Im Dienst der Jugendsozialarbeit, Grußwort von Karl Hugo Breuer bei der akademischen Feier

Dr. Karl Hugo Breuer, Voritzender und Direktor der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit, bei seinem Grußwort zur akademischen Feier im Hotel St. Raphael 2000
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Karl Hugo Breuer

Im Dienst der Jugendsozialarbeit
Grußwort bei der akademischen Feier aus Anlass des Ausscheidens
von Professor Dr. Manfred Hermanns aus dem öffentlichen Dienst.

Wenn ein verdienter Hochschullehrer Abschied von seinem Lehrauftrag und seiner Hochschule nimmt, kommt es sicher zuvörderst dieser Hochschule zu, ihm für das zu danken, was er in den Jahren seiner in Lehre, Forschung und im Leben der Hochschule geleistet hat. Wieso mischt sich auch die Jugendsozialarbeit, dieses von seinen sozialpädagogischen Angeboten für benachteiligte und beeinträchtigte Jugendliche den Bereich der Bildung zwar stark tangierende, aber von seiner Verortung im Sozialgesetzbuch doch eher dem Bereich des Sozialen zuzuordnende Handlungsfeld, in das Konzert dankbarer Stimmen ein? Sie tut es deshalb, weil sich dieser Professor Manfred Hermanns wie kaum ein anderer Hochschullehrer auch im Feld der Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe engagiert hat, und das in einem Maße und in einem Umfang, die weit über das hinausgehen, was man in aller Regel von einem Vertreter angewandter Wissenschaften an Praxisbezug erwarten kann und darf. Und er hat nicht nur über Jahrzehnte mit Einrichtungen und Fachkräften, mit Trägern und Trägergruppen der Jugendsozialarbeit Kontakt gehalten und sie beraten, angeregt und gefördert - schon dafür können wir ihm nicht dankbar genug sein -, er hat vielmehr durch eine Fülle wissenschaftlich fundierter Beiträge der Jugendsozialarbeit wichtige Anstöße, dankenswerte Hilfen zu ihrer Fundierung und nicht zuletzt kritisch klärende Hinweise und Anregungen zu ihrer Weiterentwicklung vermittelt. Und er hat das nicht nur als Nebenbeschäftigung oder Hobby neben seinem Beruf als Hochschullehrer der Soziologie getan, sondern in einer Verschränkung von Wissenschaft und gesellschaftlicher Wirklichkeit im Feld „Jugend und Beruf“, in einer Zusammenführung von Praxis und Theorie, mit der er beide bereichert und gefördert hat.

Lassen Sie mich, lieber Herr Hermanns, in diesem Zusammenhang erinnern, dass Sie in den Jahren 1976 - 1979 nicht nur eine der frühesten wissenschaftlichen Begleitungen einer Modellmaßnahme des damaligen Bundesjugendplanes für lernschwache, berufsunreife und arbeitslose Jugendliche und Berufsanfänger übernommen haben, sondern diese zugleich zum Anlass für die Ausarbeitung einer programmatischen „Aktionsforschung zur Jugendberufshilfe“ genutzt haben. Für Träger und Fachkräfte, zugleich für Trägergruppen und Jugendbehörden sowie für Lehrende und Studenten der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik haben Sie damit einen methodischen Bezugsrahmen von Aktionsforschung erstellt und eine detaillierte Einführung in die Verfahrensweisen einer Verbindung praktischer Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe und empirischer Sozialwissenschaft gegeben, die von vielen späteren Modellprojekten und ihren Begleitern dankbar genutzt worden sind.

Lassen Sie mich weiterhin erinnern an Ihre wenige Jahre später, 1983 erschienene instruktive Studie „Jugendarbeitslosigkeit - Wirkungen eines sozialen und politischen Problems in verschiedenen Epochen dieses Jahrhunderts“, mit der Sie das Engagement der Jugendsozialarbeit in diesem Bereich unterstützt, gefördert und vertieft, ganz besonders aber auch die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen in der Jugendpolitik und weit über sie hinaus für die fatalen Folgen von Jugendarbeitslosigkeit geweckt und geschärft haben. Aus dieser 72-seitigen Studie, die wir im Rahmen der „Arbeitshilfen zur Jugendsozialarbeit“ veröffentlichen durften, ist dann später - 1990 - Ihre bei Leske & Budrich in Opladen erschienenes Buch „Jugendarbeitslosigkeit seit der Weimarer Republik“ hervorgegangen - eine der gründlichsten, originellsten und eindrucksvollsten Studien zu einer Thematik, deren Aktualität im letzten Jahrzehnt noch gravierend zugenommen hat.

Dabei ist mit Nachdruck daran zu erinnern, dass Sie die Thematik der Jugendarbeitslosigkeit nie nur im jeweils aktuellen arbeitsmarktpolitischen Kontext gesehen und behandelt haben, sondern immer im Zusammenhang mit der für die Sozialisation und Personalisation des jungen Menschen grundlegend wichtigen Bedeutung von Arbeit und Beruf in der modernen Gesellschaft. In zahlreichen Aufsätzen haben Sie eindringlich auf Wert und Sinn der Arbeit und auf die Bedeutung der Arbeit gerade für junge Menschen, ihre Verselbständigung und Selbstfindung und für ihre Integration in die Gesellschaft, hingewiesen.

1989 haben Sie uns mit einer ersten Untersuchung der „Jugendberufshilfe und Jugendsozialarbeit in der Weimarer Republik“ überrascht, in der Sie die bisher wenig beachteten, aber durchaus beachtenswerten Ansätze und Formen, Erfahrungen und Ergebnisse von Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe in der Zeit der Weimarer Republik vorgestellt und neu ins Bewusstsein gehoben haben; zugleich haben Sie damit ein auch für uns Heutige lehrreiches Kapitel deutscher Jugend- und Berufshilfe historisch aufgearbeitet.

Lassen Sie mich an die ebenso bewundernswerte wie für uns alle unentbehrliche erste umfassende und systematisch strukturierte „Bibliographie zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe 1900 -1995“ erinnern, die Sie uns 1996 geschenkt haben und in der Sie rd. 1500 Titel aus der Buch- und Zeitschriftenliteratur zusammengetragen haben - eine Arbeitshilfe, deren Vervollständigung und Weiterführung bis zum Jahre 2000 wir uns alle wünschen.

Und lassen Sie mich last not least auf die Folge brillanter Rezensionen hinweisen, die Sie in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im „Jahrbuch für Jugendsozialarbeit“, aber auch an anderer Stelle, nicht nur zu Veröffentlichungen aus den Bereichen Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe, sondern weit darüber hinaus zu Neuerscheinungen aus dem Gesamtbereich Wirtschaft und Gesellschaft publiziert haben. Sie haben bedeutsame und weiterführende Literatur sorgfältig ausgewählt, sich auch schwierigen und zeitaufwendigen Besprechungsaufträgen nicht entzogen. Sie haben kritisch konstruktive und zugleich lesbare, ja zum Lesen einladende, von vielen Lesern mit Spannung erwartete Rezensionen geschrieben, und Sie haben damit Ihren Lesern Maßstäbe zur Bewertung von sozialwissen-schaftlich relevanter Literatur an die Hand gegeben.

Meine Damen und Herren, woher nimmt ein Manfred Hermanns die Kraft für ein solches zusätzliches, seine - sehr ernst genommene - Tätigkeit als Hochschullehrer weit übersteigendes Engagement? Für uns in der Jugendsozialarbeit ist das keine Frage biographischer Neugier, für uns ist das eine Lebensfrage: unsere Arbeit für und mit jungen Menschen im Übergangsfeld Schule und Beruf, in der Hilfe zum Beruf, im Beruf und zum beruflichen Aufstieg bzw. Umstieg, insbesondere in der Hilfe für Benachteiligte und Beeinträchtigte, für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte, diese sehr anspruchsvolle Arbeit ist auf Wissenschaftler, die sie begleiten und beraten, die sie auswerten, die sie, wo nötig, auch korrigieren, lebensnotwendig angewiesen, wenn sie nicht in Routine erstarren und hinter den Anforderungen einer im ständigen Wandel befindlichen sozialen Wirklichkeit zurückbleiben will. Zwar ist mir wohl bewusst, dass ich die Frage nach den Quellen der Kraft des Manfred Hermanns auch nicht annähernd beantworten kann. Als er fünfzig Jahre alt wurde, hat er in der letzten Strophe eines hundertstrophigen Gedichtes, in dem er eine Bilanz seiner fünf ersten Lebensjahrzehnte zog, geschrieben:

„Diese Personalität ist Einmaligkeit und bleibt auch ein Stück Rätselhaftigkeit.“

200 Jahre vor ihm schrieb - im September 1780 - der junge Goethe an Freund Lavater in Zürich:
„Hab ich Dir das Wort , Individuum est ineffabile‘,
woraus ich eine Welt ableite, schon geschrieben?“

Aus der Goethe-Forschung wissen wir, dass dieses Wort „Individuum es ineffabile“, das Individuum ist unaussprechlich, unbeschreiblich, das man als eines der Leitworte der kulturell so fruchtbaren „Sturm und Drang“-Epoche bezeichnen kann und dessen Nachwirkung bis heute festzustellen ist, ein Merksatz thomistischer Philosophie des Mittelalters war - verschlungene Wege der Geschichte des Geistes, wie sie unseren Jubilar immer fasziniert haben.

Wie aber könnte man sich dem „Ineffabile“ des Menschen und Wissenschaftlers und Praxisberaters Manfred Hermanns wenigstens anzunähern versuchen? Da mir die quellenmäßigen Voraussetzungen für eine solche Annäherung mit den Mitteln der Historiographie oder der Psychologie oder der Soziologie fehlen, bleibt mir nur der Weg vorwissenschaftlichen Herangehens, und den möchte ich mit Goethes „Urworten. Orphisch“ versuchen. Orpheus - das ist ja eine Gestalt griechischer Mythologie, in der das Amt des Sängers noch nicht von dem des Priesters und des Weisen, die Dichtung noch nicht von der Mythologie, der Mythos nocht nicht vom Logos getrennt war. An die orphischen Geheimlehren knüpfte Goethe in den fünf Strophen seiner „Urworte. Orphisch“ an, um Zugänge zu dem Einmaligen, zu dem Charakteristischen eines Menschen zu finden, um Unsagbares, Unbeschreibliches andeuten zu können.

Das Erste dieser Urworte, „Dämon“ überschrieben, kommt uns gleich ernst und eindringlich und unvergesslich wie das Hauptmotiv aus Beethovens 5. Symphonie, der „Schicksalssymphonie“ entgegen:

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“

Mit dem Stand der Sonne und der Planeten ist keine astronomische Konstellation angesprochen, kein astrologisches Geheimwissen gemeint; dieses Bild steht vielmehr - nach Goethes eigenem Wort in einer Erläuterung der „Urworte. Orphisch“ - für „die notwendige, bei der Geburt unmittelbar ausgesprochene, begrenzte Individualität der Person, das Charakteristische, wodurch sich der Einzelne von jedem anderen bei noch so großer Ähnlichkeit unterscheidet.“

Lieber Herr Hermanns, neben Ihrer bewundernswerten Zuverlässigkeit und Präzision bei der Erfüllung von Ihnen übernommener Aufträge scheint mir vor allem Ihre Offenheit, getrieben von einer nimmermüden Neugier, eine Gabe Ihres Dämons zu sein. Das wird schon sichtbar in der Fakultäten übergreifenden Wahl Ihrer Studienfächer: Philosophie und Theologie, Geographie und Geschichte, Soziologie und Sozialwissenschaften, und das hat Sie Ihr Leben lang - bei aller notwendigen Spezialisierung - zu einem Generalisten gemacht und vor der Beschränktheit bloßen Spezialistentums bewahrt. Ob Sie ohne diese Offenheit und Neugier jemals den Weg zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe und den ihr aufgegebenen jungen Menschen gefunden hätten?

Das Zweite der „Urworte. Orphisch“, „Das Zufällige“ überschrieben, meint nicht nur den Zufall, den wir im Alltag so oft und schnell bemühen, sondern vor allem das, was uns im Leben zu-fällt, was uns in der Begegnung mit Menschen „bildet“ und „entzündet“:

„Die strenge Grenze doch umgeht gefällig
Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt;
Nicht einsam bleibst du, bildest dich gesellig
Und handelst wohl so, wie ein andrer handelt:
Im Leben ist‘s bald hin-, bald widerfällig,
Es ist ein Trend und wird so durchgetandelt.
Schon hat sich still der Jahre Kreis geründet:
Die Lampe harrt der Flamme, die entzündet.“

Was wäre aus Manfred Hermanns ohne die Begegnung mit Romano Guardini, ohne sein lebenslanges Mitwirken im Bund Neudeutschland geworden, was ohne das Studium bei Theologen und Philosophen wie Werner Schöllgen, Hermann Volk, Josef Pieper, was ohne den nicht nur weitgereisten und welterfahrenen, sondern auch die Ökologie entdeckenden Geographen Carl Troll, was ohne den - von der Soziologie der Arbeit und des Berufes, der Familie und der Jugend herkommenden - soziologischen Lehrer Helmut Schelsky, und was ohne den akademischen Lehrer, der „ihn am meisten fasziniert“ hat: Joseph Höffner, den Sozialwissenschaftler und späteren Bischof von Münster und Erzbischof von Köln, dem er 1996 eine liebevolle biographische Skizze - hoffentlich Urzelle einer späteren umfassenden Biographie - gewidmet hat? Wie wären Weg und Leben dieses Manfred Hermanns ohne Ludwig Neundörfer und die Arbeit an dessen Soziographischen Institut, wo ihm die „Fundamente der Sozialpolitik“ vermittelt wurden, verlaufen, wie ohne die Betroffenheit durch das Werk von Karl Marx und die Auseinandersetzung mit ihm und seinen späteren Nachfolgern in Frankfurt der sechziger Jahre, wie ohne die Begegnung mit dem Werk von Karl Popper und Hans Albert? Was wäre aus ihm geworden ohne die Mitarbeit im Bensberger Kreis, was ohne die Erfahrungen, Widerfahrnisse und Verletzungen der Paderborner Zeit und ihre Folgen? Und auch hier die Frage: Hätte er ohne dieses „Zufällig“, ohne diese ihm zu-gefallenen Begegnungen, Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen jemals den Weg zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe gefunden?

„Eros, Liebe“ ist das Dritte von Goethes „Urworten. Orphisch“ überschrieben:
„Die bleibt nicht aus! Er stürzt vom Himmel nieder,
Wohin er sich aus alter Öde schwang,
Er schwebt heran auf luftigem Gefieder
Um Stirn und Brust den Frühlingstag entlang,
Scheint jetzt zu fliehn, vom Fliehen kehrt er wieder,
Da wird ein Wohl im Weh, so süß und bang.
Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen,
Doch widmet sich das Edelste dem Einen.“

Eros - das ist in den orphischen Geheimlehren nicht der verspielte, nicht der erotischem Genuss nachjagende Liebesgott, wie wir ihn aus so manchem Bild, manchem Gedicht kennen. Eros - das ist eine kosmische Urmacht, die auf das Chaos, die „alte Öde“ folgt. Eros ist als Zeugungskraft ein Element der Weltentstehung. Er ist es, der den Menschen den Zugang öffnet zu Mitmensch, Welt und Gott, und nach Plato auch zum Guten, Wahren und Schönen, der Antrieb für das philosophische Erkenntnisstreben, für den Aufschwung in die Welt der Ideen. Eros - er ist es, der den Menschen - um wiederum eine Goethesche Unter-scheidung zu nutzen - in seinem Verhältnis zu dem, was über ihm ist, zu dem, was neben ihm ist, und zu dem, was unter ihm ist, bewegt und antreibt.

Und wiederum die Frage: Was wäre aus diesem Manfred Hermanns ohne diese bewegende und antreibende Urkraft geworden? und: Hätte er je den Weg zur Jugendsozialarbeit, zur Arbeit mit benachteiligten jungen Menschen, zu den jungen Menschen oft aus den untersten sozialen Schichten gefunden?

„Nötigung“ ist uns Heutigen als ein Begriff aus der Sprache des Rechts geläufig: jemand mit Druck, Drohung, Gewalt dazu bestimmen, etwas zu tun oder nicht zu tun. Goethe, der das Vierte der „Urworte. Orphisch“ mit „Nötigung“ überschrieb, hat diesen Begriff, einen der Hauptbegriffe seines Denkens viel weiter verstanden:

„Da ist‘s denn wieder, wie die Sterne wollten:
Bedingung und Gesetz; und aller Wille
Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten,
Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten,
Dem harten Muß bequemt sich Will‘ und Grille.
So sind wir scheinfrei denn nach manchen Jahren
Nur enger dran, als wir am Anfang waren.“

Nötigung im Sinne Goethes, das, was unser Leben bedingt, begrenzt, beschränkt, hat durchaus zwei Aspekte: die Erfahrung einer Einengung, der wir uns nicht entziehen können,
zugleich aber auch Bedingung und Beschränkung, damit wir dem gerecht werden, was „die Sterne wollten“. Und so heißt es an andrer Stelle:

„In der Beschränkung zeigt sich auch der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“

Es war kein leichter Weg, es war ein hartes Muss für Manfred Hermanns, der Weg von der herrlichen Offenheit des Studenten und Akademiedozenten zur Beschränkung auf die Bereiche Sozialwissenschaften, insbesondere Soziologie. Und doch - müssen wir nicht alle dankbar sein, die - gewollt oder ungewollt - daran mitgewirkt haben? Hätte er sonst, so fragen wir uns, den Weg zur sozialen Arbeit und erst recht den Weg zu dem speziellen Feld der Jugendsozialarbeit gefunden?

Nachdem das Vierte der Urworte schon zu dem Ersten zurückgeführt hatte und der Kreis gerundet erscheint, bringt Goethe überraschend noch ein letzte, fünftes Urwort ein: Hoffnung
„Doch, solcher Grenze, solcher eh‘rnen Mauer
Höchst widerwärt‘ge Pforte wird entriegelt,
Sie stehe nur mit alter Felsendauer!
Ein Wesen regt sich leicht ungezügelt:
Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer
Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt;
Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Zonen -
Ein Flügelschlag - und hinter uns Äonen.“

Wo mag sie Manfred Hermanns zuerst begegnet sein, die Hoffnung, die „uns leben hilft“? Im Katechismus seiner Kinderjahre, der die Hoffnung mit Glauben und Liebe zu den „göttlichen Tugenden“ zählt? Bei seinem philosophischen Lehrer Josef Pieper, der uns in der Bedrängnis der NS-Zeit 1935 eine Studie über die Hoffnung an die Hand gab, die er als „die einzige Antwort, die der wirklichen Existenzsituation des Menschen entspricht“, beschrieb und die er einer dem Menschen nicht angemessenen Besitz-Gewissheit, aber ebenso auch einer die wirkliche Lage des Menschen verfehlenden Verzweiflung entgegensetzte? Bei Ernst Bloch und seinem monumentalen, aus undogmatischer marxistischer Sicht 1938 - 1947 geschriebenen, 1956 - 1959 veröffentlichten Werk über das Prinzip Hoffnung?

Wo immer es auch gewesen sein mag - diese Hoffnung war es, die Manfred Hermanns durch sein ganzes Leben getragen hat, auch und gerade dann, wenn er - mit dem Wort des Psalmisten - „in valle tenebrosa“, „im finsteren Tal“14 oder - wie Guardini übersetzt - „in dunkler Schlucht“ wandern musste.

Diese Hoffnung, die Sie gerade auch in Zeiten tiefer Enttäuschung und großen Leids getragen hat, auch anderen, die durch dunkles Tal wandern müssen, zu vermitteln, sind Sie nie müde geworden. Gerade auch im Blick auf die ihrer Hoffnungen oft schon so früh beraubten jungen Menschen ohne Arbeit, ohne Beruf, ohne Perspektiven.

Bei Leonardo da Vinci, der ja nicht nur einer der grössten Künstler und Wissenschaftler, sondern auch einer der ganz großen Aphoristiker der Weltliteratur mit einer an die Vorsokratiker gemahnenden Tiefe war, heißt es einmal: „Nicht wer anfängt, sondern wer da ausharrt“. Die Hoffnung, lieber Herr Hermanns, hat ihnen immer wieder die Kraft geschenkt, auszuharren, durchzuhalten in Ihrem Einsatz für das als richtig Erkannte und in Ihrem Einsatz für Menschen an der Schattenseite der Gesellschaft.

Nun liegt eine neue Phase Ihres Lebens vor Ihnen. Ihr Dämon, aber auch das Zufällige, Ihr Eros, aber auch die Nötigung, und über allem die Hoffnung werden den Menschen, den Christen, den Wissenschaftler, den vielfältig Engagierten auch weiterhin führen und geleiten. Das ist unser herzlicher Wunsch für die Zeit, die vor Ihnen liegt.

Den Dank, den wir Ihnen schulden, möchten wir in zwei Sprüchen des alten Goethe andeuten, die Ihnen auf den Leib geschrieben sein könnten:
Der erste Spruch:

„Weite Welt und breites Leben,
Langer Jahre redlich Streben,
Stets geforscht und stets gegründet,
Ältestes bewahrt mit Treue,
Freundlich aufgefasstes Neue,
Heitern Sinn und reine Zwecke:
Nun! man kommt wohl eine Strecke.“

Und der zweite Spruch:

„Hätte Gott mich anders gewollt,
So hätt‘ er mich anders gebaut;
Da er mir aber Talent gezollt,
Hat er mir viel vertraut.
Ich brauch‘ es zur Rechten und Linken,
Weiß nicht, was daraus kommt;
Wenn‘s nicht mehr frommt,
Wird er schon winken:“

Bürgerreporter:in:

Manfred Hermanns aus Hamburg

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