»Der Gipfel - Performing G20« (Nachbericht)

\\\ DER GIPFEL - PERFORMING G20 /// Nachbericht zur Filmpremiere
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  • hochgeladen von Max Bryan

Gut drei Monate ist es her, dass der G20-Gipfel in Hamburg zu Ende ging und eine Aufarbeitung der Geschehnisse ist noch nicht in Sicht. Nun fanden erstmals Bewegtbilder des Gipfelgeschehens den Weg auch ins Kino.

Im Film "Der Gipfel - Performing G20" zeigt der Filmemacher und Regisseur Rasmus Gerlach auf großer Leinwand viele der bislang noch unveröffentlichten Bilder vom Juli diesen Jahres und beeindruckt damit sowohl Publikum als auch teilnehmende Protagonisten.

Ein Nachbericht von Max Bryan

Hamburg, 8. Oktober 16:00 Uhr. Der Andrang vor dem Metropolis Kino ist riesig. Es ist der Tag der Uraufführung des Dokumentarfilms "Der Gipfel - Performing G20" von Rasmus Gerlach, der 2013 schon die Hamburger "Gefahrengebiete" filmisch in Szene setze.

Sein neuestes Werk ist eine Compilation aus unterschiedlichsten Bildern mit Fokus auch und vor allem auf den zahlreichen friedlichen, wie auch kreativen Protesten des G20, die so noch nicht zu sehen waren.

Mit dem Fahrrad in die Schanze

Der Film startet mit einer Fahrt durch das Hamburger Schanzenviertel - an jenem Abend der Zerstörung, als Plünderer und Gewalttouristen das Schanzenviertel in Trümmer legten. Gerlach´s Kamera zeigt die Momente der Ruhe nach dem Sturm - nachdem das Viertel vom SEK gesichert wurde. Überall Feuer und Verwüstung - es waren die mit Abstand schlimmsten Ausschreitungen der jüngeren Schanzengeschichte - auch weil die Polizei sich auffällig lange zurück hielt. Der Film stellt Fragen auch dazu.

Breites Spektrum an Bildern

Auch die von der Polizei gewaltsam aufgelöste Demo am Hamburger Fischmarkt vom 6. Juli ist Thema im Film. Zahlen über verletzte Demonstranten sind bis heute nicht erhoben. Die Stadt liefert diese Zahlen nicht - es gäbe "nicht eine einzige Statistik darüber, wie viele verletzte Demonstranten es gab", so Gerlach.

Gerlach´´s Film stellt unbequeme Fragen, fokussiert sich aber nicht allein auf Kritik am Einsatzgeschehen der Polizei, sondern zeigt auch die vielen, gelungenen, kreativen Proteste, die im Mainstream der Medien oft untergingen.

Beispiel hier:https://www.youtube.com/watch?v=ZV99jp897Cw&t3m04s

Kreativer Protest im Fokus

So auch der Megafon-Chor, der sich wie ein roter Faden durch Gerlach´s Film zieht. Immer wieder sieht man die "Flüstertüten" im Einsatz, mit Sprech-Chören und Performances der ganz besonderen Art.

Die Bilder zeigen, dass sich auch ohne Randale Aufmerksamkeit generieren lässt. Bemerkenswert vor allem die "1000 Gestalten", wie auch das Schwabinggrad Ballet und natürlich die "Goldenen Zitronen", die im Vorfeld der "Welcome to hell"-Demonstration am Hamburger Fischmarkt das Sterben im Mittelmeer besangen.

Rasmus Gerlach gelingt es, die vor allem bunten Momente des G20 zu einem würdigen Zeitdokument zusammenzuführen und wartet am Ende des Films mit bildgewaltiger Sprache der Waschung der Teilnehmer der "1000 Gestalten" auf. Die nämlich reißen sich am Ende ihrer Performance die Kleider vom Leib und springen teilweise auch nackernd in die Elbe, um sich den grauen Staub vom Leib zu waschen.

Auf dem Weg zum Zeitdokument

Kein Zweifel, Gerlach hat ein Werk geschaffen, dass Publikum und Akteure gleichermaßen abholt und begeistert. Seine 3-tägige Reise entlang der Geschehnisse des G20 wirkt umfassend. Die Qualität der Bilder schwankt zwar (es sind auch Handybilder dabei), aber die Authentizität der Bilder ist beeindruckend. Mindestens Jeder, der den Gipfel miterlebt hat, muss diesen Film gesehen haben.

Nächster Termin ist der 1. November. Das CineStar Lübeck zeigt Gerlach´s Film im Rahmen der nordischen Filmtage und bis dahin werde der Film noch überarbeitet. Er sei "zu 95% fertig", sagte Gerlach am Premierenabend.

Text und Fotos: Max Bryan
Plakat: Kinoki
Screenshots: Youtube / 1000 Gestalten Kollektiv

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+ Fotostrecke zur Filmpremiere und Diskussion danach +

-->https://www.facebook.com/notes/max-bryan/der-gipfe...

Ein paar der Bilder im Film stammen auch aus meiner Kamera und ich bin froh, dass es Menschen wie Rasmus gibt, die sich die Mühe machen all die vielen Momente zusammen zu tragen und zu einem großen Ganzen zu vereinen. Das ist ihm wirklich gut gelungen.

Hoffen wir, dass der Film auch etwas in den Köpfen Derer verändert, die zur Eskalation einzelner Gipfel-Momente mit beigetragen haben. Sei es nun von der einen oder der anderen Seite. Gewalt sollte nie Ausdruck irgendeiner "Performance" sein.

Schlechte "Performance" der Polizei

Erst letzte Woche erschien im Spiegel eine neue Geschichte, die gerade hohe Wellen schlägt, wonach die zuständigen Behörden abschließend KEINE BEWEISE FÜR EINEN HINTERHALT IN DER SCHANZE (vom Abend des 7. Juli) habe FINDEN KÖNNEN - hier bitte lesen:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/g20-polizei-...

Keine Beweis für Hinterhalt

Verdeckte Beamte lieferten diesen Grund aber der Einsatzleitung, um das Nichteingreifen in der Schanze zu rechtfertigen, woraufhin ein ganzes Viertel dem Mob überlassen wurde. 20.000 Polizisten in der Stadt waren nicht in der Lage die Gäste UND die Bevölkerung gleichermaßen zu schützen. Das Wohl der Musik hörenden Staatsgäste war offenbar wichtiger als das eigene Volk zu schützen, das während der "Ode an die Freude" im Chaos versank.

https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/G20-Krawall...

Diskussion nach dem Film

Und gut, dass es so Filme gibt, denn nur so kommen die Dinge in Bewegung - nur so generiert sich Veränderung. Wie oft wurden die Verfehlungen so mancher Akteure schon vertuscht - am Ende redet keiner darüber - das darf nicht sein. Gerne will auch ich helfen das Substanzielle zu filtern. Vieles geht unter - oft zu merken auch an den teilweise haarsträubenden Kommentaren und Vorverurteilungen im Zusammenhang mit der Deutung dessen, was tatsächlich und vor Ort dann auch geschah.

Medien in der Pflicht

Ohnehin klären viel zu wenige (klassische) Medien nachhaltig auf. Die Meisten schreiben - auch aus Zeitmangel - häufig nur die Polizeiberichte ab und die müssen nicht immer stimmen. Das wurde nach 2013 im Fall des angeblichen Überfalls auf die Hamburger Davidwache schon bewiesen. Schon damals wurden aus Kreisen höchst offizieller Stellen Lügen in Serie verbreitet und wer will sicherstellen, dass dies heute nicht wieder so ist? Hier bitte schauen: -->https://www.youtube.com/watch?v=tbtm-DlibBI&t=9m24...

Aktion oder Reaktion?

Ob das Verhalten der Polizeiführung in der Schanze vom 7. Juli eine "Akion" oder eine "Reaktion" war - wollte ein Zuschauer aus dem Publikum wissen und natürlich kann der Regisseur des Films solche Fragen nicht beantworten. "Ich bin kein Experte für Polizeiarbeit und will das auch nie werden, ich finde das alles ganz schrecklich, was da passiert", erklärte Rasmus Gerlach am Premierenabend und verwies auf die Medien, die da mehr noch gefordert seien den Dingen auch nachhaltig auf den Grund zu gehen.

Vielleicht nur so viel: Wenn es eine Aktion gewesen wäre - man absichtlich die Schanze stundenlang allein ließ, hätte Staat und Polizei damit alles erreicht, was man sich im Vorfeld des G20 schon erträumt hatte. Die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel wurde medienwirksam kriminalisiert und ein Indymedia-Ableger für den Weiterbetrieb komplett verboten.

-->https://de.indymedia.org/node/14080 (Soli-Bündnis gegen die Kriminalisierung linker Medien)

Alles erreicht was man wollte

Parallel dazu die Aufrüstung und Militarisierung der Polizei, um künftig noch härter gegen linksgerichtete Gruppen auf Demonstrationen vorgehen zu können. SEK und Gummigeschossen könnten bald schon zum normalen Einsatzgeschehen mit dazu gehören. Beunruhigende Szenarien, die sich da auftun

Nicht zu vergessen auch die massenhaft rechtswidrige Überwachung und Ausspähung von System-Kritikern. Erst dieser Tage wurde bekannt, dass das BKA in deren Sammelwut klar über´s Ziel hinausschoss und nun sogar Fälle dieser Art zu vertuschen versucht, wie dieser Bericht belegt:

-->https://www.jungewelt.de/artikel/319332.big-brothe...

Überwachung und Repression

32 Journalisten wurden während des G20 - wegen meist dubioser Vorwürfe - nachträglich die Presseakkreditierungen entzogen. Im Falle des Pressefotografen Po Ming Cheung wurden die Daten des ihm betreffenden Vorgangs einfach so gelöscht, so dass die Rechtmäßigkeit dieser Datenspeicherung im Nachhinein nicht mehr nachprüfbar ist. Da fragt man sich schon, in was für einem Rechtsstaat wir leben, wo offenbar jeder mit genügend Macht ausgestattet schalten und walten kann wie ihm beliebt. Wird die Polizei ein eigener Staat im Staat? Der Eindruck entsteht so langsam.

Hardliner´s Macht

Am Ende dreht sich - wie so häufig - vielleicht auch alles nur ums Geld. Um mehr Planstellen für die Polizei und mehr Befugnisse zur Durchsetzung der Ziele der Hardliner. Ich finde das besorgniserregend, wie die Politik darüber hinwegschaut. Polizeigewalt hat es nach Ansinnen des regierenden Oberbürgermeisters Olaf Scholz (SPD) in Hamburg gar nicht gegeben und das trotz der unzähligen Videos und Bilder im Internet - die genau das belegen. --> www.g20-doku.org

Kesseln nach Lehrbuch?

Ich spreche mit Rafael Behr - Professor an der Polizeiakademie Hamburg - ob in seinen Lehrbüchern etwas über vorschriftsmäßiges "Kesseln" steht und seine Antwort lautete: "Wenn ein Einsatzleiter seinen Auftrag ernst nimmt und wenn er aus der Geschichte gelernt hat - dann würde er sowas heute nicht im Lehrbuch suchen, sondern dafür sorgen, dass so was nicht mehr stattfindet, weil es Rechtssprechungen gibt, die so ein Vorgehen vor Jahren schon gerügt haben und weil viele Leute innerhalb der Polizei das heute auch nicht mehr wollen".

https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Kessel

Gemeint ist der Hamburger Kessel von 1986 - damals wurden Demonstranten am Hamburger Heiligengeistfeld stundenlang eingekesselt und durften nicht mal auf Toilette gehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dieses unverhältnismäßige Vorgehen der Hamburger Polizei damals streng gerügt - gebracht hat es offenbar nichts.

Professor klärt auf

In den Lehrbüchern der Polizei-Akademie stünde jedenfalls nichts darüber, wie mehr oder minder menschenwürdig man einen Kessel gestaltet. Das sei vielmehr "Handlungswissen" des jeweiligen Einsatzleiters, der nach eigenem Ermessen entscheidet, ob er den Versammlungsteilnehmern einen Fluchtweg gewährt oder auch nicht.

Bewertet werde vor allem die Zeit, die ein Kessel dauert. "Wenn man vollständig einschließt, muss man zeitnah auch wieder aufmachen und wenn sie länger einschließen, muss es möglich sein, unbeschadet aus der Demo ausscheiden zu können", so der Professor im Interview. Dies alles sei am 6. Juli aber nicht geschehen. Stattdessen wurden die Demonstranten auf engsten Raum eingeschlossen. Fluchtmöglichkeiten gab es nur über eine etwa 2 Meter hohe Flutschutzmauer, nicht Wenige halten diese Taktik der Hamburger Polizei für unverantwortlich. Menschen hätten dort - im Fall einer Massenpanik - auch zu Tode kommen können. Die Bilder von Duisburg 2010 - wo Teilnehmer der sogenannten Loveparade totgetrampelt wurden - sind Vielen noch in Erinnerung.

Kennzeichnungspflicht "utopisch"

Im Verlauf des Gesprächs erzählt mir der Professor auch etwas über Kennzeichnungspflicht der im Einsatz befindlichen Polizisten. So sei im Hamburger Koalitionsvertrag zwischen "Rot-Grün" vereinbart, dass die Kennzeichnungspflicht zwar kommen solle, das Thema aber auf die lange Bank geschoben werde. Offiziell wolle man, das "aber NICHT ohne die Gewerkschaften" und die täten alles, um eine solche Kennzeichnungspflicht für Beamte im Einsatz zu verhindern. Damit sei das Thema "auf den St. Nimmerleinstag verschoben", berichtet Behr.

3 Monate - 20 Berichte

Und damit zurück zur Premierenfeier. Rasmus Gerlach, der ein großes Herz für unermüdliche Mitstreiter hat, ist nun wirklich ein netter Kerl. So nutzte er die Gelegenheit um für eine kleine Spende zu werben, weil die Blogger doch den Job Derer machen, die sonst von Zeitungen und Verlagen teuer bezahlt werden. Nicht selten für besonders unkritische Berichterstattung - vielleicht auch aus wirtschaftlichem Interesse.

Graswurzel-Job

Unabhängigkeit hat eben ihren Preis - den zum Beispiel, dass alles sehr lange dauert. Schließlich bin auch ich nur eine kleine 1-Mann-Redaktion - schreibe, recherchiere und veröffentliche alles selbst. Die Videos meiner Reportagen kommen dann meist erst ganz zum Schluss, wenn ich mit Standbildern und Textveröffentlichungen irgendwann mal durch bin - aber das dauert noch.

-->https://de.wikipedia.org/wiki/Graswurzel-Journalis...

Bislang 18 Berichte zum G20, zwei folgen noch und ich bin sehr dankbar, dass mein Bewegtbild außer der Reihe nun direkt auch den Weg ins Kino fand - eine echte Premiere auch für mich. Noch nie waren Bilder aus meiner kleinen Tagebuch-Kamera im Kino zu sehen und vielleicht erreichen wir damit noch mehr Menschen auf dem Weg der Sensibilisierung für die entscheidenden Fragen der Aufarbeitung. Das würde mich sehr freuen!

Nächster Kino-Termin: 1. November - CineStar Lübeck - Mühlenbrücke 11.

Bürgerreporter:in:

Max Bryan aus Hamburg

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