Ich habe die Facebook-AGB gelesen - Protokoll einer beängstigenden (und langen) Lektüre

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Die wenigsten lesen die Nutzungsbedingungen von sozialen Netzwerken. Sollten sie aber,
findet unser Autor - der die AGB von Facebook Zeile für Zeile gelesen hat.

FLORIAN SCHILLAT Nachrichtenredakteur beim STERN.

Die meisten Nutzer kommen vermutlich nur ein Mal mit den Nutzungsbedingungen von sozialen Netzwerken in Berührung: Wenn die Anmeldung fehlschlägt, weil der Haken bei "Ich habe die allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen und akzeptiere diese" (AGB) nicht gesetzt wurde. Die Reaktion, in der Regel: Haken dran - wird schon nichts Schlimmes drin stehen.
Oder? Wer sich die AGB von Facebook zu Gemüte führt, braucht viel Zeit, Geduld - und starke Nerven. Ich habe sie zum ersten Mal Zeile für Zeile gelesen. Leider zu spät.

19 Minuten und 9 Sekunden, in der Theorie
Ich kopiere die 24.341 Zeichen (ohne Leerzeichen) der Facebook-AGB in ein Word-Dokument und drucke sie mir auf neun Seiten (Schriftgröße 12) aus. Die Lektüre kostet mich als berufsbedingt geübten Leser (laut Stoppuhr) 19 Minuten und 9 Sekunden - das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, dazu später mehr. Währenddessen mache ich mir Anmerkungen und Notizen, markiere die ungewöhnlichsten und mitunter erschreckendsten Zeilen.
"Diese Vereinbarung wurde auf Englisch ( USA) verfasst. Falls zwischen irgendeiner Übersetzung dieser Vereinbarung und der englischen Version ein Widerspruch besteht, ist die englische Version ausschlaggebend.", heißt es bereits im ersten Absatz der AGB. Also: Die englische Version ist die im Zweifel gültige - wer nur deutsch versteht, muss bereits hier den ersten Vertrauensbeweis an Facebook erbringen. Leider ist diese für mich offenbar nicht zugänglich. Meine Versuche, die US-Version der AGB zu lesen, münden jedes Mal in der Weiterleitung zur deutschen Textversion.
Darüber hinaus gibt es für Nutzer mit Wohnsitz in Deutschland eine zusätzliche Lektüre, gilt hierzulande doch (teilweise) anderes Recht als in den USA. Ich klicke auf die Verlinkung und lese die zwei Seiten (wieder Schriftgröße 12) und 3810 Zeichen (ohne Leerzeichen) in 2 Minuten und 48 Sekunden.

"Wir erhalten von Drittpartnern Informationen über dich (...) außerhalb von Facebook"
Nun also endlich zur AGB. Oder auch nicht: Auch im ersten von insgesamt 18 Themenschwerpunkten in der Facebook-AGB ("Privatsphäre") macht Facebook eine Rolle rückwärts: "Wir fordern dich auf, die Datenrichtlinie zu lesen und sie zu verwenden, damit du mit ihrer Hilfe fundierte Entscheidungen treffen kannst." Also lese ich auch Facebooks Datenrichtlinien auch noch zum Warmwerden - sieben Seiten mit 17.138 Zeichen und einer Lesedauer von 9 Minuten und 48 Sekunden. Es sind die ersten Schrecksekunden während meiner Lektüre. Denn es wird zum ersten Mal ernst:
"Wir sammeln die Inhalte und sonstigen Informationen, die du bereitstellst, wenn du unsere Dienste nutzt;
dazu gehören auch (...) das Erstellen oder Teilen von Inhalten sowie das Versenden von Nachrichten bzw. das Kommunizieren mit anderen. Dies können Informationen über (...) bereitgestellte Inhalte sein oder solche die in ihnen enthalten sind, z. B. der Standort, an dem ein Foto aufgenommen (...) oder das Datum, an dem eine Datei erstellt worden ist. Außerdem sammeln wir Informationen darüber, wie du unsere Dienste nutzt (...) und die Häufigkeit und Dauer deiner Aktivitäten."
"Weiterhin sammeln wir Inhalte und Informationen, die andere Personen bereitstellen, wenn sie unsere Dienste nutzen; dazu gehören auch Informationen über dich, beispielsweise, wenn sie ein Foto von dir teilen, dir eine Nachricht senden oder deine Kontaktinformationen hochladen, synchronisieren oder importieren."
"Wenn du unsere Dienste für Käufe oder finanzielle Transaktionen nutzt (...), sammeln wir Informationen über den Kauf bzw. die Transaktion. Dazu gehören auch deine Zahlungsinformationen, wie deine Kredit- oder Debitkartennummer und andere Karteninformationen sowie sonstige Konto- und Authentifizierungsinformationen und Angaben zur Abrechnung, zum Versand bzw. zu Kontaktdaten."
"Wir erhalten von Drittpartnern Informationen über dich und deine Aktivitäten auf und außerhalb von Facebook (...)"
Facebook hat und darf also eigentlich alles mit den eigenen Informationen anstellen - selbst, wenn sie von anderen bereitgestellt oder geteilt werden. Und das im Zweifel immer und überall:
"Je nachdem, welche Berechtigungen du erteilst hast, sammeln wir Informationen durch bzw. über die Computer, Telefone oder sonstigen Geräte, auf denen du unsere Dienste installierst bzw. durch die du auf sie zufgreifst."
Facebook nennt zu diesen "Informationen" einige Beispiele:
"Attribute wie Betriebssystem, Hardware-Version, Geräteeinstellungen, Datei- und Software-Namen und -Arten, Batterie- und Signalstärke sowie Geräte-IDs (...) Gerätestandorte, einschließlich spezieller geografischer Standorte, beispielsweise über GPS-, Bluetooth- oder WLAN-Signale (...) Verbindungsinformationen, wie Name deines Mobilfunk- oder Internetdienstanbieters, Browsertyp, Sprache und Zeitzone, Mobilnummer und IP-Adresse."
Also eigentlich alles, was ein Computer oder ein Smartphone an Informationen hergibt.

Wer Facebook nutzt, hat "Verpflichtungen"
Passend dazu springe ich zu Punkt 2 der AGB ("Teilen deiner Inhalte und Informationen"), in der Facebook-Nutzer dem sozialen Netzwerk "ausdrücklich folgende Genehmigung" erteilt:
"Du gewährst uns eine (...) übertragbare, unterlizenzierbare, gebührenfreie, weltweite Lizenz für die Nutzung jedweder IP-Inhalte, die du auf bzw. im Zusammenhang mit Facebook postest (...). Diese IP-Lizenz endet, wenn du deine IP-Inhalte oder dein Konto löschst; es sei denn, deine Inhalte wurden mit anderen geteilt und diese haben die Inhalte nicht gelöscht."
Darüber hinaus erfährt der Facebook-Nutzer (bzw. der AGB-Leser), dass einem "bewusst sein sollte", dass "entfernte Inhalte für eine angemessene Zeitspanne in Sicherheitskopien fortbestehen". Was angemessen ist und was nicht, ist dabei offenbar in Facebooks Deutungshoheit.
Ähnlich verhält es sich bei Punkt 3 der AGB ("Sicherheit"), in der mich Facebook über meine "Verpflichtungen" informiert.
"Du wirst Facebook nicht verwenden, um irgendwelche rechtswidrigen, irreführenden, bösartigen oder diskriminierenden Handlungen durchzuführen"
Ich frage mich: Was ist "bösartig", was "diskriminierend"? Facebook lässt den Nutzer, bis auf ein paar Ausnahmen, im Dunkeln. Eine Grauzone.

"Du wirst Facebook nicht verwenden, wenn du ein verurteilter Sexualstraftäter bist."
Es bleibt nicht die einzigen Forderung, die Facebook an mich stellt. In Punkt 4 der AGB ("Registrierung und Kontosicherheit") werde ich dazu angehalten, nur ein "einziges persönliches Konto" zu erstellen. Mit klarer Ansage:
"Du wirst dafür sorgen, dass deine Kontaktinformationen stets korrekt sind und sich auf dem neuesten Stand befinden."
Und, dabei ebenfalls wichtig:
"Du wirst Facebook nicht verwenden, wenn du unter 13 Jahre alt bist."
"Du wirst Facebook nicht verwenden, wenn du ein verurteilter Sexualstraftäter bist."
Beides sollte auf Facebook also nicht der Fall sein - immerhin stimmen Nutzer ja auch zu, stets korrekte Kontaktinformationen anzugeben. Verurteilte Mörder oder anderweitige Verbrecher werden nicht explizit genannt.

Werbung ohne Werbung
Warum die korrekten Daten wichtig sein könnten, wird beim Thema Werbung zumindest etwas deutlicher. Vorher überspringe ich viele Punkte in der AGB, etwa "Zahlungen" oder "Besondere Bestimmungen für Werbetreibende". Wie bei den "Datenrichtlinien" wird der Leser zu Unterseiten weitergeleitet. Vorausgesetzt, ihn interessiert das Thema. Denn in den schlanken Zweizeilern fehlt ausnahmsweise eine konkrete Aufforderung, diese auch zu lesen. Also lasse ich sie weg.

Bei Punkt 9 der AGB ("Über Werbeanzeigen und andere kommerzielle Inhalte, die von Facebook zur Verfügung gestellt oder aufgewertet werden") bleibe ich wieder hängen.
"Du erteilst uns deine Erlaubnis zur Nutzung deines Namens, Profilbildes sowie deiner Inhalte und Informationen im Zusammenhang mit kommerziellen, gesponserten oder verwandten Inhalten (...), die von uns zur Verfügung gestellt oder aufgewertet werden. Dies bedeutet beispielsweise, dass du einem Unternehmen bzw. einem sonstigen Rechtsträger die Erlaubnis erteilst, uns dafür zu bezahlen, deinen Namen und/oder dein Profilbild zusammen mit deinen Inhalten oder Informationen ohne irgendeine Vergütung für dich anzuzeigen."
"Dir ist bewusst, dass wir bezahlte Dienste und Kommunikationen möglicherweise nicht immer als solche kennzeichnen."
Wer also zum Beispiel eine "Gefällt mir"-Angabe bei einer Marke hinterlässt, die auch auf Facebook wirbt, bekommt womöglich Werbung von dieser ausgespielt - ohne, dass diese als solche gekennzeichnet werden muss. Nutzertäuschung? Vielleicht. Aber wer die AGB absegnet, lässt sich darauf mutwillig ein.

Wer Facebook nutzt, stimmt allem (weiterhin) zu
Das gilt auch für Punkt 13 der AGB ("Änderungen"), die das Dilemma des Nutzer-Desinteresses an der AGB lösen will. Man werde zwar benachrichtigt, wenn Facebook seine Nutzungsbedingungen ändert. Doch:
"Deine weitere Nutzung der Facebook-Dienste nach der Bekanntgabe von Änderungen an unseren Bedingungen bzw. Richtlinien bedeutet gleichzeitig dein Akzeptieren unserer geänderten Bedingungen bzw. Richtlinien."
Wer die AGB also bereits akzeptiert hat, wird dies nicht noch einmal tun müssen. Facebook weiter zu nutzen, ist Einverständnis genug. Wenn man mit der AGB nicht einverstanden ist, muss man sein Profil offenbar löschen - nähere Angaben macht das soziale Netzwerk dazu nicht.

"DU ENTBINDEST UNS VON (...) JEDWEDER HAFTUNG"
Besonders wichtig scheint Facebook Punkt 15 der AGB ("Streitfälle") zu sein - ein gesamter Absatz ist ausschließlich in Versalien gedruckt, gilt aber offenbar nur für US-Bürger. Für Deutsche heißt es in dem eingangs genannten Extrapapier:
"Wir haften unbeschränkt gemäß den gesetzlichen Bestimmungen für Schäden die aus der Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit entstehen; bei Vorsatz; bei grober Fahrlässigkeit; und gemäß dem Produkthaftungsgesetz (...)"
Das klingt schon besser als "WIR GARANTIEREN NICHT, DASS FACEBOOK IMMER UNGEFÄHRLICH, SICHER UND FEHLERFREI SEIN WIRD" und "DU ENTBINDEST UNS, UNSERE DIREKTOREN, LEITENDEN ANGESTELLTEN (...) VON JEDWEDER HAFTUNG IM HINBLICK AUF FORDERUNGEN UND SCHADENSERSATZANSPRÜCHE" in der US-Version.
Eine Ziffer mit ähnlichem Zungenschlag wird aber offenbar nicht von deutschem Recht ersetzt, zumindest wird es nicht explizit (wie zuvor) so gesagt.
"Wenn jemand einen Anspruch bezüglich deiner Handlungen, deiner Inhalte oder deiner Informationen auf Facebook gegen uns erhebt, wirst du uns von sämtlichen Schäden, Verlusten und Ausgaben (einschließlich angemessener Anwaltshonorare und Rechtskosten) im Zusammenhang mit einem derartigen Anspruch schadlos halten."
45.289 Zeichen und 31 Minuten später
Warum steht in der deutschen AGB ein Paragraph, der nur für US-Bürger gültig ist? Warum wird der deutsche Facebook-Nutzer zu seiner Rechtslage in Deutschland in einem Extrapapier aufgeklärt - und nicht direkt in den AGB? Wer, außer ein Anwalt, soll das alles überhaupt erst verstehen?
Die Lektüre der Facebook-AGB ruft bei mir mehr Fragezeichen hervor, als sie - meines Erachtens - eigentlich auflösen sollte. Allein: Ich habe für die Lektüre der AGB, inklusive Datenrichtlinien und dem Paragraphen für deutsche Nutzer insgesamt 45.289 Zeichen (ohne Leerzeichen) in 31 Minuten und 5 Sekunden gelesen.
Und alles, was mich davon abhält ein Facebook-Nutzer zu werden, und damit offenbar einen Teil meiner Seele zu verkaufen, ist ein kleines Kreuz in der Anmeldemaske.

Quelle: FLORIAN SCHILLAT Nachrichtenredakteur beim stern
https://www.stern.de/neon/magazin/freizeit/faceboo...

Bürgerreporter:in:

Olly Suppelt aus Burgdorf

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