Herbstzeit - Märchenzeit: Zeit füreinander

Im Kiwanis-Märchenzelt

Wer findet noch Zeit, seinen Kindern Märchen vorzulesen? Wollen das Kinder überhaupt noch in einer Zeit der Massenmedien, in einer Zeit, da multimedial jeder jederzeit überall Zerstreuung und medial "perfekte" Unterhaltung finden kann?
O ja, zwar gehören alle d i e s e Medien zu unserem modernen Leben (z. T. durchaus mit allen Vorzügen, die sie uns eröffnen), aber sie stellen doch letztlich keine menschlich-persönliche Kommunikation dar, vielmehr bleiben Fernseher, Computer, Radio, Internet doch n u r Maschinen, die eine individuelle Zuwendung, menschliche Kommunikation imitieren.

Gerade Kinder erleben den Unterschied zwischen realer Zuwendung durch die Eltern, durch Erwachsene und andere Kinder und medial vermittelter Kommunikation deutlich - auch dann wenn sie selbst, naturgemäß neugierig auf die sensual attraktiven Medien, manchmal letztere vehement im Alltag einfordern sollten.
Wirklich aufblühen sieht jeder ein Kind beim Märchen, beim Vorlesen, in der persönlichen Zuwendung, insbesondere wenn ein Erwachsener Zeit für sie findet, für ihre Bedürfnisse und Interessen.

Ja, es erfordert Engagement, auch Mut, es verlangt dem Erzähler etwas ab, das gewöhnlich gar nicht mehr so intensiv in unserem Alltag gefragt ist: Wirkliche menschliche Kommunikation, Fantasie, verbales Können, auch Konzentration, ein Wachsein im Sprechen, das den Anderen dort abholt, wo er sich seiner Entwicklung nach, seinem Dasein, seiner Individualität nach befindet: Wann gehen wir in einem Gespräch w i r k l i c h noch auf die reale, konkrete und individuelle Situation ein? Anders gefragt: Wann haben wir überhaupt noch Zeit füreinander?

Kommunikative Kompetenz verlangt mehr als die "Vertreter-Gespräche", Gespräche, die im Grunde an der Oberfläche vorbeigehen am Anderen, Gespräche, die das "Du" verloren haben, da wir nicht mehr gewohnt sind, im Gespräch - auch und gerade im Alltag - zu schauen, w o wir den Anderen auffinden.

Beim Märchenerzählen können wir Erwachsene das wieder lernen, aus den "Standardformeln" der Alltagskommunikation auszubrechen, Fantasie und Erzählvermögen (auch gerade auf einfachste Weise), Artikulation und Vorstellung, Einfühlung und Gefühl in Worten, ja einzelne Worte wieder mit Geist und Seele zu erfüllen, nicht mehr bloß den Erfordernissen des Intellekts zu genügen, jenen Konditionierungen aus unserem Berufs- und alltäglichen Sozialleben zu entsprechen, die ansonsten in der Alltagsroutine wie eingefahrene "Fahrrinnen" unserer Kommunikation uns auch hindern, selbst Neues zu entdecken, unser ganzes Wesen zu erleben - wie Kinder auf i h r e Weise es w o l l e n - sofern sie nicht bereits es aufgegeben haben, in ihrer sozialen Umwelt nach ihren wirklichen Bedürfnissen als Kinder zu suchen und zu fragen.

Nichts mit falschverstandener Nostalgie, Sentimentalität, die kindisch kindliche Sprech- und Vorstellungsweise nachäfft, hat dies zu tun, sondern mit der geistigen Kompetenz, überhaupt individuell zu verstehen, konkret mit dem Gegenüber zu kommunizieren.

Für den Erwachsenen kann Märchenerzählen etwas Großartiges bedeuten: Wieder zu lernen, wirklich auf den Gegenüber im Gespräch und im Erzählen einzugehen, individuelles Sprechen, das sich nicht über das Konkrete durch standardisierte Paraphrasen hinwegbewegt, sondern durch das kommunikativ erlebte Du auch wieder zu einem wahren, da über Egogrenzen schreitende Ich zu gelangen.

Denn erst dann, wenn ich wieder auf das Du zugehen kann, da ich mich um diese "Du-Welt" in ihrer konkreten (d. i. realen) Form bemühe, komme ich als Ich aus der in unserer modernen Medienwelt (an die nicht nur Medienprofis, sondern wir alle in erheblichen Umfang partizipieren) allgegenwärtigen Gefahr, in unserem Sprechen und Kommunizieren zu einer schablonenhaften, gefühlsleeren, aber immerhin noch fleischumhüllten Sprechmaschine zu werden, die kein Du mehr verstehen und erkennen kann.
Kinder sind gerade auch in diesem Sinn eine immer einmalige Chance für die Erwachsenen, sich zu vergegenwärtigen, was Menschsein wesenhaft von allen Realitätsformen, die es sonst auch legitimierweise noch geben mag, zu unterscheiden - das aber ist das wortbegabte Ich, das ohne das real erlebte Du zu einer sinnleeren Schablone degeneriert.

Märchenzeit ist Erzählzeit, Erzählen aber führt uns zu uns selbst zurück - und für die Kinder ist es eine essentielle (da durch nichts zu ersetzende) Brücke in unsere Welt, zu kindgemäßer Entwicklung und unser aller Kulturgegenwart, die das Menschsein noch kennt.

Wer Erzählzeit für Kinder als "geopferte Freizeit" empfindet, erlebt nicht, was wesenhaft diese Zeit, die wir im Herbst als wirkliches Bedürfnis noch stärker empfinden können, als kostbare und schöne Zeit, Zeit füreinander, Zeit, kreativ an einer menschlichen, sozialen Weltwirklichkeit mitzuwirken.

Foto: Im Kiwanis-Märchenzelt: Die Kiwanis Donauwörth sind dafür bekannt, dass sie sich vielfältig engagieren, etwa sozial und kulturell, mit "Schüler helfen Schüler", ihrem neuesten Projekt, oder ihrem Kiwanis-Märchenzelt, auf dem ÖkoMarkt bzw. zuletzt auf dem 1. Donauwörther Oktoberfest.
Hier: Zwei engagierte Kiwanis, die sich beim Märchenerzählen im Zelt ihrem Kinderpublikum zugewendet haben.

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Leitner aus Donauwörth

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