Nasses Grab: Wasser- und Schlammflut reißt afrikanisches Partnerdorf mit sich fort - Über 100 Tote

Das einst blühende Dorf Solai unweit der kenianischen Bezirkshauptstadt Nakuru hat sich in eine Schlammwüste verwandelt. Vorläufige Bilanz der Flut: über hundert Tote, viele Verletzte und 500 zerstörte Häuser. Mit schwerem Gerät versuchen die Helfer, dem Chaos beizukommen. | Foto: Home Care International
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  • Das einst blühende Dorf Solai unweit der kenianischen Bezirkshauptstadt Nakuru hat sich in eine Schlammwüste verwandelt. Vorläufige Bilanz der Flut: über hundert Tote, viele Verletzte und 500 zerstörte Häuser. Mit schwerem Gerät versuchen die Helfer, dem Chaos beizukommen.
  • Foto: Home Care International
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Man muss das kleine, im Westen Kenias gelegene Dorf jetzt nicht unbedingt kennen. Solai heißt die von 2.500 Menschen bevölkerte Siedlung, die sich, 150 Kilometer nördlich von Nairobi gelegen, auf einer eindrucksvollen Hochebene malerisch in Landschaft schmiegt. Schmiegte. Dann kam die Flut. Und verwandelte den Ort binnen weniger Sekunden in ein nasses, schlammiges Massengrab. Die Wassermassen rissen über 100 ahnungslos in ihren Häusern schlafende Menschen mit sich und in den Tod. Die Hälfte davon waren Kinder. Täglich, mehr als eine Woche danach, werden weitere Leichen geborgen. Mehr als 500 Gebäude wurden zerstört. Die Bilder gingen um die Welt und bescherten Opfern und Überlebenden für kurze Zeit globale Aufmerksamkeit. Und jetzt das Wetter.
Solai, im Dunstkreis der Bezirkshauptstadt Nakuru platziert, ist weit weg. Acht Stunden mit dem Flugzeug und dann noch mal etliche staubige, quälende Fahrstunden im Landrover oder Bus. So unbedeutend das Kaff sein mag, viele Leute in unserer Region fühlen sich mit ihm und den dort lebenden Menschen verbunden. Was vor allem auch an dem in Marburg ansässigen Hilfswerk "Home Care International" (www.hcinternational.de) liegt, das im Katastrophengebiet zwei Kinder- und Waisenheime unterhält. Die Helfer, Unterstützer und Projektpaten hier wie da sahen sich über Nacht vor eine weitere gigantische Aufgabe gestellt.

Angehörige und Freunde unter den Opfern

Dr. James Karanja, dessen Familie in Bad Endbach-Hartenrod lebt und der als Jugendreferent im Evangelischen JUgendwerk Bad Homburg wirkt, stammt direkt aus der Krisenregion und kennt das Gebiet wie seine Westentasche. Unter den Opfern sind auch Angehörige, Freunde und Bekannte von ihm. Der Afrikaner ist zugleich Vorsitzender von HCI und versucht nun, von Deutschland aus zügige Unterstützung und Hilfe zu organisieren. In seinem Kollegen und Freund, dem Hirzenhainer Pfarrer Michael Brück, hat er dabei einen engagierten Mitstreiter gefunden.
Nur noch Geröll, Schutt und Trümmer
Brück war im vergangenen Winter mehrere Wochen in der Region gewesen und hatte sich davon überzeugen können, dass der Support aus Deutschland hier auf fruchtbaren Boden fällt. Die Fotos, die er seinerzeit einfing und mitbrachte, decken sich überhaupt nicht (mehr) mit den aktuellen Aufnahmen, wie sie ARD, CNN oder BBC unlängst verbreitet haben. Dazwischen liegen (zerstörte) Welten. Der Kontrast ist erschreckend. Wo sich einst blühende Flächen, schlichte, aber saubere Wohnzeilen und gepflegte Gemüsegärten befanden, türmen sich heute nur noch Geröll, Schutt und Trümmer. Die obdachlosen Dorfbewohner fanden in Schulen, Turnhallen oder bei Verwandten eine provisorische Bleibe.

Nahrungsversorgung gefährdet

Von den Wassermassen mitgerissen wurde auch eine ergiebige, mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland erworbene Agrarfläche, eine Art "Garten Eden". Ein wesentliches Standbein, um die kostengünstige Nahrungsversorgung der von Home Care International betreuten Waisenkinder und Jugendlichen in den beiden Heimen in Nakuro zu gewährleisten. Darüber hinaus kümmert sich die Organisation auch um die Gesundheitsversorgung und die schulische Bildung ihrer mittellosen Schützlinge.
Inzwischen müssen die benötigten Produkte zugekauft werden. Während Rotes Kreuz, Katastrophenschutz und regionale Hilfsverbände schweres Räumgerät auffuhren, die Erstversorgung der Opfer stemmten und die Lebensmittelverteilung organisierten, geht es jetzt an den Wiederaufbau. Das kann Monate in Anspruch nehmen. Benötigt wird deshalb in erster Linie auch Baumaterial, das in der Region relativ teuer ist.
Kirche und Hilfsorganisation bitten um Spenden
Hier möchten die Unterstützer aus Mittelhessen ansetzen. HCI hat deshalb zu einer Spendenaktion aufgerufen, die nicht nur von den Kirchen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, sondern auch von den evangelischen Dekanaten Dillenburg und Herborn unterstützt wird. Der Direktlink zum Spendenkonto: https://de.gofundme.com/dammbruch-solai. Einzahlungen können auch auf das Konto von Home Care bei der VR Bank Biedenkopf-Gladenbach unter dem Stichwort "Solai" vorgenommen werden: IBAN: DE43 5176 2434 0067 1657 13, BIC: GENODE51BIK. In Hirzenhain werden Spenden zudem direkt im örtlichen Pfarramt entgegengenommen und entsprechend weitergeleitet. Die Hilfe kommt ohne Abzüge unmittelbar den Katastrophenopfern zugute.
Die Bevölkerung in Solai wurde in den vergangenen Jahren nicht gerade vom Schicksal verwöhnt, ist nun aber, bildlich gesprochen, vom Regen in die Traufe gekommen. Nach mehrjähriger Dürre, die nur karge Ernten ermöglichte, bescherte die Flut den Menschen jetzt eine noch viel drastischere Heimsuchung. Und die war, nebenbei bemerkt, auch noch hausgemacht.

Behörden ignorierten alle Warnungen

Nicht wenige in der Region hatten es kommen sehen, aber die Behörden ignorierten alle Warnungen. In den Bergen rund um den Ort unterhält ein indisches Großunternehmen, einer der größten Arbeitgeber des Gebietes, mehrere gigantische Stauseen. Während die Menschen weiter unten im Tal in regenarmen Zeiten um jeden Tropfen ringen müssen, wird dort Wasser vorgehalten, das der Konzern zur Bewässerung seiner riesigen Plantagen benötigt. Die sintflutartigen Niederschläge der vergangenen Wochen hatten nun den Damm des größten, 1400 Höhenmeter oberhalb des Dorfes gelegenen Staubeckens gesprengt. Die Flutwalze gewann auf ihrem Weg nach unten an tödlicher Dynamik, riss tausende an Tonnen Geröll mit sich und fraß eine hunderte Meter breite Schneise der Verwüstung in die Landschaft. Bäume knickten wie Streichhölzer, ganze Straßenzüge verschwanden in den brodelnden Massen.
Die Betroffenheit danach war auch in der 150 Kilometer entfernten Hauptstadt spürbar. Präsident Uhuru Kenyatta und sein Innenminister kamen denn auch persönlich zur anberaumten Trauerfeier und kondolierten den Hinterbliebenen. Der Stausee-Betreiber hingegen ließ sich nicht blicken. Immerhin wurde inzwischen, weil die Anwohner weitere Dammbrüche befürchteten, das Wasser aus zwei weiteren Stauseen kontrolliert abgelassen und ein Dorf in der Nähe vorsorglich evakuiert. Für die Menschen in Solai kommen diese Maßnahmen freilich zu spät.

Bürgerreporter:in:

Jürgen Heimann aus Eschenburg

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