Wie das Rotkehlchen zu seinem Namen kam...

Wie das Rotkehlchen zu seinem Namen kam

So wie der Herrgott die Vögel erschaffen hatte, flogen sie zunächst alle unter seinem Himmel herum, hatten aber noch keine Namen. So rief er also jeden einzelnen noch einmal zu sich und gab ihm den eigens für ihn erdachten Namen. Als ein zierliches, graues Vögelchen an der Reihe war und den Herrn nach seinem Namen fragte, sagte er: »Rotkehlchen. Ja, du bist das Rotkehlchen.«
Stolz flog es davon und als es sich seinen Artgenossen vorstellte, sagte es: »Ich bin das Rotkehlchen.« Die Artgenossen wunderten sich, wie der Herr sich habe derart irren können und sagten: »Aber wo bist du denn rot?« Und bei der Frage lachten sie.
Traurig flog das Rotkehlchen noch einmal zu seinem Schöpfer und fragte ihn, welche Bewandtnis denn sein Name habe, zumal es doch nur grau in grau sei. Da sprach der Herr: »Gedulde dich noch ein Weilchen, ich habe dich unter allen Vögeln dazu ausersehen, etwas ganz Besonderes zu sein.«
Das Rotkehlchen verabschiedete sich und kümmerte sich von nun an nicht mehr um das alberne Gespött der anderen Vögel. Es vertraute dem Herrn und wartete einfach ab.
Jahrtausende waren inzwischen vergangen und eine Rotkehlchengeneration hatte ihrer Nachkommenschaft die Entstehungsgeschichte ihres Namens der nächsten erzählt, und im Jahre 33 nach Christus hatte ein Pärchen sein Nest in einem Baum auf dem Kalvarienberg nahe Jerusalem gebaut und zog dort seine Brut auf. Es war ein heißer Tag im April. Lärm näherte sich der Brutstätte, und das Rotkehlchen schaute nach, was passiert war. Da sah es inmitten einer Soldatenschar einen jungen Mann mit einem Kreuz auf den Schultern daherkommen. Er ging tief gebeugt. Und es sah die Dornenkrone, die man ihm um das Haupt gewunden hatte. Tiefes Mitgefühl erfaßte das Rotkehlchen, und um dem Mann ein wenig Linderung zu verschaffen, flog es zu ihm, setzte sich auf seine Stirn und begann, die Dornen aus seiner Haut zu ziehen. Dabei netzte ein Tropfen Blut seine Brust.
Dann flog es zu einem Brunnen, um sich zu baden, doch der Blutfleck blieb hartnäckig an ihm haften. Als es zu seinen Kindern zurückgekehrt war, sah es, daß auch sie den gleichen Fleck hatten. Da wußte es, daß die uralte Prophezeiung in Erfüllung gegangen war.

Quelle aus dem alten Hausbuch Sonnenland 1922
leider ohne Angaben über den Verfasser

Bürgerreporter:in:

Knippsi Knippsilein aus Ellgau

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