Riga, die Schöne im Baltikum

Riga, die lettische Kapitale an der Mündung der Daugava in die Rigaer Bucht. Der Glockenturm von St. Petri verschafft den schönsten Blick über die Stadt.
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  • Riga, die lettische Kapitale an der Mündung der Daugava in die Rigaer Bucht. Der Glockenturm von St. Petri verschafft den schönsten Blick über die Stadt.
  • hochgeladen von Elke Backert

Wer die lettische Hauptstadt Riga besucht, trifft beim „Spaziergang durch die Jahrhunderte“ auch auf viele Zeugnisse deutscher Geschichte. Herrliche Fassaden im Jugendstil haben ihr den Namen „Schatzkammer des Jugendstils“ eingebracht.

Es ist früher Nachmittag. Im „Lido“ am Domplatz drängen sich junge Leute. Lettische Jugend, lettische Studenten. Denn das rustikale Lido serviert einheimische Gerichte und Getränke zu lettischen, das heißt erschwinglichen Preisen. Vielleicht das einzige Relikt aus der Zeit vor der Wende und ein angenehmes zugleich.
Vorbei sind die Zeiten, als man in Riga drei Tage in denselben Kleidern verbringen musste, weil das Gepäck nicht mit einem gelandet war und es für den verwöhnten Westdeutschen nichts Vernünftiges zum Anziehen zu kaufen gab. Auch das Visum gehört der Vergangenheit an. Ein Reisepass mit zweimonatiger Gültigkeit nach Reiseende genügt für einen Riga-Besuch. Zum 800-jährigen Stadtjubiläum und anlässlich der Wahl zur Kulturhauptstadt 2014 hat sich die lettische Metropole fein herausgeputzt. Nicht nur die historischen Bauten zeigen sich von ihrer schönsten Seite, auch Läden und Boutiquen verkaufen Mode vom Feinsten. Lediglich das alte Kopfsteinpflaster ist geblieben. Und das ist gut so. Denn so profitiert der Besucher vom mittelalterlichen Flair der vorzüglich restaurierten Stadt. Ein Bummel durch „Vecriga“, Altriga, gleicht einem Rundgang durch ein Architekturmuseum. Diese architektonische Vielfalt fand 1997 Würdigung durch die Vereinten Nationen: Riga wurde in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen, wobei als Kriterien u. a. die weltweit umfangreichsten und am besten erhaltenen Ensembles von Jugendstilgebäuden hervorgehoben wurden.
Riga quillt nahezu über von Baudenkmälern des Mittelalters bis zu denen des Jugendstils Anfang des 20. Jahrhunderts, rund 800 an der Zahl. Die Fassaden dieser Wohnhäuser, ob in der Alberta- oder der Elisabethstraße, strahlen mit ihren gewaltigen Ornamenten, Tierfiguren und menschlichen Gesichtern herrschaftliche Erhabenheit aus. Michail Eisenstein, der Vater des berühmten Filmregisseurs Sergej, gestaltete einige der Fassaden, etwa die der Häuser mit den Nummern 2, 2a, 4, 6 und 8 in der Fr.-Gailja-Straße, auch „die Straße von Eisenstein“ genannt.
Der monumentale backsteinerne Dom mit dem 90 Meter hohen viereckigen Glockenturm geht auf das Jahr 1211 zurück. Als 1883/84 die deutsche Firma Walker aus Ludwigsburg eine Orgel mit 6768 Pfeifen und 127 Registern einbaute, war sie die größte der Welt. Noch heute ist sie dank ihres brausenden Klangs über die Grenzen berühmt. Höher als der Turm des Doms ist mit seinen 137 Metern nur der im Zweiten Weltkrieg zerstörte und wieder errichtete schlanke Turm der Petri-Kirche aus dem Jahre 1209. Er gilt als Wahrzeichen Rigas. Ein Fahrstuhl bringt Neugierige auf die 72 Meter hohe Aussichtsplattform: Die Stadt liegt einem zu Füßen. Auf beiden Seiten des bis zu 500 Meter breiten Flusses Daugava, zu deutsch Düna, belegen Grünanlagen und Parks, dass Riga sich mit Fug und Recht die „Grüne Stadt“ nennen darf. Zum Ärger der Stadtbewohner überflügelte den Petri-Glockenturm der sozialistische Bau des Latvija-Hotels um einen Meter! Doch seit das Hotel völlig renoviert und im Mai 2002 super elegant wieder eröffnet wurde, sind mindestens im Innern die Spuren des Sozialismus beseitigt.

Und doch bleiben Erinnerungen wach. Wer Riga vor oder gleich nach der Wende besuchte, dem klingen noch Wortfetzen in den Ohren: „Riga postcards ein Lat, drei Mark.“ Um an die begehrte Deutsche Mark heranzukommen, streckten uns Menschen aller Altersklassen Silbermünzen entgegen: „Ganz billig.“ Für harte Valuta trennten sich die Einwohner von lieb gewordenem Besitz. Silber, Bernsteinschmuck, antike Taschenuhren, Meyer`s Konversationslexikon von 1898 – mit zehn Mark war man dabei. Stumm boten Frauen und Männer mit vom harten Überlebenskampf gezeichneten Gesichtern entlang der Marktstraßen ihre Ware feil: einen selbst gestrickten Pullover, ein Paar Schuhe, eine Puppe.
Heute sind es schlaue Rigenser, die sich als Souvenir-Händler betätigen. Ein Andenken oder Mitbringsel ersteht doch jeder. Und was eignet sich besser als Bernstein, vielleicht auch der hochprozentige schwarze Kräuterlikör „Balzams“. Die zu Markthallen umfunktionierten Zeppelinhallen offerieren ein riesiges Angebot, einem Supermarkt ähnlich. Frisches Obst und Gemüse ersteht man auch an Ständen im Freien. Kaufen kann man alles, auch die zahlreichen hübschen Mädchen.

Südländisch heiter gibt sich Riga in der warmen Jahreszeit, wenn Jung und Alt an in den Fußgängerzonen und auf Plätzen aufgestellten Tischen ihre Drinks nehmen.
Restaurants servieren von armenischer, britischer und französischer Küche über indische, japanische und thailändische bis zu ukrainischer und vietnamesischer Küche alle Spezialitäten dieser Welt. Da rangiert die erste deutsche Restaurant-Bar nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs, das „Jever Bistro“, zu jener Zeit von einem Hamburger geführt und eine Sensation, schon lange nicht mehr an erster Stelle. Als „Abschleppladen“ war und ist es jedoch sehr beliebt. Hinzu gesellten sich das „Bremen“ und das „Zeppelin“, die beide Becks Bier vom Fass, Paulaner und Franziskaner Weißbier in Flaschen führen. Die Speisekarte gibt es nur auf Deutsch, und (Wiener) Schnitzel mit Pommes scheint die Spezialität. Der regelmäßig erscheinende und im Hotel erhältliche Führer „Riga in your pocket – The ultimate City Guide“ lässt an den beiden Letzteren kein gutes Haar. Doch ist er nützlich, denn er zählt alle Restaurants auf und nennt die Durchschnittspreise für die jeweiligen Menüs. Da mangelt es nicht an Fast-food-Läden und Schnellimbissen, nicht an Internet-Cafés, es fehlen weder Bars noch Musik- und Nachtclubs jedweder Couleur. Das Nachtleben kennt übrigens keine Sperrstunde.
Was den Hotelkomfort angeht, können Gäste zwischen elegant-historischem Ambiente und modernem Design wählen. Drei Hotels sind mit fünf Sternen ausgezeichnet, eins davon ist das Grand Palace im Herzen der Altstadt. Um beim Essen die beste Aussicht zu genießen, diniert man im Obergeschoss des mit vier Sternen ausgezeichneten Hotel de Rome, im Restaurant „Otto Schwarz“. Probieren Sie Elchsteak!
Ein besonderes Konzept entwickelte der 1997 eröffnete Konventhof (Hotel Konventa Seta). Zehn zum Teil aus dem Mittelalter stammende Häuser wurden aufwändig restauriert und zu einem einzigartigen Hotelensemble umgestaltet. Für Gäste, die mit dem Auto anreisen, eignet sich das im Mai 2000 eröffnete Park Hotel Maritim. Auf der anderen Flussseite gelegen, ist es bequem zu erreichen und der Parkplatz kostenlos. Firmen finden hier gute Konferenzmöglichkeiten.

Mit zunehmendem westlichen Standard zeigt sich, für jeden Besucher auf der Straße sichtbar, dass Alkohol und noch immer Armut nicht zuletzt in Lettland, dem Herzen des Baltikums, für Probleme sorgen. Auch darauf macht der „City Guide“ aufmerksam und rät jedem, auf sein Geld Acht zu geben. Aber wo muss man das nicht? Vor allem sollten Besucher den zwei Wache stehenden Soldaten vor „Milda“ keine Grimassen schneiden oder sie in irgendeiner Weise verwirren. Denn Milda ist den Einwohnern heilig. Milda heißt die Freiheitsstatue, die seit 1935 42 Meter über der Erde einen Sternenkranz gen Himmel reckt, der die drei ehemaligen lettischen Provinzen symbolisiert: Kurland, Livland und Lettgallen. Als Symbol einer freien lettischen Nation überdauerte Milda sowohl die nationalsozialistischen Machthaber, die innerhalb von drei Jahren den größten Teil der jüdischen Bevölkerung Lettlands ausrotteten, als auch die russischen Besatzer, die sich 1991 geschlagen geben mussten. Heute, 23 Jahre danach, freut sich der Besucher mit der einstigen Hansestadt, dass sie es in relativ kurzer Zeit geschafft hat, wieder die stilvolle und elegante Metropole zu werden, die sie in den 30er Jahren gewesen sein muss, als man sie gern mit Paris verglich und „das kleine Paris des Nordens“ nannte.
Als Riga, 1201 als deutsche Stadt von Bischof Albert gegründet, im Jahre 1282 der Hanse beitrat, wurde sie zu einer der mächtigsten und reichsten Hansestädte. Bis zum Ersten Weltkrieg lebten rund zehn Prozent Baltendeutsche in Lettland, in den 30er Jahren immer noch vier Prozent, vor allem in Riga selbst. Der Stadtgründer Bischof Albert entstammte einem bremischen Geschlecht. Seit 1985 ist Bremen Partnerstadt Rigas. Da wundert es nicht, dass man einen „Roland“ und die „Bremer Stadtmusikanten“ vorfindet. Und dass die Backsteinbauten der Hansestädte von Bremen über Lübeck bis Stralsund den Baumeistern in Riga als Vorbild dienten.
Viele Gebäude wurden einer neuen Nutzung zugeführt. So beherbergt das Schloss, dessen Grundstein 1330 gelegt wurde, heute drei Museen, darunter das Museum der bildenden Kunst des Auslands mit bedeutenden Werken flämischer und deutscher Meister. Der Schlosspark verwandelte sich in einen Skulpturen-Garten.
Von den ursprünglich 24 Festungstürmen steht nur noch der Pulverturm. In ihm ist das Kriegsmuseum Lettlands untergebracht, das über den Freiheitskampf der Letten von 1812 bis 1945 informiert. Das Schwedentor, zur Zeit der schwedischen Herrschaft im Jahre 1698 errichtet, blieb als einziges Stadttor unversehrt erhalten.
Allüberall schmucke Bürgerhäuser. Ein Muss sind die schmalbrüstigen „Drei Brüder“. Das älteste der drei, Nummer 17, das mit dem gotischen Stufengiebel, ist zugleich das älteste Wohnhaus Rigas. Zwei Gildenhäuser, das Haus der Großen und das Haus der Kleinen Gilde, 1903 in Form der Spätgotik gestaltet, erinnern an Rigas Zeit als Hansestadt. Witzig das „Katzenhaus“: Aus Verdruss darüber, dass er nicht in die Gilde aufgenommen wurde, ließ ein Kaufmann je eine Katze auf zwei Türmchen seines Hauses setzen, deren Hinterteile (!) der Gilde zugewandt waren. Als der Streit beigelegt war, wurden die Kater umgedreht.
24 Speicherhäuser stehen wieder glänzend da. Auch das Schwarzhäupterhaus im Stil der niederländischen Renaissance aus dem Jahr 1334 erstrahlt erneut in voller Pracht. Es war das Haus einer Bruderschaft unverheirateter Kaufleute, die den „Mohrenkopf“ des Heiligen Mauritius in ihrem Wappen trugen. Getreu der früheren Inschrift „Sollt` ich einmal fallen nieder, so erbauet mich doch wieder“, wagte man das Wunder: eine Rekonstruktion des zweigeschossigen Gebäudes aus rotem Backstein. Der mächtige Giebel ist mit Skulpturen und Schmiedeeisen-Arbeiten geschmückt.
Kulturmittelpunkt ist nach einer gelungenen Renovierung wie eh und je das Opernhaus, ein neoklassizistischer Bau mit monumentalem Portikus, ionischen Säulen und reich verziertem Giebel. Richard Wagner ließ sich seinerzeit, als Kapellmeister in Riga, zur Oper „Rienzi“ inspirieren.
Mit Denkmälern würdigt die Stadt neben Wagner einen weiteren Deutschen, den Philosophen Johann Gottfried von Herder. Er wirkte 1764 als Lehrer an der Domschule. Nach seinem Aufenthalt soll er das schmeichelhafte Urteil abgegeben haben, er habe in Riga einige seiner schönsten Jahre verbracht.

Eine kurze Fahrstrecke mit Zug, Bus oder Taxi von der „Perle des Baltikums“ entfernt dehnt sich über 30 Kilometer der breite feinsandige Ostseestrand von Jurmala. In den Schutz von Dünenkette und Kiefernwäldchen kuscheln sich die schönsten alten mit aufwendigen Schnitzereien verzierten Holzvillen. Einst waren sie die Sommerquartiere reicher Russen im Kur- und Seebad Jurmala. Kaum mehr kann man sich vorstellen, dass der Badeort für die westliche Welt ein halbes Jahrhundert unzugänglich war. Moor- und Schwefelbäder in den Sanatorien genießen internationalen Ruf.
Bei gutem Wetter lohnt ein Ausflug zum Schloss Rundale, einer gewaltigen Sommerresidenz, 1734 vom Architekten Rastrelli erbaut, der auch das Winterpalais in St. Petersburg entworfen hat.
Schnieder Reisen in Hamburg, Tel. 040/3802060, www.schnieder-reisen.de, ist spezialisiert auf Riga, ganz Lettland und das Baltikum, und die offizielle Lettland-Seite: www.latvia.travel/de

Bürgerreporter:in:

Elke Backert aus Hamburg

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