Der Conti-Turm der zukünftigen Wasserstadt Limmer erstrahlt in neuem Glanz – doch vorher hatte er seinen morbiden Charme

Über 100 Jahre alt und nun wie neu.
55Bilder
  • Über 100 Jahre alt und nun wie neu.
  • hochgeladen von Kurt Wolter

Wer im hannoverschen Stadtteil Limmer über eine der Brücken fährt, die den Stichkanal zum Lindener Hafen überqueren, der hat, wenn er dann der schmalen, langgezogenen Wasserfläche nach Norden folgend zur Seite blickt, ein markantes Bauwerk in seinem Blickfeld. Das ist der einstige Wasserturm des ehemaligen Conti-Geländes, der heute ein Wahrzeichen hannoverscher Industriegeschichte ist.

Seit rund eineinhalb Jahrhunderten wurden dort in einem großen Werk, das 1928 in der Continental AG aufging, Produkte aus Kautschuk hergestellt. Bis zu 6.000 Arbeiter produzierten an diesem Standort Fahrradreifen und viele andere Produkte aus Hart- und Weichgummi. Und das bis zum Jahr 1999. Dann wurde das Werk stillgelegt und zunächst sich selbst überlassen. Doch nicht allzu lange, denn schon wenige Jahre danach rollten Baufahrzeuge an, die die Fabrikhallen so nach und nach abrissen, sollte das Gelände doch für einen neu entstehenden Stadtteil, die Wasserstadt Limmer, freigemacht und saniert werden.

Wer sich dort heute umschaut, der sieht in dem Dreieck zwischen der Wunstorfer Straße, dem Stichkanal zum Lindener Hafen und dem Leineverbindungskanal weite, kahle Flächen. Doch nicht ganz, denn einige der einstigen Fabrikgebäude aus rotem Backstein, die unter Denkmalschutz stehen, sind erhalten geblieben. Und natürlich nicht nur die, sondern am Mittelpunkt des Geländes auch der zurzeit einsam und allein stehende Conti-Turm mit seinem charakteristischen gelben Zylinder an der Spitze. Einem Schornstein gleich, diente er damals als Wasserturm. Dass dieser einmal von Fabrikgebäuden umgeben war, ist jetzt nur noch schwer vorstellbar. Doch die Bilder dieses Beitrages dokumentieren es.
Und diese Übergangsjahre von der Stilllegung bis zum heutigen Jahr 2017 waren für denjenigen, der das Gelände erforschen wollte, eine spannende Zeit. Natürlich war das Betreten der Geisterstadt verboten. Doch wer wollte fand immer irgendwo einen Zugang. Schließlich machte es auch keinen Sinn mehr das Gelände zu verschließen, und der Zutritt wurde, wenn auch nicht erlaubt, so doch geduldet. Ob Abenteurer, Fotografen, Graffitisprayer, Gruppen von Jugendlichen, sogar Filmemacher und Familien mit Kindern beim Sonntagsspaziergang. Sie alle wollten mal gucken wie es in den Industrieruinen, die schnell von der Natur erobert wurden, aussah. Und irgendwie aufregend war das schon. In anderen Beiträgen habe ich darüber berichtet.

Am spannendsten war aber eines, das natürlich auch nicht erlaubt war, aber zunächst ebenfalls geduldet wurde. Und das war das Besteigen des Wasserturms. Mehrmals war ich dort oben. Schon der Aufstieg war ein Abenteuer. Zunächst musste die lange Eisenleiter erreicht werden, die erst in etwa vier Metern Höhe begann. Dann die vielen Sprossen, was ordentlich die Armmuskulatur beanspruchte. Danach über zwei weitere Leitern durch das Innere des gelben Conti-Zylinders. Durch eine Luke gelangte man schließlich auf dessen Dach, die oberste Aussichtsplattform. Und natürlich war der Blick von dort oben faszinierend. Auf die Dächer der Fabrikgebäude des Geländes, die nähere Umgebung mit den Kanälen und den Stadtteilen Limmer und Linden und auf die Silhouette der City von Hannover.
In den letzten Jahren wurde das Besteigen des Turmes aber rigoros untersagt. Mindestens zweimal hat die Feuerwehr dort eine Rettungsaktion durchgeführt, die den Betroffenen, die vermutlich nicht gerettet werden wollten, da sie den Abstieg vermutlich auch aus eigener Kraft geschafft hätten, teuer zu stehen gekommen sein wird. Sie mussten den Feuerwehreinsatz bezahlen.

Doch das alles ist nun endgültig vorbei. Über einen Zeitraum von drei Monaten wurde der immerhin über 100 Jahre alte Wasserturm für die Summe von knapp einer Million Euro saniert. Schon Ende März wunderte man sich über ein Gerüst, das um ihn herum hochgezogen wurde. Um die Arbeiten am Mauerwerk und dem Zylinder obenauf wetterfest zu machen, wurde das Ganze in weiße Planen verpackt. Christo hätte sicher seine helle Freude daran gehabt.
Im Juli war die Aktion beendet. Das Gerüst wurde entfernt, und nun strahlt der Turm in neuem Glanz, allen voran der gelbe Zylinder mit den großen Continental-Buchstaben. Zwei Meter ist das C hoch.
Und um den Turm herum befinden sich nun am Boden auch große aus Beton bestehende Zahlen. Die Ziffern neun bis vier. Der Künstler Matthias Lehmann hat diese Installation geschaffen und damit eine riesige Sonnenuhr. Der Schatten des Turmes zeigt die mittleren Tageszeiten an. "Zwölf Uhr mittags", in Anlehnung an den berühmten Western mit Gary Cooper, nennt Lehmann sein Werk, das aber nur vorübergehend bleiben soll. 

Und in einigen Jahren, wenn der neue Stadtteil stehen wird, wird der Conti-Turm dann der Mittelpunkt der neuen Wasserstadt sein und er wird daran erinnern, dass er einst zu einem großen Fabrikgelände gehörte und später zu einer Geisterstadt. Viele Abenteurer, Graffitisprayer und Fotografen werden dieser Parallelwelt mit ihrem morbiden Charme nachtrauern, war das doch Industrieromantik pur, ein einmaliges Gebiet. Doch andere werden dann in bester Wohnlage, umgeben von Wasserflächen, ein neues Zuhause haben. Und vermutlich werden sie das eine oder andere Mal zu dem gelb leuchtenden Conti-Zylinder hinaufschauen, der dann das Wahrzeichen der neuen Wasserstadt sein wird.

Wer mehr über das Conti-Gelände erfahren möchte: Das alte Conti-Gelände in Limmer

-

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

35 folgen diesem Profil

5 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.