Charlotte Knobloch kommt am Freitag den 4.3.2011 ans Paul-Klee-Gymnasium

4. März 2011
10:30 - 12:00 Uhr
Paul-Klee-Gymnasium, 86368 Gersthofen
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Charlotte Knobloch, bis November 2010 Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses, Vizepräsidentin des Europäischen Jüdischen Kongresses kommt am Freitag den 4. März ins Paul-Klee-Gymnasium und wird mit den Schülern der 11. Jahrgangsstufe in der 4. und 5. Schulstunde im Großen Musiksaal diskutieren und über die Notwendigkeit der Erinnerung sprechen.
Auch die interessierte Öffentlichkeit ist hierzu herzlich eingeladen. (10.40 Uhr - 12.00 Uhr vormittags)

Nur wenige Monate vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird Charlotte Neuland am 29. Oktober 1932 im Münchner Rotkreuzkrankenhaus geboren. Sie ist das einzige Kind des angesehenen Rechtsanwalts Fritz Neuland und seiner Frau Margarethe, die ihm zuliebe zum Judentum konvertiert war. Die kleine Charlotte ist eine echte Vatertochter: Gerne besucht sie ihn in seiner zentral gelegenen Kanzlei am Stachus; sie ist fasziniert vom Klappern der Schreibmaschinen und dem Kommen und Gehen der zahlreichen KlientInnen. Als sie vier Jahre alt ist, lassen sich die Eltern scheiden; die Mutter kann dem Druck der Nazis auf »arische« EhepartnerInnen nicht mehr standhalten. Charlotte bleibt beim Vater. Die Stelle der Mutter nimmt die Großmutter Albertine Neuland ein, an der das Kind mit großer Liebe hängt. Verzweifelt muss Charlotte feststellen, daß die nichtjüdischen Kinder der Nachbarschaft nicht mehr mit ihr spielen dürfen.

Am 9. November 1938 wird Fritz Neuland durch einen Anruf gewarnt; mit der sechsjährigen Tochter an der Hand flieht er aus der Wohnung. Sie eilen durch die Stadt, wo sie die zertrümmerten Schaufenster der jüdischen Geschäfte und die brennende Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße sehen. Bei Freunden im Vorort Gauting finden sie vorübergehend Unterschlupf. Erst als sich die Situation beruhigt, kehren sie in die Münchner Wohnung zurück. Der bereits in die USA emigrierte Onkel betreibt die Auswanderung der Zurückgebliebenen. Da Albertine Neuland aus Altersgründen kein Einreisevisum erhält, steht für Fritz Neuland fest, dass auch er und Charlotte in Deutschland bleiben werden.

1942 stehen Charlotte und Albertine Neuland auf den Deportationslisten der Gestapo. Nun muss rasch gehandelt werden: Der Vater bringt Charlotte nach Mittelfranken zu Kreszentia (»Zenzi«) Hummel, die ehemalige Hausangestellte des in die USA ausgewanderten Onkels. Die Großmutter wird deportiert und stirbt 1944 in Theresienstadt.

Aus Charlotte Neuland wird »Lotte Hummel«. Die fromme, katholische Zenzi gibt das Mädchen als uneheliches Kind aus und muss – ebenso wie der »Bankert« Lotte – das schadenfrohe Getuschel der Dorfbevölkerung über sich ergehen lassen. Bis zum Sommer 1945 lebt »Lotte« als Bauernkind auf dem Hof der Hummels, bis eines Tages der Vater auftaucht. Er hat das »Tausendjährige Reich« als Zwangsarbeiter überlebt und nimmt seine Tochter nun wieder mit nach München. Als sehr viel später bekannt wird, wen die Hummels dreieinhalb Jahre lang beherbergt haben, kommt es zu Anfeindungen und sogar Morddrohungen gegenüber Zenzi.

Nach ihrer Rückkehr besucht Charlotte Neuland die Handelsschule und arbeitet anschließend in der wiedereröffneten Kanzlei ihres Vaters. Sie lernt den aus Krakau gebürtigen Kaufmann Samuel Knobloch kennen, den es nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald nach München verschlagen hat. 1951 heiraten die beiden und wollen eigentlich baldmöglichst Deutschland verlassen und in die USA auswandern. Doch eine Schwangerschaft macht ihnen einen Strich durch die Rechnung: Ende 1951 kommt Sohn Bernd zur Welt, und noch bevor er aus dem Gröbsten heraus ist, wird 1953 seine Schwester Sonja geboren. Zehn Jahre später folgt noch die jüngste Tochter Iris. Nachdem Samuel Knobloch inzwischen beruflich Fuß gefasst hat, rückt die beabsichtigte Auswanderung in weite Ferne: Sie entschließen sich, in München zu bleiben.

Charlotte Knobloch ist zunächst mit Leib und Seele Mutter; ihre Kinder sollen geborgener aufwachsen als sie selbst. Später engagiert sie sich u.a. als Schöffin, betreut ältere Gemeindemitglieder und fungiert als Schatzmeisterin im Jüdischen Frauenbund. 1981 kandidiert sie erstmals für den Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die ihr Vater wieder mit aufgebaut und jahrelang geleitet hatte. Vier Jahre später erzielt sie bei den Wahlen die meisten Stimmen und wird als erste Frau Präsidentin einer jüdischen Großgemeinde. Eine Überraschung nicht nur für die Gewählte, denn die orthodox ausgerichtete Münchner Gemeinde zählt zu den konservativsten in Deutschland. Seither wird sie bei allen im vierjährigen Turnus abgehaltenen Wahlen in ihrem Amt bestätigt. Ihre größte Aufgabe besteht darin, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs zugewanderten Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in die Gemeinde zu integrieren. Während ihrer Amtszeit hat sich die Anzahl der Gemeindemitglieder verdoppelt und stellt nun nach Berlin mit knapp 10.000 Personen die zweitgrößte jüdische Gemeinschaft Deutschlands.

Die beengten Verhältnisse in Synagoge und Verwaltung in der Reichenbachstraße lassen den großen Wunsch Charlotte Knoblochs zur Notwendigkeit werden: ein neues Jüdisches Zentrum, am liebsten mitten in der Stadt. Dank ihrer Beharrlichkeit und der Unterstützung durch den Münchner Oberbürgermeister Ude kann am 9. November 2003 der Grundstein am St.-Jakobs-Platz gelegt werden. Kurz zuvor werden Neonazis der »Kameradschaft Süd« festgenommen, die ein Sprengstoffattentat während des Festaktes geplant hatten. Genau drei Jahre später wird das scherzhaft »Charlottenburg« genannte Jüdische Zentrum, bestehend aus Synagoge, Museum und Verwaltungsgebäude, eingeweiht.

Nach dem Tod des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, wird Charlotte Knobloch im Juni 2006 einstimmig zu dessen Nachfolgerin gewählt – wieder als erste Frau in dieser Funktion. Bereits seit 2003 ist sie Vizepräsidentin des Europäischen Jüdischen Kongresses und seit 2005 des Jüdischen Weltkongresses. Sie gilt als charmant, spontan, emotional und glaubwürdig, aber auch resolut, durchsetzungsfähig und führungsstark. Sie scheut sich nicht, ihre Anliegen in direkten und deutlichen Worten vorzutragen und pflegt damit einen anderen Stil als ihr Vorgänger.

Charlotte Knobloch ist Mahnerin vor dem Rechtsradikalismus, vehement fordert sie ein NPD-Verbot. Gleichzeitig spricht sie sich für einen »aufgeklärten Patriotismus« aus. Immer wieder setzt sie sich für ein gegenseitiges Kennenlernen und den Dialog mit der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft ein. Trotzdem zögert sie nicht, den Kontakt zur katholischen Kirche abzubrechen, als die Exkommunikation des Holocaust-Leugners und Piusbruders Bischof Williamson vom Vatikan rückgängig gemacht wird. Hartnäckig widersetzt sie sich den Mahnmalen der »Stolpersteine«, wie sie schon in vielen Städten vor Häusern an ehemalige jüdische BewohnerInnen erinnern. Sie erträgt die Vorstellung nicht, auf den Namen der Deportierten und Ermordeten könnte mit Springerstiefeln herumgetrampelt werden. Plaketten an Häusern wären ihr lieber.

Im Juni 2005 beschließt der Münchner Stadtrat ohne Gegenstimme, Charlotte Knobloch zur Ehrenbürgerin zu ernennen. Sie ist damit erst die zweite Frau nach Hildegard Hamm-Brücher, der diese Ehre zuteil wird. 2008 erhält sie das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Im November 2010 endete ihre Amtszeit als Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland.

http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biograph...

ZITATE
Mir geht es nicht darum, kollektive Schuldgefühle zu konservieren. Im Gegenteil. Schuld ist ein individueller Begriff und niemand wird ernsthaft behaupten wollen, dass die Nachgeborenen schuldig wären an den Verbrechen der Vergangenheit. Ebenso wenig geht es mir darum, Betroffenheitsrituale zu zelebrieren. Nein, wir müssen uns erinnern, weil wir dabei lernen können, wie leicht sich Menschen verführen und gleichschalten lassen – und wozu fanatisierte Menschen fähig sind.
(Charlotte Knobloch)

Seit jenem November 1938 ist ein Teil von mir, ein Teil meiner Koffer immer noch auf der Flucht. Am Abend des heutigen Tages jedoch, des 9. November 2003, werde ich diese Koffer öffnen und damit beginnen, langsam, Stück für Stück, jedes einzelne Teil an seinen Platz zu räumen, den ich dafür die letzten 65 Jahre freigehalten habe.
(Charlotte Knobloch bei der Feier zur Grundsteinlegung für das Jüdische Gemeindezentrum München, 2003)

Sie haben soeben in Ihren eloquenten Ausführungen zu meiner Person auf sehr charmante und freundliche Weise übertrieben. Ich verspreche Ihnen heute aber, dass ich mir in der nächsten Zeit Mühe geben werde, um die Lücke zwischen Ihrem Lob und meiner Leistung zu schließen.
(Charlotte Knobloch zum Münchner Oberbürgermeister Christian Ude anlässlich ihrer Ernennung zur Münchner Ehrenbürgerin, 2005)

Wo andere Probleme sehen, sehe ich Chancen.
(Charlotte Knobloch nach ihrer Wahl zur Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, 2006)

Eine große deutsche Tageszeitung hat Sie einmal als ›hartnäckige, begabte Strippenzieherin‹ bezeichnet. Ich würde gerne umformulieren: eine hartnäckige, begabte Netzwerkerin. Dies ist für Ihre erfolgreiche Arbeit ganz wesentlich.
(Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thüringen, beim Erfurter Dialog, 2008)

Literatur:
Bauer, Richard und Brenner, Michael (Hg.) (2006): Jüdisches München. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München. Beck. ISBN 978-3-406-54979-3.
Hildebrandt, Irma (2007): Leben in Deutschland nach dem Holocaust. Charlotte Knobloch (*1932). . In: Hildebrandt, Irma: Berühmte Münchnerinnen. 18 Frauenporträts. Kreuzlingen, München. Hugendubel. ISBN 978-3-7205-3017-0. S. 207–219.
Knobloch, Charlotte (2008): 60 Jahre Israel – Erinnerung und Zukunft. Erfurter Dialog. Erfurt. Thüringer Staatskanzlei, Abt. Öffentlichkeitsarbeit.

Veranstalter sind neben dem Paul-Klee-Gymnasium der Verein für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG), das Forum für interkulturelles Leben und Lernen und das Bündnis für Menschenwürde.

Bürgerreporter:in:

Dr. Bernhard Lehmann aus Gersthofen

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