Öffentliche Bücherverbrennung oder in welchem Maße beeinflusst die Homophobie Buchbewertungen?

Öffentliche Bücherverbrennung
oder
in welchem Maße beeinflusst die Homophobie Buchbewertungen?

Elisabeth Keller im Gespräch mit der Autorin Simone Petzold.

MB Der Verkaufsrang Ihrer Bücher schwankt beträchtlich. Worauf führen Sie das zurück?

SP Ich denke, das hängt mit den Buchbewertungen zusammen. Eine Leserin gibt meinem Buch fünf Sterne, die andere nur einen.

MB Wie kommt das?

SP Ich mag nicht alle Bücher und so ist klar, dass auch meine Bücher nicht jedem gefallen.

MB Ich habe mir die Bewertungen mal angeschaut und komme um das Gefühl nicht herum, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugeht.

SP Es gibt Menschen, die können Bücher schreiben, Bilder malen oder musizieren. Und dann gibt es Menschen, die können nichts von alldem. Das frustriert natürlich und nun muss ein Ventil her.
Mann oder Frau sucht sich Bücher auf Verkaufsplattformen, wie z. B. Amazon, die gut platziert sind oder viele gute Bewertungen aufweisen. Nun schreibt man eine zerstörerische Bewertung, setzt die unter die anderen Bewertungen und vergibt die schlechteste denkbare Note.
Auf diese Weise kann die Gesamtbewertung in sich zusammenbrechen. Aus einem Buch, das bisher im Durchschnitt mit vier oder fünf Sternen bewertet wurde, wird nun ein Buch, das nur noch zwei oder drei Sterne aufweist. Das Interesse der Leser lässt nach und der Verkaufserfolg bricht ein.

MB Was haben diese Leute davon?

SP Wie schon gesagt, sie versuchen ihren Frust abzubauen.

MB Aber kann nicht jeder ein Buch so bewerten, wie er es für richtig hält?

SP Natürlich kann er das. Ich habe nichts gegen konstruktive Kritik. Ich lerne gern dazu und bin für jede Anregung dankbar. Wenn ich aber sehe, dass einige Bewerter Textbausteine benutzen und diese, manchmal in verschiedener Reihenfolge, manchmal in immer gleicher, benutzen, ohne wirklich auf den Inhalt des Buches einzugehen, werde ich ein wenig ärgerlich.

MB Es gibt also Leute, die ein Buch mit immer gleichen Negativformulierungen abwerten, ohne es gelesen zu haben?

SP Wenn ich von ein und demselben Bewerter stets lese, dass ihm seine Lebenszeit zu schade ist, um gerade dieses Buch zu lesen, dass das Buch nichts taugt, da es ausschließlich aus Sex-Szenen besteht, dass ausschließlich lesbische Frauen darin vorkommen, drängt sich mir der Verdacht auf, dass der Bewerter das Buch nicht gelesen haben kann, wenn z. B. auf zweihundert Seiten gerade einmal zwei erotische Szenen beschrieben werden oder wenn gar keine Lesbe darin vorkommt.

MB Ach, ich dachte, dass nur Leser, die ein Buch gekauft haben, bewerten dürfen.

SP So war es anfangs wohl auch geplant. Allerdings ist die Zahl der Bücher dermaßen groß, dass man diese Auswüchse kaum noch unterbinden kann.

MB Wie steuern Sie dagegen?

SP Am System können wir Autoren nichts ändern. Wir können nur die Interessierten darauf hinweisen, sich nicht ausschließlich an den Bewertungen zu orientieren. Jedes Buch verfügt über einen Klappentext und jede Verkaufsplattform über eine Probelesefunktion.
Obendrein möchten wir den Lesern dazu raten, sich die anderen Bewertungen eines Negativbewerters einmal anzuschauen. Auf diese Weise kommt man schnell dahinter, ob es sich um eine ehrliche oder rein zerstörerische Bewertung handelt.

MB Können Sie ein Beispiel nennen?

SP Ich habe mich mit einigen Autorinnen zusammengetan. Wir haben die Buchreihe „Starke Frauen“ ins Leben gerufen.
Jahrhundertelang war es üblich, dass ausschließlich über heldenhafte Männer geschrieben wurde, die kleine, unscheinbare und grottendumme Frauchen retteten, um sie auf ihrem Schimmel in ihr Schloss zu bringen, sie zu ehelichen, sie vor der bösen Welt zu beschützen und viele Kinderchen, natürlich Söhne, mit ihnen zu zeugen.
Wir wollten aufzeigen, dass es Frauen gibt und immer gegeben hat, die Schlimmes durchmachen mussten, sich am eigenen Schopfe oder mithilfe anderer Frauen aus dem Sumpf zogen oder einfach ihre lesbischen Neigungen auslebten oder ausleben.
Unser Club besteht aus vielen Autorinnen, die viele, und vor allem völlig verschiedene Bücher veröffentlicht haben. Wenn dann von einer Bewerterin behauptet wird, alle Bücher wären Lesbenpornos, muss man sich etwas wundern, da in keinem einzigen Buch pornografische Szenen vorkommen.
Wenn ich, als Bewerterin, also die Beschreibung einer lesbischen Beziehung als Pornografie darstelle, sollte ich mich einmal fragen, wie ich auf diese Übertreibung komme.
Wenn ich dann auch noch schreibe, alle Bücher wären gleich und es würde reichen, ein Buch zu lesen, um alle Starke-Frauen-Bücher zu kennen, dann sollte ich auch alle gelesen haben. Aber nein, eine Negativbewerterin hat gerade mal zwei unserer Bücher gelesen, eine andere sogar nur eines. Sind die beiden Hellseherinnen?

MB Wie bewerten solche Leute denn andere Bücher?

SP Wir haben mehrere Bewerter entdeckt, die mehrere hundert Negativbewertungen verfasst haben. Ein Bewerter, der eine Unmenge von Büchern zerrissen hat, hat nur einmal vier und einmal fünf Sterne vergeben. Vier Sterne erhielt ein Kochbuch. Fünf Sterne vergab er an ein Kinderbuch, in dem ein Kater die Welt rettet.
Wenn sich also Leser für solche Art der Literatur begeistern, wird es schwierig, den Inhalt unserer Bücher zu verstehen. Obendrein spielt nach wie vor die Homophobie, also die Angst vor der Homosexualität, eine gravierende Rolle. Die Homosexualität ist zwar offiziell kein Straftatbestand mehr, im Geheimen wird aber nach wie vor über Lesben hergezogen, werden Lesben immer noch diskriminiert. Und man sollte natürlich die heimliche Macht nicht vergessen.

MB Was meinen Sie damit?

SP Neulich fuhr ich morgens zu unserer schönen Bäckerin, um Brötchen zu kaufen. Auf dem Weg durchs Dorf folgte mir eine Frau etwa Mitte zwanzig in ihrem Auto. Sie fuhr so dicht auf, dass ihre Frontscheibe meinen gesamten Rückspiegel ausfüllte. Eine völlig genervte junge Frau blickte mir aus dem Spiegel entgegen. Ich dachte, wenn ich jetzt Gas wegnehme, habe ich sie im Kofferraum.
Ich bremste daher ganz langsam ab, fuhr auf den Parkstreifen vor dem Geschäft und hielt an. Sie folgte mir und parkte hinter meinem Auto. Ich stieg aus, ging ein paar Schritte nach hinten und klopfte an die Beifahrerscheibe. Sie schaute mit rotem Kopf angestrengt nach links auf die Straße.
Da die Beifahrerscheibe ein wenig offen stand, erklärte ich ihr, dass mein Auto über mehr als zweihundert Pferdestärken verfügt und somit aus eigener Kraft jedweden Weg ohne fremde Hilfe abfahren kann. Sie starrte weiter auf die Straße.
Ich betrat den Laden, wechselte ein paar Worte mit der schönen Bäckerin, gab meine Bestellung auf, nahm die gewünschten Brötchen in Empfang und bezahlte. Die Dränglerin saß nach wie vor in ihrem Auto. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass sie mich durch die Schaufensterscheibe immer wieder musterte.
Erst als ich mit meinem Auto wegfuhr, sah ich im Rückspiegel, dass sie ausstieg und den Laden betrat.
So ähnlich läuft das auch mit einigen Bewertern. Anonym und mit Nickname ausgestattet kann ich jeden im Internet fertigmachen, ohne befürchten zu müssen, selbst behelligt oder zur Verantwortung gezogen zu werden. Ich kann mein Machtspielchen spielen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Manche fühlen sich eben im Auto sicher, andere anonym im Internet. Und das Beispiel zeigt, wenn man diesen Leuten direkt begegnet, geht die Angst um, schlägt die Feigheit voll durch.

MB Ich dachte, was die Homophobie betrifft, läge das Mittelalter hinter uns.

SP In vielen Köpfen leben wir noch mittendrin. Und die Homophobie wird nach wie vor weitergegeben. Wie viele Lehrer schauen weg, wenn das meistbenutzte Schimpfwort auf Schulhöfen benutzt wird? „Schwule Sau“ ist nach wie vor die Nummer eins.

MB Was macht für Sie eine starke Frau aus? Muss die lesbisch sein?

SP Eine starke Frau muss nicht lesbisch sein. Es gibt starke Frauen, die mit einer Frau zusammenleben. Es gibt starke Frauen, die mit einem Mann verheiratet sind, Kinder haben und den Haushalt führen. Es kommt doch nur darauf an, dass diese Frauen sich und ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche und Träume ausleben, dass sie sich nicht aus Feigheit oder Bequemlichkeit unterordnen und zu Dingen zwingen lassen, die sie im Grunde ihres Herzens nicht mögen, die sie rundheraus ablehnen oder sich sogar davor ekeln.
Starke Frauen unterstützen sich. Schwache Frauen hacken sich gegenseitig die Augen aus, müssen erniedrigen und mobben, um sich selbst besser, höher, stärker fühlen zu können. Starke Frauen brauchen so etwas nicht.
Wie sagte doch unsere Expertin Lisa Anusch so schön? „Die größte Feindin der Lesbe, ist die Lesbe, die neidisch auf die Lesben herabschaut, die sich trauen, ihr Lesbischsein zu leben, ohne selbst den Mut dazu aufzubringen.

MB Frau Petzold! Vielen Dank für das Gespräch.

Buchtipp
Simone Petzold
Die Wende meines Lebens
Renata Komanetschy – Mein buntes Leben
aus der Reihe „Starke Frauen“

Bürgerreporter:in:

Elisabeth Keller aus Gnarrenburg

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