Der Müllerberuf: Immaterielles Kulturerbe der UNESCO

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Auszeichnung für die Müllergilde

225 deutsche Mühlen vermahlten im Jahr 2016/17 knapp zehn Millionen Tonnen Getreide. Gab es 1950 in Deutschland noch fast 19.000 Mühlen, waren es 1980 gut 2.500. Heute sind es noch 218 meldepflichtige Mühlen laut „Verband deutscher Mühlen“.
Heute wird das Getreide in einem komplexen Prozess verarbeitet, bis es am Ende als „Qualitäts-Weizenmehl, Typ 405“ o.ä. bei einem Discounter für 0,89 €/kg im Regal auf den Kunden wartet. Der heutige ausgebildete produzierende Müller in solch einem Industriebetrieb heißt daher auch seit 2017 nicht mehr „Müller“ (für Wind-oder Wassermühlen), sondern konsequenterweise „Verfahrenstechnologe/in Mühlen- und Getreidewirt­schaft“, da viele technische und digital prozessgesteuerte, lagertechnische und moderne kaufmännische Ver­fahren seinen Berufsalltag prägen.
Auch wenn die Mühlengesetze der 50er Jahre die Masse der kleinen Wind- und Wassermühlen zugunsten der damaligen Industriemühlen rigoros aus dem Wirtschaftsprozess ausschalteten („Mühlensterben“), gibt es bis heute Mühlen, die diesen Prozess überstanden, sei es als museale Denkmäler mit oder ohne Mahlfunktion oder aber als – eine inzwischen seltene Ausnahme – traditionelle Handwerksbetriebe, die mit angepassten Geschäftsmodellen (Futterhandel, Bioläden u.ä.) auch heute noch produzieren.
Der Verein „Die Müllergilde“, erreichbar unter https://muellergilde.de/, hat sich die Pflege des allgemeinen traditionellen Mühlenwesens zur Aufgabe gemacht, besonderes Augenmerk aber richtet er darauf, das klassi­sche Müllerhandwerk zu bewahren, wie es in Traditionsmühlen ausgeübt wurde, damals wie heute.
In einer Presseerklärung vom 11. Dezember konnte der Vorstand des jungen Vereins einen ersten großen Er­folg verkünden:
„Das traditionelle Müllerhandwerk zu erhalten ist das Ziel der Müllergilde. … Jetzt erfährt das Engagement des Vereins eine offizielle Würdigung:
Die traditionelle Handwerksmüllerei ist zusammen mit 17 weiteren Kulturformen in das bundesweite Ver­zeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. In einem gemeinsamen Schreiben der Deutschen UNESCO-Kommission und der Kultusministerkonferenz heißt es dazu:

‘Das Expertenkomitee würdigt die Handwerksmüllerei in Wind- oder Wassermühlen als wichtigen Beitrag zur Erhaltung des traditionellen Müllerhandwerks. Die Maßnahmen zur Vermittlung des Handwerks und der damit verbundenen vor- und frühindustriellen mühlentechnischen Kenntnisse sowie Erfahrungswerte über­zeugen. Sie sichern sowohl die Pflege als auch die Weitergabe des spezifischen handwerklichen Wissens und Könnens durch Unterstützung der Handwerksmüllerausbildung. Dieser Kulturpflegeansatz einer sehr enga­gierten Trägergemeinschaft überzeugt auch im Zusammenspiel mit seinen denkmalpflegerischen Aspekten.‘

Der Beruf des Müllers ist einer der ältesten der Welt. Der traditionelle Handwerksberuf erscheint heute oft hart und entbehrungsreich. Im 18. und 19. Jahrhundert aber waren Mühlen sehr oft hochmoderne Verarbeitungsstätten, die effizient die Naturkräfte nutzten. Bekannt sind über 180 verschiedene Nutzungsarten, in denen zum Beispiel Mahl-, Öl-, Säge- oder Schleifmüller arbeiteten. Ihre Produktionsstätten legten den Grundstein für die Industrielle Revolution. Wasser- und Windmühlen prägen bis heute viele Landschaften in Deutschland.
Heute ist die Müllerei ein Beruf, der im dualen Ausbildungssystem erlernt werden kann. An Müllerschulen erwerben die Auszubildenden alle Kenntnisse, die auf einen Industriebetrieb ausgerichtet sind. Das Arbeiten mit Wind- und Wasserkraft sowie mit traditionellen Mahlverfahren zur Herstellung von verkehrsfähigen Mühlenprodukten, wie das Mahlen mit Mühlsteinen, sind heute im Lehrplan nicht mehr zu finden. Das Erlemen derartiger Techniken erfolgt nur noch in einigen Handwerksmühlen, die sich der Tradition verpflichtet sehen.
Bundesweit nutzen noch ungefähr 50 Mühlen von ehemals ca. 50.000 die Antriebstechniken Wind- bzw. Wasserkraft und halten das traditionelle Müllerhandwerk am Leben. Neben den heute noch professionell aktiven Mühlen gibt es eine zunehmende Zahl von Wind- und Wassermühlen, die auf semiprofessioneller, ehrenamtlicher Basis betrieben werden (Museumsbetrieb) und auf diese Weise das Müllerhandwerk in die Zukunft tragen.
Einzelpersonen und Vereine bemühen sich z.B. im Rahmen von Ausbildungskursen, den Umgang mit einer Wind- oder Wassermühle und die Fähigkeit zur Ausübung der traditionellen handwerklichen Müllerei zu vermitteln. Der weltweit beachtete Titel „Immaterielles Kulturerbe der Menschheit" beinhaltet keine finanzielle Förderung seitens der UNESCO. Wird eine kulturelle Ausdrucksform in ein nationales Verzeichnis (wie im Fall der Müllergilde bzw. der Handwerksmüllerei) oder eine der internationalen Listen des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen, fördert dies den Respekt und die Wertschätzung gegenüber den betreffenden Gemeinschaften, Gruppen und Individuen und ihrem Immateriellen Kulturerbe. Eine Anerkennung durch die UNESCO hilft auch, kulturelle Ausdrucksformen dauerhaft durch kulturpolitische Maßnahmen zu schützen.
Die Auszeichnung hat auch Bedeutung für den Denkmalschutz und den Tourismus, da sie den Kulturtourismus und die lokale, regionale und nationale Wirtschaft unterstützen kann. Immaterielles Kulturerbe bewirkt, dass Menschen sich einer Gemeinschaft zugehörig fühlen. Die kulturelle Ausdrucksform (in unserem Fall der Handwerksmüllerei) vermittelt ein Gefühl von Kontinuität und Identität und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Insbesondere vor dem Hintergrund des demographischen Wandels ist die Bewahrung traditioneller und zugleich zeitgenössischer kultureller Ausdrucksformen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.
Immaterielles Kulturerbe hat aber nicht nur eine soziale, sondern auch eine wirtschaftliche Bedeutung: Einerseits sind das über Generationen überlieferte Wissen und die damit verbundenen vielfältigen Fähigkeiten, zum Beispiel Handwerkstechniken in der Müllerei, eine wichtige kulturelle Ressource. Andererseits geht es auch um das Produkt dieser Kenntnisse und Fähigkeiten, also die handwerklich hergestellten Mehle, Schrote usw. Neben den heute noch professionell aktiven Mühlen gibt es eine zunehmende Zahl von Wind- und Wassermühlen, die auf semiprofessioneller, ehrenamtlicher Basis betrieben werden (Museumsbetrieb) und auf diese Weise das Müllerhandwerk in die Zukunft tragen. ...“
Nach dieser internationalen Anerkennung des Müllerberufes stellt sich die Frage, ob und wie es auch heute noch erreicht werden kann, im Sinne der Auszeichnung neben der zeitgenössischen Müllerausbildung auch eine klassische wieder zu etablieren, sodass es über den Azubi an „Meyers Windmühle“ in Bardowick nicht mehr heißt: „Der letzte Müller“.
(http://www.haz.de/Nachrichten/Der-Norden/Uebersich...)

(1) Zum Vergleich: Die Bockwindmühle Wettmar aus dem 16. Jahrhundert würde in einem guten Windjahr mit einem Mahlgang an 150 Betriebstagen geschätzt 450 t Getreide vermahlen!
(2) Die beigefügten Fotos verweisen auf einen Teil der Mühlen, die Mitglieder der Müllergilde sind.

Bürgerreporter:in:

Reinhard Tegtmeier-Blanck aus Wedemark

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