Es lebe der Zentralfriedhof: Ois leiwand in Wien

Schloss Schönbrunn diente den Habsburgern als Sommerresidenz
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Der Schmäh ist bebrillt, tippelt leicht wackeligen Fußes vor einer Apotheke, trägt in Anbetracht seiner 87 Lebensjahre ein bemerkenswert originales Zahnmobiliar in beiden Kauleisten und wartet auf Gesprächsbekanntschaft. „Jetzt san schoa mea Leid in da Apodeaken ois in da Beackerei“ (Für alle Nicht-Wiener: „Jetzt sind schon mehr Leute in der Apotheke als in der Bäckerei“), raunt mir ein fossiles Urgestein Wiener Humors mit sympathischstem Augenzwinkern durch die leicht beschlagene Brille zu. Nach zwei Minuten schließen wir Freundschaft. Und während ich noch über die Gründung einer Alpenrepublik sinniere, steht schon unvermittelt die ebenfalls hoch betagte Freundin des Schmähs neben mir und beflügelt meine Gedankenspiele: „Bayern und Österreicha san beide so gmiatlich und boassan eh am bestan zam“.

Der Schmäh kann einem aber auch in einem der zahlreichen, weltweit unvergleichlichen Kaffeehäuser in Form eines ordentlich livrierten Oberkellners begegnen. Gefragt nach dem Erfolgsgeheimnis seines butterzarten Ochsenfleisches, wienert mir der „Maître de Café“ unnachahmlich entgegen: „Den Oxen hamma so loang gschloagan, biss a woach g’woadan is“ („Den Ochsen haben wir so lange geschlagen, bis er weich geworden ist“). Besonders empfehlenswert in diesem Zusammenhang: das Café Central im ersten Bezirk. Schmähfaktor und kulinarische Spitzenleistungen machen das im toskanischen Neorenaissance-Stil errichtete, imposante Gebäude in der Herrengasse zu einer absoluten Muss-Adresse für jeden Wien-Besucher. Dass hier Arthur Schnitzler den jungen Hugo von Hofmannsthal entdeckte und ihm außerordentliches Talent bescheinigte, verleiht der Stätte natürlich eine besondere literarische Weihe und ist ein Charakteristikum beinahe aller Wiener Kaffeehäuser. Intellektuelle Champions League, wohin man blickt. Im Café Griensteidl (Michaelerplatz) gingen Franz Grillparzer, Karl Kraus und Rudolf Steiner ein und aus. Ernst Jandl und Helmut Qualtinger trafen sich im Café Hawelka (Dorotheergasse). Neben Künstlern, Literaten und Malern haben sicherlich die Habsburger das Stadtbild und die Geschichte der österreichischen Bundeshauptstadt am meisten geprägt. Schloss Schönnbrunn - Maria Theresias Sommersitz - im Bezirk Hietzing ist ein beredtes Beispiel für Prunk, Pomp, Glanz und Gloria des ehemaligen Kaiserreiches. Folgen Sie bitte nicht Ihren ursprünglichen Sprachgewohnheiten, sondern buchen Sie eine englischsprachige Führung. Der Entertainment-Faktor (und darum geht es ja im Leben) ist ungleich höher. Inmitten von wuseligen Japanern und wissbegierigen Kanadiern liefert eine late-night-würdige Gruppenführerin die höchste Form des Schmähs: den authentisch-historisch unterfütterten Entertainment-Schmäh: „Empress Elisabeth tried to cure her depressions with cocain and she wore an anchor-tattoo on her shoulders”. Auch wenn man bereits davon wusste, dass Kokain im 19. Jahrhundert als Schmerzmittel und zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wurde und auch über das Anker-Tattoo auf der Schulter informiert war – auf Englisch und mit dem gebotenen Tremolo in der Stimme hört sich die Geschichte von der „Koks-Sisi“ einfach doppelt so schön an. Man hätte der Gruppe jetzt auch noch erzählen können, dass Sisis Ehemann, Kaiser Franz Joseph I., einer der ersten kommerziell erfolgreichen Rugby-Spieler war, der sich in den Sommermonaten nach Schönbrunn zurückzog, um sich auf die bevorstehende Saison vorzubereiten. Geglaubt hätte sie alles.

Wir sind bei der letzten Form des Schmähs angelangt, der sich in etwa mit den Adjektiven „melancholisch, sarkastisch oder morbid“ beschreiben ließe. Beste Chancen, ihn anzutreffen, hat man im Prater, auf dem Zentralfriedhof (Wolfgang Ambros: „Es lebe der Zentralfriedhof und alle seine Tot'n, da Eintritt is für Lebende heut ausnahmslos verbot'n“) oder in der Kapuzinergruft, wo sämtliche habsburgische Würdenträger aufgebahrt sind. Der Sensenmann ist allgegenwärtig. Aber die Wiener haben sich mit der Endlichkeit menschlichen Daseins arrangiert und begegnen ihr mit einer beneidenswerten distanzierten Ironie.

Im Zeitraffer seien abschließend noch die wichtigsten Tipps genannt. Eine Führung durch die Wiener Staatsoper ist Pflicht. Nicht nur weil es sich um eines der bekanntesten Opernhäuser der Welt handelt, sondern weil man hautnah eine Vorstellung davon bekommt, wie viel Aufwand und Logistik hinter einer einzigen Opernaufführung stecken. Auch Theateraufführungen in den zahlreichen renommierten Spielstätten wie Burgtheater oder Theater in der Josefstadt sowie Klassik-Konzerte sind zu empfehlen. Schließlich sollte man sich auch die Wiener Hofburg vornehmen. Die Spanische Hofreitschule, die kaiserlichen Appartements und last but not least das Sisi-Museum sollten dringend aufgesucht werden. Letzteres schon aus einem einzigen Grund. Um zu sehen, dass die tätowierte, depressionsgeplagte Kaiserin auch ganz anderen Bedürfnissen nachging. Gymnastik, Fleischbrühe und Milch prägten ihren Lebensalltag.

Kulinarische Tipps: Wiener Schnitzel (was sonst?) mit Petersilerdäpfel, Kalbsleber mit Erdäpfelpüree, Kaiserschmarren mit Zwetschgenkompott, Wiener Tafelspitz mit gebratenen Erdäpfeln und Apfelkren, Wiener Apfelstrudel, Schweinslungenbraten (hat mit Innereien nichts zu tun!), Kalbsbeuscherl nach Wiener Art.

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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