Von Einem der auszog nach Augsburg zu fahren

Bauarbeiten in der Halderstraße
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Der myheimat-Mann musste neulich nach Augsburg-Göggingen fahren. Als erfahrener Benutzer des öffentlichen Nahverkehrs und vertraut mit den baulichen Unpässlichkeiten in unserer Nachbarstadt rüstete er sich mit Notproviant, wetterfester Kleidung und einer gehörigen Portion Zeit aus. Hier aus gegebenem Anlass seine Erfahrungen.

Die Fahrt bis Augsburg-Nord mit den Bussen der Gersthofer Verkehrsgesellschaft ist geprägt von wehmütigen Erinnerungen. „Weißt Du noch, wie früher grüne Busse bis zum Augsburger Hauptbahnhof fuhren?“ So beginnt manches Gespräch, wenn vor Wind und Regen im Fahrgastunterstand Schutz gesucht wird. „Fahrgastunverstand“ haben vor etlichen Jahren hier einige Kommunalpolitiker bewiesen und sich ein bleibendes „Denkmal“ gesetzt.

Die Fahrt wird mit der Straßenbahnlinie 64 fortgesetzt. Zumeist hört man sie, bevor sie sichtbar wird. Fährt sie in die Kurve, glaubt man, dem Start eines startenden vierstrahligen Düsenjets beizuwohnen. Die Fahrt ist alles andere als langweilig, denn alsbald bringen die zusteigenden Fahrgäste internationale Atmosphäre in den Wagen. Es wird türkisch, italienisch oder russisch gesprochen und – telefoniert. Lebendiger Sprachunterricht vermischt mit viel Temperament. Eine gute Vorbereitung für den nächsten Urlaub. Noch etwas fällt auf: Oberhausen ist eine der wenigen baufreien Zonen von Augsburg. Ein erfreulicher Zustand, der mehr und mehr schwindet, je näher die Innenstadt rückt. Am Königsplatz erfolgt der Umstieg in den Bus. Dem Display der Fahrgastinfo ist zu entnehmen, dass der B1-Bus in 1 Minute erscheinen soll. Die Minute ist längst vorbei und fröhlich blinkt das Bussymbol. Es blinkt und blinkt - kein Bus in Sicht. Die Menge wartender Busgäste wird immer größer. Endlich schleicht der B1 vorsichtig in die Haltestelle und dann geht`s los. „Frauen und Kinder zuerst“ ist die Losung, beim Auflösen der wartenden Personenknäuels. Irgendwie ist der letzte Fahrgast im Bus verstaut und die Fahrt beginnt.

Ein besonderes Fahrvergnügen ist die Fahrt mit dem B1-Bus nicht. Meist ist er so voll, dass sogar Jugendliche stehen müssen. Diese Unbill wird aber durch die Teilnahme an den täglichen Sorgen der Handy-Leute, erkennbar durch die Hand am Ohr, wett gemacht. „Du, ich bin gerade an der Gögginger Brücke.“ Oder: „Was gibt`s heute zum Mittagessen“. Hier spiegelt sich das pure Leben. Man kommt sich auch sonst näher. „Würden Sie bitte Ihren Fuß von meinem nehmen; ich muss aussteigen.“ Eine höfliche Bitte, aus der sich vielleicht ein „date“ entwickeln kann. Umfallen ist jedenfalls unmöglich. Ein Vorteil, wenn der Bus über das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs rumpelt, die inoffizielle Teststrecke für Stoßdämpfer. Gute Gelegenheit, den richtigen Sitz von Hörgeräten und Zahnprothesen zu überprüfen.

Gibt es etwas, was noch zuverlässig funktioniert? Aber sicher. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann der Fahrgast mit dem Auftreten von Fahrscheinprüfern rechnen. Die freundlichen Damen und Herren wollen mit Charme und Prüfgerät den Fahrausweis sehen. Hier wird sich der Fahrgast wieder bewusst, dass er in einem öffentlichen Verkehrsmittel fährt. Es gilt die Prämisse „No risk no fun“, wobei die Lust auf „fun“ durch die eigenwillige Straßenbahn-Werbung einer Reifenfirma „Deutschland fährt schwarz“ gesteigert wird. Ein reizvoller Gegensatz der zum Grübeln anregt...

Auf was ist noch Verlass? Die tägliche Teilnahme am Baustellenroulette. Konnte man gestern noch die Halderstraße bahnhofsnahe überqueren, muss man heute einen längeren Fußmarsch Richtung Stadtsparkasse unternehmen. „Nichts geht mehr“, eine lapidare Aussage im täglichen Irrgarten der Innenstadt. Endlich wird auch die Bedeutung des Begriffes „Mobile Drehscheibe“ -eine freundliche Umschreibung des Augsburger Baumarathon- verständlich: der unglückliche Fußgänger kann sich drehen und wenden, bis er eine Furt zum Queren der Bahnhofstraße, Halderstraße, Fuggerstraße usw findet. Zuweilen findet er Hilfestellung durch die Rentnerbrigaden, welche täglich aufmerksam die Baustellen beobachten und Schleichwege kennen.

Ist noch eine Steigerung möglich? Es ist. Der Zeitungsleser wurde heute informiert, dass er ab 9. September einen Fußmarsch von ca. 450 Meter von der Fuggerstraße zum Moritzplatz unternehmen darf, da der B1-Bus und die 64ger wegen Gleisarbeiten nicht mehr den Königsplatz ansteuern können. Der myheimat-Mann hat eine Vision: Menschenkolonnen werden sich formieren und mit dem trotzigen Ruf „Wir sind das laufende Volk“ zum Moritzplatz schlurfen. Sie laufen an Wahlplakaten mit den stereotypen Grinsgesichtern vorbei. Frage: was gibt es da eigentlich zu grinsen? Dem myheimat-Mann ist es jedenfalls vergangen...

Hinweis: die Bilder sind schon einige Wochen alt - sie entsprechen nicht dem aktuellen Baufortschritt

Bürgerreporter:in:

Gerhard Fritsch aus Gersthofen

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