Informative Führung durch den Steinbruch Rüsselsee

Herr Völker erklärt die Entstehung des tausende Jahre alten Schlucklochs
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Wie der intensive Abbau von Gips die Landschaft
stark verändert und die begonnene Rekultivierung
durch maßgebende Auflagen der Naturschutzbehörde
nur schrittweise fortschreiten kann.

Gleich zu Anfang möchte ich darauf hinweisen, dass
dieser Beitrag weder den Gipsabbau verherrlichen noch
die Naturschützer kritisieren soll. Es ist ganz einfach ein
Erlebnisbericht über eine Reise in die Erdgeschichte.

Geführte Karstwanderung am 18. Oktober 2015

An diesem nasskalten trüben Sonntag trafen sich gut
40 Personen unweit von Appenrode um an einer Wanderung durch die örtliche Karstlandschaft mit den aktiven Steinbrüchen "Rüsselsee / Appenrode" und "Himmelsberg / Woffleben" teilzunehmen. Eingeladen
hatten die Diplom-Geologen Christel und Reinhard Völker um einen weiteren Abschnitt der Karstregion entlang dem Karstwanderweg [1] vorzustellen.
Gleich zu Anfang erläuterte Herr Völker den montanen Aufbau des Steinbruchs und wie das umliegende Landschaftsbild entstehen konnte. Es ist für mich immer wieder sehr interessant, wie Plattentektonik, Vulkanismus und Naturkräfte schon seit Jahrtausenden die Erdoberfläche formen und ständig umgestalten ohne das wir Menschen darauf Einfluss nehmen können. Allerdings begann schon der Steinzeitmensch damit Bodenschätze abzubauen [2] und heute werden mit modernen Maschinen tief bleibende Wunden in unseren einzigen Heimatplaneten gegraben.

Der Wettergott hielt glücklicherweise den Regen in den Wolken fest und so waren die aufgeweichten Wege aus Gips zwar sehr matschig, aber nicht rutschig. Auf dem Weg in den bereits renaturierten Abschnitt des Steinbruch Rüsselsee bildeten sich lediglich Gips- klumpen unter den Schuhen. Der erste Stopp, und als Naturfreundin hätte ich auf den ersten Blick gesagt: "Die Natur ist aus eigener Kraft zurück gekehrt." Doch weit gefehlt, denn was nach Chaos aussieht ist so gewollt, von Menschenhand geformt und angesät worden. Selbst kleine Dolinen, karsttypische Wasserlöcher wurde angelegt. Mit Stolz berichtete das Ehepaar von ihren Erfolgen und sich wieder ansiedelnden Insekten, Kleintieren und wie den Wildblumen etwas nachgeholfen wurde. Schön sieht es sicherlich zur Blütezeit aus und doch trübt ein bevorstehendes Ereignis diesen Erfolg.

Kiefern sind im Renaturierungsplan nicht vorgesehen

... und müssen darum in nächster Zeit von diesen Flächen vorsichtig entnommen werden. Muss ich das verstehen? NEIN! Eigentlich wurde doch jahrelang durch die Natur- schützer darum gekämpft, dass der Wald als Ganzes erhalten bleibt und jetzt darf der Wald nicht wieder nach- wachsen. Herr Völker, der sich im Auftrag der Gips abbauenden Firma CASEA um diese Flächen kümmert,
sieht diesem naturschutzfachlichen Eingriff gelassen entgegen: "Spätestens in 50 Jahren, wenn sich keiner mehr dafür interessiert, wächst hier wieder ein dichter Wald."

Auf dem Weg in den aktiven Steinbruch hinein - Sonntags wird hier nicht abgebaut - gab es immer wieder Hinweise und Erläuterungen zur Entstehung der Gesteinsschichten. Und so offenbarte sich den Teilnehmern ein geologisches Fenster in die Zeit des Zechsteins als sich hier in einem flachen Meer Sedimente ablagerten, aus denen sich im Laufe der Zeit der Werra-Anhydrit bildete. Bei Appenrode liegt er etwa 60 m tief und ragt knapp 40 m in die Höhe. Das besondere am Steinbruch Rüsselsee ist die Gipsrinde mit einer hohen Reinheit von 97 - 98 %, die über dem Anhydrit liegt. Das obere Plateau des Steinbruchs besteht aus Dolomit. Noch etwa bis 2020 wird hier ausschließlich Gips abgebaut und doch kann ich mir schon sehr gut vorstellen, wie die renaturierte Kraterlandschaft als Geostandort touristisch vermarktet wird.

Ein absolutes Highlight der Wanderung

... war ein freigelegtes Schluckloch (Ponor [3]), welches jedoch abgebaut wird. Es war mit sandigem Sediment gefüllt, worin sich kleine abgerundete Dolomitkugeln befanden. Eine Datierung ergab, dass es sich zum Ende der letzten Eiszeit (Weichsel-Kaltzeit [4]) vor 12.000 Jahren bildete. Vermutlich flossen die Schmelzwasser des Gletscherschildes, das bekanntlich bis nach Friedrichsbrunn reichte, den Südharz herunter und spülten tiefe Trichter in den karstigen Untergrund. Durch Reliefumkehr [5] gelangten diese in die Höhe, da die weichen Gesteinsschichten im Auslaugungstal von Appenrode schneller durch Erosion abgetragen wurden und somit das Anhydritgestein stehen blieb und das heutige hügelige Landschaftsbild entstand.

Der Weg zurück führte durch einen durchforsteten Buchenwald und dann lernten die Teilnehmer etwas über Gips in der Lebensmittelindustrie [6]. So ist das also. Um schöne helle Brötchen herzustellen braucht man E 516 und auch zur Tofu-Produktion setzt man Calciumsulfat, also Gips ein. Doch auch in Kriegszeiten wurde schon sogenanntes "Himmelsmehl" im Verhältnis 1 : 25 ins knappe Brotmehl gemischt. War jedoch der Gipsanteil zu hoch, dann konnte man schon daran sterben und so entstand der Name "Himmelsmehl".

Bei der Führung wurden viele Themen nur kurz angeschnitten. Aus eigener Neugier heraus habe ich versucht etwas umfassender über den begangenen Karststandort zu berichten. Sollten mir gravierende Fehler unterlaufen sein, dann bitte ich um freundliche Hinweise darauf, damit ich es umgehend berichtigen kann. Als weiterführende Literatur dienten mir:
[1] Karstwanderweg ->Homepage
[2] Der Bergbau ist so alt wie die Menschheit ->lesen
[3] Ponor ->Schluckloch
[4] Weichsel-Kaltzeit ->Info
[5] Reliefumkehr ->GeoLexikon
[6] Gips und seine Verwendung ->Wieder etwas dazu gelernt!

Weitere Beiträge zu diesem Thema:
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Annett Deistung, Woffleben, Südharz-Karstgürtel

Bürgerreporter:in:

Annett Deistung aus Ellrich

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