Mit Archäologen in die Stadtgeschichte Gießens

So sollte es sein
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Durch die Neugestaltung des Kirchenplatzes in Gießen hatte die Hessenarchäologie die Möglichkeit erneut in die Geschichte der Stadt einzutauchen. Grabungsleiter war Dr. Neubauer, der in Gießen schon oft für die Hessenarchäologie tätig wurde. Bereits durch die Grabungen in der Schanzenstrasse, Löwengasse und Marktplatz konnte man einen Eindruck bekommen, wie die Menschen einst in Gießen lebten. Von Hochwasser und schlammigen Straßen und im Süden der Stadt wohl auch einige ungute Gerüche der Gerber durfte man ausgehen. Die Straßenbefestigungen aus Holz die in 4 Schichten nach zu weisen waren schützte wohl wenig vor dem Schlamm den man in der Lahnniederung nur zu gut kannte. Diese Hölzer verraten uns das der Süden der Stadt schon vor der Ersterwähnung Gießens als Stadt 1248 bewohnt wurde, die Straßen bereits oft genutzt und dadurch befestigt waren. Die gefundenen Reste der Wallanlage, die Gießen einst umgab und heute noch in Teilen am Arbeitsamt zu sehen sind, zeigen einen gewissen Verteidigungsbedarf. Giessen war bereits früh zu Wohlstand gekommen. Zahlreiche Funde von verschiedenen Ofenkacheln und Töpferware im Süden der Stadt belegen einen guten Stand des Handwerks. Im Süden der Stadt waren die unsauberen und brandgefährlichen Gewerbe angesiedelt. Bei der Ausgrabung am Marktplatz hoffte man auf eine Bestätigung für den Namen. Man mußte von nicht vorhandenen Münzenfunde am Marktplatz berichten, die davon Zeugen, dass es am Marktplatz wohl keinen Markt gab. Was es dort gab verwunderte etwas. Dort , wo man immer den Marktplatz Gießens vermutete, stand einmal eine befestigte Hofanlage. Man hatte mit großer Warscheinlichkeit den erstmals im Jahr 1272 erwähnten Klosterhof des Kloster Arnsburg in Gießen gefunden. Auf der ältesten Ansicht des Marktplatzes ist diese Hofanlage bereits nicht mehr vorhanden. Die Ansicht stammt aus dem Jahr 1815. Für einen Markt auf dem Marktplatz war im Mittelalter eigentlich kein Platz. Neben der Hofanlage wurden noch andere Holzbauten gefunden. Dazu Gräben und Straßenbefestigungen, aber eben kein mittelalterlicher Marktplatz. Wo war der im Jahr 1551 erstmals erwähnte Gießener Wochenmarkt? Eine Hinweistafel auf dem Marktplatz erklärt dem Interessierten was sich unter dem Platz mit den Bushaltestellen befindet. Bei der jüngsten Ausgrabung am Kirchenplatz 2014 hat man, obwohl die Grabung kleiner war, als die am Marktplatz neben dem gepflasterten Platz auch reichlich Münzen gefunden. Da hat er sich also versteckt der Gießener Wochenmarkt. Gesucht war eigentlich die Mittelalterliche Kirche nebst Friedhof. Hm, in Gießen ist eben alles anders. Gefunden wurde eine Kirche mit Marktplatz. Den jungen Wohlstand der Bewohner rund um den Kirchenplatz zeigen die Haarnadeln der aufwendigen Frisuren der wohlhabenden Damen und das Waschgefäß, welches man als,, Fund des Monats August,, vorgestellt hat.
Die mittelalterliche Kirche jedoch gibt ohne Zweifel große Fragen. Wird in den Chroniken von mehreren Bauabschnitten gesprochen, widersprechen die Funde dieser Baugeschichte. Wären die Kirchenschiffe wirklich in Etappen gebaut worden, hätte man ein Mauerfundament finden müssen. Dem war nicht so. Man hat lediglich 3 Säulenfundamente gefunden. Dies spricht für einen zeitgleichen Bau der Kirchenschiffe. Die Gießener Kirche fällt sowieso aus der Rolle. Im Normalfall hat eine gotische Kirche 3 Schiffe und einen Chor, sowie ein bis zwei Türme an der Kirche. Gut zu sehen in Marburg oder Wetzlar. Gießens gotische Kirche ist eine Besonderheit. Sie hatte nur 2 Schiffe, dafür aber 2 Chöre und einen separat stehenden Turm. Das Einzige was heute noch steht. In diesem Turm befindet sich noch heute der Taufstein der mittelalterlichen Kirche. Noch heute darf man sich in ihm Trauen lassen oder seine Kinder taufen. Auf der Spitze des Kirchturms sollte ein Hahn oder ein Schwan sein, wie bei allen Kirchtürmen. Aber in Gießen ist alles anders. Die Kirchturmspitze ziehrt ein stolzer Löwe. Zurück zum Kirchenbau. Der Bau der Stadtkirche, die über die alte Kirche gebaut wurde, hat jedoch das meiste Fundament des alten mittelalterlichen Baus zerstört. Vor dem Abtragen der mittelalterlichen Kirche hat man die Fundamente aufgezeichnet und uns so einen Einblick in den alten Bau erhalten. Die Funde passen aber nicht zu den überlieferten Baudaten. Die Gießener gothische Kirche wird die Antworten auf ihre Rätzel wohl für sich behalten. Genauso unauffindbar ist der Friedhof, der im Mittelalter immer bei der Kirche war. Er wurde einfach nicht gefunden. Nicht ein kleiner menschlicher Knochen. Nichts. Dafür hat man den alten Wassergraben gefunden. Der sollte eigentlich unter dem Stadtkirchenturm lang gelaufen sein. Geologen wunderten sich schon lange das der Turm über die Jahre so gerade stehen geblieben ist. Auf dem Graben hätte er absinken müssen. Jetzt weiß man dasder Wassergraben einige Meter versetzt auf dem Kirchenplatz eingezeichnet werden muß. Am Fundament des Stadtkirchenturms fand man dafür aber Mauerreste der Wasserburg. Die Hinweistafen am Turm ist noch nicht erneuert und zeigt so falsche Angaben. War die Burg größer als gedacht? Warum Gießen keinen schiefen Stadtkirchenturm hat war nun klar. Wer auf solch dicken Mauern ruht fällt nicht so schnell. Wie bereits bei den Grabungen zuvor war auch diese Mauer auf Holz gebaut. Holz dem man mithilfe einer dentrochronologischen Untersuchung das Alter dieser Mauer bestimmen kann. Holz, das uns beweisen kann, wie alt die Burg wirklich ist. So dachte man. Aber in Gießen ist alles anders. Diese alte Mauer zeigt das die alte Burg größer gewesen ist, als man vermutet hatte. Der Bau der Wasserburg wird in den Chroniken auf das Jahr 1197, die Kapelle auf 1248 und der Friedhof auf 1282 datiert. Der Bau der Festung auf 1531-1533. Die Erweiterung der Festung auf 1539.
Diese Erweiterung konnte tatsächlich durch Holzfunde in der Schanzenstrasse, die dendrochronologisch untersucht wurden, mit dem Jahr um 1542 bestätigt werden. Die Hölzer unter der gefundenen Mauer der Wasserburg wurden aber auf die Jahre 1424,1429,1431,1434 datiert. Das passt nicht mit den bekannten Daten der Wasserburg zusammen. Sollte die Wasserburg tatsächlich noch einmal erweitert worden sein, nachdem das alte Schloss bereits gebaut worden war? Es befinden sich keinerlei bekannte hinweiße in den Archiven die eine Erweiterung der Burg bestätigen würden. Schon wieder ein Fragezeichen für die Freunde der Geschichte. Diese Frage wird man nun nicht mehr beantwortet bekommen. Jetzt wo die Fläche am Kirchenplatz gepflastert ist, wird sich der Grundwasserspiegel ändern. Durch diese Funde hat man zum Glück über die Versiegelung der Fläche Nachgedacht und davon Abstand genommen. Vielleicht werden die Hölzer weiter im Gießener Schlamm erhalten, bis erneut am Platz gebuddelt wird. Hätte man nur etwas mehr Zeit und Geld zur Verfügung gehabt, so hätte man die ein oder andere große Frage zur Burg noch beantworten können. Aber das ist nun vorbei. Der gefundene Bombensplitter, der neben dem Turm gefunden wurde, ist im Museum verwart und man hofft, diesen Splitter einmal neben dem Gedenkstein zur Bombennacht des 6.12.1944 aufstellen zu können. Zweifelsohne hat diese Bombe zum Einsturz der Stadtkirche beigetragen. An der Fundstelle des Splitters der britischen Fliegerbombe ist das Fundament einfach weg. Im Abstand von ca 6 Metern waren Bombentrichter gefunden worden. Allein diese Tatsache lassen die dichte des Bombenteppich erahnen dem Gießen in dieser Nacht ausgesetzt war. Wer sich zu den Grabungen in der Gießener Stadt informieren möchte, hat die Möglichkeit das Führungsheft ,, Eine Stadt auf Holz gebaut,, von Dr. Neubauer beim Amt für Denkmalpflege oder im Oberhessischen Museum erwerben. Die Grabung am Kirchenplatz ist jedoch noch nicht in diesem Heft aufgeführt. Das Oberhessische Museum gibt den Geschichtsfreunden die Möglichkeit kostenlose Infos über die Stadt zu bekommen. Dazu kommen Stadtführungen und die Möglichkeit selbst die markanten Punkte der Stadt zu Besuchen. Infotafeln geben einen kleinen Einblick in die Geschichte der Gebäude.
Auch wenn von der Altstadt Gießens kaum was offen sichtbar ist, es gibt einiges zu entdecken in der Universitätsstadt mit dem Elefantenklo.

Bürgerreporter:in:

Nicole Freeman aus Heuchelheim

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