Chaos, Tod und zerstörte Häuser

Chaos, Tod und zerstörte Häuser

aus der Reihe
Neues aus Narrenberge
von
Margaretha Main

Psst! Nicht so laut! Es ist gefährlich! Im Moment befinde ich mich im Exil. Ich musste aus Narrenberge fliehen!

Vorgestern Morgen um neun Uhr mussten wir wieder vor dem Rathaus antreten. Diesmal ging es nicht um Freiwilligkeit. Nein, wer nicht erschien, wurde von den schwarzen Sheriffs abgeholt. Kaum waren alle versammelt – es hatte etwas gedauert, da sich langsam eine kleine Opposition regt und Wiederstand geleistet hatte -, trat Dr. Einrenk auf den Rathausbalkon.

„Liebe Narrenberger!“
Die freundliche weibliche Anrede ließ er diesmal weg.
„Wir haben uns heute hier versammelt, um gemeinsam der vielen Menschen zu gedenken, die uns in den letzten Tagen aufgrund der Pandemie verlassen haben. Bitte lasst uns eine Schweigeminute einlegen und die Hände falten.“

Nach wenigen Sekunden entrollten einige Passanten kleine Plakate mit der Aufschrift: „Einrenk, du Lügner!“ oder „Wir haben keine Pandemie-Toten!“
Schon nach wenigen Sekunden springen die schwarzen Sheriffs hinzu, reißen die Plakate nieder und werfen die Entroller auf den nackten Asphalt. Immer mehr Menschen nehmen nun all ihren Mut zusammen und skandieren: „Einrenk, du Lügner! Einrenk, du Lügner!“
Das hat zur Folge, dass die schwarzen Sheriffs nun endgültig jeden Anstand fahren lassen. Ungehemmt prügelt der schwarze Block auf die Menschen ein. Alles rennet, rettet, flüchtet.

Auch um mich bildet sich plötzlich eine schwarze Traube. Mann hat mich als Störenfriedin ausgemacht, die durch ihre Kommentare die Menschen aufstachelt. Ehe die Schwarzen begreifen, wie ihnen geschieht, habe ich mein Pfefferspray hervorgeholt und allen umliegenden Augen eine Ladung verpasst. Während sich die Herren vor Staunen die Augen reiben, ziehe ich meine rote Jacke aus, drehe diese auf links, ziehe nun eine beige Jacke wieder an, ziehe meine Corona-Maske vors Gesicht und entferne mich geschwind.

Hinter mir herrscht das totale Chaos. Ich renne zu meiner Wohnung, werfe ein paar Sachen in meine Reisetasche, ziehe meine Motorradjacke über, sprinte zur Garage, schiebe meine Maschine nach draußen, verstaue die Tasche, schließe das Tor, schwinge mich auf die Sitzbank und fahre los. Während ich im Slalom durch die ersten Trümmer kurve, sehe ich im Rückspiegel meine Verfolger. Einige rennen mir nach, andere bleiben vor Ort, um weiterhin zu wüten.

Am Abend, ich bin längst in Sicherheit, laufen einige Nachrichten bei mir auf. Ein paar wenige Mutige beliefern mich nach wie vor mit Neuigkeiten.
Den ganzen Tag über kam es zu Übergriffen. Männer wurden verprügelt, Frauen und Mädchen vergewaltigt. Eine Identifizierung der Täter ist aufgrund der Maskenpflicht unmöglich.
Etliche alte Frauen sind zu Tode erschrocken, als man ihre Haustüren eintrat. Einige Ehemänner wurden aufgehängt, weil sie es wagten, ihre Frauen zu beschützen.
Einrenk hatte ausgegeben, dass sich alle Personen, ob Kind, ob Erwachsener, beim Narrenberger Klinikum zwecks Überprüfung zu melden hätten. Man wolle – natürlich nur zum Wohle des Volkes – alle gegen das böse Virus impfen. Ein aktueller Impfstoff stünde zwar im Moment nicht zur Verfügung, aber der vom letzten Jahr würde es bestimmt auch tun.
Obendrein solle überprüft werden, ob die Bevölkerung vom Krebs-Gen befallen sei. Sollten sich Menschen mit Krebs-Gen finden lassen, sei eine sofortige Entfernung von Brüsten, Gebärmutter und Eierstöcken bei Frauen oder der Prostata bei Männern einzuleiten. Auf diese Weise könne man eine Ausbreitung verhindern. Ein Krebs-Gen existiert zwar nicht und kann daher auch nicht ansteckend sein, aber das muss man ja dem Volke nicht erzählen.

Heute erfahre ich nun, dass Einrenk die Strafen für Verkehrsverstöße drastisch erhöht hat. Personen, die die zulässige Höchstgeschwindigkeit um fünf km/h überschritten haben, zahlen, genau wie Falschparker oder Stinkefingerzeiger pauschal 2000,- Euro an den nächststehenden schwarzen Sheriff. Dieser wiederum muss fünfzig Prozent von der Einnahme an Einrenk persönlich abführen. Einrenk gibt davon zehn Prozent an seine Kumpels weiter, die aufgrund der erfundenen Corona-Welle ihre Geschäfte hatten schließen müssen.

Auch sein Freund der Pastor bekommt seinen Obolus. Diesen hatte er näher kennen gelernt, als er mal wieder mit seinen Freunden, dem Banker, dem Apotheker, dem Betreiber eines Modekaufhauses, dem Chefarzt der Klinik, dem Direktor der hiesigen Bitumenwerke und einigen Stadtverordneten im „Roten Herzen“ mit Pauken, Trompeten und wilden Mägden abgefeiert hatte.
Im besoffenen Kopf hatte er nach der Toilette gesucht und war in einem Zimmer gelandet, das eigentlich nicht für seine Augen bestimmt war. Dort hatte er einen nackten Mann vorgefunden, der auf einen Holzbock gespannt, von einer jungen Dame in Leder nach Strich und Faden verprügelt wurde.
Diese Art der Darbietung hatte Einrenk schlagartig ernüchtert und er war zu dem Schluss gekommen: Das konnte er auch!
Ab dem Tage hatte der Pastor zweimal in der Woche Herrn Einrenk im Rathaus aufgesucht, um sich im hintersten Hinterzimmer den Hintern versohlen zu lassen.

Einige Betreiber von kleineren Läden gingen leer aus. Einrenk hatte nie wirklich von ihnen profitiert. Dazu gehört auch die Betreiberin der kleinen Kneipe um die Ecke. Dieses renitente Weib hatte es doch vor Jahren einmal gewagt, ihn aus ihrer Kneipe mithilfe eines gehörigen Trittes in den Hintern zu entfernen, nachdem er angefangen hatte, völlig alkoholisiert die Inneneinrichtung zu zerlegen. Solche Leute konnte er schlecht unterstützen. Sollten diese Leute pleitegehen, dann war das eben so.

War es das für heute?
Nein, gerade kommt noch eine Meldung herein:
Das etwa zwölfjährige Mädchen, das Einrenk als Corona-Tote aufgezählt hatte, hatte sich in Wirklichkeit vor einen Zug geschmissen, um den Übergriffen durch ihren Vater zu entkommen.
Zwei ältere Damen, 99 und 101 Jahre alt, waren an Altersschwäche gestorben. Auch diese hatte Einrenk mitgezählt. Ebenfalls hatte er zwei GTI-Affen mitgezählt, die, so kam nun ans Licht, sich während eines Autorennens innerhalb von Narrenberge selbst zerlegt hatten.
Wie ich gerade sehe, bleiben von den angeblichen Corona-Toten keine übrig. Eine Statistikerin hat festgestellt, dass seit Anfang des Jahres neun Personen weniger verstorben sind, als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Ich werde euch weiter auf dem Laufenden halten.

Bürgerreporter:in:

Elisabeth Keller aus Gnarrenburg

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