Vierfache Mutter aus Flensburg hat Dank einer Stammzellspende ein neues Leben gewonnen

Sascha und Martina Habenau haben sich die Stefan-Morsch-Stiftung angeschaut. Über den Besuch der ehemaligen Patientin freut sich Vorstandsvorsitzende Emil Morsch.
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28. Oktober 2011 – Martina Habenau hat dieses Datum auch nach Jahren noch im Kopf. Der Grund: Es ist der Tag der Diagnose. Danach beherrschte monatelang nur ein Gedanke den Kopf der vierfachen Mutter: „Du wirst sterben!“ Doch die Flensburgerin ist nicht gestorben. Zu verdanken hat sie das, ihrem Mann, ihren Kindern, Margit, Kuddl, ganz vielen Helfern und einem wildfremden Menschen – einem Stammzellspender.

Der Rückblick ist schwer. Das Gespräch über all die Dinge, die passiert sind, ist aufwühlend: Das Jahr 2011 beginnt eigentlich glücklich. Martina hat gerade ihre Jugendliebe Sascha geheiratet, nachdem man sich jahrelang aus den Augen verloren hatte. „Wir hatten Pläne“, sagt ihr Mann heute und lächelt darüber, als wäre das vollkommen absurd. Es sollte beruflich und privat aufwärts gehen. Sie wollten glücklich sein. So simpel war der Traum. Wegen Rückenschmerzen geht Martina zum Arzt. Der überweist sie ins Krankenhaus. „Danach wird alles wieder gut“, hat Sascha damals versucht, zu trösten. Doch nichts wird wieder gut: Es gibt „Auffälligkeiten“.
Am Tag von Tochter Julias 13. Geburtstag dann die Diagnose: „Plasmozytom“ lautet der medizinische Horrorbegriff dafür, dass Martina Habenau nun um Leben oder Tod kämpfen muss. Ihre Kinder sind da gerade 11, 13, 16 und 18 Jahre alt. Jeder von ihnen braucht seine Mama auf die eine oder andere Weise. Im Krankenhaus gratuliert sie am Telefon ihrer Tochter zum Geburtstag und muss so tun, als wäre alles in Ordnung. In den kommenden Wochen stehen ihr Chemotherapie und Bestrahlung bevor – im St. Franziskus-Krankenhaus in Flensburg, wo die Stefan-Morsch-Stiftung eine Station für Patienten wie Martina eingerichtet hat.
Sascha Habenau, Maschinenbauer, saugt medizinische Fachinformationen in sich auf. Martina verliert unterdessen ihre Haare, Mut und Kraft waren vorher schon abhandengekommen. Irgendwann ist klar, Martina braucht eine Stammzellspende. Eine Hochrisiko-Therapie – eine letzte Chance. Eine Psychologin versucht die Familie zu stützen, ein Hospiz wird eingeschaltet und hilft – vor allem den Kindern. „Uns wurde geraten von vornherein mit offenen Karten zu spielen.“
Nur ein Drittel der Patienten finden einen Spender in der eigenen Familie. Auch bei Martina muss ein Fremdspender gefunden werden. Habenaus nehmen Kontakt mit der Stefan-Morsch-Stiftung auf: Emil Morsch, Vorstandsvorsitzender hat vor 30 Jahren ähnliches erlebt, wie Sascha Habenau. Sein Sohn Stefan war damals der erste Europäer, dem das Knochenmark eines fremden Spenders übertragen wurde. Nach seinem Tod gründeten die Eltern die erste deutsche Stammzellspenderdatei, in der sich bis heute mehr als 500.000 Menschen registrieren ließen. Sascha Habenau sagt über die erste Begegnung: „Es war, als ob man sich schon lange kannte!“ Auch Martina ist nach dem Treffen zuversichtlich: „Wir hatten wieder Hoffnung!“
Die Suche nach einem passenden fremden Spender beginnt. Sascha Habenau weiß, die Chance einen Menschen zu finden, der die gleichen genetischen Merkmale besitzt wie seine Frau, liegt zwischen 1 : 10.000, im ungünstigsten Fall bei 1 : mehreren Millionen. Die Abfrage im internationalen Netzwerk der Spenderdateien kann im schlimmsten Fall einige Monate dauern. Sascha will diese Zeit nicht verstreichen lassen. Er entschließt sich, einen Typisierungsaufruf in Zusammenarbeit mit der Stefan-Morsch-Stiftung zu starten: Flyer und Plakate werden gedruckt, die Medien informiert. Die Flensburger Busse fahren mit Martinas Gesicht und dem Typisierungsaufruf „Ich will leben“ durch die Stadt. 117 Leute im Helferkreis mobilisieren alles was geht: „Nochmal möchten wir uns bei allen Freunden, Helfern, Firmen für jegliche Unterstützung bedanken – auch und vor allem bei der Stefan-Morsch-Stiftung, bei der wir uns sehr gut aufgehoben gefühlt haben“, sagen Martina und Sascha Habenau.
Martina darf in dieser Zeit für ein paar Tage das Krankenhaus verlassen: „Das war Gänsehaut pur – das eigene Gesicht auf den Transparenten zu sehen. Ich habe in dieser Zeit gebetet.“ Sascha Habenau, der große Mann mit der Metal-Rocker-Kutte, hört das heute immer noch mit einem mulmigen Gefühl: „Ich ertappe sie manchmal dabei, wie sie nachts am Küchenfenster steht und in den Sternenhimmel schaut!“ Er weiß, was sie sich damals fragt: „Wie lange hast Du noch?“ 36 Jahre ist sie zu diesem Zeitpunkt.
36 Jahre ist sie damals alt. Im März 2012 dann der Tag der Typisierungsaktion: Rund 3000 Menschen kommen in die Hannah-Arendt-Schule. Fast 1900 Menschen lassen sich insgesamt typisieren. Wer sich nicht typisieren lassen kann, spendet Geld, damit weitere Typisierungen finanziert werden können.
Anfang Mai 2012 kann Martina Habenau transplantiert werden. Zehn von zehn Gewerbemerkmalen sollten im Idealfall übereinstimmen, damit man als Spender in Frage kommt. Martina kennt ihren Spender bis heute leider nicht Die Stefan-Morsch-Stiftung dazu: „Nicht immer ist es möglich, dass Spender und Empfänger einander kennenlernen. Je nachdem aus welchem Land der Spender stammt, erlauben die nationalen Gesetze den Kontakt nicht. Auch ist entscheidend, ob Spender und Empfänger einem Austausch der Adressen zustimmen.“
Eine Stammzelltherapie ist keine leichte Angelegenheit. Sie ist hoch riskant für die Patienten, aber sie bieten die Chance auf Leben. Und das hat Martina Habenau zurückgewonnen: „Wir machen keine Pläne mehr!“, erzählt das Ehepaar bei einem Besuch in der Stefan-Morsch-Stiftung 2015. Der unbekannte Lebensretter ist durch seine Stammzellspende zu einem Teil von Martina Habenaus Leben geworden. „Manchmal nutze ich das auch ein bisschen aus“, lacht sie. Wenn sie Freunde oder Familie mit einer ungewöhnlichen Idee oder mit etwas unangenehmen überrascht, sagt sie einfach: „Das habe ich von meinem Spender!“

Wie funktioniert eine Stammzellspende?

Um die Stammzellen beim Spender zu entnehmen, gibt es heute zwei Varianten: Bei der klassischen Methode der Knochenmark-Entnahme entnehmen Mediziner etwa 0,8 bis 1,5 Liter Knochenmark-Blut-Gemisch aus dem Beckenknochen des Spenders – niemals aus dem Rückenmark. Dieser Eingriff dauert zirka eine Stunde. Die zweite Methode ist die Entnahme peripherer Blutstammzellen aus dem Blut – ähnlich wie bei einer Plasmaspende oder Dialyse. Dazu wird dem Spender vorher ein körpereigener Botenstoff verabreicht, der die Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut übergehen lässt. Dieser Botenstoff löst beim Spender im Vorfeld oft grippeähnliche Symptome – wie Kopf- und Gliederschmerzen aus. Diese verschwinden aber mit der Entnahme der Stammzellen.

Ist eine Online-Registrierung möglich?

Über die Homepage der Stefan-Morsch-Stiftung (www.stefan-morsch-stiftung.de) kann man sich jederzeit als Stammzellspender erfassen lassen. Über den Online-Registrierungsbutton auf der Startseite kommt man zur Einverständniserklärung. Dort müssen eine Reihe von Gesundheitsfragen beantwortet werden, deshalb sollte die PDF „Wie werde ich Spender?“ vorab genau gelesen werden. Nach dem Ausfüllen der Einverständniserklärung bekommt man ein Registrierungsset mit genauer Anleitung zugeschickt. Für Spender, die jünger als 40 Jahre sind, entstehen dabei keine Kosten.
Die Stefan-Morsch-Stiftung mit Sitz in Birkenfeld ist die älteste Stammzellspenderdatei Deutschlands. Unter dem Leitmotiv “Hoffen – Helfen – Heilen“ bietet die gemeinnützige Stiftung seit 1986 Hilfe für Leukämie- und Tumorkranke. Hauptziel der Stiftung ist, Menschen zu werben, sich als Stammzellspender registrieren zu lassen. So werden täglich Stammzell- oder Knochenmarkspender aus der stiftungseigenen Spenderdatei von mehr als 400 000 potentiellen Lebensrettern weltweit vermittelt. Die Stiftung ist Mitglied der Stiftung Knochenmark- und Stammzellspende Deutschland (SKD).

Bürgerreporter:in:

Annika Zimmer aus Birkenfeld

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