„Alkohol kann jeden jeden Tag treffen“

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Trotz zahlreicher Bemühungen ist die Alkoholabhängigkeit nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Die momentane wirtschaftliche Lage löst persönliche Ängste, Sorgen und Nöte in den Menschen aus. Viele sind diesem Druck nicht gewachsen und reagieren ausweichend mit einem Mehrkonsum von Suchtmitteln und anderen schädlichen Verhaltensweisen. Das Suchthilfesystem in Deutschland bietet viele Lösungsmöglichkeiten. Vom 13. bis 21. Juni 2009 veranstaltete die Caritas bundesweit eine Aktionswoche, um Schwellen abzubauen und durch Information aufzuklären. Angesichts des Aktionstages, der am Donnerstag, den 18. Juni 2009 in der Caritas-Außenstelle Gersthofen stattfand, beantwortete die Sozialpädagogin Frau Elisabeth Six, Leiterin der Geschäftsstelle, im Vorfeld einige Fragen zum Thema Alkohol.

Was ist Ihr persönliches Anliegen?
Im Moment ist die wirtschaftliche Situation sehr angespannt, wodurch viele Familien und Einzelpersonen mit Entlassungen und geringen Einkommen zu rechnen haben. Oftmals ist vielen unklar, dass es sich bei der Suchterkrankung wirklich um eine seit vielen Jahren anerkannte Krankheit handelt. Wenn sich innerhalb einiger Jahre eine Abhängigkeit entwickelt, findet die Krankheit auf einer körperlich-seelischen Ebene statt, wodurch die betreffende Person von niemandem mehr mit gutem Willen davon abgehalten werden kann, zu trinken.

Worin liegen die Ursachen exzessiven Trinkens?
Chronischer Stress, chronische Überforderung, aber auch permanente Langeweile, von der besonders Arbeitslose oder Frührentner betroffen sein können, führen meist dazu, dass Menschen versuchen, diese Leere mit Alkohol zu füllen.

Schmeckt Alkohol denn so gut?
Alkohol schmeckt nicht, doch löst er sofort eine unglaubliche Wirkung im Körper aus. Glückshormone werden in einem enormen Maße ausgeschüttet. Für eine solche Ausschüttung müsste man sich sportlich in einem viel längeren Zeitraum betätigen. Das erlebte Glücksgefühl wird vom Gehirn gespeichert, und folglich weiß der Körper im Unterbewusstsein: „Wenn ich Alkohol trinke, geht es mir für eine bestimmte Zeitspanne wahnsinnig gut.“ Aber ich möchte darauf hinaus, dass die tatsächlich erkrankten Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen werden. In diesem Falle ist eine sehr komplexe Behandlung auf vielen Ebenen vonnöten. Es ist interessant, dass Personen jeder gesellschaftlichen Schicht von einer Alkoholabhängigkeit betroffen sein können. Alkohol kann jeden jeden Tag treffen.

Wie wird bestimmt, ob jemand alkoholkrank ist?
Es gibt verschiedene medizinische Diagnosekriterien, die das festlegen. Beispielsweise, wenn jemand keine Kontrolle mehr über die Trinkmenge hat oder wenn er trotz gesundheitlicher oder privater Probleme, die durch den Alkoholkonsum entstanden sind, weiterhin zur Flasche greift. Letztendlich ist es wichtig, dass jeder selbst erkennt, dass er Hilfe benötigt. Leider erreichen nur wenige das Suchthilfesystem, was heißt, dass womöglich erst jemand, der Druck von außen bekommt, zu einem persönlichen Gespräch erscheint. Im Grunde sind das deutlich zu wenige, denn die Mehrzahl der Betroffenen lebt ohne Hilfsangebote.

Weshalb wird immer außer Acht gelassen, dass Alkohol auch eine Droge ist?
Meine persönliche Meinung ist, dass uns unser Staat zu verdeutlichen versucht, dass Alkohol die Massen glücklich macht. Teilweise ist es sogar erwünscht, Leute in eine bessere Stimmung zu versetzen oder sie nach dem Feierabend leichter abschalten zu lassen.

Was sollte noch mehr in unserer Gesellschaft unternommen werden, um dagegen vorzugehen?
Ich finde ganz wichtig, dass Alkoholwerbung in den Medien gesetzlich verboten wird. Es ist erwiesen, dass Werbung vor allem Jugendliche, doch auch andere Menschen, zum Kauf animiert. Sie bekommen das Gefühl, nur dann so gesellig, beliebt und cool wie im Fernsehen sein zu können.

Meist sind Verbote kontraproduktiv. Sind Sie der Ansicht, dass Gesetze sinnvolle Mittel sind, um Alkoholkonsum zu verhindern?
In Amerika gab es kürzlich das absolute Alkoholverbot, doch dann waren eben der Untergrund und der Schwarzmarkt aktiv. Verhindern werden wir nie, dass Alkohol getrunken wird, aber wir könnten vielleicht ein größeres Bewusstsein dafür schaffen, dass der Umgang mit diesem Thema gesundheitsförderlicher wird. Ich bin gegen Werbung für Alkohol, doch absolute Verbote bringen nichts.

Richtet sich das Projekt der Caritas eher an Jugendliche, oder an Personen jeden Alters?
Wir beraten hauptsächlich erwachsene Menschen, Personen mittleren Alters, bei denen sich bereits eine Alkoholsucht entwickelt hat und schon Spätfolgen offenbar sind. Der Aktionstag richtet sich hingegen an alle Interessierten. Mein Ziel ist es, der Öffentlichkeit zu zeigen, es gibt Beratungsstellen, Anlaufmöglichkeiten; auch für Angehörige oder Interessierte, die vielleicht nur durch Freunde oder den Familienkreis mit diesem Thema in Verbindung gekommen sind. Zudem stellen unsere Selbsthilfegruppen einen absolut wichtigen Arbeitsbereich dar. Es ist unglaublich großartig, Menschen auf ihrem Weg, bei dem sie lernen, wieder ein neues Leben ohne Alkohol zu führen, zu begleiten.

Bürgerreporter:in:

Tamara H. aus Neusäß

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