Er war anscheinend kein gewöhnlicher Mensch. Anhand seines Mageninhalts konnte ermittelt werden, dass er sich in den Tagen vor seinem Tod auch in unterschiedlichen Vegetationszonen und damit in verschiedenen Höhen aufgehalten hat. So im Waldbereich an den Hängen des Etschtales, oder eben des Schnalstales, das vom Etschtal abzweigt, befindet sich doch dort über Vernagt mit dem Tisenjoch der Übergang vom Etschtal zu den Ötztaler Alpen. Doch danach ist er wieder in die Felsregion aufgestiegen, wollte er doch wohl das Joch zur entgengesetzten Seite übersteigen.

Und dort oben am Tiesenjoch sollte ihn an einem Frühlingstag, was sich anhand von Pollen der Hopfenbuche in seinem Magen nachweisen ließ, sein Schicksal ereilen. Ein Pfeil traf ihn von hinten in die linke Schulter. Zwar war der Ötzi etwa fünf Tage zuvor in einen Nahkampf verwickelt gewesen, worauf eine Verletzung an einer Hand schließen lässt. Und vielleicht wurde er wegen dieser Streitigkeit auch verfolgt und war auf der Flucht. Doch war er sich im Augenblick der Tat anscheinend keiner Gefahr bewusst, denn sein großer Eibenbogen war zur Verteidigung nicht mit einer Sehne bespannt. Die hatte er anderweitig verstaut. Der wirkliche Grund seines Todes wird wohl für immer ein Geheimnis dieser Krimistory bleiben. 

Wie dem auch sei. Dem Täter können wir heute trotz seiner Freveltat dankbar sein, wäre doch diese einzigartige Eismumie, deren Auffindung eine absolute Sternstunde der Archäologie darstellt, nicht bis in unsere Zeit erhalten geblieben. Und die Tat geschah auch genau an der richtigen Stelle, auf zerklüfteten, aber einigermaßen waagerechtem Untergrund, nicht auf einem Hang. Dazu noch in einer geschützten Mulde. So konnte es in diesem Bereich des Jochs kein Eisrutschen geben, das den Leichnam zerstört hätte.

So aber fiel der Ötzi, getroffen aus dem Hinterhalt, vielleicht sogar bei einer Rast, bäuchlings in den Schnee und starb kurz darauf. Es könnte sein, dass seine Hauptschlagader getroffen wurde und er schnell verblutete. Neu einsetzender Schneefall deckte ihn zu, verwandelte sich im Laufe der Zeit zu Eis und konservierte ihn so auf natürliche Weise. Immerhin rund 5300 Jahre lang, bis das Abschmelzen des Eises seinen Oberkörper freilegte. Und wieder wollte es ein Zufall, dass ihn das wandernde Ehepaar Simon entdeckte, hätte doch der Leichnam durch Tiere oder Wetterverhältnisse ebenfalls zerstört werden können. Oder er wäre einfach gar nicht erst gefunden worden.

Wer einmal nach 1998 in Südtirol Urlaub gemacht hat und in Bozen war, der hat vermutlich dort auch das Archäologische Museum besucht. Darin konnte er alles über den Ötzi erfahren, und das ist nicht viel weniger als hochinteressant. Dort wird seine gesamte Kleidung und Ausrüstung in vielen Vitrinen präsentiert: Sein Mantel und seine Beinlinge aus Ziegen- und Schafsfell. Seine Bärenfellmütze. Die mit Gras dick ausgepolsterten Schuhe. Ein 1,80 Meter langer Bogen aus Eibenholz – er selber war nur 1,60 Meter groß. Der Köcher mit vielen Pfeilen dazu. Das auch damals wertvolle Kupferbeil. Ein auf wissenschaftlicher Grundlage entstandenes Modell von ihm, das seinem wirklichen Aussehen nahe kommen soll. Das alles und noch viel mehr, was ich hier gar nicht aufzählen möchte. Dazu wird alles in kurzen, aussagekräftigen Worten erläutert und von Kurzfilmen begleitet. Mehr geht nicht, müssen doch pro Jahr 250.000 Besucher durchgeschleust werden, weswegen es im Sommer, da der Einlass begrenzt ist, am Eingang auch mal längere Wartezeiten geben kann.

Mittelpunkt der Ausstellung ist jedoch etwas anderes. Natürlich ist es der Ötzi selber, der, wenn er nicht gerade zu wissenschaftlichen Untersuchungen unterwegs ist, bei minus sechs Grad und bei 99 Prozent Luftfeuchtigkeit in seiner Tiefkühlkammer liegt. Bedingungen fast wie im Eis. Es ist äußerst aufwändig und schwierig, den Verfall einer Feuchtmumie zu stoppen.
Man reiht sich in eine im Herbst kurze Schlange ein und schiebt sich langsam an dem kleinen Guckfenster vorbei, durch das man ihn betrachten kann. Schon in der Schlange kann man an dem vor einen Stehenden den einen oder anderen Blick auf ihn erhaschen. Doch dann steht man selber vor dem Fenster, vielleicht eine Minute lang. Und dann betrachtet man ihn wirklich und leibhaftig, das Original und nicht nur ein Foto oder Filmaufnahmen, wie man sie zigmal gesehen hat. Das ist schon irgendwie ergreifend. Und man hat, nicht wie bei den ägyptischen oder anderen Mumien, nur eine trockene, leere Körperhülle vor sich, denen die Eingeweide entnommen wurden, sondern einen vollständigen Menschen. Und auch hier muss man sich vor Augen führen, dass dieser vor über fünf Jahrtausenden gelebt hat, als die Welt noch vollkommen anders aussah und war. Als sie nur wenige Millionen Einwohner zählte und nicht wie heute fast acht Milliarden und bald noch viel mehr. Als es noch viel Natürlichkeit auf ihr gab und erst wenige kulturell veränderte Landschaften.

Nach solchen Eindrücken muss man dann erstmal in Ruhe alles sacken und auf sich wirken lassen. Und für uns war es klar, dass wir nun auch die Landschaft selber kennenlernen wollten, in der der Ötzi an seinem letzten Lebenstag unterwegs war.

Am nächsten Tag sind wir im Schnalstal unterwegs, das etwas westlich von Meran, kurz hinter Naturns, seinen Anfang nimmt. Gleich links am Taleingang liegt auf einem Berg, sozusagen als Talwächter, Schloss Juval, die rund 800 Jahre alte Burg Reinhold Messners. Man kann sie besichtigen, und in ihr ist auch eines von Messners Museen untergebracht, das Messner Mountain Museum, das über die Mystik der Bergwelt berichtet. Außerdem hat man von der Burgmauer einen eindrucksvollen Blick auf das flache Vinschgautal der Etsch mit seinen Obstplantagen und Weinfeldern, das von hohen Bergrücken flankiert wird. Wir haben die Burg schon vor Jahren besucht.

Doch dieses Mal fahren wir daran vorbei, talaufwärts bis zu dem kleinen Ort Vernagt, der an einem großen Stausee liegt. Dort schnüren wir die Wanderstiefel und schultern die Rucksäcke. Zunächst bewundern wir uralte Höfe aus dunkel gebeizten Balken. Viele Steine liegen auf den Dachpfannen. Um die 500 Jahre alt sollen diese Häuser sein, so erzählt uns am frühen Morgen eine Bäuerin, die auf den täglich kommenden Milchlaster wartet. Und es liegt nicht mehr wie früher in jedem Winter Schnee, trotz einer Ortshöhe von 1700 Metern. Auch hier macht sich der Klimawandel bemerkbar, so erzählt sie.

Zunächst über eine kleine asphaltierte Straße, die zu anderen Höfen hinaufführt und über Wiesengelände, erreichen wir die Waldregion. Und die lässt uns staunen. Denn nicht wie über Meran oder drei Tage zuvor in den Dolomiten besteht sie aus Fichten, sondern hauptsächlich aus Lärchen. Und die zeigen sich jetzt im Oktober von ihrer allerschönsten Seite. Manche sind noch leicht grün. Die meisten jedoch zeigen sich in einem leuchtenden Nadelkleid aus den Farbtönen gelb, braun und fast orange. Später, am Nachmittag auf dem Rückweg im strahlenden Licht der Sonne, wirken sie fast golden, und das unter einem kräftig blauen Himmel. Was sind das für eindrucksvolle Farbkompositionen! Sie wirken fast unwirklich. Als wir unter ihren Zweigen hindurch wandern, haben wir das Gefühl, in einem Märchenwald unterwegs zu sein.

Als wir den Wald verlassen, haben wir den weiteren Talverlauf vor Augen. Hoch oben an den Hängen erkennen wir eine kleine Senke, das Tisenjoch, an dem der Ötzi seine letzten Lebensminuten verbracht hat. Auch ist, wenn auch sehr klein, das Denkmal auszumachen, das für ihn dort oben in 3200 Metern Höhe aus Steinen aufgeschichtet wurde.
Jedes Jahr im Juni werden übrigens über diesen Übergang zum Ötztal, der über die italienisch-österreichische Grenze führt, nach uraltem Weiderecht die Schafe getrieben. Heute sind es immerhin noch 3500 pro Jahr, also eine große Herde. Im September werden sie dann zurückgeholt.

Weiter oben erreichen wir Wiesengelände, das sich auch nicht mehr grün, sondern jetzt rostfarben zeigt. Dazu zu beiden Seiten die grau-braunen Hänge der flach ansteigenden Felswände. Alles passt farblich irgendwie zusammen und scheint aufeinander abgestimmt zu sein. Optisch hat es mehr zu bieten, als die sommerliche Natur. Und auch die Temperaturen, denn die sind, als wir die frühen und kalten Morgenstunden hinter uns haben, in diesem Gelände angenehm warm, so dass wir uns auf der Wiese sonnen und die Füße schon mal in einen der kalten Bäche stellen können. Und auch die Bachläufe zeigen sich im Gegenlicht der Sonne märchenhaft. Wie silberne Adern plätschern sie über kleine Kaskaden die rostfarbenen Wiesenhänge hinunter.
Hatte der Ötzi, der dieses Tal gut gekannt hat und wahrscheinlich sogar wie wir heraufgekommen ist, auch einen Blick dafür? Vermutlich nicht, denn für ihn war es Alltägliches. Aber auch er wird vielleicht im Oktober in seiner Heimat im Eisacktal jedes Jahr die noch wärmenden Sonnenstrahlen genossen haben, bevor ein langer und schneereicher Winter begann.

Nach rund 900 Höhenmetern erreichen wir die Region der steilen Geröllhänge, über die uns ein Pfad führt. Noch ein Stück höher gelangen wir in die noch steiler werdende Felsregion, so dass der Weg über brüchiges Gestein in scharfen Kehren an Höhe gewinnt. Dafür aber schnell, und dafür werden die Ausblicke in die Ferne immer großartiger. Aber auch die in die unmittelbare Umgebung, denn über das wilde Felsgetrümmer vor uns trollen sich gemächlich fünf Gämsen davon.

Nach einigen Stunden Wanderung erreichen wir die Höhe eines langgezogenen Kamms aus Bergrücken und damit die Similaunhütte, die in einer Höhe von 3019 Metern liegt. Natürlich ist sie schon geschlossen. Doch das stört uns nicht. Wir lassen uns in ihrem Schutz im Windschatten – ist es hier oben doch kalt – auf einer Bank nieder, picknicken und schauen dabei in die Ferne. Nach Osten auf die vergletscherten Hänge des Similaun, zu dessen Gipfel es noch 600 Höhenmeter sind. Nach Westen hin erhebt sich über Bergen im Vordergrund ein berühmtes Dreigestirn der Alpen: Ortler, Monte Cebrù und Königspitze. Auf dem Gipfel des erstgenannten Berges habe ich vor einigen Jahren gestanden und an diesem Berg auch Dramatisches erlebt. Da werden alte Erinnerungen wach.
Zu einer anderen Seite zweigt ein kleiner Pfad ab. Der führt noch 200 Höhenmeter und eine Wegstunde bergauf zum Tisenjoch, dem Todesort des Ötzi. Wir verzichten an diesem Tag jedoch auf den Weg dorthin, wären es doch mit Hin und Zurück zwei Stunden mehr. Für den nächsten Tag haben wir im Rosengarten und über den Schlern eine besonders große Bergtour geplant, und dafür müssen wir unsere Kräfte einteilen. Aber das, was wir bisher erwandert und erstiegen haben, reicht uns aus. Wir haben jetzt die Landschaft kennengelernt, die auch der Ötzi kannte. In der er unterwegs war, und in der er schließlich im Alter von etwa 45 Jahren auch seinen Tod gefunden hat.

Von so viel Historie aus der Kupfersteinzeit und einer zu dieser Jahreszeit mit ihren Farben traumhaften Landschaft, die nicht viel anders ist als vor 5000 Jahren auch, sind wir sehr angetan. Der Ötzi wird einen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen, und wir werden alles Weitere mit viel Interesse verfolgen, was in den Medien darüber berichtet wird. Über 100 Wissenschaftlerteams aus aller Welt haben bisher an der Eismumie geforscht, dabei völlig neue Untersuchungsmethoden entwickelt. Und auch in Zukunft wird es neue, spannende Erkenntnisse geben. Auch am Ötzi gibt es noch viel zu entdecken.

Siehe auch: <linkembed href="https://www.myheimat.de/hannover-bemerode-kirchrode-wuelferode/freizeit/bergsteigen-in-den-dolomiten-cortina-dampezzo-ist-ein-gutes-revier-dazu-fotos-markus-und-kurt-wolter-d2772014.html">
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Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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