Gedicht an Ehefrau Maria zu ihrem 60. Geburtstag (1992)

Maria Hermanns, geb. Thienel, aufgenommen im Jahr 1961
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Oftmals habe ich gedichtet,
Lebensläufe zum Fest gesichtet,
Doch noch nie war ich so bewegt,
In meinem Herzen so erregt.

Jetzt, da Du, teure Maria,
Frau, Braut, Geliebte, Domina,
Begehest Dein Geburtstagsfest,
Möcht' ich schaffen das Allerbest.

Doch meine Sprache fängt nicht ein,
Was alles gesagt sollte sei,
Verstand und Herz sagen mehr
Als dürre Worte geben her.

Du selbst in Deiner edlen Art,
Hast Lob für and're nie gespart,
Suchtest nicht Preis und Ehr',
Setztest Dich gegen Tand zur Wehr.

Da Du heute wirst sechzig Jahr,
Gilt's zu sagen, was wirklich war,
Dein Leben recht zu würdigen,
Ist mir ein großes Anliegen.

Im Jahr des Herrn zweiunddreißig,
Ernte war eingebracht fleißig,
Wurde dem Bauer Thienel Bernhard
Und seiner Frau Maria zart

Die älteste Tochter geboren,
Nackt und ein wenig verfroren,
Ein allerliebstes Mägdelein,
Deutsch-Wettes neuer Sonnenschein.

Getauft mit Wasser der Biele,
Entrückt all' heidnischem Ziele,
Wuchs sie auf im katholischen Glauben,
Ein schönes Kind unter schlesischen Gauben.

Der Vater gab Geborgenheit,
Die Mutter schenkte Herzlichkeit,
Es war eine vertraute Welt,
Die Leib und Seele zusammenhält.

Zuwachs stellte bald sich ein,
Familie Thienel blieb nicht klein,
Gretel, Alfons, Elisabeth
Machten erst das Heim komplett.

Kutschfahrten durch Wald und Torf
Im Sommer nach Leuber und Langendorf,
Im Winter der Schlitten vom Holzberg
brachte Abwechslung ins Tagewerk.

Weit entfernt von der großen Politik
Scherte wenig das Ende der Republik.
Anfangs verschonte auch der Krieg,
Der Bombenhagel in Schlesien schwieg.

Doch dann rückte näher die Front,
Gefahr erwuchs am Horizont.
Schutz fand man im Sudetenland,
Bis verraucht der schlimmste Brand.

Zurückgekehrt ins traute Nest,
Erhofften sich Thienel das Best.
Doch Polen wurden einquartiert,
Die aus dem Osten deportiert.

Sie sollten nehmen Besitz,
Des bösen Krieges Aberwitz,
Was Thienel mühsam erworben,
Alle Hoffnung war gestorben.

Im Oktober roh vertrieben,
Kein Hab' mehr übriggeblieben,
Geworfen aus dem Heimatland,
Wehrlos und ohn' festen Stand.

So kamen sie an in Dierkow,
Ins Barackenlager mit Stroh,
Hunger, Typhus, sogar Läuse,
Gepfercht ins enge Gehäuse.

Die Mutter erkrankt in schwerer Not,
Der Körper keinen Widerstand bot.
Allein erlebten die Kinder Weihnacht,
Wer hätte das ein Jahr zuvor gedacht?

Bussewitz und Neugramsdorf Lager
Hießen die nächsten Stationen mager.
Drei Familien in einem Zimmer
Schlechter kann's ergehen nimmer.

Maria aus der Schule entlassen
mußte harte Arbeit erfassen.
In einem Warenlager schwer
Für ein zartes Mädchen allzusehr.

Als der Vater heimgekehrt,
Abgemagert uns ausgezehrt,
Musste er in dieser Virulenz
Sich schaffen eine neue Existenz.

Maria anno achtundvierzig
Zielbewusst, strebsam und eifrig,
Begann in der Apotheke zu Tessin,
Zu verkaufen Salbei und Strychnin.

Pillen und Spritzen sind heikle Ding,
Deshalb wurde sie zunächst Apothekenanlernling,
Auch ging sie zur Berufsschule,
Zu entfliehen der Bildungskuhle.

Später in schicker weißer Montur
Arbeitete sie selbständig in der Rezeptur.
Sie lernte auch das Leben in der Welt,
Das nicht nur sozial bestellt.

Harte Arbeit begonnen mit vierzehn
Konnte sie nicht ungeschoren durchsteh'n.
Scheuermann warf sie in Gipsbett,
Das sie fesselt wie ein Korsett.

In der tiefen Diaspora,
In der kleinen Ecclesia
War Maria trotzdem bereit
Zu wirken in der Jugendarbeit.

Eine Fachschule in Leipzig,
Die vorderhand lockte eifrig,
Erwies sich als kommunistisch,
Maria fand sie lügnerisch.

Sie blieb ihrem Gewissen treu,
Widerstand dem Ungeist ohne Scheu.
Sie mied Verblendung und leeren Wahn,
So zeichnete sich ab ihre weitere Bahn.

Ein Besuch im freien Westen
Sollte ihr gereichen zum Besten.
Tante Ottilie in ihrer Art
Schuf Basis für Wagnis und Start.

Ein Jahr bei Franziskanerinnen,
Um neue Sichten zu gewinnen,
Ein Jahr des Suchens und Findens
Wie auch des schweren Loswindens.

In Freckenhorst in Westfalen,
So steht es in den Annalen,
Lernte sie Kochen und Hausarbeit,
Kinder- und Gesundheitspflege sehr bereit.

Sie erfuhr die Chancen der Freiheit
Und streifte ab die Bande der Kindheit.
Sie wählte einen neuen Anfang,
Der ihr viel Energie abzwang.

Wenn auch die Trennung von den Lieben
Ihr manche Träne hat hervorgetrieben.
Sie bekannte sich zu ihrem neuen Weg,
Ein schwieriger, aber aufwärts führender Steg.

In Münster auf sich selbst gestellt,
Erprobte sie die neue Welt.
In Vlotho bei Singen und Fidelbau,
Da atmete auf die junge Frau.

Über Burg Rothenfels am Main
Führte ein weiterer Meilenstein,
Sie erschloss ihr einen Freundeskreis,
Der eröffnete ein neues Gleis.

In der Quickbornhochschulgruppe
Tauchte auf wie eine Sternschnuppe
Ein Student, der bisher in Bonn gewesen,
Ein die Gruppe reformierender Besen.

Maria beobachtet ihn distanziert,
Die Interessen schienen polarisiert.
Er wirkte auf sie jung und stürmisch,
Zielbewusst, aber wählerisch.

Im Nu war er der Gruppe Leiter,
Steckte die Ziele immer weiter.
Bei einer Gruppenfahrt durch Holland mit dem Rad,
Lernte sie näher kennen den Kamerad.

Von Liebe und Flamme noch keine Spur,
Allzu fremd war ihr die Kontur.
Es brauchte noch einige Zeit,
Bis durchschritten die Distanz so weit.

Maria erwarb die Bildungsreife
Für Wohlfahrtsschulen ohne Umschweife.
Jetzt plante sie den Beruf der Lehrerin
Mit Willenskraft und Tatensinn.

Doch wie das schaffen ohne Abitur?
Prüfungen sind wichtig in unserer Kultur.
Lehrerbegabtensonderprüfung
Galt's zu bewältigen im nächsten Sprung.

Der besagte Student lehrte sie Philosophie,
Grundzüge der Geschichte und Theologie.
Lange blieb die Beziehungsebene sachlich,
Ein Gruppenfreund, der wollte helfen fachlich.

Doch ein Karnevalsfest im Marianum
Schuf wohl das nötige Fluidum,
So entdeckte der Student in seiner Schülerin die Frau,
Er war verwirrt und nicht mehr schlau.

Die Prüfung in Vechta wurde bestanden,
Chance, zu beenden die lockeren Banden,
Doch die räumliche Trennung von drei Jahren
Machte nicht mehr ungeschehen, was erfahren.

Zwar schämte sich die Studentin im Oldenburger Land
Zu gehen mit ihrem Besuch Hand in Hand.
Doch die Jahre der Bewährung
Gaben der Liebe Kräftigung.

Als das Jahr 61 aufgebracht
Kurz nach der heiligen Weihenacht,
Verlobten sich Maria und Manfred
In der Stoffeler Kapelle beim Gebet.

Doch angesagt war weiterhin des Studiums Fleiß,
Ohne Einsatz gibt es keinen Preis.
Pater Oswald führte ins Moor hinaus,
Theologie lehrte Professor Niehaus.

Pädagogik die Herren Hülshoff und Regenbrecht,
So wurde Maria gebildet recht.
Zum Studium gehören Praktika,
Auch erwarb sie die missio canonica.

1963 legte sie ab ihr erstes Examen,
Die Abschlussfeier fand statt in würdigem Rahmen.
Die Junglehrerin Maria kam nach Rühle bei Meppen,
Das Einmaleins beizubringen den kleinen Steppen.

Das Emsland war von Münster fern,
Deshalb wurde das Standesamt aufgesucht gern.
Maria wurde nach Borghorst versetzt,
Die letzte Etappe vor der Vermählung jetzt.

Als Manfred endlich promoviert,
Er hatte lange genug studiert,
Konnten sie beide feiern die Hochzeit
Und besiegeln die Entschlossenheit.

Marias Eltern war verwehrt
Anzureisen, wiewohl begehrt,
Wermutstropfen für das hohe Fest,
Zeit des kalten Krieges zwischen Ost und West.

Wenn zwei Leben zusammengespannt,
Beruf und Wohnung, wie bekannt,
Aufeinander abzustimmen sind,
Darum Ihr die beiden bald in Frankfurt find't.

Dort wird das erste Kind geboren,
Gerburg, das Mädchen auserkoren.
In Sachsenhausen steht das erste Heim
Für die Familie, die entsteht im Keim.

Doch Frankfurt ist nur Zwischenort,
Bald gilt's zu ziehen wieder fort.
Düsseldorf wird das nächste Ziel,
Bei Mutter aufzuschlagen das Domizil.

Maria in Gerresheim Lehrerin,
Jeden Tag lange Fahrt dorthin,
Mit viel Einsatz und Willenskraft,
Sie Muttersein und Beruf zugleich schafft.

Während der nächsten zwei Jahre,
So bestätigen die Geburtsnotare,
Kommen Reginald und Meinulf zur Welt,
Zu klein wird das heimische Zelt.

Umzug ist nunmehr geboten,
Freiraum für die Kinder auszuloten.
Vom vierten Stock ins Erdgeschoss
Wälzt sich um der Familientross.

Maria arbeitet über das Exemplarische,
Anstatt zu gehen in die Sommerfrische.
Die zweite Staatsprüfung ist mit Mühsal verbunden,
So werden frühzeitig Nerven geschunden.

Im Oktober 68 ist sie Beamtin auf Lebenszeit,
Von Doppelbelastung aber nicht befreit.
Kinder zu Hause und im Unterricht,
Wessen Körper strapaziert das nicht?

Vor der Ehe gehen hoch die Gefühle,
Dann aber kommt des Lebens Mühle,
Plackerei, Stress, Last und Hetze,
Gefangen wie in einem Netze.

Doch kein Netz ist so eng gewebt,
Kein Ausblick so total verklebt,
Dass nicht offenständ ein Tor,
Das verschlossen noch zuvor.

Maria von der Schule beurlaubt,
Chancen, die bisher nicht geglaubt,
Von harter Doppellast befreit
Konnte sie durchatmen weit.

Im neuen Heim im Paderborner Land
Die Familie enger zusammenfand.
Maria war allein für die Kinder da,
Für alle frohe Tempora.

Urlaub gab es im Gadertal
Und im Schwarzwald ein andermal.
Ausflüge in den Teutoburger Wald,
Das Leben wurde mannigfalt.

Es entbrannte kein emanzipatorischer Streit,
Als der Gatte wechselte nach Hamburg weit.
Sie folgte ohne Murren und Klagen,
Was muss eine Frau nicht alles ertragen?

Die Familie mit Mann und Maus
Zog in Buchholz in ein eigenes Haus.
Ein kleiner Garten war dabei
Entgelt für frühere Schufterei.

Die Kinder wuchsen schnell heran,
Bald war für jeden die Schule dran,
So konntest Du, Maria, in die Schule zurück,
Die Familie war weiter ein ganzes Stück.

Die Schule bedeutete Dir, liebe Maria, viel,
Sie prägte Dein Wollen und Deinen Lebensstil.
Du hast Dein Herz in den Beruf gegeben,
Den Kindern dort warst Du ein Segen.

Erst langsam begriff ich den Wert,
Warum Du Dich für die Schule verzehrt.
Hier konntest Du entfalten Dich,
Und gleichzeitig bleiben mütterlich.

Die Familie hat nicht darunter gelitten,
Du hast auch für die eigenen Kinder gestritten.
Du hast gelebt für uns alle,
Uns umsorgt in jedem Falle.

Obwohl ausgelastet voll und ganz,
Nie getrieben einen Firlefanz,
Hast Du noch genommen ein Kind in Pflege
In Dein sorgendes, gütiges Gehege.

Du hast emsig gespart mit mir,
Hast selten gegönnt was Dir.
So konnten wir kaufen ein größeres Haus
Und lebten auch dort nicht in Saus und Braus.

Auch hast Du noch die Schule gewechselt,
Wenn auch selbst nicht an der Veränderung gedrechselt.
In Sprötze bei Schulleiter Wendebourg
Warst Du ein erfolgreicher Dramaturg.

Die Kinder haben an Deinen Lippen gehangen,
Du hast sie mit Begeisterung gefangen.
Auch der Schwachen hast Du Dich angenommen,
Alle waren in Deiner Liebe willkommen.

Die Kinder Dich noch nach Jahren besuchen,
Bei Dir gerne Termine buchen.
Du warst mit ihnen sehr verbunden,
Du hast nie gezählt die gewährten Stunden.

So traf es Dich ungeheuer hart,
Als Du plötzlich aufgeben musstest Deinen Part,
Von heute auf morgen auf die Schule verzichten,
Aufgeben alle Aufgaben und Pflichten.

Jetzt, da Du heut' wirst sechzig rund,
28 Jahre davon unser gemeinsamer Bund,
Die Ernte des Lebens könntest Du fahren ein,
Da plagt Dich Leid schwer wie ein Stein.

Wir können nicht jubelnd gratulieren,
Dir Gesundheit und Glück offerieren,
Du würdest durchschauen unsere leeren Worte,
Sahne verpackt mit hohler Torte.

Du wünschest von uns Ehrlichkeit,
Deinem Wesen ziemet die Wahrheit.
Jedoch durften wir memorieren,
Ohne zu verschönern und kaschieren.

Der Zeitraffer musste wählen aus,
Zu pflücken wäre noch manch bunter Strauss.
Ich hoffe, das Wichtigste ist gesagt,
Was in Deinem Leben war gefragt.

Ich stehe ohnmächtig in Deiner Schuld,
Erbitte von Dir die gnädige Huld,
Dir bescheiden Danke sagen zu dürfen,
Ohne nach anderen Worten zu schürfen.

Wir alle sind ergriffen von Deinem Leben,
Von Deinem unaufhaltsamen Streben,
von Deiner Liebe für die Deinen,
von Deiner Sorge gerade für die Kleinen.

Eins ist unser ehrlicher Wunsch,
Das ist kein Pokal von rotem Punsch,
Dass Gott Dir Deine Deine Liebe vergelte,
Dich nicht wegen kleiner Versäumnisse schelte.

Manfred

Bürgerreporter:in:

Manfred Hermanns aus Hamburg

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