Jakobspilgerweg in Hamburgs Innenstadt

St. Gertrud in der Häuserfront am ehemaligen Gertrudenkirchhof. An diesem Platz stand bis 1842 die Gertrudenkapelle, die zur Hauptkirche St. Jacobi gehörte.
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  • St. Gertrud in der Häuserfront am ehemaligen Gertrudenkirchhof. An diesem Platz stand bis 1842 die Gertrudenkapelle, die zur Hauptkirche St. Jacobi gehörte.
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Von der Außenalster und über den Vorort St. Georg erreicht der Jakobspilger das Zentrum der Welt- und Hafenstadt Hamburg. In der Innenstadt kommt er unmittelbar oder nicht weit entfernt an den fünf Hamburger Hauptkirchen vorbei. Folgender Spruch kennzeichnet die einstige Sozialstruktur der zugehörigen Kirchspiele:

"Sankt Petri de Rieken
Sankt Nicolai desglieken
Sankt Catharinen de Sturen
Sankt Jacobi de Buren
Sankt Michaelis de Armen
Daröber mag sick Gott erbarmen."

Bevor der Pilger jedoch auf eine der Hauptkirchen trifft, gelangt er zum Gertrudenkirchhof, auf dem bis zum Großen Brand von 1842 die kurz vor 1400 erbaute Gertrudenkapelle stand. Die heilige Gertrud (626 - 659) wird wie St. Jakob als Schutzpatronin der Spitäler und der Reisenden verehrt, denn als Äbtissin des Klosters Nivelles in Brabant hat sie sich besonders der Pilger („Peregrini“) und Armen angenommen. Die Kapelle in Hamburg war ein achtseitiger Kuppelbau und eine Perle der gotischen Baukunst. Trotz ursprünglicher Wiederaufbaupläne wurde sie nicht wieder erstellt. In einer Häusernische des Platzes kann man jedoch noch die Figur der heiligen Gertrud sehen. Das Vermögen der Kapelle wurde für den Aufbau der Kirche St. Gertrud auf der Uhlenhorst verwandt. Der Weg führt vom Gertudenkirchhof weiter nach St. Jacobi, die bereits im Mittelalter von Jakobspilgern angesteuert wurde.

Ausgangspunkt des weiteren Weges ist St. Jacobi (s. eigenen Artikel: Jacobikirche in Hamburg). Nach wenigen Schritten erreicht der Pilger am Speersort den in den 60er Jahren entdeckten und ausgegrabenen "Bischofsturm", ein ringförmiges Turmfundament aus dem 12. Jahrhundert. Nach neuerer archäologischer Interpretation wird es jedoch einem frühen mittelalterlichen Stadttor zugeordnet. Nahebei liegt die Hauptkirche St. Petri. Die im Grundriss auf das Mittelalter zurückgehende Kirche wurde nach dem großen Brand von 1842 in den Folgejahren wieder aufgebaut. Sie ist eine dreischiffige Hallenkirche. Der ursprüngliche Hauptaltar, eines der bedeutendsten mittelalterlichen Kunstwerke Hamburgs, befindet sich heute in der Hamburger Kunsthalle. Dieser Altar enthält 24 Tafeln, die obere Reihe enthält die Schöpfungsgeschichte von der Erschaffung der Erde und der Sonne bis zum Erdenleben des ersten Menschen, die untere Reihe bringt weitere Geschichten aus dem Alten Testament und im zweiten Teil die Kindheitsgeschichte Jesu Christi von der Verkündigung des Engels an Maria bis zur Flucht nach Ägypten. Der Maler Meister Bertram hat die Szenen mit intensiven Farben und ausdrucksvollen Gesten auf Goldgrund dargestellt.

Gegenüber der Nordseite von St. Petri stand der gotische Mariendom. Der mächtige Backsteinbau, eine fünfschiffige Hallenkirche, mit einem hohen Turm und einem zugehörigen Kreuzgang wurde leider 1804 - 1807 abgerissen. In den Jahren 1949 - 56, 1980 - 87 und erneut 2005/2006 fanden auf dem Domplatz umfangreiche archäologische Ausgrabungen statt. Es wurden Fundamente des Doms freigelegt, schließlich aber wieder zugeschüttet, so dass am Ort nichts vom ehemaligen Dom zu sehen ist. Die einst reiche Domausstattung wurde nach ganz Europa verkauft. Der Hochaltar des Domes von 1499, der das Marienleben darstellte, ist heute im Kunstmuseum von Warschau zu bestaunen. Aus dem Mariendom stammt auch die Holzskulptur des Heiligen Ansgar, des Gründers der Stadt, aus der Zeit um 1480, die sich heute in der benachbarten Petrikirche befindet. Der Heilige trägt ein Modell des ehemaligen Doms.

Bei der Petrikirche überquert der Pilger die stark befahrene Bergstraße und gelangt über die Rathausstraße zum Rathaus. Wenige Schritte von St. Petri entfernt ragt das Hamburger Rathaus mit seinem hohen Mittelturm heraus, ein Bau der Neorenaissance und des Historismus. Das Rathaus wurde an der Stelle eines ehemaligen Dominikanerklosters St. Johannis (errichtet 1239) nach dem Großen Brand von 1842 geplant. Nach mehreren verworfenen Rathausentwürfen wurde der Plan eines Rathausbaumeisterbundes unter der Leitung von Martin Haller 1884 genehmigt. 1897 wurde der repräsentative Bau fertiggestellt.

Von seiner breiten Fassade schauen zwanzig Könige und Kaiser des alten deutschen Reiches herab, von Karl dem Großen bis Franz II. Über den Majestäten stehen am Mittelturm als Sinnbild hanseatischer Eigenständigkeit die Skulpturen der bürgerlichen Tugenden: Weisheit, Eintracht, Tapferkeit und Frömmigkeit. Zu oberst prangt das Wappen von Hamburg. Es zeigt das wehrhafte Torhaus der Hammaburg, auf ihrem Bergfried ragt das Kreuz und über ihren Ecktürmen leuchten die beiden Sterne Mariens. Die Schutzherrin Hamburgs war und ist - wenn auch vielen Hamburgern nicht mehr bewusst - Maria.

Der Pilger kann auf dem Rathausmarkt verweilen oder auch zum Alsterfleet mit den Alsterarkaden und zu Hamburgs bekanntester Straße, dem Jungfernstieg, und zur Binnenalster schlendern, aber auch gleich in die Große Johannisstraße einbiegen.
Hinter dem Rathaus erhebt sich der klassizistische Bau der Hamburger Börse. An dieser Stelle stand 600 Jahre das Marien-Magdalenen-Kloster, das Ende der 1830er Jahre abgebrochen wurde. Die zugehörige Marien-Magdalenen-Kirche nahm den Raum des heutigen Adolphplatzes ein. Heute ist von dem Kloster nichts mehr zu sehen, aber eine Erinnerung an diese Stätte des Gebets und der Barmherzigkeit ist empfehlenswert.

Über die Börsenbrücke gelangt der Pilger zur Trostbrücke in das einstige Zentrum der Stadt. Bei der 1266 erstmals genannten Trostbrücke stand bis zum großen Brand von 1842 das ehemalige Rathaus, das die Feuerwehr sprengte, um dem Feuer Einhalt zu gebieten, was aber nicht gelang. An seiner Stelle steht heute das Haus der Patriotischen Gesellschaft, das 1845-47 im neugotischn Stil errichtet wurde. Von der Trostbrücke, die mit den Figuren des Missionsbischofs Ansgar und des Grafen Adolf III. von Schauenburg geschmückt ist, schauen wir in das Nikolaifleet, den mittelalterlichen Hafen von Hamburg. Auch die Ruine der neugotischen Kirche St. Nikolai (heute Mahnmal für „die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zwischen 1933 und 1945“) lädt zum Verweilen ein.
Der Turm ist 147 m hoch und damit der dritthöchste Kirchturm in Deutschland. Von dem Turm, auf den ein Fahrstuhl emporführt, hat der Pilger eine wunderbare Aussicht über die Hamburger Stadtlandschaft. Die neugotische Kirche wurde 1846 bis 1876 von dem englischen Architekten George Gilbert Scott im Stil der französischen Kathedralkirchen erbaut. Sie entsprach dem Geist der evangelischen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts. Die dreischiffige Basilika hatte vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg einen reichen Skulpturenschmuck, von dem Reste am Turm Zeugnis geben.

Etwas abseits vom Pilgerweg findet sich beim Katharinenkirchhof die Hauptkirche St. Katharinen. Diese gotische Backsteinkirche wurde zwischen 1380 und 1450 als Pfarrkirche für die damaligen Marschinseln Grimme und Cremon errichtet. Der Kirchbau ist etwas ungewöhnlich, da das Mittelschiff gegenüber den Seitenschiffen leicht erhöht ist, die von einem gemeinsamen Dach überspannt werden. Der unterste Turmteil stammt noch aus dem 13. Jahrhundert. Der mehrstufige barocke Helm aus Kupfer wurde aber erst im 17. Jahrhundert gebaut.

Zurück zum Hopfenmarkt biegt der Weg wieder nach rechts in den Großen Burstah. Der Rödingsmarkt, an dem bis ins 19. Jahrhundert auch noch ein Fleet zu sehen war, der wie viele andere zugeschüttet wurde, wird überquert. Wir gelangen über die Heiligengeistbrücke, eine schön geschwungene Alsterbrücke, auf die Fleetinsel zwischen Alsterfleet und Herrengrabenfleet. Auf der Fleetinsel befand sich bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts das Hospital zum Heiligen Geist. Über eine weitere Brücke, die Stadthausbrücke, kommen wir in die Michaelisstraße und passieren zur Linken die Kleine Michaeliskirche (St. Ansgar) mit der Katholischen Akademie. Vor dem Portikus ist ein kleiner Platz gestaltet, auf dem sich eine Figur von Karl dem Großen erhebt, der aber nie entgegen früheren Annahmen die Hammaburg gesehen hat. Von hier ist schon der Große Michel, das Wahrzeichen Hamburgs, zu sehen. Der barock-klassizistische Bau wurde nach Plänen von Ernst Georg Sonnin und Johann Leonhard Prey erbaut (s. Beitrag: http://www.myheimat.de/hamburg/kultur/kleiner-und-...).

Die breite Ludwig-Erhard-Straße, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg konzipiert wurde, queren wir am besten durch eine Unterführung. Linker Hand sehen wir die Bronzefigur der „Zitronenjette“, die im 19. Jahrhundert ihren spärlichen Unterhalt durch Zitronenverkauf bestritten hat. Am Chor der Michaeliskirche vorbei erreichen wir den Krayenkamp, von wo wir über einige Stufen zur Plattform der Kirche und ihrem Eingang gelangen, den die wuchtige Gestalt des Erzengels schmückt. Unmittelbar neben dem Michel an seiner Südseite sind die Fachwerkbauten der Krameramtswohnungen (Krayenkamp 10) zu besichtigen. Sie stammen aus dem 17. Jahrhundert. Das Krameramt, ein Verband Hamburger Kaufleute, stellte den Kramerwitwen die heute ansprechend wirkenden Kleinstwohnungen unentgeltlich zur Verfügung, eine bemerkenswerte frühe soziale Leistung.

Vom Michel geht es abwärts die Stiegen des Hohlen Weges. Wir biegen dann nach rechts in die Dietmar-Koel-Straße mit ihren vier skandinavischen Seemannskirchen.
Sehenswert ist vor allem die schwedische Gustav-Adolf-Kirche mit dem backsteinernen Turm. In der Nähe stoßen wir an die Elbe mit den Landungsbrücken. Der Pilger, der erstmals an den Elbstrom gelangt, wird dort erst einmal eine verdiente Pause einlegen wollen.

Der Hamburger Hafen, der hier gut zu überblicken ist, diente nicht allein dem Güterverkehr in alle Welt. Der Pilger, der unterwegs ist, kann sich in die Lage der Auswanderer versetzen, die von den Landungsbrücken und noch häufiger vom gegenüberliegenden Halbinsel mit dem verheißungsvollen Namen „Kehrwieder“ nach Übersee, besonders nach den Vereinigten Staaten von Amerika aufgebrochen sind, um dort auf der Pilgerschaft ihres Lebens neue Arbeit und möglichst ein Quäntchen Glück zu finden. 5 Millionen Menschen wanderten über Hamburg aus, außer Deutschen Polen, Litauer, Russen, Galicier, Österreicher, Tschechen, Slowaken, Ungarn und Rumänen, die Deutschland als Transitland benutzten. Besonders in der Zeit der Segelschiffahrt war die Überfahrt auf dem Zwischendeck, in dem Hunderte Menschen zusammengepfercht Wochen verbringen mussten, mit menschenunwürdigen Strapazen verbunden. Der „Verein zum Schutz der Auswanderer“ (gegr. 1850) und das katholische „Raphaelswerk“ (gegr. 1871) haben sich vor der Abfahrt, während der Überfahrt und nach der Ankunft in Übersee der Auswanderer angenommen. Der Gründer des Raphaelswerks, der Limburger Kaufmann Peter Paul Cahensly, hat seit 1865 Eingaben an den Hamburger Senat zur Verbesserung der Lage der Auswanderer verfasst.

Beachtenswert ist der Alte Elbtunnel. Zwei 448,5 m lange Tunnelröhren von 6 m Durchmesser führen 3 m unter der Stromsohle der Elbe nach Steinwerder auf die andere Elbseite. Die Pilger bleiben aber zunächst noch auf dem Weg oberhalb des rechten Elbufers.

Von den Landungsbrücken führt der Pilgerweg weiter über St. Pauli, Teufelsbrück, Nienstedten, Blankenese nach Wedel, wo der Pilger beim Willkommhöft mit der Fähre die Elbe überquert und durch das Alte Land weiter Richtung Bremen geht (s. die Beiträge http://www.myheimat.de/hamburg/kultur/pilgerweg-vo... und http://www.myheimat.de/harsefeld/kultur/pilgerweg-...).

Empfohlene Literatur zu diesem Beitrag und den Beitrag Pilgerweg von St. Jacobi bis Wedel:

Feldmann, Hans-Christian: Hauptkirche St. Jacobi Hamburg. München/Berlin: Deutscher Kunstverlag 1998.
Gretzschel, Matthias: Kirchen in Hamburg. Geschichte, Architektur, Angebote. Hamburg: Hamburger Abendblatt und Springer Verlag 2000.
Gretzschel, Matthias: Bürgersinn und Nächstenliebe. 775 Jahre Hospital zum Heiligen Geist. Hamburg: Convent Verlag 2002.
Goldgrund und Himmelslicht. Die Kunst des Mittelalters in Hamburg. Redaktion: Sebastian Giesen, Stephanie Hauschild, Helmut R. Leppien, Georg Syamken unter Mitarbeit von Urte Kraß. Hamburg: Dölling und Galitz Verlag 1999.
Haas, Diether (Hrsg.): Der Turm. Hamburgs Michel. Gestalt und Geschichte. Hamburg: Selbstverlag des Vereins Michaelitica an St. Michaelis 1986.
Hermanns, Manfred: Weltweiter Dienst am Menschen unterwegs. Auswandererberatung und Auswandererfürsorge durch das Raphaels-Werk 1871-2011. Friedberg: Pallotti 2011.
Hipp, Hermann: Freie und Hansestadt Hamburg. Geschichte, Kultur und Stadtbaukunst an Elbe und Alster. Köln: DuMont 1989.
Hootz, Reinhardt (Hrsg.): Hamburg/ Schleswig - Holstein (= Deutsche Kunstdenkmäler. Ein Bildhandbuch). 2. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1968.
Kaspersen, Soren: Der St. Petri-Altar zu Hamburg. Eine Analyse des heilsgeschichtlichen Zyklus Meister Bertrams. In: Der St. Petri-Altar zu Hamburg, hrsg. vom Verein für Katholische Kirchengeschichte in Hamburg und Schleswig-Holstein e.V. Husum: Verlag Matthiesen 1993, S. 8-80.
Pabel, Reinhold: Der Kleine und der Große Hamburger Michel. Hamburg: Hans Christians Verlag 1986.
Petzold, Eberhard: Mahnmal St. Nikolai. Hamburg: Historia Photoverlag 1995.

siehe auch die Beiträge:
http://www.myheimat.de/hamburg/?page=content%2Fwri...
http://www.myheimat.de/hamburg/kultur/pilgerweg-vo...
http://www.abendblatt.de/hamburg/magazin/article13...

Bürgerreporter:in:

Manfred Hermanns aus Hamburg

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