Der Schutzmann vom Rudolphsplatz in Marburg/ Lahn- Veröffentlichung : " Der Marburger Nachtwächterbote " November 2012, I. Ausgabe

22. November 2010
Sachsenhausen, 34513 Waldeck
Der Schutzmann am Rudolphsplatz in Marburg- Otto Kuncke
  • Der Schutzmann am Rudolphsplatz in Marburg- Otto Kuncke
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Der Schutzmann vom Rudolphsplatz in Marburg/ Lahn
Mein Vater, Otto Kuncke, war von 1946 bis 1973 in Marburg/Lahn als Polizeibeamter tätig. 1946 war er aus russischer Gefangenschaft entlassen worden. Eine russische Ärztin in Nowosibirsk hatte Mitleid mit meinem Vater und schickte ihn nach Hause. Er wog bei einer Größe von 1.70 m 46 kg.Zunächst arbeitete er im Kilian, dann im Markt 8 und zuletzt im Behördenhaus in der Biegenstraße.Zwischen 1949 und 1952 hat er oft am Rudolphs-
platz gestanden und den Verkehr geregelt.Er stand lediglich auf einem Podest, das keinerlei Schutz gegen Kälte, Zugluft und den Verkehr bot. Nach dem Krieg war es üblich,
eine Stunde lang, bei sehr kalter Witterung eine halbe Stunde, dort zu stehen. Da es damals keine gefütterten Schuhe gab und es am Rudolphsplatz sehr zog, war in einer kalten Winternacht der große Zeh meines Vaters erfroren.
Die Schutzleute wärmten sich in den Pausen im Tabakladen gegenüber oder in
Opfers Apotheke an der Ecke Hirschberg auf.
Zu Weihnachten haben Marburger Bürger kleine Geschenke um das Podest ge-
legt:Apfelsinen, Taschenmesser, Taschentücher,Flaschenöffner oder Schlagsahne.
An einem Weihnachtsfest haben sich meine Mutter und meine Großmutter
so an der Schlagsahne gütlich getan, dass beide eine Gallenkolik bekamen.
Die Diakonissen aus Wehrda strickten Socken und Kniestrümpfe für " ihren
Schutzmann." In den späteren Jahren mussten die Geschenke abgegeben werden.Sie wurden in Heimen verteilt.
Einige Jahre war mein Vater Bezirksbeamter für das Südviertel und den damaligen Krekel.Er war Ansprechpartner für Sorgen und Probleme der Anwohner.
Die Polizisten der damaligen Generation hatten auch viel Humor.
1968.Auch unruhige Zeiten in Marburg. Eines Tages kam mein Vater vom
Dienst nach Hause. Er lachte verschmitzt. " Heute haben wir Studenten gespielt.Wir haben uns untergehakt, sind durch die Wachstube gelaufen und haben "Ho,Ho,Ho Tschi Minh" skandiert.
Mein Vater hat mich stark geprägt. Immer wieder hat er gesagt:" Nie wieder Krieg. Du musst dich für Frieden einsetzen, du darfst keine vorschnellen Urteile über andere Völker fällen.An welcher Stelle du im Leben auch stehst, es gibt immer einen Weg."
Erst während einer Reise durch Burjatien(Sibirien) wurde mir bewusst, wie sehr mein Vater und eine ganze Generation in der Welt gelitten hat.
Dagma Kuncke

Bürgerreporter:in:

Dagma Kuncke aus Waldeck (HE)

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