Blumen für die ältere Generation

Blumen für die ältere Generation
aus der Reihe
Neues aus Narrenberge
von
Margaretha Main

Gestern hat unser Bürgermeister wieder einmal alle Narrenbergerinnen und Narrenberger auf dem Rathausplatz zusammengerufen. Natürlich reichte der Platz nicht aus, da ja ein Abstand von mindestens zwei Metern gewahrt bleiben muss.
Während alle Anwesenden erwartungsfroh vor sich hin wisperten – laut zu reden traute sich niemand -, wurde die Tür zum Rathausbalkon geöffnet.

Herr Einrenk trat ins Freie, verbeugte sich in alle Richtungen und winkte seinen Bürgerinnen und Bürgern huldvoll zu. Tosender Beifall brach augenblicklich aus. Hatte es früher noch hin und wieder Pfiffe und Buhrufe gehagelt, so schien die Menge heute total verzückt zu sein.

„Liebe Narrenbergerinnen und Narrenberger!
Ich danke Ihnen, nein, ich danke euch dafür, dass ihr Menschenleben gerettet habt. Ihr seid brav zu Haus geblieben und habt dadurch dafür gesorgt, dass sich das böse Virus nicht weiterverbreiten konnte.
Ich habe euch genau beobachtet. Ihr habt nach dem Stuhlgang Toilettenpapier benutzt, das dem Himmel sei Dank wieder vorrätig ist. Ihr habt vor der Waschstraße mit euren Autos Abstand gehalten. Dadurch hatte das böse Virus keine Chance von Auto zu Auto zu hüpfen. Ihr habt euch gegenseitig mit dem Dampfstrahler bespritzt, weil ihr wusstet, dass Viren im Nebel nicht lange überleben können. Und ihr habt Abstand gehalten und Atemschutzmasken getragen. Ihr seid niemals ohne Einkaufswagen in den Supermarkt gegangen.
Narrenbergerinnen und Narrenberger!
Ich bin stolz auf euch.“

Sofort brandet Applaus auf. Einrenk breitet die Arme aus und der Applaus verstummt langsam.

„Narrenbergerinnen und Narrenberger!
Wir müssen auch weiterhin zusammenhalten. Die Gefahr ist noch lange nicht vorbei!“

Jubel bricht aus.

„Ich habe mir Gedanken über die Zukunft von Narrenberge gemacht und mit etlichen Experten gesprochen. Dabei kam heraus: wie müssen etwas tun!“

Wieder brandet Applaus auf.

„Während der Bischof der Auffassung ist, die Transsexuellen seien schuld an der Pandemie, kann ich nicht umhin, ihm nur geteilt zuzustimmen. Ich denke, dass es auch andere Gruppierungen gibt, die uns das Leben schwermachen wollen. Mir kommen da z. B. emanzipierte Frauen in den Sinn. Früher, als der Mann noch das Sagen hatte, gab es keine Pandemien. Vielleicht gab es hier und da mal ein paar Pesttote, aber das, was jetzt passiert, hätte man sich früher nicht vorstellen können.

Einer meiner Freunde aus dem Süden der Republik ist der Ansicht, Andersgläubige stecken hinter dem ganzen Chaos. Experten aus Apfelmusimkopfingen – das liegt bei Södershausen – haben festgestellt, dass die ersten Viren aus den östlichen Nachbarstaaten zu uns gekommen sind. Man habe allerdings nicht lange gezögert und sofort alles desinfiziert und Virus mit Virus vergolten. Ab 5.45 Uhr wurden alle sofort in Quarantäne geschickt und eingeschlossen.“

Jubel bricht aus und Einrenk muss erneut die Arme ausbreiten, um für Ruhe zu sorgen.

„Wir haben es bald geschafft. Nur noch wenige Monate und ich kann langsam damit anfangen, die Einschränkungen zu lockern. Haltet durch! Ihr macht das ganz prima!

So, als Nächstes möchte ich euch über weitere Maßnahmen informieren:
Das Fleißpunktesystem aus China werden wir spätestens zum Jahresende einführen. Jeder kann also Punkte sammeln. Ich will euch ein Beispiel geben: Das Informieren der Polizei über ein nicht beachtetes Versammlungsverbot in der Nachbarschaft wird mit zehn Punkten belohnt. Stellt die Polizei vor Ort fest, dass der Hinweis zutrifft, wird die Punktezahl automatisch verdoppelt. Handelt es sich um einen Irrtum, werden fünf Punkte abgezogen. Daraus resultiert, dass es sich stets lohnt, Hinweise zu geben.

Als nächstes möchte ich unsere Hochrisikogruppe vor einer Ansteckung schützen. Diese Menschen haben dazu beigetragen, dass es uns heute so gut geht. Daher verdienen sie einen besonderen Schutz. Ab jetzt tragen bitte alle Bürgerinnen und Bürger ab dem fünfzigsten Lebensjahr eine grüne Blume auf der Kleidung, ab dem sechzigsten eine gelbe und ab dem siebzigsten eine rote.
Durch diese Kennzeichnung wird allen signalisiert, wen man vor sich hat. Jeder kann diese Menschen sofort und unbürokratisch schützen, in dem er ihnen großräumig aus dem Weg geht.“

Unglaublicher Jubel bricht aus. Der Applaus reißt nicht ab. Während die anderen noch klatschen hole ich mir meine Blume. Welche ich tragen muss? Tja, das möchtet ihr wohl gern wissen. Ich werde es euch nicht verraten.

Eure Margaretha Main

Buchtipp
Margaretha Main
Die Angst geht um in Narrenberge

Bürgerreporter:in:

Elisabeth Keller aus Gnarrenburg

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