Saufen bis der Arzt kommt

Saufen bis der Arzt kommt

Der Fall des 16jährigen, der sich vor wenigen Wochen in einer Berliner Kneipe ins Koma soff, erregt die Gemüter. Lautstark werden Gesetzesverschärfungen gefordert. Wozu strengere Gesetze? Diese Frage ist berechtigt, denn wir haben in Deutschland seit eh und je ein Jugendschutzgesetz, das klar regelt, was Jugendlichen erlaubt ist und was nicht.

Auszug aus dem Jugendschutzgesetz:
§ 9 Alkoholische Getränke
(1) In Gaststätten, Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit dürfen
1.Branntwein, branntweinhaltige Getränke oder Lebensmittel, die Branntwein in nicht nur geringfügiger Menge enthalten, an Kinder und Jugendliche,
2.andere alkoholische Getränke an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren
weder abgegeben noch darf ihnen der Verzehr gestattet werden.(...)

Fall Berlin: Wie weit man den Zeitungsberichten Glauben schenken mag, sei dahin gestellt. Der Jugendliche hat, laut Zeitungsberichten, an die 50 Tequila getrunken. Diese Menge würde selbst einen ausgewachsenen Mann, der regelmäßig Alkohohl trinkt, aus den Latschen heben.

Fakt ist: Der Wirt hätte den Schnaps weder ausschenken dürfen, noch hätte er gestatten dürfen, dass der Junge ihn trinkt. Selbst wenn ein Erwachsener den Alkohol bestellt ist es Jugendlichen nicht erlaubt, diese Getränke zu sich zu nehmen. Und dies gilt auch bei „geschlossenen Veranstaltungen“ oder privat veranstalteten Partys.

Niemand hat verhindert, dass sich der Jugendliche vollschüttet. Und als er volltrunken in einer Ecke lag wurde niemand aktiv, keiner bemerkte, dass es ihm wirklich schlecht geht. Und falls man es bemerkt hat nennt sich das „unterlassene Hilfeleistung“. Ist ebenfalls strafbar.

Frühzeitig Hilfe zu rufen hätte Stress bedeutet. Man weiß ja um das Jugendschutzgesetz. Und ein besoffener Jugendlicher in der Notaufnahme hätte bohrende Fragen von Ärzten und Behörden an den Wirt und Veranstalter der Party bedeutet. Da lässt man ihn halt lieber seinen Rausch ausschlafen in der Hoffnung, dass er am nächsten Tag wieder fit genug für die nächste Flatrate-Party ist. Verantwortlicher, wenn etwas passiert, ist der Veranstalter. Inwiefern der Kneipeninhaber nun belangt werden wird? Eine Geldstrafe wird ihm sicher sein, vermute ich. Das Loch in der Kasse wird dann halt mit einer zusätzlichen Saufparty zum Niedrigpreis gestopft.

§ 4 Gaststätten
(1)Der Aufenthalt in Gaststätten darf Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren nur gestattet werden, wenn eine personensorgeberechtigte oder erziehungsbeauftragte Person sie begleitet oder wenn sie in der Zeit zwischen 5 Uhr und 23 Uhr eine Mahlzeit oder ein Getränk einnehmen. (2) Jugendlichen ab 16 Jahren darf der Aufenthalt in Gaststätten ohne Begleitung einer personensorgeberechtigten oder erziehungsbeauftragten Person in der Zeit von 24 Uhr und 5 Uhr morgens nicht gestattet werden.(...)

Im Fall „Berlin“ liegt hier eindeutig ein Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz vor. Der Veranstalter/Wirt hätte den Jugendlichen nach 24:00 Uhr nicht mehr in seiner Gaststätte dulden dürfen.

Ebenso stellt sich hier die Frage, in wie fern die Eltern ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben. Das Kind ist nachts nicht zuhause. Es war auch sicherlich nicht der erste Vollsuff dieses Jungen. Man muss schon blind und gleichzeitig voller Gleichgültigkeit gegenüber seinem Nachwuchs sein, wenn man Veränderungen nicht bemerkt. Oder man will sie nicht bemerken. Denn Jugendliche sind unter Umständen anstrengend, aufmüpfig und machen genau das Gegenteil, wenn Eltern Verbote aussprechen. Diese Problem ist so alt wie die Menschheitsgeschichte. Eltern und Gesetze sind spießig, langweilig und nerven – und Elternsein kann unter Umständen ja so anstrengend sein! Vorhaltungen möchte man im Nachhinein keine machen - was diese Familie nun mitmachen muss möchte man nicht durchmachen müssen. Angst um das Leben eines jungen Menschen, den der Komasuff wohl so viele Gehirnzellen gekostet hat, dass er kein normales Leben mehr wird führen können. Jedoch ist dieser Fall ein mahnendes Beispiel dafür, dass man sich der elterlichen Verantwortung nicht entziehen kann und darf, wenn man den Missbrauch von Drogen bemerkt, und dazu gehören auch Bier und Schnaps.

In Deutschland haben wir zahlreiche Vorschriften, die unnötig in die Selbstbestimmung der Menschen eingreift. Das Jugendschutzgesetz zählt sicherlich nicht dazu, denn es soll, wie der Name schon sagt, junge Menschen schützen. Klar – sie meinen alles zu wissen und alles einschätzen zu können! In einigen Jahren mit etwas mehr Lebenserfahrung auf dem Buckel werden sie vieles anders sehen – aber bis zu einem gewissen Alter muss die Gesellschaft sich um die Heranwachsenden kümmern, Verantwortung für sie übernehmen. Dazu gehören Regeln, auf deren Einhaltung Erwachsene pochen müssen.

Wenn die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten, überprüft und bei Missbrauch spürbare Strafen folgen würden, dann müssten wir in Deutschland nicht über den Verbot von 1-Euro-Partys und einem generellen Verbot von Alkohol für unter 18jährige diskutieren. Sicherlich wäre es besser, denn jugendlichen Suff komplett zu verhindern - aber selbst wenn sie ab dem Stichtag "18.Geburtstag" mit Saufen anfangen, sind zwar Veranstalter und Erziehungsberechtigte fein raus. Gesundheitliche Folgen verhindert es nicht.

Vorbeugung und Aufklärung müssen betrieben werden, um etwas in den Köpfen von Jugendlichen, Eltern und Gastronomen zu bewegen. Und Spaß, den kann man auch haben, ohne sich an den Rand eines Komas zu saufen.

Nachtrag am 29.März 2007:
Er ist nicht mehr aus dem Koma erwacht: Der 16jährige Berliner ist heute verstorben. :-(

Bürgerreporter:in:

Cornelia Tippner aus Günzburg

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