RENATE REIMANN - Geschichten aus dem alten Berlin - KONSTANZES SCHICKSAL - Uwe H. Sültz - Lünen - Autorentipp in MyHeimat

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Meine Geschichte spielt um 1880 zur Zeit der Monarchie in Deutschland...
Kaiser Wilhelm der Erste wurde 1871 zum Kaiser ernannt. Ein deutscher Nationalstaat entstand. Durch die Hochindustrialisierung ging es Deutschland recht gut. Das hielt bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs 1914 an. Damals verlor die Monarchie ihre Dominanz durch die soziale Not.

Es gab erst ab 1885 erste Fahrzeuge und dampfbetriebene Straßenbahnen. Pferdekutschen dominierten das Straßenbild.

Berlin 1880

Konstanze sah sehr schön aus in ihrem neuen Kleid. Der Jugendstiel hatte gerade Einzug gehalten und prägte die Modewelt. Ausladende Reifröcke oder Kostüme, sowie überdimensionale Hüte waren hochmodern!

Die junge Frau hatte Schwierigkeiten ihren Rock zu fassen, schaffte es aber dann doch in die wartende Kutsche einzusteigen. Sie musste schnell ins Geschäft. Konstanze war Inhaberin einer kleinen Schneiderei, die bis vor kurzem noch ordentlich Kundschaft hatte.

Selbst Otto von Bismarck hatte schon bei ihr schneidern lassen. Nun ist es sehr ruhig geworden, obwohl es den Leuten nicht schlecht ging. Konstanze selbst hatte sich in einer kleinen Hinterhofwohnung niedergelassen. Das genügte ihr vollkommen, denn sie hatte für sich keine großen Ansprüche. Außerdem war die Wohnung günstig; sie musste sparen wo es nur möglich war. Drei Angestellte waren in ihrem Laden beschäftigt und mussten alle zwei Wochen bezahlt werden.

Potsdamer Platz...

Angekommen an ihrem kleinen Laden, sagte Konstanze dem Kutscher, dass er einige Minuten warten möge. Sie stieg nicht aus, sondern beobachtete , wie ein gutgekleideter Herr ihr Geschäft verließ.

Der Anblick des Mannes machte sie stutzig, denn wie lange war es her, als solche Leute sie aufgesucht hatten? Er rief eine Kutsche herbei... weg war er...

Konstanze stieg nun aus und ging in die Schneiderei. "Konstanze, Konstanze, was denkst Du wer gerade hier war?" Lotte konnte vor Aufregung kaum sprechen. "Bitte langsam, Lotte!", sagte Konstanze und Lotte fuhr fort: "Ein Adeliger scheint er zu sein, ein feiner Herr... nur in Seide gekleidet. Er bestellte eine große Menge Gardinen und Brokatvorhänge. In drei Wochen will er alles abholen lassen. Eine großzügige Anzahlung hat er geleistet!" Lotte war immer noch sehr aufgeregt. Als beste Näherin verdiente sie für damalige Verhältnisse recht gut, 100 Mark, das kam schon fast dem Gehalt eines Beamten gleich... Konstanze sagte immer: "Du bist es Wert, darum zahle ich Dir einen guten Lohn."

"Hast Du Dir den Namen Herrn aufgeschrieben, Lotte?", bemerkte die Chefin.
"Natürlich, er hieß Freiherr von Beck!"... "Von der Anzahlung werde ich die Stoffe kaufen, damit wir pünktlich liefern können.", sagte Konstanze.

Sie benötigte feinste Seide und Brokatstoffe. Am nächsten Tag fuhr sie nach Paris zu einer befreundeten industriellen Familie, die eine große Weberei besaß und Seide aus Indien bezog. Konstanze bestellte das was sie benötigte und fuhr nach Berlin zurück.

Einige Tage später kam die Ware mit der Bahn und musste vom Personal abgeholt werden. Nun flogen die Stoffe hin und her... es wurde gemessen und genäht... alles musste genau stimmen... keiner durfte sich einen Patzer erlauben, denn die Stoffe waren zu wertvoll.

Einige Wochen später ließ Freiherr von Beck die fertigen Gardinen abholen. Gleichzeitig schickte er an Konstanze eine Einladung um sich für die problemlose und gute Fertigstellung zu bedanken. Auf der Einladung stand "Schloss Britz".

"Na, ja, Schaden kann es nicht dieser Einladung zu folgen.", sagte Konstanze. Einige Tage später befand sie sich in bester Gesellschaft wieder. Der preußische Landadel bat zu Tisch. Der Herr des Hauses, Emanuel von Beck, war noch recht jung. Vor einiger Zeit zog er in dieses Schloss, renovierte es aufwändig... die schönen Vorhänge und Gardinen von Konstanze zeigen seinen guten Geschmack.

Der Freiherr wollte viel wissen von Konstanze, ebenso seine Schwester, die das Schloss ebenfalls bewohnte. Das Essen war wunderbar; und der wein stieg Konstanze in den Kopf.

"Ich werde Sie selbstverständlich mit der Kutsche zurückbringen lassen.", sagte von Beck... "Ich fahre gern mit, damit Sie gut ankommen."

Konstanze schämte sich... musste ausgerechnet dieser Mann sehen wo sie wohnte? In einer schäbigen Hinterhofwohnung... nein, das wollte sie auf keinen Fall! "Ach, wissen Sie, bis zum Potsdamer Platz ist doch nicht so weit, das geht schon, wenn ich allein fahre!"... "Ungern, aber wenn es Ihr Wunsch ist.", entgegnete von Beck.
Sie verabschiedeten sich und von Beck bedankte sich nochmals für die wunderbare Arbeit. Geschickt lud er sie zu einer Bootsfahrt ein. Der Langen See war nicht weit vom Schloss entfernt, die wunderbare Seenlandschaft rund um Berlin lädt zum Spaziergang oder zum Rudern ein... Konstanze willigte ein.

Das Glöckchen der Ladentür müsste geölt erden, man nahm sie kaum mehr war. Als Emanuel von Beck eintrat, konnte man aber seine kräftigen Schritte wahrnehmen.
Lotte kam aus der Nähstube nach vorne und wollte wissen, was sie für ihn tun könne. Dieser wollte Konstanze zur Bootsfahrt abholen. "Guten Tag!", meldete sich Konstanze und gab dem Personal Bescheid.

Immer wieder musste Konstanze neuerdings unter die Arme greifen, da, oh Wunder, viele Aufträge hereinkamen; aber erst seit von Beck ihr Kunde wurde! Es musste sich wohl sehr schnell herumgesprochen haben, dass von Beck Kunde bei ihr war. Den Verdienst, den die Kundschaft brachte, konnte Konstanze dringend gebrauchen.

Sie fuhren mit der Kutsche zum See und genossen den sonnigen Tag. Auf der Heimfahrt schaute Emanuel Konstanze lange an und bemerkte: "Sie sind eine sehr schöne Frau, Konstanze."
Verlegen schaute sie zur Seite und antwortete nicht. Nachdem sie am Potsdamer platz angekommen sind, verabschiedeten sie sich. Sie traute sich nicht ihm in die Augen zu sehen, so verlegen hat sie Emanuel gemacht. Schnell stieg sie aus und verschwand im Laden.

Von Beck war ein Mensch, der sich nie auf die faule Haut gelegt hatte; er angergierte sich in der Industrie und im Bergbau. Über Arbeit konnte er sich nicht beklagen, schließlich musste das Schloss finanziert werden. Was nutzte ihm der Adelstitel, wenn er ein armer Schlucker war.

Konstanze arbeitete mit Lotte und den beiden anderen Frauen ununterbrochen. Es wurde gemessen, zurechtgeschnitten und genäht. die feinen Damen und Herren der Gesellschaft kamen gern zur Anprobe oder bestellten Stoffe.
Über Aufträge konnte sich Konstanze nicht beklagen, das war auch gut so, so konnte sie die Löhne pünktlich bezahlen. Die Ladenmiete war auch nicht billig... nach langer Durststrecke konnte Konstanze nun endlich aufatmen! Selbst für den Leierkastenmann, der sich seit einigen Tagen vor dem Laden platzierte, fiel immer etwas ab.

Nach ein paar Wochen meldete sich Freiherr von Beck wieder bei Konstanze. Er kam, wie immer nicht lautlos, in den Laden gelaufen und rief voller Freude: "Fräulein Konstanze, ich bin es, Emanuel!" Sie hörte es nicht, denn sie war gerade damit beschäftigt ihre neuste Errungenschaft auszupacken... eine neue Nähmaschine! Es war ihre erste Nähmaschine, eine Opel, auf die Konstanze sehr stolz war... nun konnte sie noch schneller arbeiten.

Immer wieder rief von Beck: "Konstanze, ich bin es, Emanuel!"... Endlich reagierte sie und kam in den Laden. "Guten Tag, Emanuel, kann ich etwas für Sie tun?"... "Nein... oder doch!" Er wusste nicht wie er beginnen sollte... "Ich möchte mit Ihnen nach Luisenstadt fahren und Sie ins Theater einladen." Schon wieder eine Einladung, dachte sie... sie wurde rot. Was bezweckte er damit? "Ja, gern, Emanuel."
"Jetzt Sonntag!" Emanuel freute sich. Von Beck weiter: "Fräulein Konstanze, ich habe gehört, dass der Mietshausbau in Charlottenburg floriert, ich könnte Ihnen in einer besseren Umgebung eine Wohnung besorgen. Außerdem bin ich mit dem Bürgermeister Fritsche sehr bekannt."... "Sie meinen es sicher gut mit mir, aber ich möchte hie nicht weg, ich bin hier aufgewachsen und meine Kundschaft wohnt hier."

Am Sonntag fuhren sie gemütlich mit der Kutsche nach Luisenstadt ins Zentral Theater. Eine wunderbare Aufführung bei der sich auch Konstanze und Emanuel näher kamen. Plötzlich saßen sie ganz eng beieinander. Ungewollt berührten sich ihre Hände... erschrocken zog Konstanze ihre Hand zurück. Aber Emanuel zog sie wieder an sich und küsste ihre Hand... sah sie an... ihre Blicke trafen sich.

Von diesem Augenblick an begann eine Romanze.

Nach wie vor trafen sie sich. Die Schneiderei lief gut. Viele Menschen zogen hierher, auch sie wurden Kunden der Schneiderei. Dem Leierkastenmann ging es ebenfalls recht gut. Von den Groschen, die er bekam, konnte er gut leben. Von jetzt an sollte sich alles ändern.

Regelmäßig fuhr Konstanze nun mit dem Zug nach Frankreich um Stoffe zu kaufen. Auch an diesem Tag... ausgerechnet jetzt... inmitten des Erfolgs, geschah das Unfassbare... Sie wollte gerade in den Zug einsteigen und machte einen Fehltritt... sie fiel... der Zug kam in Fahrt und, wie furchtbar, er fuhr über ihre eine... es war grausam.

Man brachte sie in eine Krankenanstalt. Der behandelnde Arzt sagte nur: "Mein Gott, so eine junge Frau." die Operation dauerte sehr lange. Am nächsten Tag konnte der Arzt Konstanze mitteilen, dass sie ihr Beine zwar behalten kann, jedoch die Nerven geschädigt sind, so dass sie nie wieder laufen könne.

Konstanze weinte unaufhörlich. Eine Welt brach für sie zusammen. Ihre Schneiderei... ihre Wohnung, in der sie sich so wohl gefühlt hatte... was soll nun werden?

Sie musste stark sein, irgendwie musste es weitergehen, dachte sie.
Konstanze veranlasste, dass Emanuel, Lotte und einige Freunde, eine Benachrichtigung erhielten.

Der Aufenthalt im Sanatorium dauerte viele Wochen... Konstanze kämpfte, ihr Lebensmut verhalf ihr dabei, dass sie wieder nach Hause konnte. In der Zwischenzeit teilte ihr Lotte mit, dass sie sich nicht um das Geschäft sorgen müsse. "Ich werde mich darum kümmern, alles wird gut!"

Emanuel erhielt den Brief während einer geschäftlichen Besprechung. Er öffnete den Brief, setzte sich, eiskalt lief es ihm über den Rücken. Sein Einglas glitt ihm vom Auge, ganz bleich wurde er.

Er rief nach seiner Hausdame Berta: "Bitte packen Sie mir sofort das Nötigste für einige Tage ein, ich verreise!" Berta stellte keine Fragen, aber sie vermutete, dass, anhand vom Gesichtsausdrucks von Becks, etwas nicht stimmt. Der Schlossher rief die Kutsche, einige Stunden später kam er zu Konstanze.

Das Krankenhaus machte einen beängstigenden Eindruck... kalt und unpersönlich war das Gemäuer. Aber es nutzte nichts, er musste zu Konstanze. Er weinte noch bevor er das Zimmer betrat. Emanuel öffnete die Tür. Sie saß im Rollstuhl... mit dem Gesicht zum Fenster. Sie schämte sich.

Konstanze wollte nicht, dass er sie so sah. Er flüsterte: "Bitte mein Schatz, drehe Dich zu mir um, bitte." Langsam drehte sie sich zu ihm, ganz gelang es ihr jedoch nicht.

Ihre Schönheit hatte nicht gelitten... aber die Seele... was war sie denn noch wert? Sie konnte nicht mehr laufen, die Gedanken an die Zukunft verwarf sie.

Aber Emanuel ließ sich nicht von ihrer Behinderung beeinflussen, er sprach: "Konstanze, ich habe Dich als eine lebensbejahende, fleißige Frau kennengelernt, dazu noch jung und schön, bitte verzweifle nicht. Ich werde immer für Dich da sein. Die besten Ärzte werden wir konsultieren, mit Geduld und meiner Liebe zu Dir wirst Du wieder laufen können. Glaube fest daran, bitte."

"Emanuel, mein Traum ist zeplatzt, es lief doch alles so gut."... "Aber Konstanze, es läuft auch weiterhin so gut, ich werde die Schneiderei übernehmen, wir heiraten und Du sitzt weiterhin an der Nähmaschine und organisierst alles."

Sie konnte nichts mehr sagen: "Aber... aber..."... "Nichts, aber...", grinste Emanuel und küsste sie zärtlich. Vieles wurde ihr nun klar und sie weinte vor Glück.

Die Hochzeit fand im Schloss Britz statt. Sie heirateten in weiß. Konstanze war eine schöne Braut. Sie lebten bis zum Kriegsausbruch 1914 im Schloss. Emanuel starb wenig später an einer Lungenentzündung. Konstanze und ihr Söhne hatte in der Schweiz ein Zuhause gefunden.

Aus der kleinen Schneiderei wurde dank des Herrn Freiherr von Beck ein riesiges Unternehmen, das von der Schweiz aus geführt wurde. Konstanze erreichte ein hohes Alter. Wenn sie an ihre kleine Schneiderei am Potsdamer Platz dachte, schmunzelte sie.

Dies war eine kleine Geschichte aus der alten Zeit in Berlin, weitere werden folgen...

Bürgerreporter:in:

Uwe H. Sültz aus Westerland

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