Reinhold Messner: Erfahrungen eines Grenzgängers

Reinhold Messner im Interview
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„Erfahrungen eines Grenzgängers“: Reinhold Messner in Harburg

Kein anderer Name wird so unmittelbar mit Extrem-Bergsteigen und abenteuerlichen Expeditionen rund um die Welt assoziiert wie seiner: Reinhold Messner, renommierte Autor, vielgefragter Referent und Globetrotter, dessen Dokumentarfilme und Berichte seit mehr als 30 Jahren unsere Vorstellungen über extreme Naturräume (Arktis, Grönland, die Wüste Gobi, den Mount Everest) wie auch deren abenteuerliche Bezwingung geprägt hat, referierte in der Mehrzweckhalle in Harburg vor rund 300 Gästen über seine Erfahrungen als Grenzgänger.

Anders als andere Bergsteiger und Abenteuerer geht es dem gebürtigen Südtiroler nicht so sehr darum, neue Rekorde aufzustellen oder durch sensationelle und waghalsige Aktionen auf sich aufmerksam zu machen; vielmehr sieht er seine Expeditionen (im Team ebenso wie im Alleingang) als Möglichkeit und Chance, den „genetischen Code“ in sich selbst zu entdecken, das, was ihn als Individualität und Mensch signifiziert zu erleben und zu entdecken: der Weg in die verschiedensten Berg- und Naturregionen der Erde ist für ihn s e i n Weg zu sich selbst - jenseits gewohnter Regeln und Konventionen. Er selbst sagt mit Blick auf seine Motivation zu seinen extremen Bergabenteuern:
„Nichts hat mir auch nur annähernd zu so vielen Erkenntnissen verholfen wie Landschaften und deren Entsprechungen in meiner Seele.“

Von der Besteigung des Mount Everest über die Längsdurchquerung Grönlands, Expeditionen durch die Gobi oder den Nanga Parbat und Himmalaya gibt es inzwischen zahlreiche Berichte und Bücher von Messner selbst: immer wieder faszinieren seine Schilderungen der Natur und der nervenaufreibenden Gefahrensituationen.
Vor seinem Diavortrag in der großen Mehrzweckhalle gewährte Reinhold Messner ein Interview, das Wolfgang Leitner für die WochenZeitung führte.

WZ: „Herr Messner, Sie verstehen sich als >Grenzgänger<. Was suchen Sie in der Begegnung mit der Natur? Was motiviert Sie zu diesen extremen Expeditionen, die Sie oftmals schon in Todesnähe brachten?“ R.M.: „Ganz konkret: das Funktionieren der Menschennatur. Mich interessiert die Natur da draussen, ich benutze sie als >Medium<, um zum Funktionieren des Menschen zu gelangen. Das ist die Menschennatur. In uns steckt ja nicht nur ein genetischer Code, wie wir gebaut sind; da ist auch ein Code, wie wir uns verhalten. Dieser Code existiert ausserhalb dessen, was an Regeln von Menschen aufgestellt worden ist, von Religionsstiftern, von Kirchen. Es gibt in unserer Gesellschaft viele Regeln, ethische, religiöse, soziale und politische: diese sind alle von Menschen gemacht. Aber es gibt eben auch einen Code des Verhaltens in uns, und diesen Code kann ich nur erfahren, wenn ich mich der Natur >ausliefere<.“ WZ: „Das bedeutet: ich kann mich selber nur erkennen, wenn ich mich selbst erlebe ...“ R.M.: „Ja, genau ... ich merke das nicht nur bei mir, ich erlebe das auch bei meinen Kameraden.“ WZ: „In Gefahrensituationen erleben Sie ganz grundlegende Erfahrungen, u. a. archetypische Konflikte, z. B. Ängste. Lernt man, anders mit seinen Ängsten umzugehen?“ R.M.: „Diese tauchen vor allem im Vorfeld der Expedition auf, Ängste, die im Grunde alle mich hindern wollen, da hinauf zu gehen, in eine lebensfeindliche, nicht selten lebensbedrohliche Umwelt. Ich lerne, nicht etwa die Ängste zu unterdrücken, sondern sie zu bezähmen, so dass ich Schritt für Schritt mein Vorhaben erfolgreich ausführen kann.“ [...] WZ: „Welche Rolle spielt der Erfolg bei Ihnen?“ R.M.: „Ja, sehen Sie, diese Expeditionen kosten viel Geld, das bedenken manche gar nicht: wer in der Spitzenklasse [der Bergsteiger] ist, verbringt drei Viertel des Jahres unterwegs, ein Viertel zu Hause. Da muss das Geld erwirtschaftet werden, um weiter machen zu können. Auf Dauer brauche ich Erfolg; aber Lernen kann ich vor allem im Scheitern. Wenn man scheitert, kann man erkennen, was falsch war, und ändert das beim nächsten Mal; beim Erfolg ist es doch so, dass wir ihn einfach hinnehmen, ohne vielfach zu wissen, warum es gelang. Ich definiere >Grenzgänger< auch ganz einfach als jemanden, der an der Grenze vom Möglichen zum Unmöglichen sich bewegt.“ WZ: „Lesen Sie in der Vorbereitung auf eine Expedition Berichte anderer?“ R.M.: „Ich habe sehr früh angefangen, andere zu lesen. Das hat mir viel bedeutet. Sehen Sie, da merkt man dann auch, ob jemand das selbst erlebt hat, was er schreibt. 90% der Literatur ist da wirklich von Ghostwritern geschrieben. Da kommen oft völlig schräge Geschichten heraus, weil sie Bilder übernommen haben, die sie nicht richtig verstanden haben.“ WZ: „Gibt es ein Vorbild oder Vorbilder für Sie?“ R.M.: „Vorbild würde ich nicht sagen, ich sehe die Funktion des Vorbild nicht gerade positiv; auch mich selbst würde ich nicht als Vorbild sehen: ich nehme mir das Recht, mein Leben zu leben, so wie ich es für richtig halte; aber ich warne davor, mich zu kopieren, mich nachzumachen, das kann sehr gefährlich sein ...“ WZ: „Wer möchte schon Abklatsch, Kopie eines anderen sein?“ R.M.: „Tja, aber momentan ist das doch sehr interessant, was da abläuft, in der Welt. Nicht ein Mädchen, Millionen von Mädchen wollen wie Feldbusch sein, wie Paris Hilton sein. Also nach dem Motto: ich angele mir einen reichen Mann, dann komme ich ins Fernsehen ... werde berühmt. Nicht also: ich kann etwas, bin tüchtig, leiste etwas, sondern Schema Feldbusch oder Paris Hilton. Das sind die Vorbilder, nicht etwa Persönlichkeiten aus der Gesellschaft oder der Politik. Ich schaue, wo ist es am billigsten, wie kann ich schnell das und das erreichen.“ WZ: „Taucht da nicht die uralte und immer neue Frage nach dem Glück auf?“ R.M.: „Viele Menschen sehnen ständig >das Glück< herbei und machen viel kaputt dadurch. [...] Wenn ich einen guten Satz brauche, um ein neues Buch anzufangen, dann wird mir der nicht durch >mein Glück< gebracht: den muss ich mir erarbeiten. Ich habe auch etwas gegen diese Spaßgesellschaft. Aber sehen Sie: der Könner fängt dort an, wo der Spaß aufhört ... .“ WZ: „Und Freiheit? Gehört Freiheit zum Weg des Könners?“ R.M.: „Ja, Freiheit - und mit Freiheit kommt Verantwortung, die wir tragen, Verantwortung für unsere Mitmenschen, Verantwortung für das Habitat ... . Da haben wir viel vernachlässigt: Viel Verantwortung, wohl mehr als je zuvor, haben wir Verantwortung an unsere Politiker deligiert. Jeder macht das, auch die Politiker, in der Sozialpolitik z. B. deligieren ihre Verantwortung: und damit verlieren wir Freiheit. Wenn ich in die Eiger Nordwand steige - dann bin ich Anarchist: da oben gibt es kein Bürgerliches Gesetzbuch, ich bin auf mich gestellt, niemand schreibt mir vor, was ich tun soll, ich handle nach diesem >inneren Code<, den ich in mir habe. In dieser Anarchie habe ich Freiheit, aber nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung: eine falsche Entscheidung - und ich bin tot, aber nicht nur ich, sondern auch der Andere. Freiheit und Verantwortung sind eigentlich immer ein unteilbares Ganzes.“ WZ: „In unsere Gesellschaft gibt es viele Regelsysteme ...“ R.M.: „... und es werden immer mehr, u. a. da der Kosmos, mehr und mehr leidet, aber es kommt zum Showdown - und den verlieren wir. Aber gut: ich akzeptiere, dass es diese Regeln gibt, dass es Menschen gibt, die sich daran halten, wie an ein Geländer, es hilft ihnen, nicht zu fallen. Ich selber gehe in die Wildnis [wo es die menschlichen Regeln nicht mehr gibt] und folge nur der Natur und den Erkenntnissen in mir. Je mehr wir - vor allem der kennende Forscher und der Wissende - da in den Makrokosmos hinaus, oder da in den menschlichen Mikrokosmos hinein kommen: desto größer ist das Staunen! Dort beginnt für viele Gott; ich selber höre hier auf, denn für mich entzieht sich dies meiner Erkenntnis: es bleibt ein Jenseitiges, das ich nicht erkennen kann. Hölderlin nannte dies das Göttliche, das für uns mit den Mitteln des Verstandes nicht zugänglich ist. [...]“ WZ: „Herr Messner, vielen Dank für dieses Gespräch.“

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Leitner aus Donauwörth

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