Langsam, aber lecker

Langsam, aber lecker…
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Die „Pfalzschnecke“ - eine Zuchtfarm für Weinbergschnecken

Wussten Sie, dass ...
... Schnecken weder Fisch noch Fleisch sind?
... schon die Römer regen Schneckenhandel trieben?
... bei den Römern, besonders bei den Männern, die Schnecke wegen ihrer anregenden Wirkung beliebt war?
... die Weinbergschnecke „Helix Pomatia“ 40 Jahre alt werden kann?
... die Schnecken Raps, Brennnessel, Salat, Chicorée, Wildkräuter und Sonnenblumen fressen?
... Weinbergschnecken-Sammeln in Rheinland-Pfalz verboten ist (§ 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG)?
... in Frankreich fast ausschließlich die Zuchtschnecke „Helix Aspersa“ gezüchtet wird?
... die „Helix Aspersa“ (gefleckte Weinbergschnecke) nach einem halben Jahr ausgewachsen ist?
....die „Helix Pomatia“ (Burgunderschnecke) nach drei Jahren ausgewachsen ist?
... die ersten Schnecken schon vor 500 Millionen Jahren, lange vor den Dinosauriern, gelebt und sich seitdem nicht verändert haben?
... die Schnecke zweigeschlechtlich, also ein Zwitter, ist?

Grünstadt an der Deutschen Weinstraße. Als der Grünstadter Hotelier Stefan Charlier eines Morgens im Internet von einem Seminar für die Zucht von Weinbergschnecken las, meldete er sich mit seiner Frau Gabriele kurzerhand an.

Weinbergschnecken - Franzosen lieben sie, und Frankreich ist nah - stehen auf der Roten Liste für artengeschützte Tiere, so lernten sie, und deshalb kann die wachsende Nachfrage der Gastronomie nur durch Zucht befriedigt werden. Dass die Schnecke wieder salonfähig geworden ist, hatten die Charliers bereits in ihrem Pfalzhotel Asselheim bemerkt, einem Hotel der französischen Logis-Kette. Schon immer Freunde schneller Entschlüsse, stand für die beiden Unternehmer fest: Wir machen eine Schneckenfarm auf!

Acht Ämter und Institutionen haben bei der Eröffnung einer solchen Zuchtfarm ein Wörtchen mitzureden. Ein optimales Grundstück war schnell gefunden, aber viele Nachbarn hatten Angst, dass die Schnecken ihre Gärten überschwemmen und ihr Gemüse wegknabbern könnten. Dass dies dank eines grünen für die Schnecken unüberwindbaren Zauns aus einer Fett-Salz-Mischung nicht geschehen würde, konnten die Charliers in vielen Aufklärungsgesprächen vermitteln.

„Darüber waren wir sehr froh, denn das Wunsch-Grundstück am Fuß der Asselheimer Weinberge ist ideal", sagt Stefan Charlier. Zum einen ist die Gegend um den Weinort „steinreich", also von Kalksteinen geprägt. Kalk brauchen die Schnecken zur Stärkung ihres Häuschens. Zum anderen war das Areal mehrere Jahre nicht bewirtschaftet und damit ökologisch einwandfrei. Das Eckgrundstück ist von allen Seiten leicht erreichbar und relativ eben. Vor allem aber, so Charlier, sei die Lage inmitten von Weinbergen authentisch: „Hier gehören Weinbergschnecken hin!"

Innerhalb von drei Monaten wurden ein Brunnen gebohrt, Pfosten gesetzt, die späteren „Wohnbeete" angelegt, mit rein biologischem Kompost gedüngt und mit Samen von Wildkräutern und Blumen bestreut, die Schneckenzäune errichtet und eine Bewässerungsanlage installiert. Am 30. Juni 2007 wurde die Schneckenfarm offiziell eröffnet.

60.000 Weinbergschnecken finden eine neue Heimat
Seitdem wiederholt sich dort jedes Jahr die gleiche Prozedur: Am 1. Mai beziehen die Schnecken ihr neues Zuhause. Zuvor sind die schönsten, übrig gebliebenen Exemplare des Vorjahres aus dem Winterschlaf erwacht und haben in einem Gewächshaus schon für Nachwuchs gesorgt. Im Lauf der Saison, die von April bis Oktober dauert, wächst die Population auf bis zu 60.000 Exemplare an. Auf der Pfalzschnecken-Farm tummeln sich 50.000 Exemplare der Sorte Helix aspersa oder gefleckte Weinbergschnecke und 10.000 Exemplare der Sorte Helix pomatia oder Burgunderschnecke.

Napoleon hatte sie stets im Kriegsgepäck, die Römer schätzten sie in Milch eingelegt als Aphrodisiakum, und im Mittelalter war sie - da weder Fisch noch Fleisch - in der Fastenzeit erlaubt.

Die nachtaktiven Tiere suchen tagsüber Schutz unter schattenspendenden Brettern, nachts futtern sie sich durch Thymian, Mangold, Lupinen, Sonnenblumen, Spinat, Raps, Kohl und andere Leckereien. „Und das alles absolut ökologisch! Weder Pestizide noch Pflanzenschutzmittel oder Dünger kommen zum Einsatz", betont Charlier. Damit sich die Tierchen gut entwickeln, achtet er auf den richtigen Mix von lockeren, kalkreichen Böden, ausreichend Feuchtigkeit und einwandfreier Fütterung. Der Lohn im Herbst sei ein leicht nussiger Geschmack mit einem Hauch von Wildkräutern und eine zarte, bissfeste Konsistenz.

Ein Großteil der Population wird im Oktober eingesammelt, gekocht und in einen Gemüsefond eingelegt. Was sich daraus zaubern lässt, zeigt der gelernte Koch seit kurzem in seinem Koch- und Backbuch „Die Pfalzschnecke - ein langsames, aber leckeres Koch- und Backbuch“. „Ihr Fleisch ist reich an Protein, aber arm an Fett und frei von Cholesterin - also ideal für eine gesundheitsbewusste Ernährung", schwärmt Charlier. Hinzu komme, dass die Schnecke gastronomisch unglaublich wandelbar sei. Wer sich nicht selber an die Gerichte herantraut, kann den Umgang mit der Delikatesse in einem der regelmäßigen Kochkurse lernen oder sich auf der Speisekarte des Pfalzhotel Asselheim ein Schnecken-Wunschgericht heraussuchen.

Lebendige Schneckenkultur
Im Hotel haben die Schnecken nicht nur in den Kochtöpfen Einzug gehalten. Sie finden sich im Schneckenbrunnen des lokalen Bildhauers Theo Rörig genauso wieder wie in vielen Kunstwerken und Kunstobjekten. Ein eigener Pfalzschnecken-Cuvée und ein Pinot Noir Schnecco Secco vom Weingut Bernd Triebel ergänzen die Weinkarte. Zudem gibt es einen aufwändig gestalteten Festwagen, von dem aus die Schneckenkönigin Alma I. regelmäßig bei Umzügen und Festen als Botschafterin für die Farm wirbt. Zwischen Mai und Oktober führt Stefan Charlier jeden Sonntag um 14.30 Uhr Besucher über seine Asselheimer Schneckenfarm. Kulinarische Variationen wie Pfalzschnecken-Bärlauch-Krustini oder Schneckenpfännchen bietet das Pfalzhotel Asselheim bei einer Reihe von regionalen Veranstaltungen wie dem bekannten Sausenheimer Höllenpfad an.

Auch nach vielen Jahren hat die Schnecke an Faszination für Stefan Charlier nichts verloren. Für ihn ist sie das Sinnbild der Entschleunigung. In seinem Kochbuch formuliert er es so: „Die Schnecke ist ein Feinschmecker. Sie schlingt ihre Speisen nicht hastig hinunter. Was sie auch zu sich nimmt, sucht sie sorgfältig aus und verleibt es sich genießerisch ein."

Farmführungen gibt es jeden Sonntag von Mai bis Oktober um 14.30 Uhr. Jeweils am 1. Mai wird die Saison auf der Farm mit einem Fest eröffnet. Eine Besichtigung mit Führung dauert etwa eine Stunde.

Man erfährt viel Interessantes über die Tiere - von der Historie, Biologie, Paarung, Nahrungsaufnahme und Züchtung bis hin zur kulinarischen Seite.
   
Gruppenführungen ab 15 Personen mit Anmeldung sind auch zu anderen Terminen möglich. Es gibt eine Pfalzschnecken-Secco-Führung, eine
Quiz-Führung mit anschließendem Pfalzschnecken-Quiz und Siegerehrung , eine Führung mit anschließendem Weinbergschnecken-Tasting mit Pfalzschnecken-Cuvée, Pfalzschnecke „Gourmet“ genannt, eine Schlemmer-Führung, das ist eine Führung mit anschließender Schlemmer-Vesper in der Weinstube „Zur Weinbergschnecke“ oder im urigen Bacchus-Keller (ab 20 Personen), und es werden Kindergarten- und Schulklassen-Führungen von einer halben Stunde angeboten.

Bürgerreporter:in:

Elke Backert aus Hamburg

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