Der Blick hinter die Maske - ungewohnte Einblicke 

„Hallo Herr Stöhr“, überrascht mustere ich die junge Apothekerin, die ich dort hinter den gläsernen Schutzschilden des Schneewittchensarges an der Kasse vermeintlich vorher noch nie gesehen hatte.
Die von ihr wohl selbst entworfene Coronamaske behindert mein Suchen nach bekannten Gesichtszügen, wogegen mich meine Physiognomie wohl sofort verraten hatte. Spiegelnde Glatze und buschige Augenbrauen können , so scheint es, prägnant als meine Erkennungsmuster selbst Theo Weigel, die Bürste, wohl locker in den Schatten stellen und beherrschen wohl auch dominant das blickabweisend sterile Reststück der FFp2-maske darunter .
„Ich habe vor 8 Jahren bei Ihnen Kunst-Abitur gemacht“. Natürlich entschuldige ich meine erste Unkenntnis mit der so schon wieder schnell vergangenen doch furchtbar langen Zeit, beginnendem Alters-Alzheimer und der Zahl der wohl annähernd 10.000 mir ehedem ausgesetzten Schülern und Schülerinnen, deren Abbilder auch heute noch die Schubladen meines Gehirns mit stets quirrliger Frische und Ungestüm täglich von oben bis unten durcheinander bringen können.
Schnell sind die beidseitigen Ereignisse achtjähriger Erfahrungswelten zum Leben erweckt und wieder verglüht, da passiert mir etwas ganz Schreckliches:
Während ich früher als Lehrer sämtlichen Versuchungen, mit denen mich meine Schülerinnen provozieren wollten, elegant und durchtrainiert durch geschicktes Wegschauen oder Weggehen gemeistert habe, werde ich hier plötzlich in eine Situation gebracht, mit der ich absolut nicht gerechnet habe, ja , bitte glauben Sie mir, auch nicht rechnen konnte.
War es sportlicher Ehrgeiz oder jugendlicher Versuch heranwachsender Damen, eigene Grenzen aus zu loten, die in sommerlich ausgedünnter Kleidung, sich im Unterricht saisonal sich gar reihenweise mir zu Füssen warfen, sichtlich wohl nicht in großer Verehrung des künstlerischen Meisters oder Pädagogen, auch nicht , wie vorgetäuscht, um nach heruntergefallenen Stiften zu suchen, sondern eher zielgerichtet, um mich die uralte geschätzt-gehasste Vaterfigur mit kaum verhüllten pubertierenden Halsausschnitten zu bombardieren. Wie beschrieben gelang es mir doch stets, ohne wie von den vermeintlichen Verehrerinnen erhofft, rot oder verunsichert zu werden, mich einigermaßen elegant diesem Spießrutenlaufen zu entziehen.
Große Mode war über mehrere Jahre auch ebenso, mich vorne am Pult sitzend , also mit niedrigerer Augenhöhe, in Gespräche mit den durch kurze Tops stets freiliegende Bauchnäbeln zu verwickeln. Wahrscheinlich wäre es in diesem saisonalen Modetrend sehr sinnvoll gewesen , in meinen Klassensitzplänen, die ich , um mir die vielen jedes Jahr neuen Namen besser merken zu können, mit eingeklebten Schülerfotos des letztjährigen Jahresberichts bestückt hatte, die Gesichter durch Fotos von Bauchnäbeln zu ersetzen, um somit den Wiedererkennungswert der Schüler zu erhöhen.
All das liegt längst vergessen, gut überstanden und noch besser verarbeitet hinter mir und jetzt passiert mir dieser Fauxpas!
Wie Sie sehen, gab es ja wirklich genug der Möglichkeiten, mich auf dieses nun folgende, wie ich schwöre, einmalige Ereignis vor zu bereiten und es wird so sicher auch gar nicht mehr vorkommen!
Die junge Dame im bis oben zum Hals dicht schließenden also völlig akuraten Apothekergewand zwischen all den Medikamenten, Gesundheitsverheißungen und Tabellen im Dutzend billigerer Atemschutzmasken bückt sich hinter Ihren Panzerglasscheiben gegen Coronamutanten, um mir das Rezept zu unterschreiben.
Da ist es dann passiert: Ich versichere Ihnen, hätte ich das geahnt, ich hätte nicht mal schnell dorthin geschielt, sondern hätte schnellstmöglich und trotzdem ganz höflich den Blick quer durch den Raum enteilen lassen. Aber so:
Ich musste einfach tief in Ihren Ausschnitt blicken.
Tief hinein in den freien Ausschnitt links und rechts der Nase drang mein Blick ganz ungebremst. 
Da lag nun die nackte Nase völlig freigestellt und ungeschützt vom Atemschutzvlies.
Links und rechts davon klaffte die Maske und lies mich ungewollt tiefe Einblicke gewähren.
Sicher keine atemsichere Coronamaske, dachte ich! 
Selbst die Mundpartie ließ sich so noch erahnen.
Wie Schuppen fiel es mir da von den Augen:
Das war doch die Schülerin, die beim Abitur so brilliant über die Entwicklung moderner Brückentragewerke referiert hatte.
Etwas spätes Wiedererkennen aus diesem so tiefen Einblick hinter die Maske.

Bürgerreporter:in:

Maskenmuseum Michael Stöhr aus Diedorf

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