Die Angst des Schamanen: Neu erzählt eine alte Geschichte vom frühen Glauben an die Auferstehung 3

Der Löwenmann (40.000 Jahre alter Mammutstoßzahn beschnitzt)
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Schreckliche Träume hatten den Steinzeitjäger verfolgt und so wachte er frierend und körperlich wie erschlagen im Vorraum der Höhle im Lonetal auf.

Immer noch aufgewühlt vom letzten Tag und den daraus resultierenden schlimmen Träumen ging er in Gedanken aber deshalb auch nicht minder angespannt seinen schwer erkämpften Sieg über die Höhlenlöwin nochmals durch: Kaum schloss er die Augen noch müde von der unruhigen Nacht da blitzten ebenso wie in der Nacht kurze Bildsequenzen in wilder wirrer Folge hinter den geschlossenen Liedern auf: Das aufgerissene Maul der Löwin mit der langen Reihe spitzer Zähne, der Kopf mit den schützend zusammengezwickten Augen und den fest angelegten Ohren wie er auf ihn zuschoss, lange kräftig gebaute Pranken mit ausgefahrenen Krallen, die wild herumfahrend kaum sein eigenes Gesicht verfehlten, ihn aber sehr wohl schmerzhaft an der Schulter trafen, diese aufrissen und mit blutender Spur entlang der ganzen rechten Seite vorbei glitten. Die andere Pranke, deren Klauen sich tief in seine Lende gebohrt hatten und seinen ganzen Körper wie an Fleischerhacken herumwirbelten, brachte ihn dem Kopf der Löwin und dem gnadenlos zuschnappenden Kiefer gefährlich nahe.

Ja die Alten hatten davon erzählt, dass kein anderes Tier mit der Wut und Kraft einer Löwin mit Jungen zu kämpfen imstande war. Voll erfüllt von Schmerz hatte er sich unter der Löwin weg gedreht und sein stabiler kurzer Speer mit der scharfen Feuersteinspitze hatte sich dabei in eine der Flanken des Tieres gebohrt, war unter dem Gewicht der Katze gesplittert, aber das klingenbewehrte Ende hatte sich dabei weit in den Körper nach oben zum Herz geschoben. Ein Ruck ging durch das Tier, die kräftigen Hinterbeine katapultierten die Löwin mit dem Speer noch ein Stück über ihn weg , ein Zucken ging durch den Körper und dann blieb sie einfach so liegen.

Irgendwo weiter drinnen in der Höhle würden die jungen Löwen vergeblich auf Ihre Mutter warten, unruhig zunächst, dann sich allmählich dem Hunger ergebend und dann  immer matter werden und verdursten. Das berührte ihn, war aber tatsächlich unabwendbar und mit dem Tod der Mutter unmittelbar verknüpft. Die Tötung der Löwin hatte ihm damit aber auch gleich mehrfache Schuld auferlegt. Sie hatten weder die Löwin, noch die Jungen, noch die Geister der Natur um Verständnis und die Erlaubnis zu töten fragen können. Zu schnell hatte sich die Katze auf ihn gestürzt. So hatten wohl beide, Mensch und Tier, das Gesetz gebrochen, das nur die einverständliche Tötung zum Wohl des Überlebens erlaubt. Der Tod wäre also auch ihm sicher. Gerade dem sicheren Tod entronnen, lies ihn dieses Schicksal aber fast kalt.

Er hatte sich aufgerichtet. Seine Stammesangehörigen brachten ihm kühlende große Blätter für die stark blutenden Wunden. Lange saß er reglos und unfähig, sich zu bewegen, neben dem reglosen Körper der Großkatze. Brennende Schmerzen fluteten in wiederkehrenden Wellen durch seine verletzten Glieder und hinter seinen erschöpft geschlossenen Lidern kamen immer wieder diese einzelnen schrecklichen Szenen, die er gerade durch gemacht hatte. Immer und immer wieder. Auch wenn der Körper des Tieres allmählich kälter wurde, die Geistseele, das nicht Greifbare, aber durchaus mit aller Kraft in seinem Kopf weiterhin Aktive des Tieres, lies ihm mit diesen Bildern keine Ruhe. Die Löwin kämpfte tief in seinen Gedanken immer und immer mit ihm weiter, lies ihm nur ganz kurze Minuten des Verschnaufens, nur, um ihm mit erneuten Schmerzschüben und Bildern danach wieder gänzlich die dringend benötigte Ruhe zu nehmen.

Das Fieber aus den entzündeten Wunden hatte über Nacht seinen ganzen Körper befallen, stöhnend lag er da, während die Bilder des Kampfes weiterhin sein Innerstes quälten. Das ging über Tage und Nächte und auch die Kräuterverbände und kühlende Waschungen, die ihm die Frauen seines Stammes bereiteten, halfen nicht viel. Sein Körper war nahe der Grenze des Todes und auch sein Geist wurde immer matter, dafür aber auch weniger von diesen Bildern verfolgt. Nachdem das wärmende Fell an der getöteten Löwin abgezogen war, hatte man es dem Jäger als Ehrerbietung an das Krankenlager gebracht. Man brachte den Kadaver des Tieres tief in das Höhlenlabyrinth hinein und deponierte den Kopf ehrenvoll in einer Nische, nicht ohne ihn mit einer Steinplatte beschwert zu haben. Später würde man an diese Stelle noch ein kleines naturnahes Idol in der Form der Löwin bringen, dessen Seite mit mehreren tiefen Schraffen tödlich verwundet worden war (oder waren es Schnüre, die den Körper in der Höhle fesseln sollten?). So hoffte man, würde der Geist der Katze ebenso fest in den Tiefen der Höhle gefangen sein und nicht mehr in nächtlichen Träumen den Verwundeten behelligen. Gerade diese Angst vor der rächenden Wiederkehr sorgte auch dafür, dass man die Toten unter mächtigen Elchschaufel im Boden verkeilte oder unter schweren Steintafeln vergrub.

Als sich dann sein Zustand entgegen aller Erwartung von Tag zu Tag schließlich zu verbessern begann und auch die Fiberträume längst nach gelassen hatten, stellte er sich immer wieder die Frage, wie es denn sein konnte, dass sich ein so großes starkes Tier, dessen Körper ohne Zweifel längst tot war, so lange und immer wieder seines eigenen Geiste bemächtigen konnte. Gab es da eine unsichtbare Substanz , eine Kraft, die nur die sehen konnten , die dem Tode nah gewesen waren? Immer wieder waren so dem Stamm der Jäger besondere Menschen zu gerückt, die über die Dinge des Alltags auch die unsichtbaren Geheimnisse der Natur ergründen konnten. Schamanen waren diejenigen Führer des Stammes, die sich oft sogar auch mit den Geistern toter Tiere unterhalten konnten.

Völlig bis aufs Letzte geschwächt stieg er als Jäger vom Krankenlager empor, kaum mächtig, den bleichen ausgemergelten Körper hoch zu halten, doch sein Geist war hellwach in innerer Stärke, Gedanken und Fragen schossen ihm durch den Kopf. Die Löwin war, wie ja auch alle anderen Brüder- und Schwesterwesen in der Natur wohl von einer inneren Kraft belebt, die als großes Ganzes überall in der Natur in immer gleichem Anteil vorhanden war. Man konnte nicht so ohne weiteres ein Tier aus der beseelten Natur herausnehmen, um dem eigenen Stamm das Weiterleben zu ermöglichen, ohne nicht an anderer Stelle wieder eigene Kraft und eigenes Leben dafür zurück geben zu müssen.

Aus dem großen Topf des Lebens sollte man sich also nur immer so viel nehmen, wie dringend für das Überleben notwendig. Musste ein Tier getötet werden, so sollte man auch diesen Opfertod durch möglichst vielfältige Nutzung aller Teile des Körpers ehren. Da die Natur wohl aber auch Leben gab, ohne gleich wieder sofort Leben ein zu fordern, war es vielleicht ja möglich, dass man verbliebene Reste des Tieres der Natur und ihrer großen Kraftressource wieder zurückgab, damit daraus neues Leben entstehen konnte. Diese Reste aber einfach achtlos weg zu werfen, war also sicher nicht der richtige Weg, um neues Leben zu erhalten.

Leben entstand in längerem Prozess im Leib der Muttertiere und auch der Menschenwesen, indem vielleicht den unsterblichen weißen Knochen rotes Blut und Fleisch angefügt wurde. Blut schien bei der Entstehung des Lebens wohl eine große Rolle zu spielen. Überall begleitete es die Geburt und den Tod gleichermaßen. Der Muttermund der Natur waren wohl die Höhlen und Vertiefungen in der Landschaft. Sollte man nicht die Knochen und Reste der Tierwesen, für die es keine Verwendung gab, zusammen mit dem Blut der Erde, dem roten Eisenocker , wieder an vorbereitetem Platz der Erde zurück geben? Könnte man , wie das bei den Tieren möglich wäre, nicht auch die verstorbenen Menschen zusammen mit einer Schicht roten Ockers in eine gegrabene Geburtshöhle zurück bringen, um Ihnen eine Neugeburt zu ermöglichen?

Sollte man nicht die Stelle hinter den Augen, dieses Schädelgefäß, das uns diese nicht körperlich vorhandenen Seelenbilder lieferte, im Besonderen aufbewahren , um unseren Verstorbenen einen Kontakt zu den noch Lebenden zu ermöglichen. Wäre es sinnvoll, in den großen Höhlen , dem Uterus der Natur, vielleicht durch naturnahe Bilder der getöteten Großtiere, der Mutter Natur einen Anhaltspunkt zu geben, welche Art Beutetiere doch bitte neu zu erschaffen wären, wenn man die Wünsche der Menschen akzeptieren wolle, die doch dafür auch die Knochen beigesteuert hätten? Würde er und sein Clan es schaffen, den Geistern der Natur annähernd so viel an Lebensmaterial zurück zugeben, wie sie aus diesem Topf zum Erhalt des Lebens entnehmen mußten? Oder würde sich die Natur unter den Menschen noch mehr für den Erhalt der gestörten Lebensenergie an Opfern herauswählen müssen? Eine endlose Menge an Fragen quälten den vom Tode Verschonten, den zukünftigen Schamanen.

Wir wissen nichts über das Gedankenleben der vorgeschichtlichen Menschen, denn es gab ja noch keine Schrift, die uns erhalten wäre. In den Höhlen der Steinzeit finden sich aber kunstvoll gestaltete Tierfiguren und Malereien, sowie absichtliche Schädel- und Knochenhinterlegungen, deren Deutung zur Entstehung eines Glaubens an eine Wiedergeburt uns frei steht. In Gruben wurden schon von Neandertalern Tote in vorgeburtlicher Kauerstellung hinterlegt und mit rotem mineralischen Ockerpulver und Gaben für ein Leben nach dem Tode beigesetzt. Schädel von Höhlenbär und Mensch scheinen vom Körper getrennt, in Höhlen deponiert zu sein. Bei heute noch lebenden Jägervölkern zum Beispiel den Mansen in Nordsibirien werden alle Überreste eines getöteten Bären beim Bärenkult säuberlich gesammelt und in einem Depot in der Natur hinterlegt, damit der Bär wiedergeboren werden kann. Ähnliches findet sich auch bei vielen anderen Naturvölkern. Schädelkulte, bei denen durch Traumbilder der Kontakt zu den Ahnen oder zu Tiergeistern über den Schädel ermöglicht werden soll, gibt es unter anderem in Neuguinea. Aus dem Glauben an die Notwendigkeit der Rückgabe von unbenötigtem, vorher durch Tod gewonnenem Lebensmaterial scheint sich der Glaube an eine Rückkehr von Leben , eine Wiedergeburt, eine Auferstehung entwickelt zu haben.

War es die Angst, der Jäger und ihrer Schamanen, von der Natur zu viel Leben entnommen und zu wenig Lebens-material zurück gespeist zu haben und damit mit dem eigenen Leben oder dem Leben von Familienmitgliedern bürgen zu müssen? Oder war es die Erfahrung, dass durch dieses "schlechte Gewissen" böse Erinnerungsträume und Vorstellungen mit im Geiste wiederbelebten Jagdtieren und Mitmenschen entfacht wurden, die den Betroffenen , am meisten aber den hypersensitiven Schamanen unerträglich belasteten? War es all das, was den Menschen der Frühzeit dazu brachte, seine Verstorbenen "der Erde zurück zu geben" und mit den Gegenständen für ein weiteres Leben aus zu statten? Liegt hier der Glaube an eine Auferstehung begründet?

Bürgerreporter:in:

Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf

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