Cornelia Lanz: “Wir sind die ganze Zeit überrascht was mit dem Chor passiert“ Flüchtlingschor erlebt eine Überraschung nach der anderen – Ein Interview mit der Leiterin

Der Chor bei Bundespräsident Joachim Gauck | Foto: Chor
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Der bewegendste Moment war wohl der Auftritt in „Die Anstalt“ im ZDF. Für diesen Auftritt bekamen die Macher den Adolf Grimme Preis und den Amnesty Preis für Menschenrechte. Mehr als 3 Millionen Zuschauer haben im Fernsehen live und mehrere weitere Millionen im Internet den Auftritt erlebt. Seitdem bekommt der Chor einen Preis nach dem anderen. Sie waren zu Gast beim Bundespräsidenten und bei der UNO in Genf. Über das bewegte Leben des Chores führte ich mit der Leiterin Cornelia Lanz ein Interview.

Thomas Rank: Wie viele Mitglieder hat der Chor?

Cornelia Lanz: Der Chor selbst hat rund 200 Mitglieder. Ca. 30-40 Mitglieder in jedem Alter sind aber mit uns auf Konzertreisen. Es ist immer wieder Fluktuation da, wenn z.B. ein Sänger einen Job findet oder eine Gruppe von Sängern zu politische Lieder singen wollen und die anderen Angst haben, dass Ihren Familien in ihrem Heimatland etwas passiert. Dann können sie leider nicht mehr mit dem Chor unterwegs sein.

Thomas Rank: Mit welchem Programm seid ihr unterwegs?

Cornelia Lanz: Wir sind unter anderem mit der Mozartoper ZAIDE. EINE FLUCHT. unterwegs. Zaide ist eine fragmentarische Oper, zu der unsere Dramaturgin Nora Schüssler in Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen ihr Erlebtes zu einem Libretto verarbeitet hat.
Das schönste an den Auftritten ist aber, das dadurch zwischen Publikum, Menschen, die wir auf der Straße oder im Zug treffen und den Flüchtlingen eine berührende Begegnung und ein gegenseitiges Kennenlernen stattfindet.

Thomas Rank: Geht ihr auch an Schulen und wenn ja was macht ihr da?

Cornelia Lanz: Ja wir gehen sehr gerne in Schulen. Wir haben zum Beispiel in einem Mädcheninternat einen Workshop gegeben. Inhalte waren z. B. arabische Kaffeezeromnien, syrische Tänze oder dass wir alle Jugendlichen (auch die syrischen Jungs!) zwei Stunden verschleiert haben, um zu schauen, wie sich das anfühlt.

Thomas Rank: Ihr werdet ja gerade mit Preisen überschüttet. Wie war denn die Reaktion als ihr erfahren habt, dass ihr in Kürze den „ Marler Medienpreis“ den Sonderpreis bekommt?

Cornelia Lanz: Ich hätte nie gedacht, dass unser Singen so eine positive Resonanz gibt. Wir sind eigentlich die ganze Zeit überrascht. Wir freuen uns aber natürlich sehr, dass wir eine politische Botschaft vermitteln können. Man kann als Sänger/in Brücken schlagen.

Thomas Rank: Apropos Politik. Ihr wart bei Bundespräsident Joachim Gauck. Wie habt ihr ihn erlebt?

Cornelia Lanz: Wir waren beeindruckt wie sympathisch und nahbar er ist und es war ein tolles Bürgerfest mit vielen wunderbar positiv denkenden Idealisten. Ein junger Afghane bat Bundespräsident Gauck von der Bühne herab zu einem Gespräch über seine Angst vor Abschiebung. Viele unserer Chormitglieder wollten wissen, wie ihre Zukunft aussehen kann.

Thomas Rank: Ihr tratet bei der UNO in Genf auf. Wie kam dies zu Stande?

Cornelia Lanz: Nach unserem Auftritt bei Johannes B. Kerner „Deutschland hilft“ wurden wir nach Genf eingeladen. Es war sehr spannend, Menschen aus der ganzen Welt in einem Raum zu sehen. Sie hatten große Angst, dass wir das falsche Lied singen, das evtl. zu Propagandazwecken missbraucht wurde. Wir sangen dann die Europahymne – halb auf arabisch mit Saz. Sie waren sehr gerührt, Araber zu sehen, die die Europahymne singen. Ich denke, sie versuchen den ganzen Tag, die Probleme dieser Welt zu lösen und freuen sich über eine Friedensbotschaft bei den Schwierigkeiten, die es im Moment gibt.

Thomas Rank: Ministerpräsident Kretschmann übernimmt die Schirmherrschaft für Mozarts Oper ZAIDE. EINE FLUCHT., die ihr ganz oder in Teilen aufführt. Habt ihr Reaktionen der Politiker auf den Chor bekommen und wie kam dies zu Stande?

Cornelia Lanz: Wir bekommen immer wieder positive Reaktionen von Politikern. Die Veranstalterin hat beim Ministerpräsident angefragt. Seine Frau hatte uns auch schon zum Kaffeekränzchen im Stuttgarter Schloss eingeladen und uns eine private Spende überwiesen.
Wir waren auf Einladung von Claudia Roth im Bundestag und hatten in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema Willkommenskultur mit einigen Bundestagsabgeordneten.
Letzthin waren wir im Bayerischen Landtag.

Thomas Rank: Ich fand den Auftritt bewegend und grandios. Wie war der Auftritt für euch bei der Anstalt?

Cornelia Lanz: Der Redakteur der Anstalt rief mich an, als ich gerade meine Wände strich nach einem Umzug – ich war total im Stress. Beim Wändestreichen kamen dann Ideen und die Redaktion von ZDF Die Anstalt ist natürlich toll und hat ein sehr geistreiches Skript geschrieben zu unserem syrischen Lied „Janna = Paradies“. Es wurde dann kabarettistisch ausgebaut: Angela Merkel und Horst Seehofer wollten ins Paardies, aber diese war voll mit syrischen Flüchtlingen. Auch die Pessesprecherin des Bischofs segnete die Idee ab. Damit, dass es solche Wellen schlagen würde, hatten wir nie gerechnet. Wir hatten ca. 10 Millionen Zuschauer und immer wieder, wenn ich den Leuten vom Chor erzähle sagen sie: „Ach, ihr ward das“.

Thomas Rank: Was habt ihr für Reaktionen bekommen?

Cornelia Lanz: Von ein paar wenigen rechtsradikalen Äußerungen bis Lob war alles dabei. Alle Parteien haben bei uns angerufen. Viele wollten den Chor einladen.

Thomas Rank: Was ist euer nächstes großes Ziel?

Cornelia Lanz: Für 2017 ist ein neues Opernprojekt als Koproduktion mit einem renommierten Musikfestival geplant. Wegen der Brisanz des Themas könnten wir mit dem Chor gerade täglich auftreten. Wir sind für alles offen. Fernsehformate sind für Opernschaffende nicht immer einfach zu bedienen. Am Wohlsten fühlen wir uns auf Opern- und Kleinkunstbühnen.

Thomas Rank: Ist eine Platte oder DVD in Planung?

Cornelia Lanz: Der SWR hat unsere Aufführung in Stuttgart mitgeschnitten und wir haben sie gefilmt. Unser Irakischer Kameramann Ayden Antanyos ist derzeit am Schnitt.

Thomas Rank: Wie kommt ihr an eure Mitglieder?

Cornelia Lanz: Ich habe selbst ca. 4 Monate in verschiedenen Flüchtlingsheimen gelebt und dort mit den Leuten gesungen, getanzt, gekocht, gegessen, Bühne gebaut, gelacht, geweint... Einige Mitglieder wurden durch ihre Verwandten empfohlen oder mitgebracht. Auch Ehrenamtliche schickten theaterbegeisterte Jugendlich zu uns und über Facebook wuchs der Chor immer weiter.

Thomas Rank: Ihr seid ja mit einem Orchester, dem Ensemble Zuflucht unterwegs. Entstehen Freundschaften?

Cornelia Lanz: Ja vielfach entstehen Patenschaften oder Freundschaften in Probenpausen oder auf Heimfahrten von Konzerten. Die Orchestermitglieder zahlen Deutschkurse oder nehmen Mitglieder des Chores in ihren Einliegerwohnungen auf. Das macht mich sehr glücklich.

Thomas Rank: Erfahrt ihr Solidarität?

Cornelia Lanz: Oh ja. Ich komme ja aus Biberach. Als wir in meiner Heimatstadt aufgetreten sind, ist mir wieder klar geworden welche Hilfsbereitschaft es hier gibt. Wir erlebten ein Feuerwerk an Herzlichkeit. Alle 70 Ensemblemitglieder konnten auf einen Aufruf der Schwäbischen Zeitung hin in privaten Gastfamilien untergebracht werden. In Oberndorf beim Konzert gab es zum Beispiel ein syrisches Buffet. Ein eigens gegründeter Projektflüchtlingschor aus Schramberg studierte einen Mozartchor und ein syrisches Heimatlied ein, nachher auf der Bühne haben fast 100 Sänger gesungen haben. Das hat mich sehr beeindruckt.

Bürgerreporter:in:

Thomas Rank aus Günzburg

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